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Nr. 015 - Xyeros, Relative Realität
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"Captain auf der Brücke!" rief Franklin, als Xyeros die Brücke betrat. Sie stand aus seinem Kommandosessel auf und trat ihm einen Schritt entgegen. "Willkommen an Bord, Sir!"

"Danke, Commander", antwortete dieser und reichte ihr die Hand. "Rühren", wandte er sich an die Crew. "Ich fühle mich geehrt, aber in Zukunft reicht auch ein einfaches ‚guten Morgen, Captain'." Er lächelte in die Runde, nickte jedem einzelnen zu. "Sind wir startbereit?"

"Ja, Sir", kam es von Ensign Bertin, der die Ops-Konsole bediente.

"Unser Jungfernfug führt uns mit Impulsantrieb zum Jupiter, dort verlassen wir das Sonnensystem und gehen auf Warp. Einmal ins Alpha-Centauri-System und zurück." Er nickte der Vulkanierin Velik zu. "Machen Sie sich bereit, abzulegen. Thunderbird an Nelson."

"Nelson hier, Captain. Auf ihr Kommando können wir die Klammern lösen. Start freigegeben. Ich wünsche einen guten Jungfernflug."

"Danke, Raumdock. Commander..." er drehte sich zu Franklin um. "Stimmt etwas nicht?"

Sie hatte sich wieder in den Kommandosessel fallen lassen und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie fühlte, wie der Captain sich zu ihr hinunterbeugte. Das ist alles falsch, schrie sie in Gedanken. Sie dürfen gar nicht hier sein, Sie sind abgestürzt, ich habe solche Kopfschmerzen...

 

"Wachen Sie auf, Commander", hörte sie eine Stimme sagen. Es war Webber, er stand an der Medo-Liege, auf der sie lag. Sie schlug die Augen auf und sah neben ihm einen Ensign in einer blauen Uniform der Krankenstation.

Webber hielt ihr seinen Arm mit dem Geschwür hin. "Es ist das gleiche organische Material wie aus den Gelpacks. Besser gesagt, das was aus den Packs geworden ist."

"Ich bin Mr. Drap", stellte sich der Ensign vor. "Sie und Lieutenant Webber haben diese Substanz überall im Körper. Sie verbindet sich irgendwie mit ihrem Nervengewebe."

"Irgendwie..." wiederholte Franklin benommen.

"Commander, das ist sehr interessant," meinte Webber. "Die Strukturen verändern sich ständig. Und im Quantenbereich herrscht das reinste Chaos, sowas habe ich noch nie gesehen."

Franklin richtete sich auf. "Ich nehme an, die Geschwüre haben sich durch die Strahlung gebildet?"

"Ja, Ma'am", antwortete Drap.

"Dann entfernen sie alle Gelpakete und werfen Sie sie aus dem Schiff!"

"Aber..." versuchte Webber einzuwerfen.

"Das ist ein Befehl!" fuhr ihn Franklin an. "Die ganze Besatzung wird durch ihre faszinierenden Mutationen gefährdet. Ich will in fünf Minuten keines der Gelpacks mehr an Bord haben, ist das klar?"

"Aye, Commander." Obwohl er diese Entscheidung sehr gut nachvollziehen konnte – als kommandierender Offizier hätte er genauso entschieden – schien er etwas enttäuscht, als er die Krankenstation verließ.

"Ma'am?" fragte Drap vorsichtig.

"Ja?"

"Es sind bis jetzt ein Dutzend Besatzungsmitglieder hiergewesen. In allen breitet sich die Substanz aus."

"Was bewirkt sie?"

"Sie scheint nicht lebensgefährlich zu sein, obwohl sie vor allem das Nervensystem angreift. Es kam bisher zu leichten Wahrnehmungsstörungen und Halluzinationen."

"Finden Sie heraus, was Sie dagegen tun können", befahl Franklin und verließ, obwohl sie sich noch recht wackelig auf den Beinen fühlte, unter dem Protest Draps die Krankenstation.

 

 

10.

  

Scheppernd schloß sich die Tür des Metallgitters, hinter das die Eskorte Xyeros und Fellini gebracht hatte. "Na dann viel Spaß", verabschiedete sich der grimmige Commander und überließ die Beiden ihrem Gefängnis. Auch die Eskorte verließ sie, zumindest in Sichtweite blieb keine Bewachung zurück, was den Eindruck verstärkte, daß man sie nicht besonders ernst nahm. Aber wozu auch, sie hatten wirklich keine Möglichkeit, aus ihrer Zelle herauszukommen.

"Gut geredet, Sir", meinte Fellini, der sich auf einen der unbequemen Holzstühle setzte.

"Aber es hat nicht viel genützt, oder?" erwiederte Xyeros. "Ich frage mich, was die von uns wollen."

"Ich kann es mir auch nicht erklären, Sir."

Xyeros nahm ebenfalls Platz und setzte eine nachdenkliche Miene auf. "Das Problem ist, das sie das ziemlich klar wissen. Vielleicht ist ja dieser Psychiater bereit, uns darüber mehr zu verraten."

"Er denkt wahrscheinlich, wir sind verrückt, psychisch verwirrt."

Xyeros nickte. "Unser Verhalten scheint genau das zu sein, was sie von Menschen erwarten, die eine bestimmte Rolle spielen. Oder sogar glauben, daß sie das sind, was sie Spielen."

"Aber wozu?"

"Um ihnen einen Streich zu spielen", erinnerte sich Xyeros. "Ich habe keine Ahnung. Aber wenn wir eine Rolle spielten, gäbe es Vorbilder. Es wäre nützlich, wenn wir unsere vermeintlichen Vorbilder selbst kennen würden."

Plötzlich wurde er von einem Klackern unterbrochen. Es wiederholte sich einmal, und Xyeros sah auf seinen Kommunikator hinab, der seit dem Shuttleabsturz geschwiegen hatte. Er tappte darauf und fragte ein unbestimmtes "Ja?"

"Richter hier. Sind Sie das, Captain?"

"Richter von der Thunderbird?" fragte Xyeros zurück.

"Ja, Sir. Wir sind auf die Erde gekommen, um Sie zu suchen. Ich nehme an, Sie sind irgendwo da drinnen auf dem Militärstützpunkt?"

Xyeros bedeutete Fellini, den Gang neben den Zellen im Auge zu behalten.

"Ja, man hat uns hier erst einmal in eine Arrestzelle gesteckt."

"Geht es ihnen gut?"

"Den Umständen entsprechend: Die verschlossene Tür der Zelle stört ein wenig; man hat uns eingesperrt."

"Kann ich mir vorstellen. Können Sie mir ihre Position auf dem Gelände beschreiben?"

"Können Sie uns nicht anpeilen?"

"Mit dem Tricorder bekommen wir nur ungefähre Werte. Andere Geräte, zum Beispiel ein Transporter, stehen uns nicht zur Verfügung. Wir sind zu Fuß hier."

