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Nr. 016 - Heinz-Werner Schulte, Programm Pricard-Delta-Eins
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”Das ist es!”, sagte Quark und legte den gelben Würfel auf den Tresen.

”Sehr beeindruckend...” bemerkte Bashir, während er zum Dabotisch hinüber schaute. So lange war es nicht her, dass Leeta und er ein Paar waren. Eine kurze Liason, die aus den unterschiedlichsten Gründen keine Zukunft hatte und bei der er  überraschenderweise in Rom, Quarks schwerfälligem Bruder, seinen Nachfolger gefunden hatte. Eine Tatsache, die seinem Ego schwer zu schaffen machte.

Heute hatte sie ein äußerst aufregendes Kleid an, das ein schönes Beispiel für den Grundsatz ‚manchmal ist weniger mehr’ darstellte. Wirklich ein sehr schönes Beispiel, dachte Bashir.

”Was ist das?”, fragte Miles O'Brien, der Chefingenieur dieser Station, mäßig interessiert.

”Das”, verkündete Quark mit einem verärgerten Blick in Richtung Bashir, ”ist die Sensation der kommenden Holosuite-Saison!. Ich habe es zwar selbst noch nicht gesehen, aber wenn man meinen Quellen glauben will, und das sollte man”,  versicherte Quark mit überzeugendem Gesicht, ”dann ist es eine permanent laufende Simulation, die..."

O'Brien lachte humorlos auf: ”Vergessen Sie's, Quark.” Er schüttelte kurz den Kopf und nahm einen Schluck Rootbeer während der Barkeeper sich mit einem verständnislosen Kopfschütteln vor sich hin murmelnd entfernte.

Er war jedes Mal auf Neue erstaunt, wie enthusiastisch Quark im Wochenrhythmus seine neuesten Holoprogramme als Sensation anpries. Noch vor vier Tagen war die ‚Endschlacht gegen das ’Dominion’ die absolute Sensation. Vielleicht war es das sogar für den Rest der Galaxie, aber wohl kaum für die Bewohner von Deep Space Nine, einer Raumstation am Rande des Förderationsgebietes, die sich -bedingt durch das bajoranische Wurmloch- nicht allzu weit weg befand von einer realen Version eines solchen Konfliktes.

Das Gefühl permanent einer Bedrohung durch das Dominion ausgesetzt zu sein, lastete schwer auf allen, die auf dieser Station lebten und arbeiteten. Jeder ging auf seine Weise mit dem Druck um. Er selbst schlug in seiner kargen Freizeit immer wieder in der Holosuite die Deutschen zurück, an seiner Seite der unermüdliche Dr. Bashir als forscher Kampfpilot. Sein Freund Julian Bashir. Als ranghöchster Mediziner auf DS9 achtete er peinlich genau auf mögliche Anzeichen von Stress oder Überarbeitung bei allen Personen, die sich unachtsamerweise in seiner Nähe aufhielten. Speziell ihm gab Julian permanent das Gefühl, ein neurologischer Notfall zu sein. Um zu erkennen, dass er nicht unbedingt ausgeglichen war, brauchte Miles keinen Arzt.

Seit Keiko mit Molly und Kirayoshi Richtung Erde abgereist war (das war tatsächlich schon 9 Monate her), hing er immer öfter grüblerisch seinen Gedanken nach. Er hätte sich gewünscht, dass die mögliche Invasion der Jem’Hadar der einzige Grund wäre, warum sie gemeinsam diese Entscheidung fällten. In den vergangenen Jahren hatte sich ihre Beziehung nicht unbedingt zum Besten entwickelt. Als Botanikerin hatte sie stets das Gefühl, nutzlos und auf DS9 fehl am Platze zu sein und er, Miles, war nicht in der Lage, ihr bei diesem Problem dauerhaft zu helfen.

Er glaubte zu wissen, dass seine Freunde -insbesondere Julian- zuweilen der Meinung waren, dass Keiko nicht die richtige Frau für ihn war. Er wusste es besser.

Bis er Keiko traf, wusste er nicht, wie einsam er bis dahin gewesen war. Sie gab seinem Leben einen Fixpunkt. Etwas, wofür es sich lohnt zu leben. Noch an Bord der Enterprise wurde Molly geboren und sein Glück war perfekt. Und als ihm als Mannschaftsdienstgrad die Stelle des Chefingenieurs auf Deep Space Nine angeboten wurde, konnte er nicht widerstehen und sagte zu, ohne daran zu denken, was diese Entscheidung für Keiko bedeutete.

Sicher, die Idee, eine Schule auf Deep Space Nine zu eröffnen und Keiko als Lehrerin vorzuschlagen war kein schlechter Versuch, scheiterte aber schon nach relativ kurzer Zeit aufgrund der unterschiedlichen Ansichten der an Bord lebenden Spezies, wie ihre Kinder bzw. ihre Brut zu unterrichten sei.

Mit der Zeit reduzierte sich die Schulklasse auf zwei Schüler: Jake, der Sohn des Commanders und sein bester Freund Nog, der Neffe des Ferengis Quark. Und irgendwann verbot auch Quark seinem Neffen den Schulbesuch, weil er einen schädlichen Einfluss der Förderation auf Nog befürchtete.

Nach Schließung der Schule wurde die Situation unerträglich. Keikos Selbstwertgefühl war quasi nicht mehr existent. Man muss bedenken, dass jeder an Bord der Station irgendeine Funktion hatte.

Verzweifelt schlug er vor, seinen Dienst zu quittieren, um ihr die Möglichkeit zu geben, in ihrem Beruf auf einem Planeten Erfüllung zu finden und als sie das Angebot ablehnte, liebte er sie dafür noch mehr.

Schließlich organisierte er, dass Keiko zeitlich begrenzt an einer bajoranischen Expedition teilnehmen konnte. Zeitlich begrenzt. Sechs Monate! Von viel zu wenigen Kurzbesuchen abgesehen, hatten sie sich ein halbes Jahr nicht gesehen. Aber auch wenn ihn die Tatsache erschreckte, die Trennung tat ihnen beiden gut. Als sie schwanger wurde mit Kirayoshi hatte er zunächst Mühe, sein Enttäuschung zu verbergen. Ja. Richtig. Es hatte keinen Sinn, dass er sich in dieser Beziehung etwas vormachte. Er hoffte damals, dass Keiko und er, nachdem Molly ein wenig älter geworden war, wieder etwas mehr Zeit miteinander verbringen konnten.  Erschwerend kam hinzu, dass Keiko das Kind nicht selbst austragen konnte. Um nach einem Unfall das Leben von Keiko und dem Baby zu retten, musste der Fötus Major Kira Nerys, der bajoranischen Verbindungsoffizierin, eingesetzt werden.  Die daraus resultierende Vertrautheit zwischen Nerys und Miles führte schon nach kurzer Zeit zu irritierenden Gefühlen zwischen ihnen. Irgendwie schaffte es Keiko, davon nichts zu merken. Keiko. Er vermisste sie. So sehr wie Molly und Kirayoshi.
Während O'Brien versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen, glitt sein Blick durch den Raum und blieb an einer unförmigen Gestalt haften, die mit der Theke verwachsen schien und wie immer schwermütig dreinschauend ihren Drink festhielt. Was machte eigentlich Morn auf der Station?

