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Nr. 029 - Gegen Willen und Vernunft
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Copyright 1998-2000 Andreas Drechsler. Alle Rechte vorbehalten.1Persönliches Logbuch, Commander Spencer, Sternzeit 21474.3: [21.06.2344 14:15:09] Seit zweieinhalb Monaten befinde ich mich auf Sternenbasis 53 in psychologischer Behandlung und kann sagen, dass sich mein Zustand seitdem kontinuierlich verbessert hat. Ich warte nun darauf, dass mir endlich wieder ein Kommando übertragen wird. In den letzten Tagen habe ich mich informiert, nur neun ehemalige Crewmitglieder der Cousteau sind permanent versetzt, darunter H'Korr auf der Ambassador, Coreman als Sicherheitsberater im Sternenflottenhauptquartier und Xuma auf der Righteous. Spencer schaltete den Aufzeichungsapparat aus. Den regelmäßigen Logbucheintrag zählte er zu den Ritualen, die ihm in der letzten Zeit geholfen hatten, wieder in das normale Leben zurückzufinden. Die zurückliegenden Wochen hatten ihm sehr gut getan, die Schrecken des Angriffs auf die Cousteau zu verarbeiten, sie endlich hinter sich zu lassen. Plötzlich ertönte ein akustisches Signal. Spencers Blick streifte auf dem Weg zur Quelle des Signals den Ort seiner Hauptbeschäftigung der letzten Wochen, das Schachbrett. Selten hatte er Zeit gehabt, so ausführlich an seiner Endspieltechnik zu feilen... Er brauchte einige Sekunden, um sich klar zu werden, dass eine Subraumverbindung angemeldet war. 'Wer könnte das sein?' Er setzte seine Tasse Kaffee ab und aktivierte den Kanal. Zu seiner erfreulichen Überraschung erschien DeFalco auf dem Schirm. "Hallo, Gerry. Wie geht's?" Spencers Stimme drückte nur verhaltene Freude aus, obwohl er DeFalco einige Zeit nicht gesehen hatte. "Ganz gut, Andy. Ziemlich ruhige Kugel schiebe ich hier. Und dir? Drehen sie sich dich immer noch durch den psychologischen Wolf?" DeFalco war vorübergehend Assistenzingenieur auf einem Subraumzentralrelais, kein angesehener Posten, aber auch kein übermäßig arbeitsaufwendiger. "Halb so schlimm. Mir geht's wieder soweit gut, auch nach der Anhörung und allem..." "Was war eigentlich zum Schluss rausgekommen?" Die Anhörung, die Spencers Verhalten während des Zwischenfalls, dem die Cousteau zum Opfer gefallen war, bewerten und klären sollte, hatte sich insgesamt über vier Wochen hingezogen. DeFalco war kurz nach seiner Zeugenaussage abkommandiert worden und erkundigte sich jetzt nach dem Ergebnis. "Im Endeffekt bin ich freigesprochen worden, doch nicht gerade mit Pauken und Trompeten", gestand Spencer ein. "Warum? Ich dachte, die Sache wäre glasklar?" "Ein paar aus der Untersuchungskommission fragten sich anscheinend, wieso ein etwas zu durchschnittlich geratener Offizier mit einer zu steilen Karriere beim ersten großen Katastrophenfall in seiner Kommandolaufbahn nur ein wrackes Schiff zurückbringt. Und die Fragen standen nun mal im Protokoll, auch wenn meine Antworten die in den Fragen verborgenen Vorwürfe zerstreuen konnten, denke ich." "Und?" "Mir wurde eine psychologische Behandlung nahegelegt und das war auch gut so. Ich hatte einiges aufzuarbeiten. Doch jetzt könnte ich eigentlich mal eine Abwechslung gebrauchen, eine Aufgabe, einen Posten, irgendwas. Verdaut habe ich das alles inzwischen ziemlich gut, denke ich." Wie zur Bestätigung bedachte er DeFalco mit einem entspannten Blick. "Was sagt denn Paris über ein neues Schiff?" Spencer schüttelte den Kopf. "Nichts. Na ja, durch den Verlauf der Anhörung ist mein Ansehen bei zuständiger Stelle nicht gerade gestiegen. Wenn das nächste Schiff verfügbar ist, wird man sich wohl bei mir melden." DeFalco ließ sich von Spencers unterschwellig mitschwingendem Desinteresse anstecken. "Hier gibt's auch nichts besonderes. Keiner zum Herumblödeln, kein attraktiver Fähnrich zum Flirten..." Spencer deutete ein fast unmerkliches Lächeln an. "Deine Probleme will ich haben. Obwohl, ich will überhaupt irgendwelche Probleme haben. Sonst verlerne ichs noch, das Problemlösen außerhalb des Schachbrettes..." DeFalco blickte Spencer ein, zwei Sekunden prüfend an. "Ist mit dir alles in Ordnung?" Sehr kommunikativ war Spencer noch nie gewesen, doch er wirkte seltsam matt und passiv auf DeFalco, selbst für seine Verhältnisse. "Sicher. Ich fühle mich gut. So entspannt, wie selten in den letzten zwei, drei Monaten." "Na dann." DeFalco klang immer noch leicht irritiert. "Ich sage dann mal Tschüss. Man sieht sich, Andy." "Ja, tschüss. Bis irgendwann mal." DeFalco war derjenige, der nach einigen Bruchteilen von Sekunden die Verbindung trennte. Spencer warf einen Blick auf den Chronometer an der Wand und stellte fest, dass es Zeit würde. Er leerte mit einem tiefen Zug seine Tasse und begab sich pflichtbewußt zum Büro von Counselor Naru, um sich seinem heutigen Sigmundtest zu unterziehen. Mechanisch begrüßte er Naru, einen baumlangen, für gewöhnlich gut gelaunten, menschlichen Mann karibischer Herkunft, der keine Gelegenheit ausließ, seine blitzenden Zähne zu zeigen. "Commander, ist etwas nicht in Ordnung mit Ihnen?", fragte Naru, während Brenden, sein Assistent, mit den Vorbereitungen des Tests begann. Spencers physiologische Reaktionen wurden während des Tests aufgezeichnet und Naru zur Bewertung sichtbar gemacht, das bedurfte einiger Anpassungen sowohl des Computers als auch Spencers. "Sie sind heute bereits die zweite Person, die mich das fragt, Counselor", antwortete Spencer ganz ohne Ärger in der Stimme. "Mit mir ist alles in Ordnung." "Die zweite Person?" Naru war natürlich bekannt, das Spencer sich selten in Gesellschaft aufhielt und er konnte sich nicht erinnern, dass ihn der Computer auf einen Bekannten Spencers in den Passagierlisten der letzten Tage hingewiesen hatte. Rein interessehalber fragte er deswegen nach. "Lieutenant DeFalco kontaktierte mich heute morgen via Subraum", antwortete Spencer. "Worüber haben sie mit ihm gesprochen?" Spencer musste einige Sekunden überlegen, bis er Narus Frage beantworten konnte. "Er hat mich nach dem Ergebnis der Anhörung gefragt und danach, wann ich ein neues Kommando bekomme. Wo wir gerade dabei sind, wie sieht's denn damit aus, mit dem Kommando, meine ich? Wissen Sie etwas?" Naru hielt kurz inne. "Sie sind auf dem Wege der Besserung, Commander. Es wird nicht mehr lange dauern. Aber jetzt noch nicht." Brenden gab Naru ein Zeichen, dass die Vorbereitungen abgeschlossen seien. "Darf ich sie dann bitten, Commander?", lud Naru Spencer ein, die psychoanalytische Maschine namens 'Sigmund' zu betreten. Dieser zwängte sich mit geübten Bewegungen durch den engen Eingang in den schalldichten Raum, der in der Mitte mit einer bequemen, weichen Liege ausgestattet war, seine Wände und die Decke waren in zartem Rosa gehalten und gewölbt. Durch eine beabsichtigte Ähnlichkeit zu einer menschlichen Gebärmutter sollte der menschliche Patient dazu gebracht werden, sich wohlzufühlen und es dem Psychologen möglichst leicht zu machen, in die entferntesten Winkel seines Bewusstseins vorzudringen und ihm somit die ureigensten Gründe für seine Handlungen zu eröffnen. Für jede Spezies konnte der Raum individuell verändert und angepasst werden. Naru gab Spencer einige Sekunden, um eine bequeme Position auf der Liege zu finden, auch überprüfte er, ob alle Daten Spencers korrekt an seinen Platz übertragen wurden. "Sind Sie bereit, Commander?", fragte er rhetorisch. In der ersten Phase des Sigmunds ging es um Spencers Lebenslauf, um das, was er mochte und was er nicht mochte und seine Kindheit. "Welcher oder welchen Spezies gehören Sie und ihre Eltern an?" Die Fragen in diesem Teil waren größtenteils festgelegt, Spencer kannte die Fragen und Naru seine Antworten bereits. Dennoch waren sie zur Einstimmung Spencers notwendig. "Der terranischen." "Wo wurden Sie geboren?" "Olympus Mons City, Sol IV." "In welchem Alter entschlossen Sie sich, der Sternenflottenakademie beizutreten?" "Im Alter von siebzehn." "Billigte ihre Familie Ihren Entschluss?" "Ja." "In welchem Alter traten Sie der Akademie bei?" "Mit achtzehn." "War es die Niederlassung, die Ihrer Heimatwelt am nächsten lag?" "Ja." "Welches war Ihr erster Raumeinsatz und wie lautete der Name Ihres ersten Schiffes?" "U.S.S. Zephram Cochrane. Ich war Fähnrich in der Ingenieursabteilung." "Wie war Ihr Verhältnis zum Captain dieses Schiffes?" "Ich habe ihn kaum gesehen, er mich ebenso." "Wie war Ihr Verhältnis zur Besatzung?" "Ich hatte wenig Kontakt, aber keine Probleme." "Warum haben Sie dieses Schiff verlassen?" "Ich erhielt ein Angebot von der U.S.S. Enterprise-B." Naru fuhr mit den Fragen fort; die erste Phase dauerte etwa fünfundvierzig Minuten. Naru erfuhr einen knappen Abriss von Spencers bisheriger Karriere, dass er Einzelkind war, in einer ruhigen Familie aufwuchs und noch nie großes Verlangen nach Gesellschaft oder Beziehungen gezeigt hatte. Naru hatte zu Anfang versucht, Spencers Desinteresse in dieser Hinsicht zu beeinflussen, dies aber zugunsten der Bewältigung der jüngst zurückliegenden Ereignisse zurückgestellt. Vor Beginn der zweiten Phase legte Naru einige Minuten Pause ein und sah die bisherigen Ergebnisse durch, es hatten sich erwartungsgemäß keine neuen Anhaltspunkte ergeben. In der zweiten Phase ging es jetzt darum, Spencers wesentliche Geisteshaltungen und etwaige Neurosen aufzudecken. Hier musste Naru auch die grundlegenden Fundamente legen, um Spencers psychische Probleme dann im dritten Teil direkt in seinem Unterbewusstsein bekämpfen zu können. "Sind Sie bereit, Commander?", fragte Naru. "Es geht weiter." "Bin ich", antwortete Spencer. "Was war ihre Funktion auf ihrem letzten Schiff?" "Ich war kommandierender Offizier." "Wie würden Sie Ihren Kommandostil charakterisieren?" "Ich versuche, die Crew zum Ideenaustausch und zur Problemlösung anzuregen. Meine Person tritt dabei in den Hintergrund." "Hatten Sie jemals Probleme damit, Anweisungen zu erteilen?" Bei den ersten Sitzungen hatte Spencer einige Sekunden lang gezögert, doch inzwischen wusste er die Antwort und war sich klar über ihre Bedeutung. "In taktisch kritischen Situationen und falls durch sie das Leben von Crewmitgliedern gefährdet wurde, ja." "Was halten Sie von Demokratie?" Abrupte Themenwechsel gehörten in diesem Teil des Sigmundtests dazu, um spontane Antworten zu erlangen, die weniger durch aktive Arbeit des Bewusstseins als durch prompte Reaktionen des Unterbewusstseins erzeugt wurden. "Demokratie in ihrer idealen Vollendung ist die beste Staatsform." "Sollte Demokratie auf Raumschiffen..." Naru brach ab und zischte ein leises "Nicht jetzt, Brenden!" "Er sagt aber, es wäre dringend", hörte Spencer die leise Stimme Brendens durch die Lautspecher, die die Stimme des Therapeuten aus allen Richtungen gedämpft in die Kammer übertrugen. "Machen Sie weiter", bestimmte Naru. Während Brenden nach einem kurzen Blick in das Sigmundprotokoll an Narus Stelle mit der Befragung fortfuhr, antwortete Naru auf ein Signal Admiral Paris'. Nachdem er ein, zwei Sekunden dem Admiral zugehört hatte, winkte er Brenden, das vorzeitige Ende des Sigmundtests einzuleiten. Er selbst ließ sich nieder, um einen Blick auf Spencers Akte und seine zurückliegenden Testergebnisse zu werfen. Dann schüttelte er ein paar Mal heftig und bestimmt den Kopf.
Eine Viertelstunde später betrat Spencer allein das geräumige Büro des Stationsleiters. Er hatte von Naru erfahren, dass Paris ihn sprechen wollte. "Danke, dass sie so schnell kommen konnten, Commander. Bitte setzen sie sich", wurde er von Paris begrüßt. Dieser saß mit gefalteten Händen hinter seinem Schreibtisch, für Spencer ein Zeichen, dass ein Briefing anstünde. "Admiral." Spencer folgte der Aufforderung. Ihm war gleich aufgefallen, daß Paris ihn jetzt, da er offiziell kein Schiff mehr kommandierte, nur noch mit seinem eigentlichen Rang eines Commanders ansprach. Es war nur ein kleines, unbedeutendes Detail, Spencer bekam aber den unterschwelligen Eindruck, sich zurückgesetzt zu fühlen, auf der anderen Seite war es natürlich gerechtfertigt. Paris begann in seiner gewohnt knappen Art: "Spencer, Sie werden gebraucht", stellte er fest. Spencer zog überrascht die Augenbrauen hoch. "Worum geht's, Sir?" Er bemühte sich, seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. "Das Transportschiff Viking mit 450 Kolonisten an Bord ist mit Maschinenschaden liegen geblieben und in einen schweren Plasmasturm geraten. Wir konnten gerade noch einen Notruf empfangen, bevor jede Verbindung abbrach. Das einzige größere Schiff in Reichweite ist die Magellan, ein Schiff der Constellation-Klasse, welches sich im Moment hier in Inspektion befindet." Spencer nickte, er hatte in seiner reich bemessenen Freizeit einige Male den Ingenieuren bei der Arbeit in einer der Wartungshallen zugesehen. Paris fuhr fort: "Der Captain der Magellan ist gerade in den Ruhestand versetzt worden und der Erste Offizier genießt, nun ja, nicht unser unbedingtes Vertrauen. Sie werden mit sofortiger Wirkung das Kommando übernehmen und spätestens heute um 20:00 starten. Da sich das Schiff gerade in der Inspektion befindet, ist es im Moment natürlich nicht in optimalem Zustand. Es ist weiterhin unmöglich, die reguläre Crew schnell aus dem Urlaub zu holen, sie werden also mit der Bord befindlichen Minimalbesatzung vorlieb nehmen müssen." Paris machte eine kurze Pause, um seine Worte auf Spencer nachwirken zu lassen, dann fuhr er fort: "Ihr Auftrag wird sein, das Kolonistenschiff zu finden und ihm die notwendige Hilfe zukommen zu lassen. Die weitere Details können Sie dem Computer der Magellan entnehmen." Spencer sah nicht ganz glücklich drein, er hatte sich zwar auf einen neuen Auftrag gefreut, Paris' Vorschlag ging aber nicht ganz in die Richtung, die ihm vorgeschwebt war. "Ja, Sir", sagte er trotzdem. "Das wollte ich hören, Commander. Sie sind mit sofortiger Wirkung der neue, kommandierende Offizier der Magellan. Die Crew wird informiert, sie treten ihre neue Stelle sofort an. Das war's." "Ja, Sir." Ohne sich etwas anmerken zu lassen, verließ Spencer das Büro Paris'. Den Weg zurück zu seinem Quartier legte er beinahe mechanisch zurück und versuchte, sich klarzumachen, dass das, was er gerade erlebte, auch wirklich die Realität war. Wie nebenbei fiel ihm auf, dass Counselor Naru ihm kurz nach seinem Verlassen von Paris' Büro begegnete.