Xyeros kramte aus seinen Gedanken alles hervor, was er sich auf den Wegen durch das Gebäude eingeprägt hatte und beschrieb anschließend, was er aus dem kleinen Fenster des Arresttraktes sehen konnte. Fellini unterstützte ihn ab und zu mit wichtigen Details.

"Hmm, ich denke das werden wir finden", meldete sich schließlich Richter wieder. "Halten Sie sich bereit. Wir sind nur zu dritt und müssen uns etwas einfallen lassen. Unser größter Vorteil wird die Überraschung sein, also muß alles schnell gehen, wenn wir soweit sind."

"Verstanden. Bis jetzt hält man uns anscheinend noch nicht für Außerirdische. Versuchen Sie den Eindruck zu wahren."

"Verstehe."

"Kontakten Sie mich vorher, um sicher zu gehen, daß wir bereit sind. Machen Sie's wie vorher, nur einmal den Kommunikator aktivieren, ich antworte, wenn ich kann."

"Alles klar, Sir. Richter Ende."

 

Richter wandte sich dem Rest des Teams zu, das vor dem hohen Zaun des Areals Stand.

"Sie werden nicht besonders stark bewacht, das ist sehr gut für uns."

"Was haben Sie vor?" wollte Bertin wissen.

"Wir müssen uns irgendwie auf das Gelände schmuggeln, das wird das kleinere Problem sein, sie aus der Zelle befreien, notfalls mit dem Phaser den wir mit haben, und dann das Weite suchen."

"Hört sich an wie in einem Holoroman über das zwanzigste Jahrhundert", stellte Mesenes fest. "Wenn wir zu Fuß fliehen, haben wir keine Chance."

"Richtig. Deshalb müssen wir uns als erstes, wenn wir auf dem Gelände sind, ein schönes Auto suchen."

"Können Sie fahren?"

"Ich habe auf dem Holodeck viel geübt. Ich hoffe, die Simulation war realistisch."

"Gut", mischte sich Bertin ein. "Aber wie wollen Sie hineingelangen? Wir können doch nicht einfach über den Zaum klettern. Es ist zwar dunkel, aber sie haben ja alles gut beleuchtet."

"Nein, brauchen wir auch nicht", grinste Richter. "Wir gehen einfach durchs Tor. Sehen Sie den Transporter?" fragte er und zeigte auf einen Planwagen, der gerade an der Ampel kurz vor der Einfahrt hielt. Er tappte auf seinen Kommunikator. "Ja?" meldete sich der Captain.

"Wir sind in ein paar Minuten bei ihnen. Alles klar?"

"Wir sind soweit bereit."

Richter nickte Bertin und Mesenes zu. "Dann los."

"Moment mal..." murmelte Bertin, doch Richter achtete nicht darauf.

Er lief voran, über die düstere, im Augenblick unbefahrene Straße, auf das Heck des wartenden Transporters zu, und sie schwangen sich in die Dunkelheit unter der Plane des Wagens, auf die Ladefläche, auf der zu ihrem Glück niemand saß, gerade als die Ampel auf grün sprang.

"Verstecken Sie sich etwas hinter den Kisten," sagte Richter, während sich der Planwagen in Bewegung versetzte.

 

Eine Minute, nachdem sich Richter das letzte mal gemeldet hatten, näherten sich Schritte auf dem Gang vor der Zelle. Ein Mann in weißem Kittel trat mit zwei Uniformierten vor der Gittertür, einer von ihnen schloß sie auf.

"Kommen Sie mit. Wir werden Sie jetzt ein bißchen untersuchen und vor allem ihre Maske entfernen."

Xyeros und Fellini warfen sich einen besorgten Blick zu.

"Worauf warten Sie, kommen Sie mit", wiederholte der Weißkittel. Mit einem Blick auf die zwei Soldaten entschied Xyeros, daß es keinen Sinn hatte, den störrischen zu spielen. Jetzt hatten sie wirklich Pech, und Xyeros konnte nur hoffen, daß Richter nicht in Bedrängnis geriet, wenn er hier ein leeres Gefängnis vorfand und unverrichteter Dinge wieder verschwinden müßte. Zögernd trat er, gefolgt von Fellini, auf den Gang hinaus, und folgte dem Weißkittel möglichst langsam. In einem kleinen Treppenhaus angelangt mußten sie einen Moment vor einer Lifttür warten, schließlich öffneten sich die Türen und ließen die fünf Personen ein. Kurz bevor sie sich wieder geschlossen hatten, schob sich plötzlich jemand dazwischen, woraufhin sie wieder aufglitten.

"Warten Sie, wir wollen noch mit", sagte er. Hinter ihm betrat eine farbige Frau die Kabine, woraufhin sich die Türen schlossen und der Lift losfuhr. Grinsend wandte sich der Mann an einen der Soldaten, der ihn, über sein ziviles äußeres erstaunt, musterte. Er drückte auf den Knopf des nächsten Stockwerks und versetzte dem Uniformierten einen wuchtigen Kinnhaken. Xyeros, der darauf gewartet hatte, verfuhr mit ihrem zweiten Bewacher ebenso, und der Weißkittel neben Fellini war so überrascht, daß er nur festgehalten werden mußte. Schon öffneten sich die Lifttüren wieder, und Richter winkte die anderen hinaus. "Schnell."

Mit einem gezielten Tritt hinderte er einen der Soldaten, der gerade wieder zu sich zu kommen drohte, ihnen zu folgen und er taumelte zu seinem benommenen Kameraden in die Kabine zurück, deren Türen sich wieder schlossen.

"Wir nehmen die Treppen", sagte Richter und stürmte Xyeros, Mesenes und Fellini voran die Stufen hinunter. "Hier entlang."

Sie folgten einem Flur, Menschen, die ihnen entgegenkamen, waren zu überrascht, um sie aufzuhalten, und stürmten durch eine Tür ins Freie. "In den Jeep dort." Richter nahm Kurs auf den Wagen, der mit laufendem Motor und einem Beifahrer bemannt auf sie wartete. Er selbst setzte sich ans Steuer, während die drei anderen sich auf die Rücksitze schoben, und fuhr sofort los. Mit großer Geschwindigkeit bog er um eine Ecke und das beschrankte Tor, beleuchtet vom fahlen Licht der Lichtanlagen, kam in Sicht, gerade als überall auf dem Gelände die Alarmsirenen aufheulten. Er dachte nicht daran, vom Gas zu gehen und fuhr auf die Ausfahrt zu, die Schranken zerbrachen krachend, als der Wagen dagegenraste. Um ein Haar wäre er einem auf der Straße vorbeifahrenden Bus in die Seite gerast, dann ordnete er sich in die richtige Spur ein und beschleunigte halsbrecherisch.

Xyeros warf einen Blick zurück, ein Wagen mit roten Blinklichtern kam ein wenig vorsichtiger aus dem Tor gefahren und verschwand aus dem Sichtfeld, als Richter um eine Ecke bog. "Die Simulationen sind gut", rief er Mesenes zu.