”...Miles?”

”Was?!” O'Brien schrak auf.

”Ich fragte, ob alles in Ordnung mit Ihnen ist?” wiederholte Bashir mit besorgter Miene. Er musste ihn schon eine ganze Weile bei seinen Grübeleien beobachtet haben. O'Brien verdrehte die Augen und machte einen Ablenkungsversuch: ”Sagen Sie mir lieber was Morn hier macht, Julian.”

Bashir drehte sich kurz um und sah zu Morn hinüber. Der Lurianer saß wie üblich vor seinem Getränk und starrte dumpf vor sich hin.

”Äh, er sitzt doch immer hier, oder?” fragte Bashir leicht irritiert zurück.

”Ja, natürlich, aber warum sitzt er immer hier?” Auf einmal war O'Brien hellwach. ”Bezahlt ihn irgend jemand, damit er Quarks Existenz sichert?”

Der Anflug von Grübelei war einem Hochgefühl gewichen, einem Geheimnis auf der Spur zu sein. Bashir zog die Augenbrauen zusammen und die Oberlippe leicht nach oben, wie er es immer tat, wenn er den Gedanken anderer nicht folgen konnte, was hier eindeutig der Fall war.

Als O'Brien eine bissige Bemerkung zur geistigen Beweglichkeit von brillianten Wissenschaftlern machen wollte, ging das Licht in der Bar schlagartig aus.

 

2

 

”Ich habe ihn auf dem Habitatring erwischt.” verkündete Odo mit unverkennbarer Genugtuung.

”Haben Sie ihn schon verhört?, erkundigte sich Sisko, der als kommandierender Offizier von Deep Space Nine und langjähriger Vorgesetzte von Odo natürlich ganz genau wusste, dass dies nicht der Fall war.

”Nun,”,dozierte Odo, ”ich war der Ansicht, dass wir ihm zunächst ein paar Stunden in der Arrestzelle geben sollten, um seine Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern.”

Sisko lächelte und nickte zustimmend. ”Was wissen wir über ihn?”

”Er heißt Marenda und ist ein Händler, der alles an jeden verkauft und, um mich vorsichtig auszudrücken, sich nur wenig für die Herkunft einer Ware interessiert.” Odo holte ein Padd hervor und hielt es andeutungsweise hoch. ”Der Förderation liegen Informationen vor, dass Marenda für Straftaten auf einem halben Dutzend Planeten verantwortlich ist. Und einen Teil der Beute wollte er wohl auf Deep Space Nine loswerden” , antwortete Odo leicht empört. In all den Jahren als Sicherheitschef dieser Station konnte er immer noch nicht verstehen, wie es jemand wagen konnte, in seinem Zuständigkeitsbereich eine Straftat zu begehen.

Odo fuhr fort. ”Bestätigt bzw. ergänzt wird die Starfleetdatei durch eine Liste, die ich in Marenda’s Quartier vorfand. Es scheint, als wäre an unserem Freund ein Buchhalter verloren gegangen. Herkunft der Ware, Käufer, alles da.”

Sisko hob die Augenbrauen. ”Ich nehme an, Quark steht auch auf der Liste.”

 ”Erstaunlicherweise nicht, Captain. Das mag allerdings damit zusammenhängen, dass Marenda vorher nie in diesem Sektor gewesen ist und erst gestern mit einem bolianischen Transportschiff  ankam.”

”Wie gehen Sie nun vor?”

”Nun, wir haben die Liste von den Dingen, die er an Bord brachte. Wir dürfen gespannt sein, wie viel davon sich noch in seinem Quartier befindet. Fast glaube ich, dass es trotzdem sinnvoll sein könnte, Quark in die Ermittlungen mit einzubeziehen.”

Odo lächelte. Quark war immer seine erste Adresse, wenn es darum ging, ”verloren gegangene” Dinge wiederzufinden. Auch wenn man keinen konkreten Verdacht hatte konnte es nie schaden, ihn zu verhören.

Odo's Kommunikator fiepte: ”O'Brien an Odo”. Odo bestätigte den Kom-Ruf mit einer kurzen Berührung seines Kommunikators. ”Odo hier, was kann ich für Sie tun, Chief?”.

 

3

 

Chief O'Brien hockte vor einem offenen Panel vor Holosuite 2 und nahm einige Messungen vor.

Quark stand etwa 5 cm hinter O'Brien und das schlechte Gewissen schaute ihm fast aus den Ohren raus. ”Ich war gerade auf dem Weg zur Holosuite 3, um zu sehen, ob einer der Gäste vielleicht etwas braucht, da ging auf einmal das Licht aus. Großer Nagus, war das ein Schreck. Nur gut, dass Chief O'Brien in der Nähe war, um die Fehlfunktion zu beheben.” Der Ferengi gestikulierte wild mit den Armen, wich dabei aber dem prüfenden Blick von Odo aus.

”Und Sie haben natürlich keine Ahnung, was den Energieausfall verursacht haben könnte, Quark?”, erkundigte sich Odo mit ironischem Unterton.

”Da haben wir es wieder, Chief” ereiferte sich Quark. ”Für alles werde ich verantwortlich gemacht. Die Energie fällt aus? Die rigelianische Pest ist auf Deneb IV ausgebrochen?  Das Dominion greift den Alpha-Quadranten an? – Da kann natürlich nur Quark dahinter stecken!” Quarks Gesicht war eine gekränkte Unschuldsmiene.

Odo lachte leise und klatschte ein paarmal applaudierend in die Hände. ”Sehr überzeugend, Quark. Ich gratuliere zu dieser Vorstellung.”

”Jetzt reicht's!” Quark schien wirklich sauer zu sein. ”Für diese völlig haltlosen Anschuldigungen werden Sie sich vor Captain Sisko verantworten müssen.”

”Welche Anschuldigungen, Quark?” Odo kam interessiert näher. ”Das müssen Sie mir näher erklären.” Ohne Quark aus den Augen lassen, drehte er den Kopf ein wenig zu O'Brien. ”Chief?”

Chief betrachtete fasziniert die Polymerfasern, die aus dem geöffneten Panel heraushingen und mit einem gelben, 10cm großen Würfel provisorisch verbunden waren. ”Tja, so wie es aussieht, ist dieses Konstrukt für den Kurzschluss verantwortlich. Quark hat es geschafft, die Drähte so diletantisch anzubringen, dass der Energieausfall nicht nur die Bar, sondern das ganze Promenadendeck betroffen hat.”

”Und das ist Ihre Schuld, Chief!” Quark ging in die Offensive.

”Meine Schuld?” O'Brien war verblüfft. Irgendwie schaffte Quark es immer wieder, verbale Nebelbomben zu werfen, wenn er in Bedrängnis kam.