"Admiral, ich war in den letzten zweieinhalb Monaten Commander Spencers behandelnder Psychologe. Und meiner Meinung nach ist er im Moment noch nicht wieder in der Lage, ein Kommando zu führen!" "Ist das eine 'Meinung' von Ihnen, Counselor?", fragte Paris drohend. "Admiral." Naru war als Psychologe tagtäglich mit Haarspaltereien beschäftigt, er war nicht sehr erfreut darüber, jetzt auch noch mit Paris auf diesem Niveau über sein Urteil zu diskutieren. Er hatte geahnt, welchen Inhalt die Besprechung Paris' mit Spencer war und deshalb um eine prompte Unterredung gebeten. "Es ist mein fachliches Urteil, Admiral, durch Fakten fundiert. Die Vernichtung der Cousteau und der Tod seiner Führungsoffiziere belastete Spencer schwer, schwerer als es vielleicht den Anschein hat. Zweieinhalb Monate sind nicht viel Zeit für eine psychiatrische Behandlung, er hat Fortschritte gemacht, aber noch nicht genug." "Er machte auf mich einen vollkommen ruhigen Eindruck. So ruhig, wie seit langem nicht mehr", warf Paris ein. "Das täuscht", erwiderte Naru. "Sicher, sein Erscheinungsbild nach außen ist wieder völlig normal, vielleicht ein wenig zu passiv. Und wenn Sie ihn fragen, wird er Ihnen antworten, dass er wieder in der Lage ist, ein Schiff zu führen." "Dann ist ja alles in Ordnung", stellte Paris fest. "Das ist nur oberflächlich. Vor zweieinhalb Monaten war ihm bewusst, dass er Hilfe bräuchte, um mit der Situation fertig zu werden. Jetzt hat er sich inzwischen soweit wieder in der Fassung, nach außen hin völlig normal zu wirken, in Wirklichkeit aber ist er mental immer noch Gefangener seiner Situation, er weiß es nur nicht. Unter dem Deckmantel der Gelöstheit und der Ruhe ist sein Unterbewusstsein fast noch genauso ungeordnet wie vor zweieinhalb Monaten." "Warum haben Sie das nicht behandelt, Counselor?" "Eines nach dem anderen, Admiral. In der Psychologie ist es niemals von Nutzen, übereilt vorzugehen. Zuerst musste ich seine bewussten Reaktionen, seine Wahrnehmung und seine Urteilsfähigkeit normalisieren. Seit einigen Tagen habe ich damit begonnen, die genauen Zustände in Spencers Unterbewusstsein auszuloten, um eine geeignete Behandlungsstrategie zu finden. Und ich kann Ihnen versichern, dass dort noch einiges im Argen liegt." Paris bewegte seinen Stuhl einige Grad nach links und nach rechts und starrte dabei aus dem Fenster. "Counselor, ich habe vollstes Vertrauen in ihre Urteilsfähigkeit, doch hier liegt die Sache anders. Ich brauche Spencer und zwar hier und jetzt, ohne auf seinen Zustand Rücksicht nehmen zu können. Außer natürlich, sie beweisen mir seine Unfähigkeit." Paris richtete einen durchdringenden Blick auf Naru. Naru erwiderte den Blick. "Sie wissen genau, dass ich das nicht kann. Ich bin der einzige, der im Moment weiß, wie es in den Tiefen seines Unterbewusstseins aussieht, beweisen kann ich da allerdings nichts. Ich kann Ihnen nur raten, Admiral, lassen Sie ihn nicht auf diese Mission gehen!" Paris verharrte einige Augenblicke. "Ich habe Ihren Rat gehört und zur Kenntnis genommen, Counselor, aber ich habe meine Gründe für diese Entscheidung. Ich baue auf Spencer und seine Fähigkeiten, mit seinen Problemen fertig zu werden. Sie dürfen gehen, Counselor." Unwillig verließ Naru wieder das Büro des Admirals. Er hatte leider keine Handhabe, Paris zu zwingen, Spencer diese Mission nicht antreten zu lassen. Er konnte Spencer zwar dienstunfähig schreiben, doch wie er bereits im Gespräch mit Paris zugegeben hatte, fehlten ihm klare Belege. Spencers momentane Probleme waren selbst für einen Experten nicht auf den ersten Blick ersichtlich, er war gerade in einer kritischen Phase, in der seine Probleme äußerlich nicht mehr sichtbar waren, innerlich aber sehr wohl präsent. In jedem Fall stand die Mission der Magellan auf dem Spiel, Paris musste gute Gründe haben, die Mission nicht dem Ersten Offizier anzuvertrauen, war doch Spencers Anwesenheit in seinem Zustand alles andere als ein Garant für einen erfolgreichen Verlauf der Mission. Naru war seine Entscheidung, es bei einem Ratschlag Paris gegenüber zu belassen, in der Kürze der Zeit nicht leicht gefallen; er hoffte innerlich, dass er sich geirrt hatte und Spencer im Moment sehr wohl die Fähigkeit besaß, die Mission erfolgreich abzuschließen. 'Ich werde auf jeden Fall mit der Ausarbeitung einer neuen Behandlungsmethode beginnen', dachte er grimmig, als er wieder in seine Praxis zurückkehrte. Brenden bedachte ihn mit seinem fragenden Blick, eine kurze Geste Narus war ausreichend, um die wortlose Frage Brendens zu beantworten. 2Persönliches Logbuch, Commander Spencer, Sternzeit 21474.5: [21.06.2344 16:00:29] Ich bin auf die Magellan für eine Mission abkommandiert worden, um ein Kolonistenschiff zu retten. Es wird nicht leicht werden, da das Schiff sich gerade mitten in einer Inspektion befindet und nur die Minimalbesatzung an Bord ist. Ich bin dennoch froh, endlich eine neue Aufgabe zu haben. Spencer deaktivierte mit einer bedächtigen Handbewegung die Logbuchaufzeichnung, überprüfte ein letztes Mal den Inhalt seiner Tasche und machte sich dann auf den Weg zur Wartungshalle 2. Er wurde am Durchgangskorridor, der zur Magellan führte, erwartet. "Captain Spencer?", fragte eine junge Frau mit kurzgeschnittenem braunen Haar in vorsichtigem Ton. "Ja, der bin ich. Commander, um genau zu sein. Erlaubnis an Bord zu kommen?" Spencer, der üblicherweise wenig von den vorgeschriebenen Floskeln hielt, erlaubte es sich nun, diese zu genießen. "Erlaubnis erteilt. Willkommen an Bord, Captain. Ich bin Lieutenant Karov, Zweiter Sicherheitsoffizier. Ich bringe Sie nun zu ihrem Quartier. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?" Spencer erwiderte nichts. Er wunderte sich, dass der Erste Offizier der Magellan nicht persönlich erschienen war, sondern nur einen Lieutenant jg. schickte, um ihn abzuholen. Während er Karov zu seinem provisorischen Quartier folgte fühlte er sich völlig fremd auf dem Schiff. Die Korridore, die Wänden und die Türen kamen ihm plötzlich unwirklich vor; als ein Crewmitglied vorbeikam, richtete Spencer seinen Blick verwirrt auf ihn, so als gehörte er überhaupt nicht hierhin. Er konnte seinen starr geradeaus gerichteten Blick erst abwenden, als ihn das Crewmitglied bereits passiert hatte. Einige Worte von Paris hallten plötzlich in seinem Schädel nach. 'Das einzige größere Schiff in Reichweite ist die U.S.S. Magellan... ' Wieso, fragte er sich. Gab es keine anderen Schiffe in der Nähe der Viking, die ebenso schnell oder sogar noch schneller zur Stelle sein konnten? War es wirklich erforderlich, speziell für diese Rettungsaktion die Magellan aus der Überholung zu reißen? Oder sollte dies eine Art Testmission für ihn werden? Er konnte zu keinem endgültigen Schluss kommen, weil Karov abrupt stoppte. "Dies ist ihr Quartier, Captain." "Danke, Lieutenant. Wer ist der nach mir ranghöchste Offizier an Bord?" "Commander Bengasi, Sir", antwortete sie. Spencer sah kurz verwundert drein. Das hatte er nicht erwartet, denn wieso sollte man ausgerechnet ihn, einen Commander, zusätzlich auf ein Schiff abkommandieren, welches bereits von einem anderen Commander geführt wurde? "Richten Sie ihm aus, dass ich ihn in zehn Minuten auf der Brücke sprechen möchte", fuhr Spencer nach einigen Sekunden fort, begleitet von einem angedeuteten Kopfnicken. "Ja, Sir." Karov verharrte. Spencer hatte seiner früheren Besatzung beigebracht, selbstständig zu erkennen, wenn er fertig war und deshalb brauchte er jetzt einige weitere Sekunden, um festzustellen, was los war. "Sie dürfen gehen, Lieutenant", entließ er Karov und betrat sein Quartier. Nachdem er sich einige Sekunden ergebnislos umgesehen hatte, stellte er seine Sachen sorgfältig in die Ecke, ließ sich auf einem Stuhl nieder und befragte den Schiffscomputer nach dem Deckplan, der Crewliste und der Einsatzbereitschaft. Er versuchte sich so viel zu merken, wie es unter diesen Umständen und der kurzen Zeit möglich war. Nach einigen Minuten lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Ihn überkam ein unverhofftes Schwindelgefühl. Er schaffte es jedoch, die Benommenheit mit großer, innerer Anstrengung wieder zurückzudrängen indem er sich die präzisen Zahlen der Reaktoreffizienz bei verschiedenen Warpfaktoren wieder ins Gedächtnis rief und sich darauf konzentrierte. Nach kurzer Zeit wagte er es, die Augen wieder zu öffnen, entgegen seiner Befürchtungen konnte er wieder klar denken. Sein Blick streifte den Wandchronometer, dann erhob er sich zögerlich. Auf dem Weg zur Brücke spürte er ein wachsendes Unsicherheitsgefühl, er konnte es sich selbst nicht erklären. Er nahm sich fest vor, überlegt, beherrscht und nicht zu übereilt vorzugehen. Die nächsten Minuten würden die entscheidenden sein, dabei ging es nicht nur um die Mission, sondern auch um seine persönliche Zukunft als Kommandant, soviel war Spencer klar. Die Aufzugtüren öffneten sich vor ihm und genau in dem Augenblick wurde er sich plötzlich bewusst, was dieser eine Schritt aus der Liftkabine heraus auf die Brücke wirklich bedeutete, dass wieder die volle Verantwortung für ein Schiff auf ihm lastete, dass jeder seine Anweisungen erwartete und dass das Schicksal der Viking und aller vierhundertundfünfzig Kolonisten an Bord nun allein in seinen Händen ruhte. Ihm brach unvermittelt kalter Schweiß aus, sein Herz raste und seine Hände zitterten, die schiere Präsenz und die Mächtigkeit dieser Gedanken machten ihm Angst. Nach einem Moment der Hilflosigkeit ballte er die rechte Hand zur Faust und versuchte, seiner Sinne wieder Herr zu werden, noch bevor jemand seinen Zustand bemerkte. Er verließ die Liftkabine vollends und schrak zusammen, als sich die Aufzugtüren hinter ihm mit einem lauten Zischen schlossen. "Captain auf der Brücke!", hörte er einen lautstarken Ruf von Karov. Damit erwischte sie Spencer sehr zu seinem Missfallen auf dem falschen Fuß, gerade als er durch eigene Worte seine Erstarrung abschütteln und wieder Herr über seine Sinne werden wollte. Er hatte diesen Ruf weder auf der Enterprise, noch auf seinem Schiff, der Cousteau, erlebt oder erlaubt. Nur auf seinem allerersten Schiff, der Zephram Cochrane, hatte er während seiner damals sehr seltenen Brückenschichten als Ingenieursfähnrich beobachten können, dass auf die Ankunft des kommandierenden Offiziers auf der Brücke auf diese Weise aufmerksam gemacht wurde. Nach diesem kurzen Erinnerungs-'Flash' rief er jetzt instinktiv: "Weitermachen!", genau wie es sein damaliger Captain auch immer getan hatte. Nach diesem einen, befreienden Wort hatte er genügend Sicherheit wiedergefunden, um sich zumindest die Zeit zu nehmen, die er brauchte, um seine Umgebung bewusst mit einigen verzweifelt ruhigen Blicken zu erfassen. Er stand auf einer Brücke in traditionellem Design, welches bereits zu Zeiten der Constitution-Klasse vor knapp einhundert Jahren üblich gewesen war: Vor dem Hauptschirm waren zwei Pulte aufgebaut, aus seiner Sicht links das für Navigation und rechts die taktische Konsole. Den zentralen Punkt in der Mitte nahm der Kommandosessel ein, an den Wänden entlang waren Pulte für Wissenschaft, Kommunikation und Maschinenraum montiert. "Wer von ihnen ist Commander Bengasi?", fragte Spencer in gemessenem Tonfall; er hoffte, dass ihm von außen nicht anzusehen war, was wirklich in ihm vorging. Ein Mann, der einige Jahre älter als Spencer war, wandte sich um. Spencer vermochte nicht, ihn auf Anhieb einzuschätzen, seine gerade eingedämmte Unsicherheit wuchs wieder aufgrund Bengasis starrem Blick. "Ich bin Commander Bengasi, Sir. Willkommen an Bord, Captain." Eine Spur Ironie mischte sich in Bengasis letzte Worte. Spencer musterte ihn kurz und spürte dabei die Blicke der übrigen Brückenbesatzung auf sich ruhen. "Danke, Commander. Auf gute Zusammenarbeit." Er konnte nicht die Kraft aufbringen, sich gegen Bengasis verborgene Andeutungen zur Wehr zu setzen, er musste sie in seiner momentanen Verfassung hinnehmen und zog sich wie automatisch auf die Floskel zurück, die bei dieser Gelegenheit üblicherweise angewendet wurde. Nach einigen Sekunden schritt er wortlos zur Wissenschaftskonsole, er fühlte den unbändigen Drang, etwas tun zu müssen. "Computer. Übertrage Kommandocodes auf Spencer, Commander Robert Andrew." "Sicherheitsüberprüfung notwendig", antwortete der Computer. "Bereithalten für Retina-Abtastung." Spencer neigte seinen Kopf leicht, um dem Computer eine Abtastung seiner Netzhaut mit einem gebündelten, roten Strahl zu ermöglichen, die einige Sekunden in Anspruch nahm. "Identität bestätigt. Übertrage Kommandocodes. Bitte Sicherheitscode festlegen!", forderte der Computer Spencer auf. Bei der Eingabe seines persönlichen Codes achtete er unbewusst darauf, dass ihm dabei niemand über die Schulter sah, warum, konnte er sich selbst nicht erklären. Ein seltsames Glücksgefühl überkam ihn plötzlich, nachdem er die letzte Ziffer eingegeben und der Computer gemeldet hatte, dass die die Kommandoübertragung erfolgreich verlaufen wäre. Ebenso plötzlich war das Gefühl wieder verschwunden. Spencer schüttelte sich beinahe unmerklich. Dann wandte er sich wieder an Bengasi und bemühte sich dabei mit nicht uneingeschränktem Erfolg um eine ruhige, gesetzte Sprechweise: "Vermerken Sie meine Kommandoübernahme im Logbuch und informieren Sie die Abteilungsleiter, dass ich sie gerne alle in einer Viertelstunde im Besprechungsraum sehen würde. Sie haben die Brücke, Commander." Ohne auf eine Reaktion Bengasis zu warten, verschwand Spencer wie angekündigt im Besprechungsraum und bemerkte deshalb das feindselige Funkeln in Bengasis Augen nicht. Dort gestand sich Spencer einige Sekunden der absoluten Stille und Regungslosigkeit ein. Die ersten Momente auf einer fremden Brücke gegenüber einer unbekannten Crew waren bekanntlich die wichtigsten, der 'erste Eindruck', war der, der zählte. Und er konnte sich nicht vorstellen, mit seinem Auftritt gerade einen sonderlich guten ersten Eindruck hinterlassen zu haben. Kein wünschenswerter Beginn für die Mission Eins nach der Cousteau... Als sich seine Pulsfrequenz wieder einigermaßen normalisiert hatte, warf Spencer als erstes einen flüchtigen Blick auf alle Dienstakten der anwesenden Offiziere. Die Beschäftigung mit greifbaren, nüchternen Daten, Fakten und Ereignissen half seinem Geist, wieder ruhiger zu werden und in normaleren Bahnen zu denken. Sein Erster Offizier Achmed Bengasi hatte eine recht steile Karriere hinter sich, bis zum Rang eines Captains sogar. Vor einem halben Jahr aber wurde er, während er Kommandant der Cenurix war, des Kommandos enthoben und zum Commander degradiert, als Grund waren nur die beiden Worte 'Brechtian-Zwischenfall' angegeben. Als Spencer weitere Informationen einholen wollte, stellte er fest, dass die entsprechende Information vertraulich war und auch nicht gegen Eingabe seines Sicherheitscodes einzusehen war. Weder der Name Cenurix, noch der 'Brechtian-Zwischenfall' löste in ihm eine spontane Erinnerung aus und für eine ausführliche Recherche in den üblichen Datenbanken fehlte die Zeit. Außerdem würde sie mit großer Wahrscheinlichkeit sowieso ergebnislos verlaufen. Spencer rieb sich nachdenklich das Kinn. Er begann zu ahnen, was Paris mit seiner seltsamen Andeutung vorhin bei der Besprechung gemeint hatte und was der wahre Grund für seine Anwesenheit auf der Magellan war. Nach einigen abschließenden und sehr nachdenklichen Sekunden entfernte Spencer die Akte Bengasis vom Bildschirm und ersetzte sie durch das Dossier des Chefingenieurs, Folke Bengtsson. Er war Lieutenant in den mittleren Jahren und im Moment rangmäßige Nummer Drei auf der Magellan. Das Fehlen von Auszeichnungen wies auf einen recht mittelmäßigen Offizier ohne große Ambitionen hin. Dagegen war die Akte über sein Empfangskomitee, Lieutenant Nataljia Karov, trotz ihrer jungen Jahre recht umfangreich. Aus den Einträgen gewann Spencer den Eindruck, dass sie öfter recht unbeherrscht und unbedacht reagiert hatte, wenn es Anweisungen zu befolgen galt, die ihr nicht gefielen oder einleuchten wollten. Bereits auf der Akademie hatte es bei einer Übung einen Zwischenfall mit Verletzten gegeben, an dem sie für mitschuldig gehalten wurde. Auf den ersten Blick hatte Spencer sie als vernünftiger eingeschätzt, er nahm sich vor, ihr, genau wie bei Bengasi, mit gebotener Vorsicht zu begegnen. Für Steuerung, Kommunikation und Wissenschaftskonsole standen 'nur' einige junge Fähnriche mit recht durchschnittlichen Abschlüssen der Akademie vor zwei bis zwölf Jahren zur Verfügung, die höheren Offiziere und Spezialisten der entsprechenden Abteilungen befanden sich im Urlaub. Über keinen von ihnen gab es weitere nennenswerte Einträge. Spencer schloss das Verzeichnis, atmete einmal tief aus und schnitt eine leichte Grimasse. Er wollte sich gerade dem aktuellen Schiffszustand widmen, als die Abteilungsleiter wie angefordert eintrafen. Verwundert riskierte Spencer einen kurzen Blick auf die Datumsanzeige und erschrak, da die Viertelstunde tatsächlich bereits vergangen war. Nach seiner inneren Uhr hätte er höchstens auf zehn Minuten getippt. Ihm blieb jetzt keine Zeit mehr, sich auf die Konferenz vorzubereiten, er musste improvisieren, etwas was ihm in seiner momentanen Verfassung äußerst schwer fiel. "Nehmen Sie Platz, meine Damen und Herren!" Spencers Ton geriet durch seine Bestrebungen, nach außen hin normal zu wirken, eine Spur zu kühl. Er ließ seinen Blick kurz durch die Runde schweifen, die Atmosphäre im Raum war weit davon entfernt, angenehm zu wirken, wäre die Beleuchtung eine Spur düsterer gewesen, hätte man sie als unheimlich bezeichnen können. "Für alle, die mich noch nicht kennen, ich bin ihr neuer Kommandant, Commander Spencer. Mein Auftrag lautet, dieses Schiff für eine Mission zu übernehmen, für folgende Mission." Spencer machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: "Das Kolonistenschiff Viking mit vierhundertfünfzig Menschen an Bord ist in einen Plasmasturm geraten, jeder Kontakt zu ihm ist abgebrochen. Es liegt nun in unserer Hand, sie zu finden und zu retten. Mir ist klar, dass dies unter den gegebenen Umständen nicht einfach sein wird, auch wenn sie das nicht davon abhalten sollte, ihr Bestes zu geben." Spencer hielt kurz inne, er hatte den Faden verloren und musste sich rasch über das klar werden, was noch zu sagen wäre. "Wir müssen spätestens um 20:00 starten, also in knapp vier Stunden. Das ist nicht viel Zeit, das ist mir bewusst, ich kann es aber nicht ändern. Commander Bengasi, wie ist die Lage an Bord?" Bengasi, der wie beinahe alle anderen die Ausführungen Spencers mit steinernem Blick verfolgt hatte, antwortete in hartem Ton. "Das Schiff ist nur teilweise einsatzbereit. Wir haben so gerade die Minimalbesatzung an Bord, zehn Offiziere und zweiundfünfzig von der Mannschaft." Auf Schiffen der Constellation-Klasse