Irgendwo hinter ihnen heulte eine Polizeisirene auf, und Richter bog erneut ab, sämtliche Verkehrsregeln mißachtend, und stieß auf das Ende eines Staus, von dem die ein Dutzend Meter weiter vorn leuchtenden Schlußleuchten zeugten. Fluchend trat er auf die Bremse und brachte den Wagen fast zum Stehen, schob seinen Vordermann dennoch leicht an.

"Raus hier", kommandierte er. "Wir gehen zu Fuß weiter."

Die fünf Personen verließen das Auto und eilten, von Richter angeführt, in eine menschenüberfüllte Seitenstraße, die sich als Einkaufszone entpuppte. Die Lichtreklamen erleuchteten die Straße in allen möglichen Farben. Hier hatte die Polizei wenig Chancen, sie zu finden. Plötzlich stieß Richter fast mit einem jungen Mann zusammen, der eine Sternenflottenuniform trug.

"Ups, Wo kommen Sie den her?"

"Hi", grüßte er, nach einem überraschten Blick auf die Uniformen Xyeros' und Fellinis, erfreut. "Kommt ihr zum Treffen?"

"Wenn Sie uns sagen, wo das ist...", erwiderte Richter.

"Aber klar doch. Wir sind dort hinten, rechts eine halbe Treppe runter im Jhonny's Cage. Ich muß schnell weiter", verabschiedete er sich.

Verdutzt sahen sich die Starfleet-Offiziere an.

"War das einer von uns? Von der Thunderbird?" fragte Bertin.

Mesenes schüttelte den Kopf. "Er hatte den Rang eines Lieutenants. An ihn würde ich mich sicherlich erinnern."

"Aber er war ein Starfleet-Offizier", stellte Richter klar. "Vielleicht ist hier noch ein anderes Projekt im Gange. Auf dem Weg hierher sind wir einigen Merkwürdigkeiten begegnet. Ich schlage vor, wir sehen uns diesen Jhonnys Cage einmal an."

Der Captain nickte. "Das werden wir tun."

Ein weiterer Offizier kam ihnen entgegen, als sie die Treppe zur kleinen Kneipe in einem Kellerraum hinabgingen, und grüßte knapp. Xyeros, der jetzt die Spitze der Gruppe übernommen hatte, öffnete die Tür und trat ein. Der große Raum war nicht besonders hell erleuchtet und stand voller Tische, an denen viele weitere Starfleet-Offiziere saßen, und zu Xyeros Verwunderung unter Menschen in Zivilkleidung auch einige außerirdische.

"Hallo, Leute", begrüßte ein Captain, dessen Uniform schon seit sechzig Jahren aussortiert gehörte, die Neuankömmlinge. "Mann, tolle Maske", sagte er anerkennend zu Xyeros. "Dafür geb ich ihnen eine Runde aus. Kommen Sie, da hinten ist noch ein Tisch frei."

 

 

11.

 

Franklin saß wieder im Kommandosessel auf der Brücke und betastete vorsichtig kleine grüne Äderchen, die sich über ihre Stirn zogen. Jetzt hätte man Dr. Mesenes auf der Krankenstation besser brauchen können als als Aufpasser für Richter, warf sie sich vor.

"Webber an Brücke." Selbst durch das Interkom versprühte der Doktor seine unruhige Energie.

"Ich höre."

"Die Gelpacks sind jetzt draußen, die entsprechenden Computersysteme haben sowieso nicht mehr funktioniert, wir mußten also nicht besonders viel improvisieren."

"Gut. Messen Sie immer noch Strahlung?"

"Ich bin gerade dabei... scheinbar nicht, Commander... warten Sie." Franklin glaubte den Wissenschaftler seufzen zu hören. "Es ist noch Reststrahlung vorhanden, allerdings vermute ich nicht, daß sie stark genug ist, um der Besatzung gefährlich zu werden. Ich werde einige Versuche mit organischem Material machen, um das herauszufinden."

"Gut. Forschen Sie außerdem nach der Strahlungsursache."

"Aye, Webber Ende."

Und Franklin war wieder alleine mit ihren Gedanken. Sie haßte es, dazusitzen und nur zu warten, und aus dem Schatten hinter dem Mond vom Geschehen abgeschnitten zu sein. Deshalb beschloß sie wieder in den Bereitschaftsraum zu gehen und sich einige Artikel über die Gelpacks vorzunehmen. "Lieutenant Velik, sie haben die Brücke."

"Aye, Commander."

Die Vulkanierin gefiel ihr. Sie verwirrte sie in dieser Situation nicht andauernd mit unangebrachtem Verhalten (Franklin hatte sich schon gefragt, ob der Captain nur Verrückte für seine Crew ausgesucht hatte). Velik saß bloß da, machte ihre Arbeit hervorragend, sie hatte Änderungen der Umlaufbahn beinahe ganz im Kopf berechnet, und strahlte dabei noch Ruhe aus. Franklin fürchtete, damit hatte sie selbst nicht viel dienen können.

Sie hatte nicht lange im Computerarchiv gestöbert, da meldete sich auch schon wieder ihr Kommunikator: "Brücke an Franklin." Das war Velik. Und Franklin erschrak ein wenig, denn in der sonst so ausdruckslosen und beherrschten Stimme der Vulkanierin klang ein Hauch Besorgnis mit. "Wir haben hier etwas, das sie sich ansehen sollten."

 

"Auf dem Hauptschirm, Commander. Die Gelpacks." Noch merkwürdiger war das, was Franklin erblickte, als sie sich zum Wandschirm umdrehte.

"Webber, melden Sie sich sofort auf der Brücke!" Franklin hatte in ihrer Aufregung das Lieutenant unterschlagen, etwas, das ihr sonst nie passierte. Auf dem Hauptschirm zeigte sich ein grüner, nicht besonders hell, aber doch blendend leuchtender Klumpen, er sah schleimig und lebendig aus. Die Gelpacks, durchfuhr es Franklin. Von ihnen breitete sich ein unheimliches grünes Licht aus.

"Wie groß ist es?"

"Der durchschnittliche Durchmesser beträgt fünf Meter und dreizehn Zentimeter, die Masse..."

"Danke, Lieutenant."

Die Turbolifttüren öffneten sich zischend und Webber stürzte auf die Brücke. "Commander, ich wollte Sie sowieso gerade", er stockte, als er das Bild der im leeren Raum schwebenden Gelmasse erblickte. "Faszinierend", hauchte er.

"Haben Sie noch mehr dazu zu sagen?" fragte Franklin ungehalten.

Webber eilte zu einer freien Konsole. "Das ist unglaublich", murmelte er, während er sich an einer der freien Konsolen eine wissenschaftliche Bedienoberfläche auf den Schirm holte. "Es sind die Gelpacks... sie senden wieder diese Strahlung aus, und die Gelmasse befindet sich in einem stetigen Quantenfluß. Auf ihrer Position ist die ganze Struktur des Raumzeit-Gefüges in ständiger Fluktuation begriffen."