”Natürlich.", sagte Quark. ”Oder wollen Sie abstreiten, dass sich Rom überhaupt nicht mehr um die Wartung der Holosuiten kümmert, seit er für Sie arbeitet.”

O'Brien verdrehte die Augen und wandte sich wieder dem Würfel zu.

Er konnte nicht glauben, dass Quark und Rom Brüder waren. Rom war offen, freundlich, ehrlich und technisch sehr begabt. Eben das genaue Gegenteil seines Bruders.

Vorsichtig entfernte O'Brien die Kontakte und löste den Würfel aus dem Panel. Er betrachtete ihn von allen Seiten.

Odo sah ihn ungeduldig an. ”Und? Was ist es?.”

”So ein Speichermodul habe ich schon einige Jahre nicht mehr gesehen." O'Brien rieb sich das Kinn. ”Genaugenommen habe ich es überhaupt nur einmal gesehen.”

O'Brien wandte sich Quark zu. ”Woher haben Sie das?”

Quark warf die Hände in die Luft. ”Gute Güte. Woher soll ich das jetzt noch wissen. Wahrscheinlich hat es 'mal irgendein Gast dagelassen, weil er nicht genug Latinum in der Tasche hatte, um die Getränke zu bezahlen.”

O'Brien schnappte Quark mit beiden Händen am Kragen und zog ihn an sich, so dass der Ferengi nur noch mit den Zehenspitzen Bodenkontakt hatte. ”Quark, spielen Sie keine Spielchen mit mir. Vor nicht ganz 30 Minuten haben Sie mir exakt diesen Würfel gezeigt. Angeblich ein neues Hologramm, dass sie soeben erhalten hätten. Sie erinnern sich?”

Offensichtlich war das der Fall.

”Warten Sie, Chief. Da fällt es mir wieder ein.” Quark tat nachdenklich. ”Ja, tatsächlich. Da kam vor ein paar Tagen jemand und fragte, ob ich an dem Unglückswürfel interessiert sei.”

Odo seufzte und schloss kurz die Augen. ”Quark, war es nicht vielmehr heute morgen?”

Quark verzog den Mund. Dieser Odo ging ihm manchmal auf die Nerven. Ein Formwandler als Sicherheitschef, der in den Diensten der Sternenflotte stand. Quark suchte erkennbar nach einer Antwort. ”Wenn Sie mich so fragen, möchte ich das nicht vollständig ausschließen. Wenn ich nicht irre, sagte ich ihm, dass ich das Programm natürlich erst testen müsse. Also hat er es mir zeitweise überlassen. Irgendwann wollte er wieder kommen und über den Preis reden.”

”Kennen Sie zufällig auch seinen Namen?”

”Ach, Odo. Namen sind Schall und Rauch. Irgendwas mit ”P”, glaube ich.”

”Marenda vielleicht? – Eine Person dieses Namens sitzt nämlich in der Arrestzelle und macht den Eindruck, als hätte er viel zu erzählen.”

Quark hatte Mühe seinen Unmut über diese Nachricht zu verbergen.

”Ja, genau. Das war der Name. Na, da bin ich aber froh, dass es mir noch eingefallen ist.” Quark sah alles andere als froh aus. ”Aber wenn mich die Herren jetzt entschuldigen wollen.” Quark drehte sich um und entfernte sich. ”Die Bar ist voll und die Gäste durstig,”

Odo schaute ihm nach. ”Quark, ich nehme an, Sie wissen, dass Hehlerei eine Straftat ist.”

Quark erschrak heftig und kam mit kurzen schnellen Schritten zurück. ”Wollen Sie damit sagen, dass man mir gestohlene Ware verkaufen wollte?” Quark musste sich an der Wand abstützen. ”Großer Nagus. Welch ein Glück, dass ich so umsichtig war, den Schurken hinzuhalten. Ich hoffe, Sie werden mich lobend in Ihrem Bericht erwähnen, Odo? Ich meine für den Fall, dass es eine Belohnung gibt.”

”Sie können gehen, Quark.”, Odo schüttelte verständnislos den Kopf. ”Aber wir sprechen uns noch.”

 

4

 

Odo, Chief O'Brien und Sisko saßen in Odos Büro und betrachteten den gelben Würfel, der auf dem Tisch lag.

Sisko drehte sich zu O'Brien. ”Was können Sie mir darüber sagen, Chief?”

”Das, Sir, ist ein Speichermodul, das ein offensichtlich noch aktives Holoprogramm enthält.”

Sisko runzelte die Stirn. ”Was soll das heißen? Ist es ein Spielzeug?”

”Das bezweifele ich. Aber genaues weiß ich erst, wenn ich es mir angesehen habe. Ich bin nur in einem ziemlich sicher: es stammt von der Enterprise.”

”Wie kommen Sie darauf?”

”Das Programm wurde abgespeichert unter dem Namen ‚Picard Delta Eins‘”.

Sisko hob überrascht die Augenbrauen.

”Und Sie sagen, Sie hätten das Modul schon einmal gesehen?”

”Ja, es war in meinem letzten Jahr an Bord der Enterprise. Ein gewisser Lieutenant Barclay zeigte mir so einen Würfel. Er faselte damals irgendetwas von den noch nicht erforschten Gefahren der holographischen Technik. Naja, ich habe nicht weiter nachgefragt, weil Barclay -was Technik anging- schnell nervös werden konnte. Zum Beispiel hatte er Angst vorm Beamen. Ziemlich seltsam für einen...”

”Danke, Chief.” Sisko hat nicht das Bedürfnis, die komplette Lebensgeschichte von diesem Barclay zu hören. ”Haben Sie noch Kontakt zu Lt. Barclay?”

”Nein. Aber wenn er noch in der Flotte ist, dürfte es kein Problem sein, ihn ausfindig zu machen.”

Sisko überlegte kurz. ”Ich möchte zunächst mit Captain Picard darüber sprechen. Da das Programm seinen Namen trägt, dürfte er über den Inhalt informiert sein.”

Mit einem Blick auf Odo, fuhr er fort: ”Haben Sie schon die Liste aus Marenda's Quartier durchgehen können?”

”Ja, Captain,” bestätigte Odo. ”Dieses spezielle Speichermodul stammt -wenn man Marenda's Aufzeichnungen glauben darf- aus dem Archiv der Sternenflotte in San Franzisko.” Odo verschränkte die Hände hinter dem Rücken und ging ein paar Schritte durch den Raum. ”Ich habe umgehend eine offizielle Anfrage gestellt, aber bisher noch keine Bestätigung erhalten.”

Sisko stand auf. ”Ich danke Ihnen vorerst, meine Herren."

O'Brien räusperte sich. ”Da ist noch etwas, Captain. Quark hat bei dem Versuch das Programm in Holosuite 2 zu laden, einen Kaskadendefekt in der Bilderzeugung hervorgerufen. Ich kann nicht sagen, wie lange das Programm noch aktiv bleibt.”