dienten üblicherweise fünfzig Offiziere und dreihundert Mannschaftsmitglieder, so erinnerte sich Spencer. "Wir können die wichtigsten Stationen mit drei Schichten ausreichend besetzen", fuhr Bengasi fort. "Nur im medizinischen Bereich sind wir knapp, eine Assistenzärztin und zwei Techniker, das ist alles. Unsere Reaktionsfähigkeit in allen Abteilungen ist also stark eingeschränkt, Captain." Er bedachte Spencer mit einem durchdringenden, frostigen Blick und schien keine Anstalten zu machen, auch nur daran zu denken, fortzufahren. Spencer wich seinem Blick aus. "Danke erstmal, Commander. Erstellen Sie einen provisorischen Schichtplan." Er sah Bengasi abwartend an, dieser nickte und lehnte sich kühl und überlegen zurück. "Lieutenant, wie sieht's im Moment bei Ihnen aus?", fragte Spencer nun Chefingenieur Bengtsson. "Durchwachsen, Sir", begann Bengtsson bedächtig. "Die Primärsysteme sind soweit in Ordnung, frisch überholt. Der Impulsantrieb befindet sich mitten im Umbau und ist im noch nicht einsatzbereit, das gleiche gilt für die meisten Sekundärsysteme. Streng genommen dürften wir so wie es im Moment aussieht, gar nicht auslaufen, weil der Schiffszustand nicht den Mindestvorschriften entspricht." Spencer nickte verständnisvoll, die Zeit brauchte er, um sich nach Bengasis wortlosem Angriff wieder zu erholen. "Ich verstehe, Mr. Bengtsson. Darauf werde ich leider keine Rücksicht nehmen können." "Das sollten sie aber...", hörte er ein leises Murmeln aus Bengasis Richtung. Spencer brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was gerade passiert war. "Das werde ich aber nicht", entfuhr es Spencer in einem beinahe singenden Tonfall. Er blickte Bengasi dabei mit großen Augen an, aber nur für ein, zwei Sekunden. Dann wandte er sich, nach außen hin wieder die Ruhe selbst, Bengtsson zu. "Sehen Sie zu, daß Sie den Impulsantrieb wieder ans Laufen bekommen. Für weitere Details komme ich später auf Sie zurück. Wie groß ist ihr Bestand an Ingenieuren? Ich meine die Ingenieure, die nicht zur Sternenbasis gehören?" "Acht, Sir. Mich eingeschlossen", antwortete Bengtsson. "Und wieviele brauchen Sie für die Überwachung der Antriebssysteme?" "Eigentlich vier pro Schicht, Sir." Da die Magellan wie alle Schiffe ihrer Klasse mit vier anstatt der üblichen zwei Warpgondeln ausgerüstet war, waren auch im Normalfall ein gut funktionierender Computer und eine gewisse Zahl von überwachenden Ingenieuren notwendig, um ein stabiles Warpfeld auf die Dauer aufrechtzuerhalten. In der momentanen Situation kam noch verschärfend hinzu, dass die entsprechenden Systeme gerade neu eingebaut worden sind und demnach noch nicht ausgetestet werden konnten. Es war also ganz natürlich, dass Bengtsson es vorzog, auf Nummer Sicher zu gehen. "Vorerst müssen sie mit einem, allenfalls zweien auskommen. Die Systeme halten mehr aus, als man im Allgemeinen denkt", beschloss Spencer. "Die anderen werden das Schiff weiter in Form bringen. Sehen Sie zu, dass wir pünktlich auslaufen können." Bengtsson nickte nur. "Aye, Sir." Er hatte vorhin anscheinend nur gewohnheitsmäßig die Vorschriften zitiert und sah jetzt die Notwendigkeit ein, sie etwas flexibler auslegen zu müssen. Andererseits hätte Spencer an seiner Stelle zumindest seinen Unmut darüber kundgetan und es nicht einfach kommentarlos hingenommen. "Danke." Spencer war trotzdem zufrieden, jetzt und hier mit dem Chefingenieur nicht alles ausdiskutieren zu müssen, vor allen Dingen nicht in seiner momentanen Gemütsverfassung. Dann sah er Karov an. "Was ist mit den taktischen Systemen?" "Deflektoren und Schilde sind einsatzbereit, aber nicht auf 100%. Phaser ebenfalls. Torpedos sind in Reparatur und außer Betrieb." Sie fasste sich kurz und erlaubte sich einen minimalen Witz. Spencer nahm ihn nicht weiter zur Kenntnis, sondern sagte einfach nur: "Danke. Steuerung?" Er richtete seinen Blick ins Leere, weil er jetzt nicht genau wusste, wen er ansprechen sollte, diese begründete Unsicherheit empfand er immerhin als positiver die die unbegründete, mit der er seit seiner Ankunft auf der Brücke der Magellan zu kämpfen hatte. "Fähnrich Austin, Sir" Eine hochgewachsene. junge Frau meldete sich. Ihre rotblonden Haare waren in einem kunstvollen Knoten mit einer auffälligen Haarspange zusammengebunden. "Steuerungssysteme in Ordnung, Sir. Personal für alle drei Schichten verfügbar, Sir." "Danke, Fähnrich." sagte Spencer knapp. Er war nicht sonderlich angetan von der übertrieben korrekten Sprechweise Austins. "Übrigens... Sind Ihnen die aktuellen Vorschriften der Sternenflotte bekannt? Diejenigen, die die Kleiderordnung betreffen?" Er konnte sich in dem Moment, in dem er die Worte ausgesprochen hatte, selber nicht erklären, warum er es getan hatte, denn an sich war der Haarschmuck Austins ohne Bedeutung für ihn. Doch einmal ausgesprochene Worte konnte er nicht wieder zurücknehmen, ohne noch mehr an Gesicht zu verlieren. Austin brauchte ein, zwei Sekunden, bis sie verstanden hatte. Sie nestelte nervös an ihrer Haarspange, bemühte sich, sich rasch von ihr zu befreien und murmelte einige Worte der Entschuldigung. Bengasi bedachte Spencer mit einem grimmigen Blick, den dieser aber nicht wahrnahm. "Wissenschaftsabteilung?", fuhr Spencer unbeirrt fort. "Fähnrich Bernhard, Sir." Ein junger Mann mit bereits gelichtetem Haupthaar antwortete. "Es sind leider nur zwei Leute für die Besetzung der Station verfügbar. Die Sensorensysteme sind auf 80%." "Zwei sind auf jeden Fall zu wenig für diese Mission, denn wenn wir etwas brauchen, dann werden es die Sensorensysteme sein. Versuchen Sie, noch jemanden zu bekommen." "Ja, Sir." Bernhard blieb ruhig und übertrieb es nicht mit Förmlichkeit. Das gefiel Spencer, der hoffte, sich jetzt endlich im Zaum halten zu können, besser. "Kommunikation?" "Fähnrich Quentin. Kommunikationssysteme arbeiten unregelmäßig. Und nicht erst seit Beginn der Überholung." Fähnrich Quentin machte den Eindruck eines recht lockeren Offiziers. "Seit wann genau, Fähnrich?" Spencer bemühte sich, nicht allzu viel Schärfe in seine Stimme zu legen. "Seit einem Monat, Sir." Quentin war jetzt ernst. "Und warum wird das System nicht repariert?", fragte Spencer dann halb Quentin, halb Bengtsson. Bengasi blitzte Spencer wieder kurz an, was dieser aber nicht bemerkte. Bengtsson antwortete: "Wir können den Fehler nicht finden. Wir hofften, das Problem bei der Überholung endlich loszuwerden." "Mhm." Spencer nickte. Er wusste nicht so recht, was er von der Sache halten sollte. Ein Fehler, der nach einem Monat immer noch nicht gefunden wurde... Er überlegte angestrengt. Hätte ihn sein Zeitgefühl vorhin nicht getrogen, hätte er sich besser auf diese Konferenz vorbereiten können, dann hätte er auch gewusst, wie es jetzt weitergehen müsste. Das Gefühl der Beklommenheit, dass er in den letzten Minuten besiegt zu haben glaubte, kehrte zurück. "Das wär's fürs erste. Sie wissen alle, was sie zu tun haben? Oder liegt sonst noch etwas an, von dem ich wissen sollte?" Niemand reagierte, also schloss er mit tiefer Erleichterung die Konferenz. Als er als letzter auf der Brücke trat, konnte er sich des Eindrucks nicht erwehren, als hätte sich Bengasi der Macht der Gewohnheit folgend im Kommandosessel niederlassen wollen und dies nur durch ein konzentriertes Anlehnen am Brückengeländer verhindern können. Spencer verkniff sich einen Kommentar und nahm selbst Platz. Er sah sich einige Sekunden auf seinem neuen Arbeitsplatz um. Alles schien in bester Ordnung zu sein. Er lehnte sich zurück und atmete tief aus, zur rechten inneren Ruhe wollte er aber nicht finden. Wie aus einem Instinkt heraus aktivierte er die Logbuchaufzeichnung. 3Logbuch der Magellan, Sternzeit 21474.6, Commander Spencer: [21.06.2344 16:53:11] Ich habe das Kommando über das Schiff vor einer halben Stunde übernommen. Die gesamte Crew arbeitet fieberhaft daran, das Schiff notdürftig für ein Auslaufen vorzubereiten. Trotz des Schiffszustandes und der spürbaren Unterbesetzung werde ich auf jeden Fall spätestens um 20:00 planmäßig den Startbefehl geben. Spencer schaltete den Rekorder aus und versuchte nach der für ihn recht aufreibenden Konferenz etwas Abstand zu gewinnen und die Situation mit objektiven Augen zu betrachten. Ein vages Gefühl aus seinem Inneren mischte sich in seine Versuche, seine Vernunft zu befragen, ja, es hielt ihn sogar davon ab. In diesem Augenblick beschloss er, eine eingehendere Unterhaltung mit Bengtsson im Maschinenraum zu führen und danach bei den Reparaturen zu helfen. Für einen kurzen Moment blitzte ihn ihm die Erkenntnis auf, dass es eigentlich nur zur Verdrängung unangenehmer Gedanken geschah, doch dann war diese auch schon wieder zerflossen. "Sie haben die Brücke, Commander!", verabschiedete sich Spencer. Nachdem er den Turbolift betreten, aber noch bevor sich die Lifttüren geschlossen hatten, sah er Bengasi bereits im Kommandosessel sitzen, er musste blitzartig seine Position eingenommen haben, so als hätte er seit Verlassen des Konferenzraums nichts Anderes im Sinn gehabt. Mit verkniffener Miene fuhr er abwärts, das Verhalten Bengasis verhieß nichts Gutes für die nahe Zukunft. Er sollte dringend etwas zur Verbesserung seines Verhältnisses zu Bengasi tun, aber was?
Bengasi hatte sich nach Spencers überraschendem Aufbruch ohne Umschweife im Kommandosessel niedergelassen, er strahlte vollste Ruhe und Gelassenheit aus. "Komischer Vogel", murmelte er in reduzierter, aber für die Ohren der anwesenden Personen immer noch gut vernehmbarer Lautstärke. Es erfolgte keine sichtbare Reaktion auf Bengasis Äußerung, nur Karov verzog andeutungsweise und unsichtbar für Bengasi die Mundwinkel.
Nachdem der Lift an seinem Ziel angekommen war, steuerte Spencer direkt auf den Eingang zum Maschinenraum zu. Der Raum war wesentlich größer und vor allen Dingen höher als die Maschinenräume, die Spencer von der Cousteau und der Enterprise noch in Erinnerung hatte. Für einen Moment blickte sich Spencer orientierungslos um, bis er den Chefingenieur schließlich an einem Computerterminal fand, an dem dieser gerade die Materie- und Antimatierieleitungen zum Warpkern überprüfte. "Mr. Bengtsson!" Spencer tat es zwar leid, ihn erschrecken zu müssen, aber ihm war im Moment nicht nach großen Begrüßungsreden zumute. Bengtsson wandte sich fragend um. "Captain?" "Ich hätte gerne genauere Informationen über den Schiffszustand. Und besteht die Möglichkeit, Ihnen bei Ihren Reparaturen zu helfen?", fragte Spencer. Er hoffte, auf Bengtsson jetzt einen aufgeräumteren Eindruck zu machen, denn wenn er sich auf jemanden verlassen können musste, dann auf seinen Chefingenieur, insbesondere beim momentanen Zustand des Schiffes und dieser Mission. "Sie, Sir?" "Ja, Mr. Bengtsson. Ich war auch mal Chefingenieur. Auf der Enterprise-B. Also?" "Natürlich, Sir." Bengtsson fasste sich schnell. "Lebenserhaltung, strukturelles Integritätsfeld, Trägheitsdämpfung, Umweltkontrollen sind bereits überholt und nagelneu. Nagelneu bedeutet natürlich auch, dass diese Systeme praktisch noch nicht getestet wurden. Der Warpantrieb braucht noch ein gewisses Feintuning, Warp 3 kann ich garantieren, mehr vorerst nicht. Impulstriebwerke werden gerade repariert und sollten bis 20:00 fertig sein. Die Kommunikation bleibt unzuverlässig, Transporter sind OK, Sensoren werden kalibriert." "Ich danke Ihnen. Was gäbe es denn zu tun?" Die Aussicht auf 'einfache' Arbeit, auf Probleme, die sich durch logisches Nachdenken lösen lassen und die nicht die Gesellschaft von mehr oder weniger freundlich gestimmten Personen erforderte, erfüllte Spencer mit etwas wie Sicherheit und Zuversicht. Bengtsson überlegte, er war wohl nicht darauf vorbereitet, seinen neuen Kommandanten gleich als Ingenieur einzusetzen. "Hm." Er kratzte sich an seinem Drei-Tage Bart. "Ich habe im Moment alle bei den Impulstriebwerken. Vielleicht könnten Sie die Warptriebwerke ein wenig feinjustieren. Achten Sie bitte besonders auf die Plasmainjektoren. Wir hatten da öfter leichte Funktionsstörungen." "Aber ja." Spencer war erfreut. "Die Kontrollen befinden sich auf Deck 17, soviel weiß ich. Welche Sektion ist es genau?" "Deck 17 stimmt, Sir. Es ist Sektion 8J", antwortete Bengtsson ohne eine Miene zu verziehen. "Danke, Lieutenant", verabschiedete sich Spencer und machte sich auf den Weg zu der angegebenen Sektion. Bengtsson sah ihm mit einem kalten Blick nach, ihm war scheinbar nicht sonderlich wohl bei dem Gedanken, Spencer an 'seinen' Warpmaschinen hantieren zu lassen.
Spencer war währenddessen auf den Weg zur angegebenen Sektion und machte sich an die Arbeit. Er empfand es beinahe als Erholung, die nächste Zeit allein mit sich und den Kontrollen des Warpantriebs zu sein, besonderes Augenmerk richtete auf die Plasmainjektoren und korrigierte dort einige Grundeinstellungen, die er als mitverantwortlich für die von Bengtsson geschilderten Probleme erachtete. Nachdem er nach zwei Stunden harter Arbeit den Antrieb immerhin soweit hatte, dass seiner Meinung nach Warp 5 ohne Probleme gehalten werden konnte, entschied er sich, es vorerst dabei zu belassen und sich in seinem Bereitschaftsraum um die unausweichlichen Formalien einer Kommandoübernahme zu kümmern, denen er bisher noch gar keine Aufmerksamkeit gewidmet hatte. "Captain auf der Brücke!", rief dieses Mal Austin vom Steuerpult. Karov war nicht anwesend, die taktische Station unbesetzt. Spencer verharrte kurz, er erwartete für zweite Ankunft auf der Brücke eine neuerliche, unkontrollierbare Gefühlswelle, wurde aber positiv überrascht, als diese ausblieb. Nur ein leichtes, nicht weiter bestimmbares Unbehagen war zu spüren. "Vielen Dank, Fähnrich. In Zukunft können wir allerdings auf diesen Ausruf verzichten, denke ich." Austin starrte kurz ungläubig, sagte aber nur. "Ja, Sir." Bengasi wollte sich erheben, um seinen Platz zu räumen, Spencer winkte ab. "Bleiben Sie ruhig sitzen, Commander. Ich bin nebenan, die Routinearbeit erledigen." Bengasi nickte und schaute wieder auf den Hauptschirm, wobei er ein kurzes hämisches Grinsen zeigte, kurz genug, so dass es niemand bemerkte. Ohne Bengasi eines weiteren Blickes zu würdigen betrat Spencer den Bereitschaftsraum des Captains, eine Annehmlichkeit, auf die er in der letzten Zeit an Bord der Cousteau hatte verzichten müssen. Nachdem er den Raum betreten hatte, kniff er die Augen ein, zwei Mal zusammen und öffnete sie dann wieder, um festzustellen, ob ihm seine Sinne einen Streich spielen wollten. Der Raum war fast vollständig leer, ein Schreibtisch und mehrere Stühle waren die einzigen Einrichtungsgegenstände, sogar das obligatorische Computerterminal fehlte. Er ließ sich betont entspannt auf dem einen Stuhl hinter dem Tisch nieder, er wollte unter allen Umständen vermeiden, sich aufzuregen, denn es war für ihn klar, dass Absicht dahinter steckte. Bengasi hatte sich wohl in Erwartung des permanenten Kommandos bereits häuslich eingerichtet und den Raum dann vollständig ausgeräumt, als er von Spencers plötzlicher Abkommandierung erfahren hatte. "Spencer an Brücke!" Einen Intercomanschluss gab es auch, dieser war aber am Tisch fest installiert. "Brücke, Commander Bengasi", meldete sich eine Stimme vorschriftsmäßig aus dem Intercom und sie klang dabei völlig ahnungslos. Spencer parierte die Provokation seitens Bengasi ohne weiter darüber nachzudenken. "Commander, was glauben Sie? Warum habe ich mich gerade gemeldet?" "Sie werden es mir bestimmt sagen, Captain." Auch Bengasi ließ sich nicht provozieren, nicht so einfach jedenfalls. Spencer schüttelte sich kurz, er glaubte, die Kälte, die Bengasi in seine Worte packte, förmlich spüren zu können. "Ich hätte nur gerne ein Computerterminal in meinem Raum", antwortete Spencer jetzt in ruhigem, vernünftigem Ton. Eine törichte Person in einer Unterhaltung war genug... "Sofort, Sir", bestätigte Bengasi mit unverändert abschreckender Kühle in der Stimme. Spencer beendete die Verbindung und lehnte sich zurück. Er wusste nicht so recht, was er mit der Situation anfangen sollte. Bengasi hatte von vornherein keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen ihn gemacht, doch für ein klärendes Gespräch unter vier Augen fand Spencer es noch zu früh. Er vertraute auf die Einsichtsfähigkeit Bengasis und hoffte, dass sich alles wieder normalisierte, sobald sie einmal unterwegs waren. Fähnrich Bernhard erschien mit dem angeforderten Computer. Er stellte ihn Spencer wortlos auf den Tisch. "Danke Fähnrich. Konnten Sie schon jemanden für die dritte Schicht auftreiben?" "Leider nein, Sir. Fähnrich Godoy und ich werden uns wohl in Doppelschichten abwechseln müssen." Spencer schüttelte den Kopf. "Kommt nicht in Frage. Entweder hängt die Viking immer noch in einem Plasmasturm fest oder sie wurde durch den Sturm irgendwo in den Sektor verschlagen. In jedem Fall müssen wir sie suchen. Dabei kann ich kein übermüdetes Sensorpersonal brauchen. Ich kümmere mich darum." "Ja, Sir. Danke." Bernhard verschwand wieder. Spencer startete den Computer und stellte eine Verbindung zum Hauptcomputer der Sternenbasis her. "Commander Spencer an Admiral Paris!" Nach einiger Zeit erschien das Bild des Admirals auf dem Bildschirm. "Ja, Commander?", fragte Paris schneidend. "Sir, ich brauche dringend noch jemanden, der mit Sensoren umgehen kann. Wir haben nur zwei Leute, das sind zu wenig." "Es ist niemand verfügbar", sagte Paris knapp. Spencer wollte unbeherrscht auffahren, konnte sich aber im Zaum halten. "Sir, wenn wir bei der Suche nach der Viking etwas brauchen, dann die Sensoren. Und ausgeschlafenes Personal." "Und wie stellen Sie sich das vor, Commander? Wo soll ich jemanden in der kurzen Zeit auftreiben?", fragte Paris nun zurück. "Admiral, soll diese Mission ein Erfolg werden? Wenn ja, dann brauche ich noch jemanden für die Sensoren." Spencers Stimme zitterte kaum merklich, er hatte mit keinen großen Schwierigkeiten von Paris' Seite gerechnet und war jetzt deswegen neuerlich verunsichert, ihm fehlte die 'Rückendeckung' von Paris, seinem Vorgesetzten. Paris überlegte. "Warten Sie einen Augenblick." Zeitgleich mit dieser Aussage ersetzte das Emblem der Sternenflotte das Bild von Paris auf dem Computermonitor auf Spencers Tisch. Spencer trommelte unruhig mit den Fingern auf die Tischplatte, während Paris die aktuellen Dienstpläne konsultierte und überlegte, welchen seiner Wissenschaftsoffiziere er zur Unterstützung auf die Magellan entsenden sollte. Nach etwa einer Minute meldete sich Paris wieder. "Commander, ich werde schicke Ihnen einen von meinen Leuten hinüberschicken, Fähnrich Colotti. Er müßte in einigen Minuten bei Ihnen eintreffen." "Danke, Admiral. Spencer Ende." Spencer schloss den Kanal, wesentlich zufriedener als vor diesem Gespräch, welches ihm ein erstes Erfolgserlebnis an diesem Tag beschert hatte. Er fuhr fort, die zum Auslaufen notwendigen Formalitäten zu erledigen.