Velik hob eine Augenbraue. "Wie können Sie das ohne wissenschaftliche Sensoren so genau feststellen?" wollte sie wissen.

"Das war der Grund, weswegen ich selbst mich gerade melden wollte. Wir haben die Sensoren wieder. Fast die ganze Hardware auf dem Schiff ist von einer mikroskopischen Gelschicht überzogen. In diesen Bereichen gibt es Strahlung und Quantenverschiebungen, irgendwie gleicht das aber die veränderte Physik wieder aus... fragen Sie mich nicht wie, Commander."

"Lieutenant Velik, bringen Sie uns in eine sichere Entfernung von dem... Gelklumpen."

"Aye, Commander."

Vom Schweigen der Brückencrew begleitet schrumpfte das grüne Leuchten auf dem Bildschirm, als sich die Thunderbird davon entfernte.

"Position außerhalb des Strahlungsniveaus erreicht."

"Gut." Franklin ließ sich in den leeren Kommandosessel fallen, Velik war auch, als sie ‚die Brücke hatte', an der Steuerkonsole sitzen geblieben. "Lieutenant Webber, ich möchte einen Bericht über die Gelschichten und was sie genau mit unseren Systemen anstellen. Und was die Gefahren sind!" Sie betätigte ihren Kommunikator, während Webber ein "Aye" murmelnd die Brücke wieder verließ. "Maschinenraum!"

"Nelson hier."

"Ich möchte eine Liste mit allem, was jetzt wieder funktioniert."

"Aye, Ma'am. Schon dabei."

So, die Crew hatte zu tun. Aber nun blieb dem kommandierenden Offizier wieder nichts übrig als zu warten, sofern ihr nicht etwas besseres einfiel. Sie sehnte sich danach, wieder Sicherheitsoffizier zu sein, die Verantwortung über das ganze Schiff bei einem Vorgesetzten zu wissen, und sich selbst mit vielen Routineaufgaben beschäftigt, aber sie erinnerte sich auch an die Zeit als Sicherheitschef, in der sie manchmal am liebsten den Platz ihres Captains eingenommen hätte.

 

 

12.

 

Vorsichtig nippte Xyeros an seinem Glas.

"Ihr seid noch nicht oft hiergewesen?" fragte ihr der Mann, der ihnen die Drinks spendiert hatte.

Richter schüttelte den Kopf. "Wir sind zum ersten mal hier."

"Ihr seht richtig gut aus, wißt ihr. Vor allem die beiden Uniformen sehen aus wie echt. Wo habt ihr die her, selbstgemacht?"

"Repliziert", sagte Richter trocken. Ihm ging das absurde Verhalten der Menschen hier langsam auf die Nerven.

"Klar. Ich bin übrigens Rube."

"Hi, Rube. Nennen sie mich Martin."

"Xyeros", stellte sich der Captain vor. "Sagen Sie, was machen Sie eigentlich hier, was soll das ganze?"

"Ich veranstalte seit einiger Zeit dieses Dinner..."

"Sie kommen ins zwanzigste Jahrhundert, nur um zu dinieren?" fragte Bertin ungläubig.

Rube lachte. "Ja, so sieht es wohl aus. Und was macht ihr so, wo kommt ihr her?"

"Von der U.S.S. Thunderbird", sagte der Captain, um das Gespräch fortzuführen, nicht weil er glaubte, sein Gegenüber würde das ernst nehmen, sondern um das Gespräch fortzuführen. Allmählich dämmerte ihm, daß wer immer diese Leute waren, sie die Rolle spielten, wie man es auf dem Militärstützpunkt von ihnen vermutet hatte. Folglich brauchte er nur bei der Realität bleiben, um sich hier gut zu unterhalten.

Mesenes und Fellini, die sich im Raum etwas genauer umgeschaut hatten, stießen wieder zu ihnen. Sie wandte sich leise an den Captain und Richter: "Hier gibt es einen Hinterhof, der groß genug für eine Shuttlelandung wäre."

"Dann schlage ich vor, die sollen uns so schnell wie möglich abholen", meinte Richter. "Ich schätze, man wird die Gegend hier bald nach uns durchkämmen. Wie gesagt, Captain, Beamen ist unmöglich."

"Gut, machen wir es so", gab Xyeros seine Zustimmung. "Übernehmen Sie beide das?"

"Ja, Sir", sagte Fellini, nahm von Richter die Ausrüstungstasche entgegen und verschwand wieder mit Mesenes.

Amüsiert blickte Rube ihnen nach. "Ihr seid also die Brückencrew der Thunderbird und zieht gerade eine ganz wichtige Aktion durch?"

Richter nickte ernst. Ihm begann es Spaß zu machen, die Leute mit der Wahrheit an der Nase herumzuführen. "Wir benachrichtigen unser Shuttle, es soll uns abholen kommen. Unsere Transporter sind nämlich im Eimer."

"Aha."

"Erzählen Sie, Richter, wie ist es dazu gekommen?" fragte Xyeros.

"Ah ja, Sir. Soll ich ganz offen sprechen?" Xyeros nickte. Auch er hatte sich schnell an die Situation gewöhnt, auch wenn er sie sich noch nicht erklären konnte. "Gut. Also, wo fange ich an... als das Raumdock explodierte, haben wir irgendwie diesen Zeitsprung gemacht. Und nicht nur den, sondern auch einen Quantensprung."

"Das erklärt einiges", nickte Xyeros. In seinen Gedanken fügten sich kleine Mosaiksteinchen zusammen. "Wir sind bis jetzt nur von einem Zeitsprung ausgegangen. Ist es möglich, daß unsere Realität irgendwie mit dieser verbunden ist, so daß die Menschen hier miterleben können, was in unserem Universum passiert?"

Richter schnalzte mit der Zunge. "Ja, stimmt. Wir haben Q im Fernsehen gesehen. Der Haken an diesem Universum ist, daß etwas andere Naturgesetze herrschen als Zuhause. Vieles von unserer Technik ist hier völlig nutzlos."

"Gute Geschichte, Leute", mischte sich Rube ein. "Deshalb gelten auch hier viele technische Ideen von Star Trek als Unsinn, weil sie es in diesem Universum wirklich sind. Wirklich gute Geschichte. Ihr meint also, ihr seid ausgedachte Leute, die zu selbstständigem Leben erwacht sind?"

"Meinen wir nicht", setzte sich Bertin gegen diesen Gedanken zur Wehr.

"Wir glauben nur, daß Sie uns und den Ereignissen in unserem Universum zufällig zuschauen können", pflichtete Richter ihm bei.

Rube lachte leise. "Aber wie erklärt ihr euch, daß euer Leben von Quoten beeinflußt wird und verrückten Einfällen der Drehbuchautoren entspricht?"

"Die Wege der Erkenntnis sind oft unergründlich", philosophierte Xyeros.

"Der Captain hat Recht. Eure Kreativen sehen einfach nur, was passiert. Und schließlich läuft alles darauf hinaus, daß riesige Teile eurer Kultur von unserer Wirklichkeit abhängig sind", trieb Richter es auf die Spitze, obwohl er auch fand, Rubes Standpunkt hätte etwas für sich.