”Hat die Matrix schon begonnen, sich aufzulösen?" Sisko schaute besorgt.

O'Brien drehte den Würfel langsam in seiner Hand und sagte: ”Definitiv. Allerdings kann ich die aktuellen Auswirkungen auf die Qualität des Programms nicht abschätzen."

Der Captain nickte stumm und sagte: ”Vielleicht kann Dr. Bashir Sie dabei unterstützen, sie beide scheinen mir in bezug auf Holodecks ein gutes Team zu sein."

Da O'Brien nun wirklich keine Ahnung hatte, was er darauf erwidern sollte, war die Unterhaltung beendet.

 

5

 

Picard lächelte. Er freute sich, dass er endlich mal wieder die Gelegenheit hatte, mit Commander, pardon, Captain Benjamin Sisko zu sprechen. Picard hatte ihm vor sieben Jahren die Befehlsgewalt über Deep Space Nine übertragen, obwohl er wusste, dass Sisko persönliche Probleme hatte. Sisko hatte 3 Jahre davor seine Frau bei Wolf 359 im Kampf gegen die Borg verloren und seitdem seinen Sohn alleine aufziehen müssen. Dass Picard in eben diesem Kampf unter der Kontrolle der Borg stand und als Locutus ohne eigenen Willen den Angriff auf die Förderation anführte, verschärfte die Situation zwischen Picard und Sisko.

Aber durch den Kontakt zu diesen ominösen Wesen, die im Wurmloch von Bajor lebten, fand Commander Sisko irgendwie seinen Frieden. Er übernahm kurz darauf das Kommando über die Station und machte sie zu dem, was sie heute ist: der wichtigste Außenposten der Förderation.

”Ich bin angenehm überrascht, Captain Sisko.", eröffnete Picard das Gespräch, nachdem Lt. Lavelle die codierte Subraum-Nachricht in seinen Bereitschaftsraum gestellt hatte und Sisko auf dem Bildschirm erschienen war. ”Ich hoffe, auf Deep Space Nine ist alles in Ordnung?"

Sisko zeigte sein breitestes Lächeln. ”Ich grüße Sie, Captain Picard." Trotz der möglicherweise delikaten Angelegenheit war auch er sehr erfreut darüber gewesen, einen Anlass zu haben, mit Picard Kontakt aufzunehmen. Picard war für ihn mehr als für die meisten anderen in der Flotte. Natürlich, auch Sisko war beeindruckt von den Leistungen dieses Mannes und seines Schiffes. Aber das war es nicht alleine. Er sah ihn mehr als eine Art Mentor, weil Picard an einem Scheitelpunkt von Sisko's Leben an ihn geglaubt und ihm das Kommando für die Station übertragen hatte. Darum befiel ihn immer noch ein seltsames Gefühl, wenn er daran dachte, das sie beide den gleichen Rang bekleideten.

Sisko lehnte sich in seinem Stuhl zurück. ”Das Dominion verhält sich zur Zeit ruhig und dementsprechend haben wir auch mit den Cardassianern keine Probleme."

”Was kann ich dann für Sie tun, Captain Sisko?"

Sisko machte eine kurze Pause, um die richtigen Worte zu finden. Er war sich darüber im Klaren, dass das Holoprogramm theoretisch auch eine sehr persönliche Simulation enthalten könnte.

Sisko holte tief Luft. ”Vor ein paar Stunden kamen wir in den Besitz eines Moduls, auf dem eine aktive Holo-Simulation gespeichert ist. Wir wissen zwar nichts über die Art der Simulation, aber das Modul scheint von der Enterprise zu sein."

Kleine Falten zeigten sich auf Picards Stirn. Ein deutliches Zeichen dafür, dass er mehr Informationen haben wollte. Schließlich waren einige hundert Personen an Bord der Enterprise, von denen jeder ein Holoprogramm erzeugen konnte und auch jeder in der Lage war, dieses weiterzugeben. Daran war zunächst nichts ungewöhnlich. Außerdem hatte Picard nun das deutliche Gefühl, dass die wirkliche Überaschung noch ausstand, so dass er ein entspanntes Gesicht aufsetzte, Sisko direkt in die Augen sah und fragte:

”Captain Sisko, ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir geradeheraus sagen, warum Sie der Meinung sind, dass nur der Captain dieses Raumschiffs diese Information erhalten sollte."

Sisko beschloss, die Fakten ohne Umweg offen zu legen. ”Das Holoprogramm wurde erstellt unter dem Namen 'Picard Delta Eins' und wurde, unseren Informationen Zufolge, vor ungefähr 6 Monaten aus dem Archiv der Sternenflotte in San Franzisko entwendet."

Picard brauchte einen Moment, um die Mitteilung zu verarbeiten. Programm 'Picard Delta Eins'... aktives Holoprogramm... Archiv der Sternenflotte.

Kein Zweifel, das war das Data’s Sherlock Holmes-Programm mit der intelligenten Holofigur des Professor James Moriarty.

Sisko beobachtete Picard, wie er in seinem Stuhl hin und her rutschte, um sich sofort wieder zu fangen. Picard zog das Oberteil seiner Unifom glatt.

Picard hatte Moriarty längst vergessen und die Erinnerungen kamen nur langsam wieder. Nun war er es, der nach den richtigen Worten suchte. Langsam begann Picard zu sprechen: ”Es ist fast 9 Jahre her, da wurde auf dem Holodeck eine Figur aus den alten Sherlock Holmes-Geschichten generiert. Diese Holofigur war Professor James Moriarty, nach den Erzählungen von Sir Conan Doyle Holmes' gefährlichster Gegner." Picard machte eine kurze Pause, um seine Gedanken zu ordnen. ”Das Ungewöhnliche war, dass Moriarty sich seiner Existenz als Holofigur bewusst war. Er war extrem intelligent und darauf versessen das Holodeck zu verlassen, um ein richtiges Leben zu beginnen. Dabei übernahm er mit Hilfe des Computers sogar zeitweise die Kontrolle über die Enterprise."

Sisko hob erstaunt eine Augenbraue, sagte aber nichts.

Picard berichtete weiter: ”Nachdem wir Moriarty davon überzeugen konnten, dass das Verlassen des Holodeck für eine Holofigur nicht möglich sei, willigte er ein wieder 'abgeschaltet' zu werden. Ich versprach ihm im Gegenzug, ihn wieder zum Leben zu erwecken, also sein Programm wieder zu laden, sobald die Wissenschaft in der Lage ist, ihn aus dem Holodeck zu befreien. Nach 4 Jahren wurde Moriarty bei einer Reparatur des Holodecks versehentlich reaktiviert und übernahm, enttäuscht über die stagnierenden Ergebnisse bei der Holodeckerfoschung, mit einigen geschickten Schachzügen wieder die Kontrolle über das Schiff. Zu allem Überfluss generierte er einen weiteren Holo-Charakter: die Countess Regina Bartholomew, wie er sagte, die Liebe seines Lebens. Nun, hier wird die Geschichte etwas kompliziert. Jedenfalls konnten wir ihn letztendlich mit seinen eigenen Waffen schlagen und ihn und die Countess in ein laufendes Holoprogramm locken, das ihnen die Realität außerhalb des Holodecks zeigte und beide interaktiv mit einbezog."