"Paris an Counselor Naru!" Naru, der in seinem Büro saß und sich gerade auf eine in Kürze anstehende Sitzung mit einem Patienten vorbereitete, sah auf und aktivierte den Monitor, den das Konterfei Paris' prompt bildschirmfüllend zierte. "Hier Naru. Admiral?" "Ich habe gerade ein Gespräch mit Spencer geführt und sein Verhalten scheint darauf hinzudeuten, dass Sie sich wohl geirrt haben. Er wirkte normal, völlig ruhig und beherrscht. Ich kann Ihnen eine Aufzeichnung zukommen lassen, wenn Sie möchten", schlug Paris vor. "Gerne, Admiral. Ich würde mich freuen, wenn meine Einschätzung wirklich falsch gewesen sein sollte", antwortete Naru, dem das Wohlergehen Spencers mehr am Herzen lag als die unbedingte Richtigkeit seiner eigenen Expertise. "In Ordnung, Counselor. Paris Ende." Naru erwartete die Datenübertragung, die auch prompt durchgeführt wurde und sah sich den Wortwechsel zwischen Spencer und Paris mehrfach an. Die ausgeglichenen und bedächtigen Reaktionen Spencers auf die wie üblich schroffen, direkten Aussagen von Paris schienen die Ansicht Paris' zu bestätigen. Er konnte dennoch das Gefühl nicht loswerden, dass das Auftreten Spencers nicht das war, was es zu sein vorgab; der Teufel musste im Detail stecken, allerdings so gut verborgen, dass Naru ihn nicht entdecken konnte. Sichtlich unzufrieden fuhr er mit den Vorbereitungen auf seine nächste Sitzung fort. 4Logbuch der Magellan, Sternzeit 21474.9, Commander Spencer: [21.06.2344 19:31:18] Alle unabdingbaren Reparaturen sind abgeschlossen, die dringenden und notwendigen werden folgen. Wir werden in Kürze beginnen, nach dem verschwundenen Kolonistenschiff Viking zu suchen. Vierhundertfünfzig Leben hängen davon ab, ob wir Erfolg haben. Spencer saß mit undurchschaubarer Miene im Kommandosessel, beendete die Logbuchaufzeichnung und warf einen Blick auf den momentanen Schiffszustand. Der Impulsantrieb war zu drei Vierteln repariert und Bengtsson, der für den Start seinen Platz an der Ingenieurskonsole eingenommen hatte, war zuversichtlich, den Impulsantrieb in zwei Stunden auf voller Leistung fahren zu können. Spencer hatte sich daraufhin entschlossen, den Start eine halbe Stunde vorzuziehen, da alle weiteren Schäden laut Aussage Bengtssons auch mit Bordmitteln zu reparieren waren. Quentin meldete sich von der Kommunikationskonsole. "Captain, wir haben Startfreigabe!" "Bereit, Mr. Bengtsson?", fragte Spencer ein letztes Mal, er brauchte die Sicherheit, die ihm die folgende Antwort des Chefingenieurs gab. "Bereit, Sir." "Also gut. Verankerungen lösen." Bernhard betätigte einige Tasten und meldete dann: "Verankerungen gelöst." Spencer bekam plötzlich den Eindruck, etwas Wichtiges, etwas Entscheidendes vergessen zu haben, konnte das bloße Gefühl aber nicht präzisieren. Es kostete ihn hörbar einiges an Mühe, den nächsten Befehl zu erteilen. "Fähnrich Austin, bringen Sie uns aus dem Dock mit ¼ Impulskraft!" Widerwillig befolgte Austin den Befehl, sie wusste ebenso wie alle anderen, dass im Dock keine Impulsmaschinen erlaubt waren. "Die Manöverdüsen funktionieren ja nun nicht", ließ sich Bengasi missbilligend vernehmen. Spencer verzichtete auf eine Reaktion seinerseits, er hätte ohnehin keine passende Erwiderung parat gehabt und dass, obwohl der in Bengasis Bemerkung enthaltene Vorwurf unzutreffend war und eine reine Provokation darstellte. Die Magellan durchquerte die Wartungshalle und passierte die weit offen stehenden Außentore in Richtung des Weltraumes, langsam zwar, aber doch ein wenig schneller als erlaubt. Nach einiger Zeit meldete Austin. "Haben Sternenbasis verlassen. Kurs, Sir?" "Setzen Sie Kurs auf den letzten bekannten Aufenthaltsort der Viking. Wir werden dort systematisch mit der Suche beginnen. Bereit für Warp 5?" Bengtsson antwortete. "Bereit für Warp 5.5, Sir." Spencer zog überrascht die Augenbrauen hoch, ein anerkennendes Zeichen für Bengtsson. "Sehr gut!" Er gab den Befehl zur Beschleunigung auf Warpgeschwindigkeit, der ihm zwar leichter fiel als der Startbefehl vorhin, ein gewisses Maß an innerer Aufregung blieb allerdings. "Aye, Sir", bestätigte Austin. Höhere Warpfaktoren, die sie schneller an den möglichen Unglücksort bringen würden, kamen für Spencer nicht in Frage, da sie weniger Reparaturzeit unterwegs erlaubten. Denn falls sie in den Plasmasturm eindringen wollten, war ein vollständig einsatzbereiter und belastbarer Impulsantrieb lebenswichtig. Warp 5.5 stellte für ihn ein akzeptabler Kompromiss zwischen schneller Ankunft und Reparaturzeit im Überfluss dar. "Warp 5.5 erreicht. Wir erreichen den Zielpunkt in sechs Stunden, siebzehn Minuten." Das war wieder Austin. "Danke, Fähnrich." "Ich gehe dann wieder an die Arbeit, Sir?", fragte Bengtsson. "Sicher. Ich schlage vor, dass jeder die sechs Stunden bis zu unserer Ankunft nutzt, um sich noch etwas zu erholen. Es war kein einfacher Tag und der nächste wird nicht einfacher werden. Commander Bengasi, Sie übernehmen und sorgen dafür das sich der Schiffszustand weiter bessert." "Ja, Sir", bestätigte Bengasi ohne jeden Ausdruck in der Stimme. Spencer stand auf und verschwand von der Brücke, er freute sich auf einen Kraft bringenden, erholsamen Schlaf. Bengasi nahm zufrieden im Kommandosessel Platz, die Aussicht, jetzt sechs Stunden am Stück das Kommando inne zu haben, schien ihm zu gefallen. "Sie haben unseren neuen Captain gehört. Sie dürfen sich zurückziehen. Bengtsson, deine Leute machen weiter." "Verstanden." Bengtsson verschwand im Turbolift, die übrigen riefen ihre Vertretungen auf die Brücke und machten sich nach deren Eintreffen ebenfalls auf dem Weg in ihre Quartiere. Bengasi lehnte sich geradezu genüßlich zurück und rief den aktuellen Statusbericht ab.
Counselor Naru saß in seinem Büro und sah sich wieder und wieder die Aufzeichnung des Gespräches zwischen Admiral Paris und Commander Spencer an. Sein Assistent Brenden trat hinzu. "Was ist los?" "Paris hat mir diesen Kommunikationsmitschnitt zur Verfügung gestellt und wollte mir damit wohl sagen, dass ich falsch lag und dass Spencer wieder topfit ist." "Und Sie glauben nicht dran?", fragte Brenden. Naru schüttelte den Kopf. "Ich hatte Spencer über zwei Monate in Behandlung und weiß, was mit ihm los ist. Und irgendwas an dieser Aufzeichnung will mir sagen, dass ich recht habe. Wenn ich nur wüsste, was..." "Haben Sie eine Stimmenmusteranalyse durchgeführt?" "Habe ich. Einige Unregelmäßigkeiten in der zweiten Gesprächshälfte, aber nichts Eindeutiges." Naru legte die Analyseergebnisse des Computers auf einen zweiten Bildschirm, Brenden warf einen genauen Blick darauf. "Das könnte genauso gut eine Ungenauigkeit im Kommunikations- oder im Aufzeichnungssystem sein", kommentierte Brenden. Naru bedachte ihn mit einem zustimmenden Blick. "Lassen Sie mich das mal ansehen", schlug Brenden vor. "Vielleicht fällt mir etwas auf." Naru spielte die Aufzeichnung ab, Brenden sah sie sich mit Interesse an, bis er an einer Stelle abrupt stoppte. "Haben Sie das gesehen?" Naru, der sich die Aufzeichnung mehrere Male genau betrachtet hatte, verneinte. "Warten Sie." Brenden fuhr die Aufnahme einige Sekunden zurück und spielte sie wieder ab, allerdings ohne Ton und in verlangsamter Geschwindigkeit. Narus Miene hellte sich auf. "Wusste ich's doch. Das war eine gute Idee mit dem lautlosen Abspielen." Ihm war jetzt das aufgefallen, was Brenden, der sich die Aufzeichnung zum ersten Mal und unbelastet angeschaut hatte, sofort ins Auge gesprungen war: Spencers linke Hand zitterte während des ganzen Gesprächs unkontrolliert, zwar nicht stark, aber doch sichtbar. Naru warf einen Blick auf den Wandchronometer. "Nun ist es zu spät. Die Magellan ist vor einigen Minuten abgeflogen. Wir können Spencer nur noch viel Glück wünschen. "
"Fähnrich Brinckmann!", rief Bengasi auf der Brücke der Magellan. Es war einige Zeit vergangen, seitdem sie die Sternenbasis verlassen hatten. "Ja?" Quentins Vertretung an der Kommunikationskonsole drehte sich zu Bengasi um. "Das heißt 'Ja, Sir!', Fähnrich, falls Ihnen das noch niemand gesagt hat!", bellte Bengasi. "Also?", fügte er fordernd hinzu. "Ja, Sir!", brachte Brinckmann hervor, schwankend zwischen kleinlaut und schneidig. "Fähnrich, versuchen Sie in regelmäßigen Abständen mit der Viking Kontakt aufzunehmen", ordnete Bengasi an, er hatte es nicht geschafft, seinen Ärger vollständig aus der Stimme zu verbannen. "Ja, Sir." Auch wenn Bengasi wusste, dass nur eine sehr geringe Chance bestand, dass die Viking, ausgerechnet auf ihre Rufe reagieren würde, wollte er doch keine Chance ungenutzt lassen. "Maschinenraum an Brücke!", meldete sich das Intercom. Bengasi betätigte den Antwortknopf und sagte nur ein Wort: "Bengasi." "Ich schlage vor, auf Warp 5 zu verlangsamen. Wir haben da einige Schwierigkeiten mit der Subraum-Feldgeometrie." "Einverstanden. Fähnrich Hrovat, Sie haben es gehört", wies er den Steuermann an. "Bengasi Ende." Er führte eine kurze Berechnung durch und stellte zufrieden fest, dass sie nur wenige Minuten verlieren werden. Er fuhr fort, sich um die Belange des Schiffes zu kümmern. "Wann ist die Kalibrierung der Sensoren abgeschlossen?," fragte er Bernhards Vertretung, Fähnrich Godoy. "Wir arbeiten daran. In einer Stunde sind wir soweit, Sir." "Das muss schneller gehen", stellte Bengasi nüchtern fest, nach seinem Ausbruch vorhin war er wieder die Ruhe selbst. Er starrte einige Sekunden lang stumm auf den Hauptschirm, als plötzlich die taktische Konsole warnende Geräusche von sich gab. "Was ist da los?", fragte Bengasi forsch, noch bevor Karovs Vertretung, Fähnrich Sey, Zeit hatte, zu reagieren. "Sir! Es gab eine Explosion an den Achterphaserkontrollen! Einige Verletzte!" Bengasi fuhr auf. "Verdammt! Muss so etwas passieren?" Er hieb auf die Intercomtaste. "Medo-Team an Achter-Phaserbanken melden. Ein Notfall!" Einige Sekunden lang passierte nichts, dann fuhr Bengasi in unverminderter Lautstärke fort. "Ja, worauf warten Sie noch, Fähnrich? Untersuchen Sie das!" Sey, ein Andorianer, erhob sich ungestüm, so ungestüm, dass Bengasi für einen Moment fürchtete, Sey würde auf ihn losgehen. Doch dieser nickte nur stumm und verschwand von der Brücke. Bengasi wartete auf neue Informationen auf dem kleinen Computerpult an seinem Sessel, doch zu seinem Missfallen trafen keine ein. Nach einiger Zeit kam Sey zurück und meldete: "Wir haben einen Verletzten, Fähnrich O'Kelley, Waffenspezialist, aber nichts Ernstes. Die Phaserkontrollen sind dagegen ernsthaft beschädigt." "Wie schlimm ist es?" "Die Achterphaser sind wir los." Sey nahm wieder seinen Platz ein und begann damit, ein Unfallprotokoll zu erstellen. "Mist", zischte Bengasi leise. Er befragte den Computer über den aktuellen Zustand der Phaserbanken, informierte den Maschinenraum über den Schaden und wollte die Anzeige schon wieder vom Bildschirm entfernen, als ihm eine Zeile ins Auge stach. Er aktivierte das Intercom und wirkte dabei sehr ungehaltenen. "Bengasi an Bengtsson!" "Bengtsson hier. Wegen den Phaserbanken...", begann Bengtsson, doch Bengasi unterbrach ihn unwirsch. "Ich will Sie nicht wegen der Phaserbanken sprechen, ich will Sie nur fragen, in welchem Zustand sich unser Traktorstrahl befindet." "Der ist...", begann Bengtsson während er seine Anzeigen im Maschinenraum konsultierte, "... oh. Außer Funktion." "Ganz genau", bestätigte Bengasi, nach außen hin völlig ruhig. "Ich schlage vor, sie bemühen sich auf die Brücke." "Ich bin unterwegs", murmelt ein zerknirschter Bengtsson. "Fähnrich Hrovat, sobald Lieutenant Bengtsson auf der Brücke eintrifft, schicken Sie ihn in meinen Raum", ordnete Bengasi an und verschwand im Bereitschaftsraum des Captains, den er gerade ganz unrechtmäßig als 'seinen Raum' bezeichnet hatte. Dort traf Bengtsson nach einer Minute ein, Bengasi deutete wortlos auf einen Stuhl, Bengtsson setzte sich. "Bengtsson, was ist mit dem Traktorstrahl?", begann Bengasi unaufgeregt, aber bestimmt. "Er ist nicht funktionsfähig. An ihm wurde gerade gearbeitet, als der Einsatzbefehl kam, genau wie an den meisten anderen Sekundärsystemen. Wie mir allerdings passieren konnte, dass...", versuchte Bengtsson eine Erklärung, wurde aber von Bengasi unterbrochen. "Ich bin nicht an Erklärungen interessiert, nur an einem funktionsfähigen Traktorstrahl. Wie sollen wir die Viking sonst retten?", fragte er hart. "Ja, Commander", murmelte Bengtsson, sichtlich erleichtert, dass Bengasi ihm dieses böse Übersehen nicht lautstark ankreidete. "Es gibt da nur ein weiteres Problem..." "Und das wäre?", fragte Bengasi, jetzt drohender. "Wir haben die notwendigen Ersatzteile nicht und die sind auch nicht replizierbar." "Dann lassen Sie sich was einfallen! Es ist mir gleich wie, Hauptsache der Traktorstrahl funktioniert in fünf Stunden. Sonst würde sich unser neuer Kommandant nicht sehr erfreut zeigen", stellte Bengasi auf eine unmissverständliche Art fest. Bengtsson sah Bengasi an, jetzt etwas selbstsicherer als gerade. "Wo Sie gerade davon sprechen, was halten Sie von ihm?" Bengasi zeigte kurz ein wölfisches Grinsen. "Das können Sie sich doch denken, Bengtsson. Er ist da, wo ich jetzt eigentlich sein sollte. Ich habe es verdient!" Bengasi, der während der letzten Worte seine Stimme leicht erhoben hatte, senkte sie wieder für die nächsten. "Ein bisschen merkwürdig wirkt er schon und unbeholfen, aber das alles ist kein Grund, die Mission zu gefährden. Immerhin sind viele Leben in Gefahr." Bengtsson nickte stoisch. "Natürlich." "Dann ist ja alles gesagt. Wegtreten." Bengtsson erhob sich, Bengasi folgte ihm und übernahm wieder 'seinen' Platz auf der Brücke.
Einige Stunden später trat Fähnrich Austin einige Minuten zu früh aus dem Turbolift auf die Brücke. Sie schritt auf dem Weg zu ihrer Station in langsamem Tempo betont dicht an Bengasi vorbei, er konnte ihren Duft wahrnehmen und war sich sicher, dass sie spürte, dass sein Blick auf ihr ruhte und sie es genoss. Ihm fiel auf, dass ihre Haare wieder mit der Haarspange zusammengebunden waren, allerdings auf eine andere, ebenso kunstvolle Art und Weise. Sie löste ihre Vertretung, Fähnrich Hrovat, an der Ruderkonsole ab. Beim Gedanken an die Reaktion Spencers auf die Haarspange entwischte Bengasi ein breites Grinsen. "Ausgeschlafen, Fähnrich?", fragte er mit einem unüberhörbar anzüglichen Unterton. "Ja, Commander." Austin drehte sich kurz um und warf Bengasi ein angedeutetes Lächeln zu. Bengasi zeigte keine Regung, nach außen hin zumindest nicht. "Wann treffen wir an den Zielkoordinaten ein?" Austin sah auf ihre Anzeigen. "In etwa fünfzehn Minuten", antwortete sie, jetzt wieder in geschäftsmäßigem Ton. "Ich denke, dann können wir es riskieren, den Captain zu wecken", überlegte Bengasi laut.