Schlichtend meldete sich Xyeros wieder zu Wort. "Es gibt eine Verbindung, das ist alles, was wir sagen können. Und ich glaube, damit kommen beide Parteien zurecht."

Rube schüttelte amüsiert den Kopf. "Leute, ihr seid echt Klasse. Wärt ihr an einem Auftritt hier interessiert?"

"Das geht leider nicht", lehnte Xyeros ab.

"Aber ich könnte diesen netten Schuppen einmal auf dem Holodeck besuchen", sagte Richter lachend. "Dann würde ich mir sozusagen Leute ausdenken, die Fans von den Leuten sind, die sich mich ausgedacht haben."

Xyeros nahm plötzliche Unruhe im Eingangsbereich wahr und erkannte einige Uniformierte – sie sahen den Militärs, denen er auf dem Stützpunkt begegnet war, verdammt ähnlich. Er stieß Richter an.

"Da sind Sie. Ich schätze, sie werden den Raum durchsuchen und uns finden."

"So siehts aus, bloß weg hier."

"Gentlemen..." gab Xyeros das Kommando zum Aufbruch. "Wo geht's auf ihren Hinterhof?"

"Was wollen Sie den da..." protestierte Rube.

"Auf das Shuttle warten. Es muß bald kommen."

"Seid ihr denn total verrückt?"

 

Richter hatte den Hinterausgang gefunden und hielt seinen Kameraden die Tür auf. Rube folgte ihnen in den dunklen Hinterhof und war erstaunt, als er zwei seiner Gäste über einem kleinen, blinkenden Apparat mit einer langen Antenne knien sah.

"Machen Sie denen Dampf", rief ihnen Richter zu. "Die Army ist uns auf den Fersen."

Fellini nickte und sprach in ein kleines Mikrophon, daß am Apparat befestigt war, und lauschte angestrengt der durch viele Störungen verzerrten Antwort. "Sie tun, was sie können", berichtete er.

Einige der anderen Gäste waren ihnen gefolgt und betrachteten interessiert die Szenerie. Xyeros drehte sich zu ihnen um. "Am besten Sie gehen wieder herein, hier gibt es nichts zu sehen." Natürlich folgte niemand seinem Vorschlag. Im Gegenteil: die Tür flog wiederholt auf, und vier Soldaten stürmten den Hof und ließen die Lichtfinger ihrer Handscheinwerfer über den dunklen Platz streifen; die Leute von der Thunderbird mußten für ein paar Sekunden geblendet die Augen zusammenkneifen, als die Lichtkegel über ihre Gesichter glitten.

"Geben Sie auf, Sie haben keine Chance", rief ihr Anführer von irgendwoher hinter dem Licht.

Die Besatzungsmitglieder der Thunderbird traten, teils die Augen mit ihren Händen beschattend, hinter ihren Captain. "Was sind ihre Befehle, Sir?" fragte Bertin leise, während die Soldaten demonstrativ zu ihren Waffen griffen und sich um die Gruppe formierten.

"Sie werden nicht schießen", schätzte Richter die Lage ein.

"Was ist jetzt", rief der Soldat wieder.

"Bleiben Sie stehen", sagte der Captain zum Landetrupp und ging auf den Wortführer der Soldaten zu, wodurch er sofort einige Lichtkegel, die zuvor auf seinen Offizieren geruht hatten, auf sich zog. "Ich würde sagen, Sie haben keine Chance", sagte er ruhig.

"Ach nein?" der Mann lachte. "Und warum nicht?"

Xyeros schwieg einen Moment und horchte. Er glaubte bereits ein leises Pfeifen zu hören und richtete seinen Blick nach oben. "Warum? Sie haben nicht so etwas." Der Soldat erschrak, als er mit seinen Augen Xyeros ausgestrecktem Arm folgte und einen Stern ausmachte, der sich vom Himmel gelöst hatte und geradezu auf den Hof zustürzte.

Er gab einen überraschten Laut von sich, der die meisten seiner Begleiter veranlaßte, ebenfalls nach oben zu blicken.

Im nächsten Augenblick hielt Xyeros seine Pistole in der Hand, was Richter, der nur auf so etwas gewartet und den anderen Anweisungen erteilt hatte, dazu veranlaßte, auf einen anderen Soldaten zuzuspringen. Die anderen folgten, und die Männer standen plötzlich ohne Waffen da.

Richter grinste triumphierend. „Ihr habt ungefähr vierhundert Jahre, um daraus zu lernen."

Als sie das immer lauter und größer werdende Shuttle über ihnen sahen, es hatte seine Landescheinwerfer dank einer Anweisung Richters auf volle Leutkraft gestellt, gaben sie ihre Nahkampfbemühungen auf, und gingen der Hauswand entlang in Deckung, wie auch alle übrigen, die sich auf dem Platz aufhielten.

Der weiße Kasten wirbelte viel Staub, Erde und Müll auf, als er mit voller Leistung auf den Bremsdüsen landete, und entlockte dem Publikum erstaunte Ausrufe. Richter rannte als erstes auf das Shuttle zu, die Seitentür öffnete sich und Richter ließ Mesenes, Bertin und Fellini den Vortritt, hielt zur Abschreckung wie auch Xyeros die erbeutete Waffe auf die Soldaten gerichtet, gab noch einen Warnschuß in die Nacht ab und stieg schließlich selbst ein. Der Captain folgte zuletzt und schloß die Tür.

"Starten Sie", befahl er, und fühlte, wie das Shuttle langsam abhob.

"Schnallen Sie sich alle an, bevor wir auf hohe Leistung gehen", riet Richter ihnen, als er selbst auf einem Sitz platznahm. Die anderen folgten seinem Beispiel, und nach einem kurzen Blick in die Runde befahl Xyeros: "Wir sind bereit. Los!"

 

 

13.

 

"Aufwachen, Lieutenant."

Verschlafen blinzelte Webber. Stefanie war es, die ihn geweckt hatte, seine Frau. Niemand sonst nannte ihn Lieutenant, üblicherweise nannte man ihn Doc. Als er Stefanie das erste mal begegnete, besuchte er gerade die Akademie der Sternenflotte. Nachdem er zehn Jahre lang studiert hatte, hatte er sich entschlossen, zu den Sternen zu fahren, um dort neues zu erforschen, mehr zu erleben, als er in Lesesälen und Labors auf der Erde konnte. Er hatte das sogar drei Jahre lang getan, aber dann, als er das Mädchen kennenlernte, daß später einmal seine Frau werden würde, beschloß er, auf der Erde zu bleiben. Er war viel zu alt, um eine Karriere bei Starfleet anzufangen, und gerade im richtigen Alter für das Abenteuer Ehe, fand er dann.