Sisko konnte es kaum glauben. Die Crew der Enterprise hatte offensichtlich sehr viel mehr erlebt, als bisher bekannt war. ”Und das Programm speicherten Sie auf dem Modul.", hakte Sisko nach.

Picard nickte. ”Das ist richtig. Allerdings stürzte die Untertassensektion der Enterprise ein paar Jahre später auf Veridian III ab. Alle Teile der Enterprise, die man finden konnte, wurden natürlich geborgen." Picard schürzte die Lippen. ”Ich nehme an, man hat das Speichermodul gefunden und so wie es war ins Sternenflottenarchiv gebracht."

Sisko schüttelte fasziniert den Kopf. ”Eine erstaunliche Geschichte." Dann wurde sein Gesicht wieder ernster. ”Es stellt sich die Frage, was wir nun mit ihm machen sollen."

”Wir können leider nichts anderes machen, als den derzeitigen Status zu halten." Picard's Miene zeigte leichte Verärgerung. ”Das Hauptquartier der Sternenflotte hat in den letzten 9 Jahren bedauerlicherweise noch immer zu keiner Entscheidung finden können, ob Moriarty als Lebensform zu definieren ist oder nicht."

Sisko nickte verständnisvoll. ”Das kann ich gut verstehen. Immerhin ist das eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen. Aber sehr viel Zeit haben wir leider nicht mehr."

Picard beugte sich unmerklich vor. ”Warum?"

”Die Holomatrix ist beschädigt und beginnt sich aufzulösen. Irgend etwas wird also Einfluss auf Moriarty's Existenz nehmen. Entweder wir tun etwas zur Erhaltung des Programms  - oder es gibt bald kein Programm mehr dieses Namens. Ich glaube, wir haben keine Wahl."

Picard musste dem zustimmen. Nachdem er kurz überlegt hatte sagte er: ”Captain Sisko, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, werde ich einen erfahrenen Ingenieur meiner Crew nach Deep Space Nine schicken, der mit der Problematik 'Moriarty' bereits vor 5 Jahren befasst war. Vielleicht gelingt es Ihnen mit seiner Hilfe, die Holomatrix zu retten. Er könnte in ungefähr 6 Stunden bei Ihnen sein."

”Einverstanden, Captain. Wen dürfen wir erwarten?"

”Lieutenant Reginald Barclay."

Sisko grinste. ”Das wird den Chief freuen."

Picards Miene hellte sich auf. ”Chief O'Brien? Ja, natürlich." Picard nickte zufrieden. O'Brien war auf der Enterprise der Transporter-Chief gewesen. Er war bekannt für seinen subtilen Humor an der Transporterkonsole. ”Ich selbst durfte ihn einige Jahre zu meiner Crew zählen. Hervorragender Techniker. Übrigens wurde seine Tochter, ich glaube, ihr Name war Molly, an Bord der Enterprise geboren. Und zwar mit Hilfe eines klingonischen Geburtshelfers. Aber ich nehme an, man hat Ihnen die Geschichte bereits erzählt?" Picard's Gesicht war die pure Unschuld. Vermutlich hatte man nichts dergleichen getan.

Bei Sisko klappte der Mund auf. Er kannte nur einen Klingonen, der an Bord der Enterprise gedient hatte: seinen derzeitigen Offizier für Strategische Operationen, Lt.Commander Worf. Aber Worf, der Krieger und ewig mürrische Klingone, als Geburtshelfer? Was kam als nächstes - ein Borg als Counselor?

Langsam zeigte sich ein breites Grinsen im Gesicht von Sisko. ”Ich glaube, Worf wird sich eine gute Ausrede einfallen lassen müssen, warum er mir dieses Ereignis vorenthalten hat."

Jetzt lächelte auch Picard. ”Aber von mir wissen Sie's nicht. Ich möchte nicht den Zorn eines Klingonen auf mich ziehen."

Und beide lachten.

 

6

 

Im Gesellschaftsraum der Enterprise  machte sich das Ende der 'Tag'-Schicht bemerkbar. Langsam füllte sich die Freizeiteinrichtung, die auf der Enterprise nur als 'Zehn-Vorne' bekannt war, weil sie auf Deck 10 im vordersten Teil des Schiffes untergebracht war. Die fantastische Aussicht präsentierte schon länger keine in Lichtgeschwindigkeit vorbeiziehenden Sterne mehr, die sich für den Betrachter als grellweiße, vorbeischießende Linien präsentierten. Seit mehr als vier Monaten patroullierte die Enterprise mit Impulsgeschwindigkeit an der Cardassianischen Grenze. Der Grund dafür war natürlich der schwelende Konflikt mit dem Dominion, der herrschenden Macht aus dem Gammaquadranten. Das vor ein paar Jahren entdeckte bajoranische Wurmloch verkürzte die Reise dorthin um 'zigtausend Lichtjahre auf wenige Minuten.

Die Euphorie über diese Entdeckung dauerte so lange, bis man der ersten feindlich gesinnten Spezies im Gammaquadranten begegnete. Von da an musste man sich bewusst machen, dass die Tür nun in beide Richtungen offen war.

Der erste Kontakt mit den 'Gründern', einer Rasse von Formwandlern, die gleichzeitig die Führer des Dominion waren, machte darüber hinaus deutlich, dass wenn dieses Volk einen Krieg gegen die Förderation begann, man ohne effektive Verteidigung dastand.

Nach Versuchen der Förderation, ein Friedensabkommen zu etablieren, unterbreiteten die Gründer den Völkern des Alphaquadranten den Vorschlag, dem Dominion beizutreten.

Nur ein Volk folgte dem Vorschlag. Das Cardassianische Reich. Durch die Allianz mit den Cardassianern hatte das Dominion jetzt bereits einen Fuß in der Tür des Hauses Alphaquadrant.

Die gegenwärtige politische Lage analysierend saß Commander Data an einem der Tische. Da sein positronisches Gehirn mit dieser Aufgabe keineswegs auch nur annähernd ausgelastet war, registrierten seine Rezeptoren nebenbei alle Aktivitäten im Gesellschaftsraum. So entging es ihm auch nicht, dass Lt. Commander Barclay den Raum betrat und einige unsichere Schritte in seine Richtung machte, bevor er ohne erkennbaren Grund die Richtung wechselte und sich an die Bar setzte.

Obwohl Data, der Androide, noch diverse Probleme mit dem Verständnis menschlichen Verhaltens hatte, so waren seine positronischen Schaltkreise doch fast stolz auf die Tatsache, dass er die Körpersprache häufig relativ präzise deuten konnte. Zumindest von einigen Crewmitgliedern - und Lt. Commander Barclay gehörte definitiv dazu.