Spencer findet sich auf der Brücke der Magellan wieder, er sitzt im Kommandosessel, niemand sonst ist dort anwesend. Die Deckenbeleuchtung ist gedämpft, das vertraute Sirren der Geräte verstummt und der Hauptschirm zeigt nur dunkle Schwärze. Spencer beugt sich unwillkürlich etwas vor, es ist ihm, als könnte er schemenhafte Muster auf dem Bildschirm erkennen. Plötzlich spürt er eine Berührung auf seiner Schulter. Er schreckt hoch und wirbelt herum. Hinter dem Kommandosessel sieht er Bengasi stehen, seine dunklen, funkelnden Augen starr auf ihn gerichtet. "Sie sitzen auf meinem Platz!" Bengasis Stimme ist eine Spur tiefer als sonst, sie hallt auf der ansonsten totenstillen Brücke übermäßig laut nach. Spencer steht auf und weicht vor dem drohenden Blick Bengasis langsam zurück, ein Schritt, zwei Schritte, seinen Blick kann er nicht abwenden. Mit seinen Armen tastet er hinter sich, gleich müsste er direkt vor den beiden Konsolen stehen, die sich zwischen Kommandosessel und Hauptschirm befinden. Als seine Fingerspitzen anstatt einer harten Kante eine kalte, glatte Oberfläche erspüren, erschrickt er und wirbelt abermals herum. Anstatt der Konsolen sind zwei zylinderförmige, schwarze Gehäuse montiert, Spencer braucht einige Sekunden um sie zu identifizieren: Torpedogehäuse! Mit unendlich langsamer Geschwindigkeit verändern die Gehäuse ihren Winkel zum Boden, waren sie anfangs noch parallel montiert, neigen sich nun die inneren, direkt nebeneinander liegenden Seiten nach unten und die außen liegenden nach oben. Spencer verfolgt die Bewegungen mit weit aufgerissenen Augen, er ist wie gelähmt, so als ob sein Verstand und seine Glieder getrennt voneinander wären, er hat keine Kontrolle mehr über sich. "Kein Problem!", hört er plötzlich eine Stimme, die ihm kalte Schauer den Rücken hinunter jagt, es ist die Stimme seines auf der Cousteau ums Leben gekommenen Chefingenieurs Sanchez. Langsam vermag er, sich aus seiner Erstarrung zu lösen und schaut durch das milchige Fenster des linken Gehäuses. Er zuckt zusammen als ihn Sanchez durch dieses Fenster mit toten Augen anblickt und das, obwohl er es unterbewusst sogar erwartet hatte. Als er hinter sich ein neues Geräusch hört, wirbelt er abermals herum. Der Deckel des anderen Gehäuses hat sich geöffnet, in ihm liegt, leichenblass und blutüberströmt, Thola, sein ebenfalls auf der Cousteau umgekommener Erster Offizier. "Wir sind tot und sie leben", hört er Tholas Stimme, die genauso unheimlich nachhallt, wie die Stimmen Sanchez' und Bengasis vorhin. Im Anschluss daran ertönt ein lautes, beinahe hysterisches Lachen von Bengasi aus dem Kommandosessel. Spencer wendet sich entsetzt ab, sein Blick fällt auf den Hauptschirm. Das Abbild Admiral Paris' ist dort zu sehen, er spricht zu Spencer: "Immerhin, Commander, haben Sie das Leben aller anderen gerettet. Und verhindert, dass noch mehr passiert." Während Spencer, der sich sicher ist, diese Worte schon einmal von Paris gehört zu haben, verzweifelt versucht, diese genau in seiner Erinnerung zu lokalisieren, wird das Konterfei Paris' immer größer, es kommt direkt auf ihn zu, dabei ertönt ein dumpfes, hallendes Geräusch, einem Herzschlag nicht unähnlich. Spencer hält sich schützend die Hände vor Augen, er schüttelt sich und kneift die Augenlider ganz fest zu. Er versucht, seine Umgebung abzuschütteln, alles das loszuwerden, verkrampft dabei und geht unwillkürlich in die Hocke. Dort verharrt er einige Sekunden, bis er nur noch Stille wahrnimmt und es wieder wagt, die Augen zu öffnen. Das Bild Paris' ist verschwunden, die Torpedogehäuse sind wieder durch die ordnungsgemäßen Konsolen ersetzt. Spencer kommt allerdings nicht dazu, sich umzuwenden, um zu überprüfen, ob Bengasi noch da ist, da ihn ein relativ großes Schachbrett in den Bann zieht, dass auf der freien Fläche zwischen den Konsolen und dem Hauptschirm aufgebaut ist und auf dem Schachfiguren vollautomatisch ihre Züge ausführen. Spencer wird plötzlich immer kleiner (oder werden die Schachfiguren immer größer?) und dabei auf das Schachbrett gezogen, bis er schließlich zu einem Teil von ihm geworden ist, eine Schachfigur unter einunddreißig anderen. 'Dreißig', denkt Spencer verdrießlich, als auf der von ihm entfernten Seite des Brettes ein Bauer geopfert wird. Er versucht, sich zu bewegen, das ist aber unmöglich und daran, dass er plötzlich von einer unbekannten Macht ein Feld weiter nach vorn geschoben wird, kann er nichts auch nichts ändern, er fühlt sich völlig hilflos. Plötzlich zieht eine Schachfigur dicht an ihm vorbei, allem Anschein nach ein Turm. Spencer erschrickt, als er das in Holz geschnitzte Gesicht Tholas sieht, auch die anderen Schachfiguren in der Ferne weisen plötzlich schemenhafte Gesichtszüge auf. Ein Springer landet plötzlich ein Feld diagonal rechts vor ihm, er trägt das Gesicht von Jones. Wieder wird Spencer von der unbekannten Macht bewegt, dieses Mal direkt auf den Springer zu. Der Gedanke daran, ein Bauer in einem surrealen Schachspiel zu sein, ist der letzte, den Spencer noch denken kann, bevor der von ihm geschlagene Springer mit lautem Krachen zu Boden fällt. "Sie sind zur falschen Zeit am falschen Ort", hört er dumpf die Stimme Bengasis aus dem Hintergrund, noch während die Figur fällt. Sie zersplittert auf dem Boden des Schachbrettes in tausend Teile. Eine der größeren Scherben formt das Spencer unvergesslich gebliebene Gesicht des cardassianischen Guls, des Kommandanten, der für den Angriff auf die Cousteau verantwortlich gewesen war. "Ihre Lebenserwartung hat sich gerade dramatisch verkürzt", wiederholt es seine Worte von vor drei Monaten. "Neeiin!", brüllt Spencer unkontrolliert und schließt die Augen, alle übrigen Körperteile verweigern weiterhin den Dienst, er kann nicht entfliehen. Als er die Augen wieder öffnet, findet er sich im Frachtraum der Cousteau wieder, genau während er die Beerdigung der sechs umgekommenen Crewmitglieder durchführt. Er schwebt hoch über dem Geschehen, beobachtet sich also quasi selbst während er seine Rede hält, ein sehr beklemmendes Gefühl. Im Hintergrund hört er verschwommen die Stimme M'Boyas, der Bordärztin der Cousteau: "Die Crew braucht ein Zeichen, ein Zeichen von Ihnen. Ein Signal, das alles in Ordnung ist..." M'Boyas Stimme verstummt wieder, Spencer versucht, die Worte zu erlauschen, die sein anderes Selbst am Boden gerade von sich gibt. "... ihr Tod war nicht umsonst. Das feindliche Schiff ist zerstört, wir dagegen leben noch. Alle Sieben starben mit dem festen Glauben an unser Überleben und unsere Rettung..." Wie als Erwiderung hört er die Stimme Counselor Narus: "Sie trifft keine Schuld. Sie taten was sie konnten." "Aber ich...", beginnt Spencer, doch er fängt plötzlich an zu fallen. Er schreit, schließt die Augen und erwartet zusammengekauert den harten Aufprall auf dem Boden des Frachtraumes. Nach einigen langen Sekunden öffnet er wieder die Augen, er fällt weiter und schaut sich entsetzt um, als er um sich nur den Weltraum und die Sterne erkennt. Es ist ihm, als würde er durch Raum und Zeit fallen, in eine bodenlose, unendliche Leere. Er will wieder schreien, sein Schreien gerät tonlos. Ein durchdringendes Summen ist zu hören, ein hoher, oszillierender Ton. Er blickt sich um, versucht verzweifelt, die Geräuschquelle zu lokalisieren, kann aber nichts erkennen. Das Summen wird lauter und ändert seine Tonhöhe, Spencer kann sich gegen das Summen nicht mehr zur Wehr setzen, es wird übermächtig... ... und er wacht auf, aufrecht sitzend im Bett. Völlig gerädert lässt er sich wieder in sein Kissen fallen und identifiziert endlich auch das Summen als das Wecksignal von der Brücke. Aufstehen kann er nicht, sein Herz pocht und das Bild der in tausend Teile zersplitternden Schachfigur fesselt seinen Willen und seine Gedanken. 5Logbuch der Magellan, Sternzeit 21475.5, Commander Spencer: [22.06.2344 00:47:31] Wir haben nach einer ereignisreichen Reise den letzten bekannten Aufenthaltsort der Viking erreicht und beginnen jetzt mit der Suche. Spencer hatte es gerade noch geschafft, nicht als letzter auf der Brücke einzutreffen, er trat zusammen mit Lieutenant Karov aus dem Lift. "Austin, verlangsamen Sie auf Impulskraft! Bernhard, was macht der Sensorenscan?", hörten sie Bengasis letzte Anweisungen. "Aye, Sir", bestätigte Austin. "Sensorscan läuft, immer noch keine Ergebnisse", meldete Bernhard. Karov löste Sey an der taktischen Konsole ab und Bengasi sah zu Spencer: "Sie sind auch da, Captain?", fragte er bewusst provokant. Spencer blinzelte einige Male irritiert, es schien, als würde er gerade gedanklich aus weiter Ferne in die Realität zurückkehren. "Was?" Anstatt auf seine Frage zu antworten, räumte Bengasi wortlos seinen Platz für Spencer und baute sich neben dem Kommandosessel auf. Spencer setzte sich und bemühte sich krampfhaft um eine angemessene Entgegnung auf Bengasis neuerliche Provokation, entschloss sich aber nach einigen regungslosen Sekunden, sich ganz dem Wesentlichen zu widmen. "Wie ist die Lage?", fragte er. "Wir fliegen mit Impulskraft und nähern uns dem letzten bekannten Aufenthaltsort der Viking. Der Plasmasturm ist hier vor kurzem vorbeigezogen, daher machen uns gewisse Strahlungsrückstände zu schaffen, die unter anderem die Sensoren beeinträchtigen. Die Achterphaser sind ausgefallen, dafür ist der Traktorstrahl einsatzbereit." Bengasi legte zwar einen neutralen Tonfall an den Tag, konnte aber nicht ganz verbergen, dass er sich an Spencers Hilflosigkeit seinen Anspielungen gegenüber weidete. Spencer nickte einige Male unkontrolliert. "Gibt es schon eine Reaktion auf unsere Funksprüche?" "Wir senden keine", antwortete Quentin direkt und sicher. Spencer warf einen fragenden Blick zu Bengasi, den er aber sofort abwandte, als Bengasi zu sprechen begann. "Ich habe die Rufe einstellen lassen, da wir keine Antwort erhalten haben." "Und... sie sagten doch gerade, die Sensoren werden durch die Strahlungsrückstände gestört", überlegte Spencer laut und trommelte mit den Fingern auf der Armlehne. "Senden Sie einen allgemeinen Ruf auf allen Frequenzen. Vielleicht meldet sich die Viking", fügte Spencer im selben Tonfall hinzu. Quentin brauchte einige Zeit, um Spencers Befehl als einen solchen zu erkennen. "Ich sende. Die Funksignale werden aber ebenfalls durch die Strahlung gestört." "In Ordnung." Spencer überlegte, dann wandte er sich an Bernhard: "Zustand der Sensoren? Ich meine... zeigen sie etwas an?" "Sie zeigen nur leeren Raum. Die Störungen beeinträchtigen zwar den Scan, allerdings nicht übermäßig." "Scannen Sie weiter..." Trotz der eigentlich fordernden Art dieser Worte schaffte Spencer es, dabei zerfahren zu klingen. Einige Sekunden lang lauschte er dem beruhigenden Sirren der Brückencomputer, dann machte sich Bengasi wieder bemerkbar. "Wie lange brauchen Sie noch, Bernhard?" "Etwa fünf Minuten, Commander. Allzu weit kann die Viking nicht abgedriftet sein, ich brauche allerdings Zeit, um die Strahlung zu kompensieren", erklärte Bernhard. Spencer nutzte diese Minuten, um sich mit der gebotenen Ruhe selbst ein Bild der Situation und des Schiffes zu machen. Bengasi bemerkte von seiner Position aus, dass Spencer einen genaueren Blick auf das Protokoll des Unfalles an den Achterphasern warf. Er deutete mit einer für Spencer gut sichtbaren Kopfbewegung auf Karov, doch Spencer schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Monitor zu, ohne auf Bengasis Reaktion zu warten. Bengasi hatte in der von ihm verfassten Darstellung des Unfalles mehr als nur zwischen den Zeilen durchblicken lassen, wen er für die dafür verantwortliche Person hielt, Karov nämlich. Ihm zufolge hatte sie vor der Übergabe ihrer Brückenstation ihrem Verteter Fähnrich Sey aufgetragen, von dem nun verletzten O'Kelley eine rasche Erledigung des Auftrages zu verlangen und ihn somit geradezu herausgefordert, Sicherheitsmaßnahmen zu missachten, die Folge war die Explosion. Im Gegensatz zu Bengasi hatte Spencer jedoch durchaus Verständnis für eine solche Handlungsweise, weil er selbst die eine oder andere Sicherheitsmaßnahme mißachtet hatte, als er vorhin am Warptriebwerk gearbeitet hatte. Trotzdem nahm er sich vor, mit Karov ein Wörtchen zu reden, erst auf der Rückreise allerdings, unter anderem auf Grund ihrer aktenkundig gewordenen Vorgeschichte. "Ich habe die Sensorensuche beendet", meldete Bernhard ernüchtert. "Ergebnislos." "Dann stellt sich die Frage: Wo ist die Viking jetzt?", merkte Bengasi an, nur eine leichte Spur des Vorwurfs durchzog seine ansonsten sachlich vorgebrachte Frage. "Wie weit reichen ihre Sensoren?", fragte Spencer. "Oder mit anderen Worten: Kann die Viking so weit abgedriftet sein, dass wir sie nicht mehr orten können?", fügte Bengasi überflüssigerweise hinzu. "Ich habe den Abtastradius auf ein halbes Lichtjahr in alle Richtungen ausgedehnt und habe nichts gefunden. Sollte sich die Viking wirklich außerhalb des Scanradius befinden, müsste sie sich schon aus eigener Kraft fortbewegt haben." "In diesem Fall sollten wir aber Nachricht von ihr haben", stellte Bengasi fest. "Dann wurde sie wohl zerstört", stellte Karov niedergeschlagen fest. Einige Sekunden lang herrschte Stille auf der Brücke, bis Spencer ein "Nicht unbedingt..." hören ließ. Die überraschten und fragenden Blicke aller übrigen fünf Brückenoffiziere ruhten auf Spencer, als er fortfuhr. "Wir lassen eines außer Acht: Den Plasmasturm. Es ist durchaus möglich, dass die Viking mitgerissen wurde." "Wie wahrscheinlich ist das?", fragte Bengasi. Bernhard begann einige Berechnungen. "Schwer zu sagen, Sir. Sie hatten einen Defekt am Warpantrieb, der ist in einem Plasmasturm aber sowieso nicht funktionsfähig. Sie konnten nur mit Impulskraft dem Sturm begegnen, zum Ausweichen war es offensichtlich zu spät. Die Impulsmaschinen der Viking sind nicht besonders leistungsfähig, innerhalb eines Sturms natürlich noch weniger. Mit viel Glück könnten Sie es geschafft haben, allerdings nicht ohne größere Schäden." "Dann müssen wir uns beeilen. Ewig werden sie das da drin nicht aushalten könnten", kommentierte Bengasi unangebracht süffisant. Diese neuerliche Spitze Bengasis fegte die Souveränität hinweg, die die Brückenroutine Spencer wiedergegeben hatte, sein Herz begann heftig zu pochen. Er blickte unsicher umher, dann fragte er Bengasi: "Ist das Schiff klar für den Einflug in den Plasmasturm?" "Aber ja, Captain", meinte Bengasi so als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt. "Fähnrich Bernhard, wie gut arbeiten ihre Sensoren im Plasmasturm?" "Stark eingeschränkt, Captain. Ich kenne die Strahlungsintensität innerhalb des Sturms nicht, mit einer klaren Erfassung werde ich auf keinen Fall dienen können. Die Reichweite wird auf einige hunderttausend Kilometer beschränkt sein, vielleicht sogar noch weniger." "Fähnrich Austin, berechnen Sie einen Suchkurs, der folgende Punkte berücksichtigt: Wahrscheinlichster Eintrittspunkt der Viking in den Sturm, vermutliche Position der Viking, unsere eingeschränkte Manövrierfähigkeit..." Er überlegte. Austin wandte sich um und lächelte Spencer an. "Ich verstehe schon, Captain." Sie begann mit den Berechnungen. "Lt. Karov, wie lange werden wir uns im Plasmasturm aufhalten können?" Karov wandte sich ebenfalls um. "Captain, dafür bräuchte ich die genauen Daten über das Strahlungsaufkommen und..." Spencer unterbrach sie "Mr. Bernhard, das ist ihr Gebiet. Arbeiten Sie mit Miss Karov die genauen Werte aus." Bernhard nickte und Karov verließ ihre Station, um sich neben Bernhard zu platzieren. Spencer riskierte einen strafenden Blick in Bengasis Richtung. "Ich dachte, das Schiff wäre klar zum Einflug, Commander. Aber offensichtlich sind die wichtigsten Arbeiten doch noch nicht erledigt." Austin fiel ein. "Ich brauche etwas Hilfe bei der Kursberechnung. Commander?", bat sie Bengasi mit einem Augenaufschlag. Dieser nahm den ihm dargebotenen Grund, sich Spencers Vorwurf nicht stellen zu müssen, dankbar an. In wenigen Augenblicken stand er dicht neben Austin und betätigte einige Bedienelemente auf der Ruderkonsole. "Sie machen das gut, Fähnrich", flüsterte er zu Austin, unhörbar für die übrige Brückenbesatzung. Sie bedankte sich bei ihm mit einem unschuldigen Lächeln. Spencer quittierte die Aktion Bengasis mit einem stummen Kopfschütteln, er fuhr sich unruhig durch das Haar. Eine seltsame Arbeitsatmosphäre herrschte auf dieser Brücke... "Maschinenraum an Brücke!" Spencer erstarrte, er glaubte für einen Moment, die Stimme seines ehemaligen Chefingenieurs Sanchez zu hören. Es vergingen zwei, drei Sekunden, bis er den Knopf gefunden hatte, mit dem er den Intercomruf beantworten konnte. "Spencer hier. Was gibt's, Mr. Bengtsson?" "Die letzten Belastungssimulationen waren erfolgreich verlaufen. Der Impulsantrieb läuft jetzt zu 100 Prozent stabil. Wir sind bereit." "Wofür?", fragte Spencer unwillkürlich. Bengtsson sagte eine Zeit lang nichts, mit einer solchen Frage hatte er scheinbar nicht gerechnet. "Für alles", sagte er kalt und trennte die Verbindung. "Wir sind soweit", ließ sich Bengasi von der Steuerkonsole vernehmen. "Wir können starten." "Wie weit sind sie?", richtete Spencer seinerseits eine Frage an Karov und Bernhard. "Wir brauchen noch einige Minuten", antwortete Bernhard, ohne von seinen Anzeigen aufzublicken. "Dann können wir doch noch nicht starten", stellte Spencer fest. Bengasi machte einen großen Schritt auf Spencer zu. "Captain, uns läuft die Zeit davon. Wir können hier nicht stundenlang warten und uns für alle Eventualitäten wappnen. Die Viking muss gefunden werden und zwar schnell!" "Aber...", versuchte Spencer einzuwenden, doch Bengasi unterbrach ihn gleich wieder. "Wir haben sechseinhalb Minuten Flugzeit bis zum Rand des Plasmasturms. Karov, Bernhard, mehr Zeit haben sie nicht. Folgen Sie dem Kurs, Fähnrich Austin, volle Impulskraft!" Austin gehorchte ohne Umschweife. Bengasi ließ sich auf einen der freien Stühle an linken Wandkonsole nieder. Spencer konnte den Befehl nicht widerrufen, Bengasi hatte schließlich nicht Unrecht und außer gegen einige formale Etikette gegen nichts verstoßen, was er ihm hätte vorwerfen können. Dass hinter der Handlungsweise Bengasis eine perfide Systematik steckte, war schlecht zu beweisen. Noch hatte er keine Grenze überschritten...