Und er hatte das nie bereut. Heute war Sonntag, wunderschönes Wetter, und er hatte kurzerhand die Arbeit, die er sich von der Universität mit nach Hause gebracht hatte, an der er jetzt nicht mehr lernte, sondern unterrichtete, auf später verschoben, um mit Stefanie einen Ausflug zu machen. Nach einem wunderschönen Picknick im grünen war er, den Kopf auf ihren Schoß gebettet, eingeschlafen.

"Laß uns noch ein bißchen hierbleiben."

Sie lächelte ihn an, das wunderbare Lächeln, das er von Anfang so geliebt hatte, und legte ihm zärtlich die Blüte einer gepflückten Blume auf die Stirn. Sie war erfrischend kühl, und Webber glaubte, einen leichten Puls in ihr zu fühlen. Es war keine übliche Blume, da war er sich sicher. Er glaubte jetzt sogar, zu fühlen, wie sich in der Knospe eine Intelligenz regte, die irgendwie nach ihm zu Rufen schien.

"Was hast du, Phil?", fragte Stefanie verwundert, als er seine Hand hob, um die Blüte zu nehmen und sie zu betrachten.

Als seine Finger sie berührten, platzte sie plötzlich und bedeckte sein Gesicht mit einem ekligen, klebrigen Schleim.

 

"Igitt!" entfuhr es Webber, und ruckartig erhob er sich aus dem Sessel in seinem Quartier. Der Schleim war grün. Eines der Gelgeschwüre, die bei ihm wie bei fast allen Besatzungs-mitgleidern immer weiter wucherten, war geplatzt. Webber trat an sein Waschbecken, um das Zeug abzuwischen. Das erste mal machte ihm das, was die Gelpacks da angestellt hatten, wirklich Angst. Das Aufplatzen der Geschwüre kam bei allen Besatzungsmitgliedern vor, hatte Mr. Drap ihm nur kurz zuvor berichtet, und es schien nicht weiter gefährlich zu sein, obwohl man gegen die Ausbreitung des Gels in ihnen allen weiterhin machtlos war.

Was Webber Angst machte, war dieser Traum. Er war so real gewesen. Er hatte nicht nur geglaubt, was er erlebte sei die Realität gewesen, er hatte es die ganze Zeit gewußt. Auch nun, als es vorbei war, schien es ihm nicht weniger real zu sein, sondern lediglich in ein anderes Leben zu gehören, daß er für einen Moment erlebt hatte.

Er hatte noch gut eine halbe Stunde seiner Ruhezeit zur Verfügung, aber er wollte nicht mehr schlafen. Irgendwo im Hinterkopf hatte er eine Ahnung, er fühlte, daß er die Lösung der Probleme mit den Gelpackts, die draußen, im Weltraum vor der Thunderbird, weiter mutierten, fast zu fassen hatte. Deshalb beschloß er, wieder sein Labor aufzusuchen und weiter zu arbeiten.

 

"Shuttle zwei kommt in Kommunikationsreichweite", meldete Velik. "Sie rufen uns."

"Ich höre", sagte Franklin. Sie hoffte begierig, etwas neues zu erfahren und endlich wieder etwas tun zu können. Eine neuerliche Besprechung in der Messe hatte sie schon angesetzt.

"Wir sind wieder zurück, Commander", grüßte Richter auf seine unverwechselbare Art. "Hier ist jemand, der sie sprechen möchte."

"Commander? Hier spricht Captain Xyeros. Schön, ihre Stimme zu hören."

"Danke, Sir." Franklin war überrascht, ihren Captain bald an Bord zu wissen. So schnell hatte sie das Richter nicht zugetraut. Aber vor allem war sie erleichtert. Nur gab es noch einen Haken, fiel ihr ein.

"Captain, es gibt ein Problem. Hier an Bord hat sich eine Art Seuche..."

"Ich habe es schon bemerkt, Commander", unterbrach sie ihr Captain. "Sie vergaßen wohl, daß auch ihre beiden Shuttlepiloten ziemlich übel aussehen."

"Aye, Sir", murmelte Franklin. An diese Möglichkeit hatte sie tatsächlich nicht einmal mehr gedacht. Als das Shuttle aufgebrochen war, hatte man von den Gel-Geschwüren noch keines festgestellt, aber es war natürlich trotzdem möglich, daß die Besatzung was auch immer es war schon in sich getragen hatte.

"Sie haben mich außerdem im Kurzen über den Stand der Dinge aufgeklärt. Wir werden an Bord kommen."

"Aye, Sir." Franklin fielen ihre Pflichten betreffs Schutz des Captains ein, aber sie verzichtete darauf, ihm zu widersprechen. Dies war schließlich eine medizinische Frage, und wenn Dr. Mesenes, die ja selbst im Shuttle war, nichts dagegen hatte...

 

 

14.

 

Einige Minuten später betraten die von der Erde zurückgekehrten fünf Offiziere die Messe, in der Franklin, Webber, Nelson und Velik schon warteten.

"Willkommen an Bord, Sir", grüßte Franklin ihren Captain.

"Danke. Es ist schön, auf meinem Schiff zu sein, auch wenn es arg mitgenommen aussieht", erwiderte er aufmunternd, woraufhin sich alle an den großen Tisch setzten.

"Captain, wenn ich gleich beginnen dürfte..." meldete sich Webber sofort ungeduldig zu Wort.

"Bitte", gewährte Xyeros.

"Also, Sie sehen ja selbst, was die Gelpacks mit uns angerichtet haben. Sie greifen in unsere Nervenbahnen ein, überwuchern sogar das Gehirn in einer Weise, die uns anfangs Sorgen machte... aber bis jetzt haben wir nicht besonders darunter gelitten. Das mutierende Gel, und die Strahlung, die es aussendet, bewirkt einen ständigen temporalen- und Quantenfluß. Das einzige was wir merken, außer das es natürlich ziemlich eklig aussieht und sich auch so anfühlt", Webber schien zwischendurch fast nach Luft zu schnappen, "sind Halluzinationen. Jeder an Bord hatte sie, und diese Erlebnisse sind kaum von der Realität zu unterscheiden."

"Entsprechen diese Erlebnisse unserem Universum?"

"Ja, Captain. Commander Franklin schilderte mir eine Situation, wie sie wohl eingetreten wäre, wenn das Raumdock nicht explodiert wäre, andere Berichte basieren auf anderen Zeitlinien, beruhen aber auf dem uns bekannten Universum. Genauso funktioniert die Hardware, die von dem Gel befallen wurde, innerhalb normaler Parameter – nach der uns vertrauten Physik. Hier dürfte eigentlich vieles gar nicht mehr funktionieren."

Er wartete kurz, und als niemand eine weitere Frage stellte, fuhr er fort: "Ich bin deshalb zu einer Theorie gekommen und habe ein Experiment durchgeführt: Ich habe etwas von der organischen Struktur, die sich über unsere Computerhardware ausgebreitet hat, genommen und mit einem Kraftfeld eingedämmt. Es gelang mir, durch Zuführung von bestimmten Energiemustern die Mutation zu beschleunigen, und schließlich gelang es für ein paar Sekunden, im inneren des Feldes, in der verstärkten Strahlung, ein Warpfeld zu erzeugen. Also herrschten innnerhalb der Strahlung, je nach Intensität annäherungsweise unsere Naturgesetze."