Data erhob sich und ging zur Theke. Dort angekommen bestellte er ein Synthehol. Im aktuellen Studienfall für menschliches Verhalten -Barclay-  wusste Data, dass es angeraten war, Barclay nicht direkt auf sein Anliegen anzusprechen, deshalb wählte er die naheliegende Alternative: ”Möchten Sie mir an meinem Tisch Gesellschaft leisten, Mr. Barclay?"

Erschrocken sah Barclay ihn an und fing an zu stottern: ”Commander Data, äh, ich bin mir nicht... ich glaube..., ja gerne, wenn es Ihnen nichts ausmacht."

Die beiden gold-schwarz-uniformierten Offiziere setzten sich hin. Data hatte nach wie vor Probleme nachzuvollziehen, wie es Menschen schafften, nicht permanent von ihren Emotionen übermannt zu werden. Er hatte selbst einmal einen Versuch mit einem 'Gefühls-Chip' durchgeführt, war aber von wenigen Ausnahmen abgesehen, in emotionaler Hinsicht dienstuntauglich gewesen. Obwohl er die Wellen der Emotionen genossen hatte, war er nicht auf Dauer bereit, die negativen Auswirkungen auf seine Arbeit zu tolerieren.

Während Barclay zappelte und fortwährend an seinem Kragen zupfte, beglückwünschte sich Data zu seiner effektiven Strategie und begann das Gespräch: ”Wie geht es Ihnen denn so, Mr. Barclay?"

Data hatte eine Datenbank mit zwischenmenschlichen Eröffnungssequenzen herangezogen und eine der Situation entsprechende Standardformulierung gewählt, die er um einen lockeren Zusatz erweiterte, um Vertrauen in seine soziale Kompetenz schaffen. Als Barclay ihn daraufhin fragend anschaute, hielt der Android die 'Aufwärmphase' des Gesprächs für beendet.

”Welche Problematik wünschen Sie mit mir zu besprechen, Mr. Barclay?"

Barclay, der gerade einen Schluck Synthehol genommen hatte, verschluckte sich und fing an zu husten. Data entschied, dass er seine Strategie für das nächste Mal modifizieren musste. Er versuchte es erneut.

”Mr. Barclay, wenn ich zu direkt war, dann tut es mir leid. Es war nicht meine Absicht, vorschnell unsere Konversation auf Ihre wahrscheinlich missliche Lage zu lenken."

Barclay wurde rot und versuchte, ein gelassenes Gesicht zu machen.

”Missliche Lage?...äh...ich meine, wie kommen Sie darauf?...”

Barclay schaute abwechselnd Data und sein Glas an.

Data ‘emfand’ es immer wieder als angenehm, wenn ihm die Möglichkeit gegeben wurde, den deduktiven Weg zu erläutern, der ihn zu einer Schlussfolgerung geführt hatte. Dieser Aufforderung, soeben durch Barclay erfolgt, kam er gerne nach: ”Nun, Ihr Erscheinen im Gesellschaftsraum vor 2,425 Minuten erweckte den Eindruck, Sie wollten sich einer Person Ihres Vertrauens mitteilen. Da Sie kurzfristig entschieden, Ihr Vorhaben zu ändern, kam ich zu dem Schluss, dass Ihr Problem persönlicher Natur sein muss. Zudem: Wäre es ein dienstliches Problem, hätten Sie höchstwahrscheinlich den Dienstweg eingehalten und Commander LaForge informiert. Weiterhin deduziere ich aufgrund Ihrer hektischen Bewegungen und der schnell aufeinander folgenden Blicke in unterschiedliche Richtungen, dass Sie Schaden für Ihre eigene Person befürchten, der von einer dritten Person auf Sie einwirken könnte. Um es kurz auszudrücken: Sie machen auf mich den Eindruck, als litten Sie unter Verfolgungswahn.”

Barclay schnappte nach Luft und fing an, mit dem Zeigefinger auf eine Stelle hinter seinem Ohrläppchen zu tippen. Deanna Troi, der weibliche Schiffscounselor, hatte ihm vor ein paar Jahren diese Entspannungstechnik beigebracht, um ihm die Angst vorm beamen zu nehmen. Die Technik hatte sich als durchaus erfolgreich erwiesen. Zumindest fast.

Und nun saß er hier im Gesellschaftsraum und überlegte, wie er dem Androiden erklären sollte, dass womöglich schon die ganze Besatzung von Formwandlern ersetzt sein konnte. Außer ihm selbst. Naja, und Data benahm sich eigentlich auch ziemlich normal, sofern man das von einem Androiden, der versuchte, menschlich zu sein, behaupten konnte. Und selbst wenn die Crew der Enterprise ’normal’ war, denn könnte Admiral Ross von einem Formwandler ersetzt worden sein. Immerhin hatte der sie auf diese Mission geschickt. Seitdem er zu der Erkenntnis gelangte, buchstäblich jeder könne ein Formwandler sein, machte er praktisch kein Auge mehr zu.

Barclay suchte nach einer eleganten Möglichkeit das Gespräch zu beenden. "Vielen Dank, Commander Data, dass Sie sich....äh... Zeit für mich genommen habe."

Data war verwirrt. ”Mr. Barclay, ich habe nicht den Eindruck, dass wir Ihr Problem erschöpfend behandelt haben. Vielleicht möchten Sie einmal mit Counselor Troi reden ?"

Das hatte Barclay gerade noch gefehlt. Counselor Troi, die mit Ihrer Tiefenspychologie und ihren halbtelepathischen Fähigkeiten sein Innerstes nach außen kehrte. Barclay versuchte ein Lächeln aufzusetzen und entfernte sich rückwärtsgehend vom Tisch. ”Das ist eine sehr gute Idee, Commander. Gleich morgen...äh... werde ich einen Termin mit der Counselor vereinbaren. Vielen Dank.", sprach er und damit verließ er schnellen Schrittes Zehn-Vorne.

Data runzelte die Stirn, wie er es oft bei Captain Picard gesehen hatte, und spielte das Gespräch über seine akustischen Rezeptoren noch einmal ab. Da er in der Konversation keinen Fehler seinerseits entdecken konnte, stellte er das Thema zurück und beschloss, später mit Counselor Troi den Gesprächsverlauf zu diskutieren.

 

Barclay holt tief Luft und machte sich auf den Weg in sein Quartier. Ein Gespräch mit Data war jedes Mal äußerst anstrengend. Obwohl ihm der Androide durchaus  sympatisch war, konnte er es nicht ertragen, so direkt auf etwaige Unzulänglichkeiten angesprochen zu werden.

Während Barclay durch die Gänge der Enterprise ging, war er in Gedanken noch so in dem Gespräch mit Data gefangen, dass er das Kommunikatorsignal erst beim zweiten Mal registrierte: ”LaForge an Barclay!"

Ӏh, Barclay hier."