"Captain, noch zwei Minuten bis zum Rand des Plasmasturms", meldete Austin. Einige Sekunden lang rührte sich nichts, Bengasi sah irritiert auf. Spencer schien gedankenverloren die Kontrollelemente des Intercoms zu mustern, er wirkte vollkommen in sich selbst versunken. "Karov, Bernhard, wie weit sind sie?", rief Bengasi mit leicht erhöhter Lautstärke quer über die Brücke. Spencer schrak hoch und bedachte zuerst Bengasi, dann Karov und Bernhard mit einem verstörten Blick. Dann besann er sich und lauschte der Antwort Karovs. "Wir sind soweit, mehr oder weniger." "Was soll das heißen?", fragte Bengasi drohend und erhob sich dabei aus seinem Stuhl. Bernhard fuhr an Karovs Stelle fort. "Wir können uns gefahrlos für eine Viertelstunde im Sturm aufhalten, vielleicht zwanzig Minuten. Alles unter der Voraussetzung, dass wir die Sensoren ausschließlich nach Energiesignaturen suchen lassen. Andernfalls wird sich die Zeit deutlich verringern, die wir im Sturm verbringen können." "Das ist wegen der Abstimmung zwischen den Sensor- und den Schildfrequenzen?", fragte Spencer. Karov nickte. "Und was ist, wenn der Reaktor der Viking ausgefallen ist?", fragte Bengasi. "Dann strahlt er keine Signatur ab und wir können lange suchen." "Wenn ihr Reaktor vor neun Stunden ausgefallen ist, lebt jetzt bestimmt keiner mehr", stellte Spencer eiskalt fest und bedachte zu seiner eigenen Überraschung Bengasi mit einem ebensolchen Blick. Bengasi zeigte eine steinerne Miene und verschränkte die Arme vor der Brust. "Wie groß ist unser zeitlicher Spielraum?", wollte Spencer weiter wissen. "Die zwanzig Minuten sind schon unser zeitlicher Spielraum, Captain", antwortete Karov geradezu entschuldigend. "Und dann?" "Die Strahlung beginnt unsere Hülle zu durchdringen und kontaminiert die außen liegenden Sektionen." "Dann bereiten sie die Evakuierung dieser Sektionen vor, nur für den Fall, dass wir länger bleiben als erwartet. Und wenn weiter nichts ist, können wir einfliegen", entfuhr es Spencer in einem etwas zu heiter geratenen Ton. Karov wechselte wieder an ihre angestammte Station. Austin wirkte leicht irritiert, als sie den Befehl bestätigte und ausführte. "30 Sekunden bis zum Rand des Plasmasturms." "Strahlungsintensität steigt", vermeldete Bernhard. "Die visuellen Sensoren versagen, ich schalte den Hauptschirm auf Projektionssicht." "Die Schutzschilde und sonstige Abwehrmaßnahmen sind in Funktion", fügte Karov hinzu. "Der Funkverkehr wird schlechter", ließ sich Quentin vernehmen, der seit einiger Zeit nicht hatte von sich hören lassen. Bengasi hatte wieder links vom Kommandosessel Aufstellung genommen. "Wie gut schirmen die Schilde ab?", fragte er. "Genau wie berechnet", antwortete Bernhard. "Ich schalte die Sensoren für ihren Scan im Plasmasturm um." "Einflug in den Plasmasturm", meldete Austin direkt im Anschluss. "Alarmstufe Gelb", befahl Spencer. Karov blickte einige Momente lang überrascht nach links und rechts, so wäre etwas, das sie erwartet hatte, ausgeblieben. "Was ist, Lieutenant?", fragte Bengasi forsch. "Eigentlich nichts, Commander. Ich hatte nur erwartet... dass die Lichter flackern", antwortete sie entschuldigend. "Dass tun sie nur in Holofilmen", versetzte Bengasi unwillig. "Konzentrieren sie sich lieber auf ihren Dienst und halten sie den Traktorstrahl bereit." "Ja, Commander", antwortete Karov leidend. Spencer schüttelte beinahe unmerklich den Kopf. 6Logbuch der Magellan, Commander Spencer, Nachtrag: Wir sind in den Plasmasturm eingeflogen, um dort nach der Viking zu suchen, bisher leider ergebnislos. Die Energie für die Schutzschirme lässt nach, uns bleiben noch bestenfalls vier Minuten, um das Schiff zu lokalisieren. "Immer noch nichts, Mr. Bernhard?" "Nein, Commander." Bernhard nahm einige Einstellungen an seinen Sensoren vor. "Fähnrich Austin, Kurskorrektur. Manöver Delta", ordnete Bengasi an und murmelte ein "Irgendwo müssen sie doch sein", während er unruhig über die Brücke wanderte. Er hatte viel von seiner ursprünglichen Ruhe verloren, Spencer dagegen saß mehr oder weniger teilnahmslos in seinem Sessel. Einige Sekunden herrschte gespannte Stille, bis Karov erschrocken auffuhr: "Strahlungseinbruch auf Deck 4! Die Schilde hatten kurz versagt!" Spencer blickte plötzliche hellwach auf. "Schäden? Verletzte?", fragte er wie automatisch. "In den betroffenen Sektionen hielt sich glücklicherweise niemand auf", antwortete Karov. "Wir verlassen den Plasmasturm", stellte Spencer fest. Bengasi schaute ihn erstaunt an, er hatte wie die anderen mit allem gerechnet, nur nicht mit einem solchen Befehl. Austin sah ihrerseits fragend zu Bengasi, der eine abwartende Geste andeutete. Gerade als Spencer seinen Mund geöffnet hatte, um mit Bengasi zu sprechen, rief Bernhard: "Sir, ich habe da was! Eine Energiesignatur, ganz schwach in sechshunderttausend Kilometern Entfernung. Die Viking!" "Kurs setzen!", reagierte Bengasi. "Maximal mögliche Geschwindigkeit, Traktorstrahl vorbereiten. Und halten Sie die Schilde zusammen, Karov!" "Entfernung zur Viking?" Im Vergleich zu Bengasi wirkte Spencers Frage geradezu vorsichtig. "Zwanzig Sekunden", antwortete Bernhard. Spencer begann, unruhig auf seinem Stuhl herumzurutschen, Bengasi dagegen lehnte voll Spannung am Brückengeländer und verfolgte auf dem Hauptschirm die Manöver Austins, die die Magellan in Traktorstrahlreichweite bugsierte. "Wir haben erste Strahlungseinbrüche auf den Decks 5-7 und 13", gab Karov bekannt. "Leiten Sie die Evakuierungsmaßnahmen ein, falls nötig. Wir brauchen noch einige Minuten." "Das wird eng, Captain", meinte Karov. Bengasi wollte wieder auffahren, doch Spencer hob die Hand und aktivierte das Intercom. "Brücke an Maschinenraum!" "Bengtsson hier", meldete sich der Chefingenieur. "Mr. Bengtsson, wir brauchen noch zwei, drei Minuten im Plasmasturm. Modifizieren Sie die Schilde dementsprechend." "Ja, Captain", antwortete Bengtsson unfreundlich, so unfreundlich wie man diese beiden Worte nur aussprechen konnte. Spencer hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, da Austin die Magellan in Traktorreichweite manövriert hatte und dies aufgeregt bekannt gab. "Ankoppeln und dann auf dem schnellsten Wege raus hier", brummte Spencer. "Die Viking ist fixiert", gab Karov bekannt. "Kurs auf den Rand des Plasmasturms ist gesetzt, ich beschleunige", fügte Austin an. Die Magellan begann zu schlingern, das Deckenlicht flackerte. "Jetzt flackert das Licht, Miss Karov. Jetzt da es Probleme gibt", knurrte Bengasi. "Was ist los?" Spencer schluckte, er konnte nicht sprechen, sondern starrte gebannt auf die vibrierende Lehne seines Stuhls. "Der Impulsantrieb ist überlastet, die Interferenzen des Plasmasturms und die Viking sind anscheinend zuviel", meinte Bernhard mit deutlichen Zweifeln in der Stimme. Spencer hatte die Sprache wiedergefunden. "Maschinenraum! Lässt sich da was machen wegen dem Impulsantrieb?" "Negativ, Captain", kam die prompte Antwort von Bengtsson. "Ich kann nicht zaubern." Spencer richtete seinen Blick plötzlich starr auf eine Strebe des Brückengeländers, seine Hand verharrte über dem Deaktivierungsknopf des Intercoms. "Captain!", rief Bengasi aufgeregt. "Bengtsson, bleiben sie dran! Ich hab's", kommentierte Spencer aufgeregt seinen plötzlichen Geistesblitz. Er stürzte unter den fassungslosen Blicken Bengasis an die Maschinenkonsole und ließ sich auch nicht von der nächsten Meldung Karovs aus der Ruhe bringen: "Strahlungseinbrüche verdichten sich. Wir sollten vielleicht langsam aufbrechen..." Sie verstummte zögerlich und warf einen fragenden, fast flehenden Blick zu Bengasi und Spencer. Letzterer reckte zwei Finger seiner rechten Hand gut sichtbar in die Höhe, ohne jedoch den Blick von den Monitoren der Maschinenkonsole zu nehmen. "Geben Sie mir zwei Minuten. Ich muss da was ausprobieren..." Bengasi zuckte hilflos mit den Schultern in Richtung Karov, diese wandte sich daraufhin wieder ihrer Konsole zu und versuchte, Spencer diese zwei Minuten zu ermöglichen. Quentin drehte sich halb auf seinem Stuhl herum, kratzte sich am Kopf und stellte eine eigentümliche Miene zur Schau. Bengasi bemerkte sie, lehnte sich an das Brückengeländer neben der Maschinenkonsole, verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust und beobachtete Spencer, der angestrengt Daten in die Konsole eingab. "Bengtsson?", fragte Spencer ohne von seiner Beschäftigung abzulassen in die Intercomstation links vor ihm. "Ja, Captain?" "Aus dem Impulsantrieb können wir nichts mehr herausholen, wie wäre es mit dem Warpantrieb?", fragte Spencer wie nebenbei. "Mit dem Warpantrieb?", wiederholte Bengtsson einigermaßen konsterniert. "Sind Sie verrückt geworden, Captain? Sie können doch nicht den Warpantrieb im Plasmasturm aktivieren! Wenn..." "Nicht einfach so", unterbrach Spencer Bengtsson hektisch. "Wie wäre es denn mit folgender Konfiguration?" Er drückte auf eine Taste und übermittelte die gerade eingegeben Daten an den Maschinenraum. Bengtsson blieb einige Sekunden stumm, dann antwortete er mit einer großen Portion Zweifeln in der Stimme. "Wenn Sie meinen, Captain..." "Ich meine, Mr. Bengtsson. Konfigurieren Sie den Antrieb und geben Sie für zwei, drei Sekunden Schub." "Verstanden. Ende." Bengtsson trennte die Intercomverbindung. "Bengasi, warnen Sie die Crew vor, es könnten drei ungemütliche Sekunden werden." Mit einer Energie, die Bengasi Spencer bis vor wenigen Minuten nicht zugetraut hatte, schwang sich Spencer aus dem Stuhl an der Maschinenkonsole und saß bereits wieder auf dem Platz in der Mitte, noch bevor Bengasi Zeit und Gelegenheit gehabt hatte, Spencers Anweisung auszuführen. Er hatte seinen Rundruf an die Crew gerade beendet, da durchfuhr bereits ein heftiger Ruck das Schiff, sprühende Funken aus weniger wichtigen Teilen des Brückeninstrumentariums waren ein deutliches Zeichen für Energieschwankungen, das feinlinige Projektionsbild des Hauptschirmes erstarb in einer dunklen Schwärze. Nach einigen Sekunden war plötzlich wieder alles ruhig und still. Bengtsson meldete sich ungefragt über Intercom. "Die automatische Deaktivierung hat eingesetzt, aus dem Plasmasturm sind wir raus." "Das war gute Arbeit, Mr. Bengtsson." Spencer, der zu seiner Überraschung gerade völlig ruhig geblieben war, fand hier nicht ganz den richtigen Ton. "Ich habe nicht viel dazugetan", hielt Bengtsson unwirsch dagegen. "Der Warpantrieb ist jedenfalls hin, dank dieses Manövers, ebenso der Traktorstrahl, der Transporter und noch einige andere Systeme. Wir beginnen mit den Reparaturen. Maschinenraum Ende." Bengasi funkelte Spencer wütend an. "Was ist mit der Viking?", erkundigte sich Spencer, dem der Blick nicht entgangen war, unbeirrt. "Sie befindet sich achtern in einigen hundert Kilometern Entfernung", antwortete Austin. "Ist auf dem Schirm, die visuellen Sensoren funktionieren wieder." Spencer erkannte auf dem immer noch von einigen Störungen durchzogenen Bild ein altes Schiff der Kremlin-Klasse. Die Untertassensektion war von ähnlicher Größe wie die der Magellan, die beiden Warpgondeln waren allerdings direkt an ihr montiert, das Design wirkte insgesamt gedrängt. "Ich erkenne ein relativ hohes Strahlungsniveau an Bord. Keine Lebenszeichen, aber das muss nichts heißen. Die Strahlung macht jeden genaueren Scan zunichte", meldete Bernhard. "Wir sollten möglichst schnell was gegen diese Strahlung unternehmen", stellte Bengasi fest. "Zustand der Umweltkontrollen an Bord der Viking?" "Nicht einsatzfähig", antwortete Bernhard. "Der Reaktor der Viking liefert außerdem kaum Energie." "Wir sollten Strahlungsnullisierer einsetzen", schlug Spencer bedächtig vor. "Berechnen Sie die Anzahl und die Verteilung, Mr. Bernhard." "Captain, wie wollen Sie denn die Nullisierer an Bord bringen, ohne Transporter?", fragte Bengasi irritiert. Spencer zuckte mit den Schultern. "Die Transporter bekommen Reparaturpriorität." "Die Zeit haben wir nicht, Captain. Wir müssen schnell handeln, wenn wir wir überhaupt noch jemanden finden wollen." Bengasis Stimme drückte hörbare Ungeduld aufgrund von Spencers Gelassenheit aus. "Dieses Strahlungsniveau kann doch niemand überleben, schon gar nicht über mehrere Stunden. Und die Sensoren zeigen auch nichts an", warf Quentin ein. Die Art und Weise, wie er seine Meinung äußerte, gab deutlich zu verstehen, wieviel Hoffnung er für die Personen an Bord der Viking noch hegte. "Wir sind nicht hier, um zu spekulieren", schnappte Bengasi ärgerlich. "Wir wollen Gewissheit und zwar schnellstens! Und Sie sollten etwas mehr Einsatz zeigen, Fähnrich!" Quentin wandte sich unwillig ab. "Was schlagen Sie vor, Commander?", fragte Spencer. "Nun, wir sollten schon Nullisierer einsetzen, allerdings niedrig dosiert. Diese werden wir bei uns tragen, wenn wir mit Schutzanzügen bekleidet über eine Shuttleschleuse an Bord der Viking gehen. Das bedeutet für uns natürlich eine nur sehr begrenzte Aufenthaltsdauer an Bord." Spencer starrte Bengasi nach dieser bewusst überfallartig präsentierten Beschreibung einige Augenblicke lang erschrocken an. "Wen... wen schlagen sie vor für das Außenteam?", fragte er vorsichtig. "Ich werde gehen... klar, Lt. Bengtsson, Lt. Karov und Doktor Özhan werden mich begleiten", zählte Bengasi nach kurzer Überlegung auf. "Lt. Bengtsson bleibt hier, wir haben keinen Warpantrieb. Wenn sie zurückkehren, will ich sofort abfliegen können." Spencer vermied es, seinen Ersten Offizier anzusehen. "Wir brauchen einen Ingenieur im Team, Captain, ich habe keine Ahnung, wie es da auf der Viking aussieht!", ereiferte sich Bengasi, die Grenzen seiner Position mit seinem Tonfall deutlich überschreitend. "Dann gehe ich mit", beschloss Spencer ohne weiteres Nachdenken. "Ingenieur bin ich auch." Bengasi zeigte für einen Moment nicht gerade den glücklichsten Gesichtsausdruck, doch plötzlich schien ihm ein rettender Gedanke zu kommen. "Haben Sie eine Spezialausbildung für solche Einsätze absolviert wie Lt. Bengtsson?" "Nein, aber Fähnrich Austin." Spencer schien selber überrascht, dass ihn seine Geistesgegenwart nicht vollkommen im Stich gelassen hatte, sondern ihm auf das Stichwort 'Spezialausbildung' hin in seinem Kopf ein fotografisches Abbild der Dienstakte Austins präsentierte. "Sie kann uns begleiten und auch das Shuttle fliegen", fügte er hinzu. Bengasi hob seine Hände. "Also schön, also schön. Sonst verlieren wir noch mehr Zeit." "Dann bereiten Sie alles vor, Commander. Wir treffen uns in fünf Minuten im Shuttlehangar", bestimmte Spencer, der nicht wusste, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht, dass er sich gerade freiwillig an der gefährlichen Rettungsmission beteiligt hatte. Nach einem kurzen, verständigenden Blickkontakt verschwanden Bengasi und Austin gemeinsam von der Brücke zur Vorbereitung des Einsatzes. "Fähnrich Bernhard, sind Sie vertraut mit den Brückenoperationen?", fragte Spencer. Bernhard blickte ihn mit verkniffener Miene an, er verstand den Hintergrund von Spencers Frage. "Ich denke schon, Captain", antwortete er mehr aus Pflichtbewusstsein als aus Vertrauen in seine Fähigkeiten. "Sie machen das schon, Fähnrich", versicherte Spencer. Er lenkte sich einige Minuten ab, indem er Routinedinge erledigte, die während der letzten Stunden angefallen waren. Die Aussicht, in unbequemen Schutzanzügen auf einem strahlenverseuchten Raumschiff nach Überlebenden suchen zu müssen, erfüllte ihn mit großer Unsicherheit, er versuchte durch die Beschäftigung mit Situationsberichten jeden momentanen Gedanken an die Viking zu verdrängen.