Xyeros starrte nachdenklich aus dem großen Panoramafenster der Offiziersmesse auf den Gelklumpen, der sich inzwischen mit einem glühenden Strahlungsfeld umgab, welches fast doppelt so groß war wie die Thunderbird.

"Halten Sie es für möglich, daß...?"

"Genau das", unterbrach ihn Webber eifrig. "Wie die von uns konstruierten Gelpacks diese unglaubliche Mutation durchliefen, kann ich nicht sagen, aber es scheint warscheinlich, daß sie eine Verbindung zu unserem Universum darstellen."

"Etwas in ihnen hat sozusagen gemerkt, daß wir hier falsch sind, und reagiert nun, um den Fehler glattzubügeln", sinnierte Richter.

„Ja", stimmte Webber unzufrieden hinzu, „nur was?"

Der Captain blickte ihn forschend an. „Ist das so wichtig?"

"Sir", protestierte Franklin, jetzt meinte sie, es wäre an der Zeit, sich doch auf ihre Pflichten als erster Offizier zu besinnen. Xyeros sollte für ihr Empfinden eine weitaus wissenschaftlichere Einstellung an den Tag legen. "Sie haben doch nicht etwa vor, da hineinzufliegen?"

"Es scheint eine Lösung zu sein", antwortete Xyeros. "Lieutenant Velik, was ist ihre Meinung dazu?"

"Diese Theorie ist soweit schlüssig. Aber sie basiert auf einem Experiment und ist wissenschaftlich noch nicht geklärt"

"Danke, Lieutenant", sagte Xyeros. "Doktor, wie sehen sie die Sache?"

"Nun, das Eindringen in die Strahlung wird die Geschwürbildung verstärken. Bis jetzt wurden sie nicht lebensbedrohlich. Aber als Arzt muß ich natürlich gegen ein solches Experiment protestieren, da es nicht ungefährlich ist."

"Natürlich. Danke, Doktor."

"Aber mein Gefühl sagt mir", fuhr Mesenes fort, "wir sollten es wagen."

"Meines auch, meines auch", stimmte der Captain ihr zu.

"Sir", meldete sich Franklin wieder. "Sie können nicht einfach aus einem Gefühl heraus, und nur aufgrund dieses Experiments das Leben der Crew gefährden. Ich muß darauf bestehen, daß wir erst mehr über die Gelpacks herausfinden."

"Sehen Sie, Commander, Sie hatten jetzt einige Stunden Zeit, sich mit der Anomalie – dem Gelklumpen da draußen – zu befassen. So wie ich es verstanden habe, ist die Physik hier so anders, daß wir sozusagen alle Gesetzmäßigkeiten aufs neue entdecken müßten, um eine solide wissenschaftliche Basis zu haben. Ich nehme an, das würde ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen, nicht wahr, Mr. Webber?"

"Jahre", bestätigte er.

"Ich halte das für Zeitverschwendung. Durch Webbers Experiment können wir auch ohne physikalische Erklärung davon ausgehen, daß die Anomalie ein Tor zur unserer Realität ist."

"Es ist wahrscheinlich", mußte Franklin zugeben. "Ich muß Sie dennoch an die Sicherheit des Schiffes erinnern."

"Das wird vermerkt, keine Sorge", sagte Xyeros. "So weit, so gut. Dann begeben wir uns jetzt auf unsere Stationen und bereiten uns vor, Kurs auf das Zentrum der Anomalie zu nehmen."

Xyeros stand auf und gab damit das Zeichen, daß die Konferenz beendet war. Auch der Rest der Crew erhob sich und machte sich auf den Weg zu seinen Posten.

 

"Kurs gesetzt, Sir", gab Velik bekannt.

Xyeros nahm auf dem Kommandosessel in der Mitte der Brücke Platz, zum erstem mal. Bevor es losgehen konnte, war noch eine Kleinigkeit zu erledigen. Er betätigte das kleine Eingabefeld bei seinem Sitz.

"Computer, Identifiziere Captain Xyeros. Dienstnummer 392425059."

"Identifikation erfolgreich", antwortete kurz darauf die synthetische Stimme des Computers.

"Computer, übertrage mir die Kommandocodes." Xyeros tippte noch eine Druckfläche zur Bestätigung. Die weiteren Zeremonien der Kommandoübergabe würden warten müssen – und hoffentlich in Ruhe und auf einer sauber funktionierenden Thunderbird stattfinden.

"Sir", meldete sich Bertin von der Operations-Konsole. "Wir empfangen Funksignale. Sie sind etwas verzerrt, haben aber eine Sternenflotten-Signatur."

"Können Sie sagen, von wem sie genau stammen?"

"Aye, Sir... Sie tragen die Signatur der Thunderbird. Unsere, Sir."

„Kommen sie aus dem Gelkomplex, Lieutenant?", fragte Franklin.

„Aye, Ma'am."

"Lassen Sie hören", forderte der Captain.

"... Nelson an Thunderbird. Ich kann hier nichts mehr bewegen", klang es verzerrt aus den Lautsprechern.

"Diesen Spruch sendete uns Lieutenant Nelson vom Raumdock, etwa einunddreißig Sekunden, bevor es explodierte."

"Der Klumpen wird instabil, Captain", meldete Richter aufgeregt. "Ich rate einfach mal: in dreißig Sekunden kollabiert er."

"Dann haben wir nicht mehr viel Zeit," stellte Xyeros fest. "Brücke an alle: Achtung, wir starten sofort. Lieutenant Velik, fliegen Sie uns hinein, bevor es zu spät ist."

"Aye, Sir."

Langsam rückte der kleine Gelklumpen in seiner riesigen grünen Korona näher und erfüllte bald den ganzen Wandschirm mit seinem diffusen Licht.

"Strahlungsnieveau steigt," meldete Richter. Er fühlte, wie es in seinen Schläfen zu pochen begann, ihm wurde schwindlig.

Auch der Captain spürte, wie es überall in seinem Körper kribbelte, als die Strahlung ihre Wirkung entfaltete und auch in ihm die Gel-Geschwüre entstanden. Um sich herum hörte er schmerzvolles Aufschreien. Einen Moment lang zweifelte er, fragte sich, ob er seine Crew mit seinem ersten Kommando auf diesem Schiff in den Tod geschickt hatte. Dann fühlte er eine fremde Intelligenz, die langsam von seinem Geist Besitz zu ergreifen schien, etwas, das völlig anders war als alles was er kannte, und sein Schädel begann unerträglich zu schmerzen. Was wenn seine Entscheidung falsch war?

"Gelpartikel greifen die Hülle an", drang Richters Stimme wie aus weiter Ferne zu ihm. "Sie dringen in die ganze Struktur des Schiffes ein."