LaForge wirkte beunruhigt. ”Alles in Ordnung, Reg?" Aus Erfahrung wusste Geordi LaForge, der Chefingenieur der Enterprise, dass Lieutenant Reginald Barclay sich häufig in die unmöglichsten Situationen brachte.

Barclay verdrehte die Augen. Wieso passierte so etwas immer nur ihm?  Er versuchte seiner Stimme einen festen Klang zu geben. ”Alles in Ordnung, Sir. Soll ich in den Maschinenraum kommen?"

”Nicht nötig, Reg. Der Captain hat in 30 Minuten ein Treffen der Führungsoffiziere in der Offizierslounge angeordnet. Sie sollen auch daran teilnehmen."

Barclay schluckte. ”Äh, gibt es einen Notfall, Sir?" Was er eigentlich wissen wollte war, ob er schon wieder negativ aufgefallen war. Konnte Data die wenigen Minuten seit dem Gespräch genutzt haben, um mit dem Captain über ihn zu sprechen?

LaForge seufzte. Zweifellos war Reginald Barclay einer seiner fähigsten Techniker und darüber hinaus ein netter Kerl. Aber er war ein Nervenbündel, und bei der Zuteilung des Selbstvertrauens hatte er eindeutig gefehlt.

”Keine Panik, Reg. Ich nehme an, der Captain wird es uns gleich sagen. Also, ich seh' Sie gleich."

 

7

 

Dr. Bashir betrat Holodeck 3 und holte tief Luft. Nach einem kurzen Zögern gab er sich innerlich einen Ruck und sagte laut: ”Computer, bitte Programm 'Vic Fontaine' starten."

Ungefähr eine Sekunde brauchte der Computer, um die Holomatrix mit den vorgegebenen Parametern der angeforderten Datei zu speisen. Sofort verschwand das Gittermuster und wurde ersetzt durch den etwas verrauchten Varieté-Raum von Vic's Bar. Vic stand im Smoking auf der Bühne und sang eine Jazz-Version von

'I`ll be seeing you' und zeigte mit dem Finger kurz auf Bashir als er ihn sah.

Vic Fontaine war ein Holocharakter, der von Bashir als Sänger in einer Bar von Las Vegas im Jahre 1962 definiert wurde. Obwohl Vic Fontaine nicht real war hatte er aufgrund von Dr. Bashir's Experimentierfreudigkeit das Wissen um seine eigene Existenz als Holocharakter erhalten und fühlte sich wohl dabei. Darüber hinaus brachte Vic ein ganz erstaunliches Einfühlungsvermögen auf, sobald er auf Menschen mit persönlichen Problemen stieß. Wenn man die Holosuite verließ, fühlte man sich meistens besser als vorher.

Bashir überlegte noch, wie er Vic sein Anliegen erklären sollte. In den letzten Stunden ging Bashir das Problem mit Moriarty nicht aus dem Kopf. Ihn beunruhigte die Vorstellung, dass ein möglicherweise intelligentes Leben von der Fähigkeit abhing, ein defektes Speichermodul zu reparieren. Sollte irgend etwas bei der Reparatur schief gehen, hatte man keinen Plan-B. Und so kam Bashir zu dem Schluss, dass, wenn technische Mittel versagten, vielleicht die menschlichen Qualitäten weiterhelfen konnten. Eventuell war Vic in der Lage, Moriarty Einblick in die Vorteile einer holographischen Existenz zu geben. Einen Versuch war es auf jeden Fall wert.

Vic beendete gerade sein Lied, wie übrigens immer, wenn das Programm startete, und kam lächelnd auf Bashir zu.

”Julian, wie nett Sie hier zu sehen. Wir haben ein fantastisches Programm heute abend. Darf ich Ihnen einen Drink bringen lassen?"

Bashir entspannte sich. Vic wusste genau, wie man das Eis brach. ”Gerne, Vic. Vielleicht einen Wodka-Martini. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich zu mir setzen würden. "

”Hey, Sie sind der Boss, Doctor. Ich habe gerade für eine halbe Stunde Pause." Vic lachte und gab dem Kellner ein Zeichen. Dann legte er Bashir eine Hand auf die Schulter, führte ihn an einen Tisch im hinteren Drittel des Raumes und begann eine zwanglose Unterhaltung über den Sinn des Lebens...

 

8

 

Nach einem unerwartet ruhigen Flug mit dem Shuttle ’Galileo’ verspürte Barclay große Erleichterung, als er endlich in Sichtweite der Raumstation Deep Space Nine kam. Als der Captain ihm und den Führungsoffizieren der Enterprise das erneute Auftauchen von Moriarty bekannt gab,  hatte er sich bemüht keine Regung zu zeigen. Immerhin war es das, was seiner Meinung nach einen guten Offizier ausmachte.

Im Anschluss an das Treffen informierte ihn der Captain über die Details seines Auftrages. Hauptaufgabe sei es, so der Captain, die Holomatrix zu reparieren, möglichst ohne auf die Simulation Einfluss zu nehmen. Wenn das nicht möglich war, sollte eine Lösung gefunden werden, die dem am nächsten kommt. Es musste aber unter allen Umständen verhindert werden, dass etwas ähnliches wie vor 5 Jahren auf der Enterprise geschah.

Nach dem Barclay einige grundsätzliche Fragen gestellt hatte, machte er einen Vorschlag, den er 'Alternativ-Pan' nannte. Trotz Picards meistens sehr eingeschränkten mimischen Potentials, merkte Barclay, dass der Captain überrascht war, eine so innovative Idee von ihm zu hören.

Picard hielt sich nicht lange mit seiner Überraschung auf und wandelte den Vorschlag sofort in eine Aktion um: "Machen Sie's so". Damit war das Briefing beendet.

Das war nun ein paar Stunden her und seitdem betete Barclay, dass er nicht auf ein Überfallkommando der Jem’Hadar, der Kämpferrasse des Dominion, stieß. Er überdachte noch einmal kurz die vor ihm liegende Aufgabe. Eigentlich sollte es keine Probleme geben. Was ihn viel mehr irritierte war, dass der Sicherheitschef von Deep Space Nine ein Formwandler war. Nicht sehr beruhigend.

 

9

 

O'Brien stand vor Shuttlehangar 3 und wartete auf Lieutenant Barclay. Vor ungefähr 15 Minuten informierte ihn Captain Sisko, dass Barclay's Shuttle sich im Anflug auf Deep Space Nine befand. Nun ja, irgendwo freute er sich auch auf die Zusammenarbeit mit Barclay und wer weiß, vielleicht hatte er sich geändert und war mittlerweile etwas ausgeglichener geworden. Als die Tür des Hangars auseinander glitt wusste er sofort, dass Barclay ganz der Alte war. Keine Frage. Die fahrigen Bewegungen, die Augen ständig bemüht alles gleichzeitig zu erfassen und natürlich diese unbeholfene Art zu gehen. O'Brien musste lächeln bei der Erkenntnis, dass manche Dinge sich nie änderten.