"Sagen Sie, Commander, haben wir überhaupt eine transportable Schleusenkammer an Bord?", fragte Austin im Turbolift. "Wir sollten", antwortete Bengasi kurz angebunden. "Lagerhalle 3, Deck 7... da sind wir." Die Türen des Lifts öffneten sich. "Sind Sie mit der Progammierung der Schleuse vertraut, Fähnrich?", fragte Bengasi, nachdem sie den Lift verlassen hatten. "Nur theoretisch", antwortete Austin. "Dann werde ich die Ersteinstellung überwachen." Bengasi ließ Austin den Vortritt in den Lagerraum, sie begannen mit der Vorbereitung des Schleusensystems, so dass es auf einem Shuttle eingesetzt werden konnte, um Zugang zur Viking zu erlangen. "Sagen Sie, Commander, was halten sie von ihm?", erkundigte sich Austin nach einiger Zeit. "Von wem?", fragte Bengasi ohne von seiner Arbeit aufzublicken. Austin wandte sich um und lächelte Bengasi an. "Na, von wem wohl? Von Spencer." Als spontane Reaktion ließ Bengasi ein tückisches Lächeln aufblitzen. "Seine Aktionen sprechen doch wohl Bände. Er ist nervös, ambivalent, unberechenbar, inkompetent, entscheidungsunfähig, was wollen sie noch hören? Und ich würde gerne wissen, warum er überhaupt hier ist." "Und warum lösen Sie ihn nicht einfach ab, Commander?" Austins Ton war an gespielter Naivität nicht mehr zu übertreffen. "Es gibt schließlich immer noch Regeln in der Sternenflotte", erwiderte er, ganz so als wollte er Austin beschwichtigen und nicht etwa kritisieren. "Er wurde mir vor die Nase gesetzt, das muss ich wohl oder übel respektieren. Übrigens, Bengtsson hat in der Schiffsdatenbank über Spencer recherchiert. Als Ingenieur soll er einiges drauf haben." "Das mit dem Warpantrieb vorhin war ja wirklich nicht schlecht, denn anders wären wir wohl kaum aus dem Sturm herausgekommen. Aber wieso ist er denn so seltsam?" "Vor einigen Monaten hat er sein erstes Kommando verloren und darüber ist er wohl ein bisschen wunderlich geworden", spekulierte Bengasi. "Eines werde ich jedenfalls nicht zulassen, nämlich dass er uns mit seiner ständigen Unsicherheit in Gefahr bringt, darauf können Sie sich verlassen!" Er hielt kurz inne, er hatte sich in Fahrt geredet, ohne es zu wollen. "Sie werden hier jetzt allein fertig, Fähnrich? Ich kümmere mich jetzt um die Schutzanzüge." "Aber sicher, Commander." Austin zeigte Bengasi ein strahlendes Lächeln, als dieser den Lagerraum verließ. Sie konnte es Bengasi nachfühlen und war auch alles andere als erfreut, zusammen mit Spencer an Bord der Viking zu gehen. Bengasi wenigstens gab ihr ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens...
Spencer schrak hoch, als Karov ihm meldete, dass Bengasi und Austin alles für die Mission vorbereitet hätten. "Fähnrich Bernhard, sie übernehmen bis zu unserer Rückkehr. Miss Karov, darf ich bitten?" Spencer versuchte seine innere Beklommenheit durch lockere Formulierungen zu verbergen, seine Anstrengungen wurden aber unüberhörbar von Misserfolg gekrönt. Sie bestiegen beide den Turbolift und fuhren wortlos nach unten, Karov wollte aus Rücksichtnahme auf Spencer nichts sagen, Spencer dagegen konnte einfach nichts hervorbringen, um die spürbare Spannung in der Kabine zu brechen. Nach einer kleinen Ewigkeit war der Lift an seinem Ziel angekommen, erleichtert verließen ihn die beiden. Im Shuttlehangar warteten Bengasi, Austin und die junge Assistenzärztin Özhan bereits vor dem Shuttle, die Schleusenvorrichtung war an der hinteren Luke bereits montiert. Bengasi reichte Spencer wortlos einen Werkzeugkoffer als dieser zusammen mit Karov an die Gruppe herangetreten war. In der Shuttlekapsel selbst lagerten fünf starke Strahlenschutzanzüge, ebenso viele Stablampen und Miniaturversionen der Strahlungsnullisierer. Özhan trug zusätzlich ein medizinisches Notfallkit mit einem Band über der Schulter. "So? Können wir?", fragte Bengasi sowohl fordernd als auch gleichzeitig vorwurfsvoll. Spencer nickte wortlos und betrat das Shuttle als erster. 7Logbuch des Shuttles del Cano, Sternzeit 21.475.6, Commander Spencer: [22.06.2344 01:40:13] Wir versuchen, Zugang zur Viking über eine Schleusenvorrichtung zu erlangen. Da die Viking kein Sternenflottenschiff ist, gestaltet sich dieser Vorgang ungewöhnlich schwierig. Spencer lag ein Kommentar über die mangelnde Normierung eines externen Schleusenzuganges bei Föderationsschiffen auf der Zunge, er unterließ ihn allerdings, da die Kremlin-Klasse ein altes Sternenflottendesign war. Er warf stattdessen einen Blick in die Datenbank des Shuttles um sich über diesen vermeintlichen Widerspruch schlau zu machen. "Ich halte die Position", gab Austin von ihrem Pilotensessel bekannt. Bengasi bediente ärgerlich sein Pult des Copiloten. "Versuche neuen Anlauf. Reinitialisiere Schleuse." Karov und Özhan beobachteten gebannt das neuerliche Manöver Austins. "Sagen Sie, Captain, glauben Sie, dass wir noch Überlebende finden werden?", fragte Karov leise. "Keine Ahnung", gab Spencer trocken zurück. Er hatte seinen Wissensdurst gestillt und wandte seine Aufmerksamkeit nun den Aktionen Bengasis ab. Karov blickte unbeobachtet von den anderen zu Boden und kniff die Mundwinkel zusammen. Da keine Möglichkeit bestand, mit Hilfe des Transporters an Bord zu gehen (selbst wenn der Transporter der Magellan einsatzbereit wäre, verböte sich ein direkter Beamvorgang auf Grund der unkalkulierbaren Interferenzen der Strahlung), musste ein wesentlich umständlicherer Weg beschritten werden. Jedes Schiff der Föderation hatte (oder sollte zumindest haben) eine genormte Vorrichtung an der Außenhaut, in die das Endstück einer transportablen Schleusenkammer genau passte. Diese Schleusenkammer, oder besser gesagt, ihr Anfangsstück war an der Seitentür der del Cano montiert und durch einen langen, beinahe durchsichtigen Flexolex-Schlauch mit dem Endstück verbunden, das langsam auf die Vorrichtung an der Viking zusteuerte und schließlich andockte. "Sollen wir...?", fragte Austin, doch Bengasi wehrte ab. "Der Computer der Magellan ist noch funktionsfähig. Ich werde versuchen, ihn die Schleusenvorrichtung öffnen zu lassen. Das erspart uns eine Sprengung des Schotts an der Außenhülle der Viking." "Der Zugang ist offen, bitte legen Sie alle die Anzüge an", gab Bengasi einige Tastendrücke später bekannt. Die Fünf taten wie geheißen und montierten zusätzlich die Strahlungsnullisierer an den Anzügen. Bengasi öffente die Shuttle-Seitentür und füllte somit den Verbindungsschlauch mit Atmosphäre aus der del Cano. Nur der Verschlussmechanismus am Ende des Schlauches verhinderte jetzt ein Durchsickern der Strahlung von der Viking. Nachdem Spencer als letzter die del Cano verlassen hatte, verriegelte er die Schleuse hinter sich. Danach richtete er langsam seinen Blick nach vorne in Erwartung des unausweichlichen Schocks, der jedem widerfuhr, der sich nach einer 180°-Drehung anstatt einer Shuttlekabine den bodenlosen Weiten des Weltalls in allen drei Dimensionen gegenübersah. Es ließ sich allerhöchstens erahnen, wo sich der rettende Schlauch befand. Bengasi schritt unerschrocken voran, Austin folgte ihm in vergleichbarer Weise, Özhan und Karov traten deutlich vorsichtiger auf, Spencer bildete den Schluss. Ihm kam diese Szenerie auf einmal sehr vertraut vor, dabei hatte er sich seit der Akademie nicht in einem... doch was ist das? "Haben Sie das gehört?", fragte er Karov. Karov blieb stehen und wandte sich um. "Was denn, Captain?" "Dieses... dieses Summen. Jetzt ist es weg." "Ich habe kein Summen gehört", stellte Karov fest und ging mit einem unwohlen Gefühl im Magen weiter. Austin, die sich hinter dem führenden Bengasi hielt, räusperte sich verstohlen. Bengasi nickte zustimmend, ohne sich ihr dabei allerdings zuzuwenden. Austin begann aus Spaß (oder geschah es als Ablenkung?) für sich eine stumme Melodie zu summen. Bengasi hatte das andere Ende des Schlauches erreicht, vergewisserte sich ein letztes Mal, dass der Durchgang zur del Cano verschlossen war und begann mit den Vorbereitungen, die Schleuse zur Viking zu öffnen. "Bitte aktivieren Sie ihre Strahlungsnullisierer!", rief er. Daraufhin ertönten fünf Piepstöne in rascher Folge, alle Nullisierer waren aktiviert und schienen problemlos zu funktionieren. Nun sprach nichts mehr dagegen, die Schleusenvorrichtung zur Viking zu öffnen. Nacheinander betraten Bengasi, Austin, Özhan, Karov und Spencer einen dunklen Korridor der Viking, die beiden Erstgenannten und Karov aktivierten ihre Tricorder und prüften die Umgebungswerte. Spencer und Özhan sahen sich stumm um. "Die Strahlung hält sich dank der Nullisierer in Grenzen, alle anderen Werte an Bord entsprechen genau den Messwerten, die wir auf der Magellan erhalten haben", gab Bengasi bekannt. Austin bestätigte. "Austin, sie halten mir die Strahlungswerte im Auge und sagen Bescheid, sobald sich etwas verändert", ordnete Bengasi an und stapfte voran, die Gruppe hatte Mühe, in ihren Strahlenanzügen mit ihm Schritt zu halten. Spencer aktivierte ebenfalls seinen Tricorder und suchte nach Lebenszeichen, die Werte waren ebenso seltsam verzerrt wie die von Karovs Tricorder. Allein die Notbeleuchtung erhellte die ansonsten unversehrten Korridore der Viking, nur auf einen zweiten Blick ließen sich hier und da dunkle, versengte Stellen von bereits im Keim erstickten Bränden erahnen, einige Panelplatten hatten sich gelöst und waren zu Boden gefallen. Die automatischen Löschsysteme waren also noch in Funktion, zumindest waren sie es noch zum Zeitpunkt des Ausbrechens der Brände gewesen. "Seltsam ruhig hier...", murmelte Bengasi halblaut, die Verstärker in den Schutzanzügen ließen seine Stimme seltsam blechern auf dem Korridor nachhallen und trieben den übrigen einen kalten Schauer über den Rücken. "Hinter der nächsten Biegung erkenne ich...", Karov brach ab, als sie mit den Augen das wahrnahm, was ihr ihr Tricorder als reines Scanergebnis präsentierte. Ihre Hand umklammerte wie automatisch ihren Phaser, den sie in einem Halfter trug, allerdings ohne ihn zu ziehen. Özhan analysierte die Situation mit ihrem medizinischen Tricorder bereits genauer. Vor einer Doppeltür lagen zusammengesunken zwei Besatzungsmitglieder der Viking, das Rot ihrer Uniformen schimmerte an den aufgeplatzten und versengten Stellen ihrer Strahlenschutzanzüge durch. Verantwortlich dafür war allem Anschein nach eine weitere Person, die einige Meter entfernt auf dem Boden lag. Es war ein Passagier, erkennbar an seiner 'normalen' Kleidung, einen Schutzanzug trug er auch nicht. Seine Waffe, einen bereits veralteten Phaser, hielt er fest umklammert. "Was ist denn hier passiert?", fragte Austin verstört. Bengasi war für den Augenblick sprachlos. "Alle drei Personen starben an einer Überdosis der Strahlung", gab Özhan nüchtern bekannt. "Eine Panik an Bord? Nicht ausreichende Schutzanzüge für die Passagiere? Situation außer Kontrolle?", fragte Spencer, der wie die übrigen noch nicht so recht fassen konnte, was er vor sich sah. Ein Piepsgeräusch an ihrem Tricorder ließ Karov nachschauen. "Ich habe meinen Tricorder auf eine automatische Anpassung an diese Strahlung programmiert. Es gibt keine Lebenszeichen mehr auf diesem Deck." Spencer sah Bengasi an, dieser starrte immer noch entgeistert ins Leere. Er hatte wohl mit allem gerechnet, doch nicht mit einer solchen Situation. Spencer entschied sich, das Eis der Lage zu brechen und die Leitung der Gruppe zu übernehmen. "Wo würden Sie als Kommandant einen Hinweis für ein Rettungsteam hinterlassen?", fragte er Bengasi ohne auch nur einen Gedanken der subtilen Feindschaft, die sich zwischen ihm und Bengasi in den letzten Stunden aufgebaut hatte, zu widmen. "Auf der Brücke", antwortete er unwillkürlich. "Dann los. Funktionieren die Turbolifte?" "Sie sollten", antwortete Bengasi. "Wenn der Computer ein Zugangsschott öffnen kann, kann er auch einen Lift steuern." Spencer nickte, warf einen kurzen Blick auf die Deckpläne auf seinem Tricorder und schritt voran, zur nächstgelegenen Turboliftstation. "Brücke!", sagte er hoffnungsvoll, nachdem der ganze Trupp den Lift betreten und sich die Türe geschlossen hatte. "Die Strahlung ist hier um einiges geringer", meinte Austin. Bengasi nahm diese Tatsache mit einem knappen Nicken zur Kenntnis, Spencer regte sich überhaupt nicht. Der Lift begann seine sirrende Fahrt aufwärts. Während der Fahrt musterte Karov eingehend die verräterischen Brandflecken an der Rückwand der Kabine, genau gegenüber dem Eingang. Sie musste nicht erst ihren Tricorder bemühen, um die Quelle der Flecken zu bestimmen; ein Seitenblick streifte ihren Phaser, der immer noch in seinem Halfter ruhte. Spencer machte nach Ankunft auf dem obersten Deck in Erwartung sich öffnender Türen einen Schritt nach vorne. Nichts geschah. "Wir sollten diese Türe..." Spencer brach ab, da sich die Türe mit einigen Sekunden Verspätung doch noch auseinanderschob. Es war auf den ersten Blick ersichtlich, dass mit dieser Brücke nichts mehr anzufangen war, jede Konsole und jedes Pult war zerstört, das helle Grau der Oberflächen hatte sich beinahe durchgehend in ein dunkles Schwarz verwandelt. Eine einzige Person in einem stark beschädigten Strahlenschutzanzug saß zusammengesunken und regungslos auf einem Stuhl an einer Konsole, Özhan musste nicht erst ihren Tricorder bemühen, um den Tod des Besatzungsmitglieds festzustellen. "Was war hier bloß los?", brachte Austin die Gefühle der Fünf auf den Punkt, sie wechselten besorgte Blicke. "Vielleicht eine Kaskadenreaktion in den Energieversorgungsknoten der Brückenstationen", spekulierte Spencer. "Gegen sowas gibt es aber eigentlich Sicherungen", fügte er zweifelnd hinzu. "Vielleicht sollten wir unser Glück im Maschinenraum versuchen", meinte Bengasi. Spencer nickte, trat einen Schritt zurück, die Türe schloss sich wieder. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen, das bei weitem nicht ausschließlich aus den Beschleunigungskräften des Lifts resultierte, fuhren sie wieder abwärts. Bei ihrer Ankunft öffneten sich die Türen sofort, der Anblick, den der Maschinenraum bot, entsprach mithin den Erwartungen der Gruppe. Der Raum war größtenteils intakt, jedoch wiesen mehrere der an den Seitenwänden montierten Monitore starke Beschädigungen auf, überall waren scharfkantige Splitter der Tripolymerbeschichtung auf dem Fußboden verstreut. An der Decke hingen einige lose Kabel herab. Einige Besatzungsmitglieder in Schutzanzügen ruhten regungslos auf der zentralen Bedienkonsole, einige weitere lagen in mehr oder weniger natürlich gekrümmter Position auf dem Boden. Das stetige, beinahe rhythmische Flackern der Anzeigemonitore verstärkte die sehr düstere Wirkung der gesamten Szenerie auf die Fünf noch. "Sie sind alle tot", stellte Özhan nüchtern fest. Spencer versuchte, die daliegenden Körper nicht wahrzunehmen, als er bedächtigen Schrittes an die zentrale Konsole trat und nach einer aufgezeichneten Nachricht suchte. Um größere Bewegungsfreiheit zu erlangen, stellte er seinen Werkzeugkoffer auf den Boden. "Diese Konsole reagiert nicht auf meine Eingaben", stellte er nach einigen Tastendrücken fest. Bengasi hatte bei seinen Versuchen auch nicht mehr Glück und hieb verärgert mit der Faust auf die Kante des Pultes. "Und jetzt?", fragte Austin. "Versuchen wir es mit der Direktverbindung zum Computerkern..." Spencer benötigte einige Sekunden, um die dafür zuständige Station in seinem Tricorder zu lokalisieren, einige weitere Sekunden verwandte er darauf, um sich umzusehen und den Eingang zu finden. "Dort." Er zeigte mit dem Finger auf eine unauffällige Seitentür und bewegte sich darauf zu. Die Fünf betraten den Raum, mit einigen schnellen Tastendrücken war Spencer in der Lage, eine kürzlich aufgezeichnete Nachricht abzurufen. Ein von vielen Störungen durchzogenes Bild erschien auf einem kleinen Monitor, auch die Tonqualität war nicht auf dem höchsten Niveau und kurzzeitig von weißem Rauschen durchzogen. Im Hintergrund waren schemenhaft die Konsolen der Brücke zu erkennen. Ein junger, menschlicher Mann begann in gehetzter Stimme zu sprechen. "Logbuch der Viking, Erster Offizier Joao Gualdino, Sternzeit 2147... Wer auch immer das zu Gesicht bekommt: Das Schiff ist manövrierunfähig, wir... Plasmasturm fest. Panik und Chaos ... unter den Passagieren. Nicht ausreichende Schutzanzüge... Fluchtkapseln sinnlos. Kein Ausweg mehr, Strahlungseinbrüche und Energieausfälle. Der einzige Ort, wo... ist zwischen den Isolationsschichten des Hauptreaktors. Wir schaffen Zugang über.... leider nur......" Die Nachricht brach ab, jeglicher Versuch Spencers, eine Wiederherstellung zu versuchen, scheiterten. "Isolationsschichten des Hauptreaktors...", überlegte Bengasi, als eine Explosion und ein lauter Schrei ihn herumfahren ließ. Eine der Konsolen an der dem Monitor gegenüberliegenden Wand war explodiert, Özhan, die genau davor gestanden hatte, hatte die volle Wucht der Explosion mitbekommen und war zu Boden gestürzt, ihr Schutzanzug war beschädigt. "Da!", rief Karov, ihre weit aufgerissenen Augen wiesen in Richtung des Ausganges. Mit leisem, unheilvollen Zischen fuhr das Türenpaar aufeinander zu, auch ein rasches Eingreifen des hinzustürzenden Bengasis konnte daran nichts mehr ändern. Er selbst, oder besser gesagt, seine Fingerkuppen entgingen nur knapp dem Eingeklemmtwerden, sie griffen nur in den schmalen Spalt der bereits geschlossenen Türe und vermochten nicht, sie zu öffnen. "Verdammt!", entfuhr es Bengasi lautstark. "Haben Sie sich verletzt?", erkundigte sich Austin besorgt. "Nein, zum Teufel! Wie geht