Xyeros mußte husten. Auch in der Atemluft auf der Brücke hatte sich dieser dicke, betäubende Nebel breitgemacht.

"Wir nähern uns dem Zentrum", keuchte Velik.

"Strukturelle Integrität bei sechs Prozent", gab der Computer ohne Anteilnahme zu Protokoll.

Plötzlich verschwand das verschwommene, in grünen Dunst getauchte Bild seiner Brücke um Xyeros herum und wurde durch etwas unbeschreibliches ersetzt. So ähnlich mußte sich ein Reisender mit Transwarp fühlen, wenn er gleichzeitig mit unendlicher Geschwindigkeit jeden Punkt des Universums gleichzeitig durchflog. Nur daß Xyeros glaubte, alle möglichen Wege seines Lebens von seiner Geburt an zu erleben. Da war Krieg und Frieden, Liebe, Freundschaft und Haß, da war eine fremde Welt, von der er wußte, daß er dort Zuhause war, und da war die Erde, auf der wirklich sein Zuhause war; und dies alles in einem und demselben Augenblick. Im nächsten war nichts mehr.

 

 

15.

 

Nach einer leeren Ewigkeit drang Veliks Stimme an sein Ohr.

"Sir, wir sind auf Kollisionskurs mit einem Versorgungsschiff. Ich weiche aus."

"Tun Sie das", murmelte Xyeros benommen.

"Kurs stabilisiert", sagte Velik kurz darauf.

"Was ist passiert?"

"Die Druckwelle, die bei der Explosion von Raumdock dreizehn entstand hat die Thunderbird kurz außer Kontrolle gebracht", berichtete die Vulkanierin.

"Bestätigt. Nach dem Computer geschah das vor etwa einer halben Minute", meldete sich Richter.

Xyeros fuhr mit der Hand über sein Gesicht. Keine Spur von einem Geschwür, auch nicht bei den anderen, wie er feststellte, als er seinen Blick über die Brücke schweifen ließ.

"Schadensmeldungen?" fragte er.

"Die Schilde haben gehalten, Sir", berichtete Richter. "Nur durch die Erschütterungen ist ein bißchen was zu Bruch gegangen. Keine nennenswerten Schäden. Wir haben keine Gelpacks an Bord, und das Shuttle Einstein befindet sich weder im Hangar noch irgendwo da draußen."

Xyeros seufzte erleichtert. Für einen Moment hatte er das Gefühl gehabt, die letzten Stunden nur geträumt zu haben. Aber so war es nicht, sie waren wirklich aus einem Paralleluniversum zurückgekehrt, und das scheinbar genau an dem Punkt, wo sie ihre Reise auch begonnen hatten.

"Wir werden gerufen", meldete Richter.

"Lassen Sie hören."

Ein besorgt dreinblickender Admiral erschien auf dem Wandschirm. "Admiral Dwight, Starfleet Command", stellte er sich vor. "Wie ist ihre Lage?"

"Wir haben keine nennenswerten Schäden genommen, Admiral", berichtete Xyeros.

Der Admiral runzelte die Stirn. "Sie sind Captain Xyeros, nehme ich an. Eigentlich müßten Sie mit einem Shuttle auf den Weg zur Thunderbird sein."

"Das ist richtig", erinnerte sich Xyeros. "Das ist eine längere Geschichte. Ich schlage vor, wir besprechen das etwas später."

"Einverstanden, Captain. Wir hatten hier im Moment der Explosion einige seltsame Sensorenwerte, ich hoffe, Sie werden mich darüber aufklären können." Er warf einen Blick zur Seite. "Sagen wir, in einer Stunde in meinem Büro?"

"Das hört sich gut an. Danke, Sir."

"Ich erwarte Sie. Dwight Ende."

Xyeros lehnte sich zurück und ließ die Anspannung der letzten Stunden fallen. "Wir bleiben im Orbit", wies er Velik an. "Ansonsten sollten wir das Schiff wieder in einen ordentlichen Zustand bekommen, die Gelpacks ersetzen und so weiter", wandte er sich an die übrige Crew. "Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen. Wir werden wohl mit unserem Jungfernflug noch etwas warten müssen. Commander, dürfte ich Sie kurz im Bereitschaftsraum sprechen?"

"Aye, Sir."

 

"Was ist denn das?" fragte Xyeros, als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte.

"Oh, ein kleines Hitzeaggregat. Da die Replikatoren ausgefallen waren, mußte ich mir meinen Tee selbst kochen. Ich nehme es gleich wieder mit."

Xyeros nickte verständig und interessiert. "Und Sie haben immer einen kleinen Vorrat an echtem Tee dabei?"

"Ja, Sir."

"Setzen Sie sich ruhig", sagte Xyeros, der es selbst vorzog, vor dem Fenster stehen zu bleiben und einen Blick auf die Erde zu werfen. Dieser Anblick beeindruckte ihn immer wieder. Ruhig lag sie da, ein strahlendes blaues Auge im schwarzen Gesicht des Alls, und ließ nichts von dem  hektischen Durcheinander erahnen, das auf ihr und im Rest des Universums herrschen mochte.

"Und, wie sind sie am Anfang mit ihrem neuen Schiff zufrieden?" fragte er Franklin.

"Nun, es hätte etwas ruhiger beginnen können," antwortete sie und nahm steif im einzigen Stuhl im Bereitschaftsraum Platz. "Ich habe Schwierigkeiten mit Lieutenant Richter. Er benimmt sich undiszipliniert und respektlos."

Xyeros nickte vor sich hin. "Ja, so steht es auch in seiner Akte. Aber ich bin der Meinung, daß seine Arbeit wichtiger ist als sein Benehmen. Und die ließ bis jetzt nichts zu wünschen übrig. Auch kann es nicht schaden, wenn jemand ein bischen Spaß auf die Brücke bringt."

"Darf ich offen sprechen?"

"Aber natürlich."

"Ich meine, seine Art von Spaß hat auf der Brücke nichts zu suchen. Die Protokolle der Sternenflotte wurden schließlich nicht als Schikane aufgestellt."

"Keineswegs, Commander", stimmte er ihr zu. "Aber ich betrachte sie als Richtlinien, nicht als Gesetze. Sie werden sich an Richter gewöhnen, und er wird lernen müssen, mit ihnen zurecht zu kommen. Schließlich sind Sie seine Vorgesetzte."

"Gut, Sir."

"Noch etwas?"

"Ich würde gerne alles in einem Bericht zusammenfassen, Sir."

"Wie Sie wollen. Dann ist das alles." Xyeros verließ seinen Raum wieder.

"Ich bin in der Offiziersmesse", sagte er, während er die Brücke überquerte, um zum Turbolift zu gelangen. "Umständliches Wort... Mr. Richter, ich habe noch einen kleinen Spezialauftrag für Sie."

"Was darf's denn sein, Captain?"

"Überlegen Sie sich einen besseren Namen für die Offiziersmesse."

"Wie wär's mit Saloon?"

"Saloon hört sich gut an", grinste Xyeros, als er die Kabine betrat.

Ende

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