”Lieutenant Barclay, herzlich Willkommen auf Deep Space Nine. Ich freue mich, wieder einmal mit Ihnen zusammen arbeiten zu können.”

Barclay lächelte etwas unsicher aber erleichtert zurück. Immerhin hatte er befürchtet, von Odo, dem Formwandler, abgeholt zu werden. Da war der Anblick O'Brien's schon eine Erleichterung, obwohl er dem ehemaligen Transporterchief nie seine völlig unpassenden Witze vor dem Beam-Vorgang verzeihen konnte.

”Chief O'Brien, ich freue mich auch.”, sagte Barclay und schüttelte ungelenk O'Brien's Hand. ”Obwohl die Umstände schon etwas ungewöhnlich sind.”

O'Brien zuckte mit den Schultern und deute den Gang entlang. ”Kommen Sie, Sir, ich zeige Ihnen Ihr Quartier.”

Während Sie durch die Gänge der Station gingen, betrachtete Barclay kritisch die Bauweise und nicht zuletzt die Beleuchtung, die so ganz anders war, als er es von der Enterprise gewohnt war. Auf der Enterprise waren alle Gänge und Räume hell und freundlich gestaltet. Auf Deep Space Nine dagegen wurden die Gänge gerade mit soviel Licht versorgt, dass man nicht versehentlich gegen ein Schott lief. Richtig unheimlich, dachte Barclay und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er nicht hätte versuchen sollen, den Auftrag abzulehnen.

O'Brien, dem Barclay's Blicke nicht entgangen waren, suchte nach einer Möglichkeit das Gespräch zu eröffnen. Er wusste, dass Barclay eine wertvolle Unterstützung bei ihrem Problem mit Moriarty sein konnte, wenn sie nur in der Lage waren, Barclay ein wenig aufzulockern.

”Wenn Sie irgendwelche Fragen zur Station haben, Sir, kann ich Ihnen gerne etwas darüber erzählen.”, meinte O'Brien und schaute Barclay dabei an.

Diesem lag offensichtlich eine Frage auf der Zunge, aber wie üblich suchte er zunächst minutenlang nach Worten. Wenn man ihn nicht ein wenig unterstützte.

”Na kommen Sie, Sir. Sagen Sie mir, was Sie stört. Wir haben doch schon eine ganze Menge zusammen durchgemacht.”, O'Brien schlug einen jovialen Ton an.

Barclay blieb stehen und schaute zu O'Brien, dann zu Boden und dann wieder O'Brien an. ”Äh.. Chief.. wie soll ich sagen...ich habe gehört, dass ein Formwandler hier auf der Station lebt und mich gefragt, wie es möglich ist... immerhin bekleidet er den Posten des Sicherheitschef... Sie verstehen..”

”Ach so,” O'Brien verstand. ”Sie machen sich Sorgen wegen Odo. Völlig unnötig. Odo hat schon mehrfach unter Beweis gestellt, auf welcher Seite er steht.” O'Brien winkte ab. ”Außerdem ist er ein netter Kerl.” O'Brien überlegte und lachte kurz. ”Nun ja, auf seine Art. Sie werden feststellen, dass hier alles ein wenig...mmmh..anders, ja genau, anders ist. Zum Beispiel haben wir einen Ferengi als Barkeeper oder auch einen Cardassianer, der behauptet Schneider zu sein, was ihm allerdings niemand glaubt."

Barclay schluckte. Nun war er sich sicher, dass er den Auftrag besser abgelehnt hätte.

Miles beschloss, das Thema zu wechseln. ”Sir, ich nehme an, Sie möchten sich erst einmal ausruhen. Die Reise war bestimmt anstrengend." Es konnte kein Fehler sein, Barclay etwas Ruhe zu gönnen.

Barclay schüttelte so heftig den Kopf, dass O'Brien einen Moment befürchtete, er würde sich vom Rumpf lösen und durch den Gang rollen. Weit gefehlt. Barclay war sogar noch in der Lage zu sprechen.

”Nicht nötig, Chief. Ich würde am liebsten sofort mit der Arbeit beginnen.", sagte Barclay fest, während er sich selbst nickenderweise zustimmte.

”Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen, Sir.", sagte O'Brien, lachte und schlug Barclay auf die Schulter, worauf dieser kurz nach vorn taumelte.

Damit ging Miles los und vertraute darauf, dass Barclay ihm folgte.

 

10

 

Nachdem sie Barclay's Sachen in sein Quartier gebracht hatten, trafen sie sich mit Dr. Bashir im Quark's. In der ungezwungenen Atmosphäre der Bar fasste O'Brien die Lage noch einmal zusammen und informierte Barclay, was bereits unternommen wurde. Das Hauptproblem war der Zeitfaktor. Die Matrix drohte sich innerhalb von Stunden zu zersetzen. Dies konnte O'Brien nur verlangsamen, indem er die Matrix von außen durch ein virtuelles Hologitter stützte. Eigentlich war es nur eine kreative Art, Energie zur Verfügung zu stellen, ohne dass die Matrix zusammenbrach. Zur Zeit arbeitete die Matrix mit einer Leistung von ca. 98,4%. Das führte natürlich zu Fehlern in der Bilderzeugung sowie in den interaktiven Funktionen. Inwiefern diese Fehler für eine Person in der Matrix erkennbar waren, konnte unmöglich gesagt werden. Und eine Person in der Matrix war Dr. Moriarty. Er wusste wie eine Holomatrix in Natura aussah.

In dem Moment wo er nur die Ecke eines Hologitters sah, würde er wissen, dass er sich damals auf der Enterprise nicht befreien konnte. Seine Reaktion daraufhin könnte durchaus die Erkenntnis über die Sinnlosigkeit seiner Existenz sein und zu einem Selbstmord führen. Dieser wiederum hätte die unwiderrufliche Auslöschung seiner Persönlichkeit zur Folge. Darüber hinaus gab es ja auch noch die Countess Bartholomew.

Barclay stellte einige Fragen zur Zuverlässigkeit der hiesigen Holosuiten und machte den Vorschlag, die Matrix fließenderweise in eine Holosuite zu übertragen.

Dr. Bashir runzelte -nicht zum ersten Mal- die Stirn und fragte nach: ”Fließenderweise?"

”Genau", O'Brien's Augen leuchteten. ”Wir passen ein Holosuiteprogramm an die Parameter des Speichermoduls an und übertragen die interaktiven Elemente der Matrix, also Moriarty und die Countess, in die Holosuite."

Barclay stimmte zu: ”Die Holosuite muss natürlich permanent aktiv bleiben, bis wir eine Alternative haben." Zunächst sagte er noch nichts von der Überraschung, die er, mit Hilfe der Computerspeicher des Shuttles, mit auf die Station gebracht und vor diesem Treffen noch in die Stationscomputer übertragen hatte. Es war ja nur für den Notfall.

”Jetzt haben wir nur noch ein Problem.", sagte O'Brien niedergeschlagen. ”Wer bringt es Quark bei?"

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