es Özhan?", fragte er Karov, die sich um die regungslose Ärztin kümmerte. "Sie ist bewusstlos und hat einige Verletzungen am Rücken. Ihr Schutzanzug ist beschädigt. Sie bekommt die volle Strahlung mit." Bengasi ballte die Faust. "Wir müssen hier raus! Erhöhen Sie die Dosierung ihres Strahlungsnullisierers um einen Punkt", wies er Karov an. "Was ist mit der Tür?" Spencer sah von der Computerkonsole auf. "Das Eindämmungsfeld des Hauptreaktors fluktuiert und verursacht Energieschwankungen. Durch eine solche Schwankung explodierte die Konsole. Aus einem unerfindlichen Grund wurde dann die automatische Versiegelung aktiviert, dass sich noch Personen im Raum befanden, konnten die..." Mit einem schnarrenden "Ja." brachte Bengasi Spencer, der sich in uferlosen Erklärungen verlieren wollte, zum Schweigen. "Erstens, wir müssen hier raus. Zweitens, wir müssen nachsehen, was es mit diesen Isolationsschichten auf sich hat." "Und was ist mit Doktor Özhan?", fragte Spencer. "Sie muss schnellstens von diesem Schiff runter und auf die Krankenstation. Auch mit Strahlungsnullisierern wird sie es nicht lange überleben können." Austin streifte die streitbaren Spencer und Bengasi mit einem Seitenblick und begann, sich mit den Übergehungsschaltkreisen für die Türverriegelung zu beschäftigen. "Erhöhen wir doch einfach die Dosis der Nullisierer, um die Strahlung von ihr fernzuhalten", wagte es Karov, sich in den Disput einzumischen. Bengasi wischte den Einwand einfach vom Tisch. "Das würde sie auch nicht überleben." "Ich dachte, die Nullisierer wären ungiftig", erwiderte Karov. "Sonst würden sie doch wohl kaum eingesetzt werden." "Auf Planeten können sie gefahrlos eingesetzt werden, auf diesem beschränkten Raum hier jedoch können sie insbesondere geschwächten Personen gefährlich werden", erklärte Spencer in weitaus ruhigerem Ton als Bengasi, seine Gestik war jedoch um einiges ausladender. "Unsere Aufgabe ist es, hier nach Überlebenden zu suchen!", rief Bengasi. "Unsere Tricorder zeigen nichts an, vielleicht sind wir auch schon zu spät. Auf jeden Fall müssen wir hier raus, um den Hinweis aus der Nachricht nachzugehen, Captain. Diese zehn Minuten wird Doktor Özhan durchhalten müssen." "Wie können Sie sich da so sicher sein, Commander? Sie sind kein Arzt. Wir wissen nicht einmal, ob die Crew der Viking überhaupt noch zu dem gekommen ist, was sie in der Nachricht angekündigt haben oder ob wir überhaupt noch jemanden finden, so wie das Schiff hier aussieht." Austin kehrte von ihrer Untersuchung zurück und nutzte die minimale Pause im Wortwechsel, die Bengasi benötigte, um seine Entgegnung vorzubereiten, zu einem Einwurf. "Captain, Commander...?" Beide blickten ärgerlich zu Austin. "Wir haben da ein dringenderes Problem", meinte Austin, die mit einem charmanten Lächeln das erhitzte Gemüt Bengasis zu beruhigen versuchte. "Die manuelle Entriegelung ist ebenfalls beschädigt. Ich brauche Hilfsmittel, um die Türe manuell zu öffnen. Es müssen nur zwei Kontakte miteinander verbunden werden." "Dann nehmen Sie doch..." Spencers tätigte einen Griff ins Leere. "Wo ist mein Werkzeug?", entfuhr es ihm. Bengasi musste einige Male beherrscht tief durchatmen, um nicht angesichts von Spencers verdutztem Gesichtsausdruck einen unpassenden Lachanfall zu erleiden. "Sie haben ihn abgestellt, bevor wir diesen Raum betraten", sagte er genervt. Karov wies mit einem Blick auf die immer noch regungslos am Boden liegende Özhan. "Wir sollten schnellstens hier raus...", meinte sie vorsichtig. Wie zur Bestätigung sprühten einige weitere Funken aus der vorhin explodierten Konsole, glücklicherweise jedoch ohne weiteren Schaden anzurichten. Spencer sah sich ratlos um, er konnte im Raum nichts entdecken, dass sich auch nur annähernd zur Türöffnung gebrauchen ließe. Bengasi aktivierte seinen am Schutzanzug befestigten Kommunikator. "Bengasi an Magellan!" "Magellan. Fähnrich Bernhard hier", antwortete der Kommunikator nach kurzer Zeit. Der Empfang war nicht der beste. "Fähnrich, arbeiten die Transporter inzwischen?" "Nicht bei der Strahlung, Commander." "Halten Sie eine Kompensation für möglich, Fähnrich. Es wäre dringend", knurrte Bengasi in den Kommunikator. "Die Strahlungsmuster sind zu unregelmäßig für unsere lädierten Transporter. Ich fürchte, es ist zu gefährlich." "Arbeiten Sie weiter daran. Bengasi Ende." Verärgert deaktivierte er den Kommunikator. Nervös bzw. ratlos standen Spencer und Bengasi da und sannen nach Auswegen. Özhan zupfte die immer noch bei ihr knieende Karov leicht an der Uniform, sie musste es wiederholen, bis Karov es endlich merkte. Diese brauchte einige weitere Sekunden bis sie verstand, was Özhan von ihr wollte. Sie legte ihr Ohr dicht an den im Schutzanzug eingelassenen Lautsprecher, um angestrengt einigen mit letzter Kraft geflüsterten Worten Özhans lauschen zu können. Karovs Miene hellte sich nach kurzer Zeit auf. "Captain!", rief sie. "Janets... Fähnrich Austins Haarspange! Sie ist aus leitendem Material!" Spencer und Bengasi blickten für einen Moment völlig perplex drein, dann wandte Spencer ein: "Dafür müssten Sie aber den Strahlenanzug...", doch Austin unterbrach ihn. "Ist doch nur für kurz!", rief sie energisch aus. Rasch löste sie die Arretierungen ihres Schutzanzuges und entfernte mit einer schwungvollen Bewegung das Kopfteil. Bengasi hatte einige Mühe, den kunstvollen Knoten in Austins Haarpracht zu lösen, aber nach einigen Sekunden hatte er es geschafft und ihre rotblonden Haare fielen offen auf ihre Schultern bzw. auf den Schutzanzug. Er überreichte Spencer die Spange und half Austin, den Schutzanzug wieder vollständig überzuziehen. Ein kurzer Tricorderscan zeigte, dass sie nur geringe Dosen der Strahlung abbekommen hatte, die Nullisierer hatten selbst in der kurzen Zeit, in der sie in diesem geschlossenen Raum aktiv waren, das Strahlungsniveau deutlich senken können. Spencer seinerseits hatte keine Probleme, mit der Haarspange als einzigem Werkzeug die Türe zurück zum Maschinenraum zu öffnen. Bengasi grinste breit. "Wozu eine einfache Haarspange doch nicht alles nützlich sein kann, nicht wahr, Captain?", kommentierte er. Spencer ging überhaupt nicht darauf ein. "Karov, sie bleiben bei Özhan. Sorgen Sie dafür, dass sie bei Bewusstsein bleibt. Die anderen folgen mir. Wir wollen doch mal sehen, was man uns sagen wollte." "Was hat es eigentlich mit diesen Isolationsschichten auf sich?", fragte Bengasi. "Unser Warpreaktor hat sowas nicht." Spencer, der einige Schritte nach vorn getätigt hatte, stoppte, kehrte zurück und beantwortete die Frage: "Die Viking ist inzwischen knapp fünfzig Jahre alt, ein Nachbau der alten Kremlin-Klasse, so wie es aussieht. Das Design wurde damals privaten Werften zur Verfügung gestellt. Um den Anforderungen für moderne Passagierraumfahrt zu entsprechen, mussten einige Nachrüstungen erfolgen. Zum Beispiel eine verbesserte Abschirmung gegen Theta-Strahlung aus dem Warpkern, weiterhin Fluchtkapseln, Shuttles etc." "Verstehe. Und wo sollen wir nun suchen? An diese Isolationsschichten wird man wohl kaum ohne weiteres drankommen?", fragte Bengasi. "Zu dumm dass die Nachricht so früh abbrach...", fügte Austin hinzu. "Kann ich auch nichts dran ändern", schnappte Spencer zurück, der sich fragte, womit Bengasi jetzt schon wieder ein Problem hatte. "Vielleicht haben die Ingenieure ihre Handlung noch anderswo in den Computer eingetragen", überlegte er, während er diese Erkundigung an der immer noch funktionsfähigen Konsole einholte. "Sind eigentlich noch alle Shuttles an Bord?", warf Austin ein. "Vielleicht konnten einige auf diesem Wege entkommen." Bengasi schüttelte den Kopf. "Shuttles... in diesem Plasmasturm? Die wären nicht weit gekommen. Haben Sie nun was, Captain?" "Nein. Es hätte mich auch stark gewundert, wenn sie in der Eile noch einen Vermerk hinterlassen hätten. Und jetzt?" Karov durchbrach die einige endlose Sekunden währende Pause. "Vielleicht sollten wir uns in ihre Lage versetzen. Sie hatten wenig Zeit, wurden von Passagieren bedroht und wollten schnellen Zugang zu diesen Isolationsschichten. Wo würden Sie das tun, Captain?" Spencer war angetan vom Vorschlag Karovs. "Lassen Sie mich einen Blick auf den Deckplan werfen." Bengasi und Austin wechselten einen raschen, verstehenden Blick. Spencer strahlte eine geradezu unnatürliche Ruhe aus, stark an der Grenze zur Trägheit, wie es den beiden vorkam. Karov kümmerte sich intensiv um die verletzte Özhan, sie war dadurch zu abgelenkt, um das ungewöhnliche Verhalten Spencers zu bemerken. Die Konsole hinter ihr sprühte wiederum einige Funken. Austin und Karov sahen hin, Bengasi jedoch bediente einer plötzlichen Eingebung folgend eifrig seinen Tricorder. "Kommen Sie!", rief er in Richtung Austins. "Es gibt laut Deckplan einen Zugangsschacht zu den Isolationsschichten für Notfälle!" Austin folgte Bengasi prompt, Spencer brauchte etwas Zeit, um auf die neue Situation reagieren zu können, stürzte dann aber den beiden anderen nach. Kurz nach dem Verlassen des Nebenraumes hielt er abrupt inne, kehrte kurz um und nahm seinen Werkzeugkoffer wieder an sich. Danach eilte er weiter in die Richtung, in die Bengasi und Austin verschwunden waren, es war ein seitlicher Wartungsgang. Nach fünfzehn Meter stand Spencer vor einer Gabelung, er musste sich entscheiden, ob er den linken, den rechten Weg oder die in vertikaler Richtung verlaufende Leiter wählen sollte. Die Entscheidung wurde ihm jedoch abgenommen, da Bengasi und Austin ihm von oben wieder entgegenkamen. Spencer war sich nicht sicher, ob die Audiosysteme des Schutzanzugs ihn trogen, oder ob ihre Tritte auf die Leitersprossen wirklich lauter als gewöhnlich und dabei verärgert klangen. "Der Zugang ist durch einen Code gesichert, einen Code, den der defekte Computer nicht mehr akzeptiert", berichtete Bengasi, nachdem er die Leiter verlassen hatte und wieder auf festem Boden stand. "Das hätte ich ihnen vorher sagen können, wenn sie mich gefragt hätten", versetzte Spencer. "Das macht aber nichts." "Ach nein?", fragte Bengasi scharf, dem Spencers Vorwurf nicht entgangen war. "Commander, diese Sicherheitsprotokolle stammen von 2280, dem Zeitpunkt der Außerdienststellung der Kremlin-Klasse und der Designübergabe an die Werften. Sie sollten nicht das große Problem darstellen." "Dann bitte." Bengasi verdrehte die Augen ließ Spencer den Vortritt, er stieg die Wartungsröhre hinauf. Es war nicht leicht, sie in einem Schutzanzug hinaufzuklettern, die klobigen Stiefel boten nur minimalen Halt auf den schmalen Stufen. Nach eineinhalb Decks wurde das weitere Hinaufklettern durch eine geschlossene Luke verhindert, es war die, an der Bengasi und Austin gerade gescheitert waren. Spencer berührte einige Tasten, nichts passierte. Dann nahm er seinen Werkzeugkoffer, platzierte ihn notdürftig auf einer Sprosse, entnahm ihm einige Gerätschaften und begann, sich an dem Kontrollpanel der Luke zu schaffen zu machen. Er konsultierte von Zeit zu Zeit seinen Tricorder und wechselte das Werkzeug. "Dauert's noch lange, Captain?", fragte Bengasi nach einiger Zeit mit einem unüberhörbaren ironischen Unterton. Wie als Antwort fuhr die Luke zischend auseinander und gab den weiteren Zugang frei. "Scheinbar nicht", antwortete Spencer ruhig, verpackte seine Gerätschaften wieder sicher und fuhr fort, die Leiter hinaufzuklettern. "Zur Linken müsste dann gleich der Durchgang zu den Isolationsschichten zu sehen sein", rief Bengasi durch die enge Röhre. "Ich sehe ihn", sagte Spencer nach einem Moment der Überraschung. "Und da ist was." Er verließ die Leiter und krabbelte eilig durch den flachen, horizontal verlaufenden Schacht. Er war so breit, dass zwei Personen nebeneinander hindurchpassten, Bengasi holte Spencer nach kurzer Zeit ein. Nachdem sie etwa dreißig Meter kriechenderweise zurückgelegt hatten, stießen sie auf ein weiteres Hindernis. "Das müsste die erste Isolationsschicht sein. Wieder eine Luke." Hoffnungsvoll betätigte er den einzigen, großen Knopf an der Seite der Luke und in der Tat gab sie den weiteren Zugang frei. Was sie nun sahen, das machte sowohl Spencer und Bengasi als auch die herbeidrängelnde Austin sprachlos: Ein kleiner Junge lag regungslos im Schacht, er war dicht in mehrere Strahlenschutzanzüge eingewickelt. Austin zückte hektisch ihren Tricorder und fuhr mit ihm mehrmals auf und ab. "Er lebt!!", rief sie aus. "Das Strahlungsniveau hier ist geringer als auf dem Rest des Schiffes und die mehreren Lagen der Anzüge konnten ihn zusätzlich schützen. Er hat eine große Dosis Strahlung abbekommen, ist aber auf jeden Fall noch am Leben", wiederholte sie. "Mehr kann ich so nicht sagen." "Fähnrich, helfen Sie mir", befahl Bengasi. "Er muss schnellstens auf die Magellan!" 8Logbuch des Shuttles del Cano, Commander Spencer, Nachtrag: Den einzigen Überlebenden, den wir von der Viking haben retten können, ist ein etwa dreijähriger, menschlicher Junge. Er ist zwar noch am Leben, war aber einer hohen Dosis Strahlung ausgesetzt. Es wird schwierig werden, ihn am Leben zu erhalten, da Doktor Özhan ebenfalls schwerere Verletzungen erlitten hat. Wir werden uns möglichst schnell auf den Weg zurück zu Sternenbasis 53 machen. "Verstanden. Halten Sie sich bereit zum Beamen, Commander. Bernhard Ende", hörte Spencer soeben noch aus der Kommunikationsanlage der del Cano, nachdem er seinen Logbucheintrag verfasst hatte. Wenige Sekunden später erfasste ein Transporterstrahl die Shuttleinsassen und ließ Austin als Pilotin allein in der Kabine zurück. Erleichtert über den Ausgang der Mission bereitete sie den Anflug auf die Magellan vor. Sie überließ die Steuerung für fünfzehn Sekunden dem Autopiloten und fixierte rasch ihre Haare mit der Haarspange, die Spencer absichtlich oder unabsichtlich liegen gelassen hatte.
Die Gruppe materialisierte direkt auf der Krankenstation. Karov trug das Kind auf ihren Händen, Spencer und Bengasi hielten Özhan, die immer noch kaum bei Bewusstsein war. Die beiden Pfleger, die die restliche Besatzung der Krankenstation bildeten, platzierten den Jungen und Özhan vorsichtig auf den Biobetten und begannen mit ihren Untersuchungen. Austin kam ebenfalls herein und wurde auf einen Wink Bengasis von einem der Pfleger einer genauen Untersuchung unterzogen. Der andere Pfleger, ein Bolianer mit dem Namen Chell, eröffnete währenddessen das Ergebnis seiner Untersuchung. "Doktor Özhan hat eine Strahlenvergiftung mittleren Ausmaßes erlitten, außerdem einige Prellungen, Quetschungen und Platzwunden. Diese zu behandeln ist kein Problem. Gegen die Strahlenvergiftung habe ich mit einer Toron-Bestrahlung begonnen und sie dazu in Stasis versetzt. Aufgrund der Art der Strahlung wird das leider nicht viel helfen. Das für die Behandlung nötige Medikament ist nicht an Bord." "Was?", fragte Spencer entgeistert. "Das darf doch wohl nicht wahr sein! Können Sie es nicht replizieren?" Chell verneinte. "Das Wirkstoffmolekül der Hyronalyn-Verbindung ist zu komplex, um es zu replizieren, Captain." Bengasi und Austin tauschten zustimmend entsetzte Blicke, besonders Bengasi musste sich arg im Zaum halten, um nicht unkontrolliert herumzuschreien; er wanderte stattdessen unruhig auf und ab. Irgendwer hatte während der Vorbereitung wohl doch nicht an alles gedacht, er musste einsehen, dass sich im Nachhinein daran auch nichts mehr zu ändern war. "Was können Sie tun?", fragte Austin, die sich äußerlich weniger anmerken ließ als der wie angewurzelt stehende Spencer oder Bengasi. Chell blickte ratlos drein, der zweite Pfleger, Wynn, eilte ihm zu Hilfe. "Für den Jungen gilt das gleiche, nur in wesentlich extremerem Ausmaß", berichtete er. "Er hat eine wesentlich höhere Dosis der Strahlung verkraften müssen. Ich weiß nicht, ob wir ihn überhaupt noch für einige Zeit am Leben erhalten können. Wir sind keine Ärzte, müssen sie wissen. Wäre Dr. Özhan hier, könnte sie vielleicht improvisieren, aber so..." Einer Geste der Hilflosigkeit begleitete Wynns abruptes Schweigen. Es war leicht zu sehen, dass alles in Chell und Wynn gegen die Einsicht in ihre Machtlosigkeit rebellierte; sie wollten helfen, sie sahen jedoch gleichzeitig ihre Unfähigkeit ein, dies zu tun. "Wir sollten schnellstens abfliegen. Kümmern Sie sich darum", bestimmte Spencer. Bengasi verharrte eine Sekunde, verschwand aber dann zusammen mit Karov. "Wie geht es mir?", erkundigte sich Austin, nachdem Wynn seinen medizinischen Tricorder wieder deaktiviert hatte. "Auf den ersten Blick ist alles normal, ich würde jedoch gerne einige Folgeuntersuchungen durchführen", antwortete Wynn. "Tun Sie alles, was in ihrer Macht steht, für ihre Patienten", beschwor Spencer die Pfleger. "Aber das muss ich ihnen wohl nicht extra sagen", schränkte er im selben Moment unsicher ein und verließ die Krankenstation. Bevor er die Türschwelle überschritt, wandte er seinen Kopf noch einmal um und sah, dass Austin mit gequältem Gesichtsausdruck die Folgeuntersuchungen Wynns über sich ergehen ließ während Chell sich, so gut er konnte, um Özhan und den Jungen kümmerte.
Direkt nach Eintreffen auf der Brücke wurde Spencer von den drängenden Fragen der Brückenoffiziere überfallen, Karov hatte anscheinend bereits die eine oder andere Andeutung über die Mission fallen lassen. Spencer schilderte in wenigen Sätzen die Verletzung von Doktor Özhan, die Rettung des Jungen und das Fehlen des Medikaments. Danach forderte er einen raschen Lagebericht über den Schiffszustand. Erst auf den zweiten Blick fiel ihm die Abwesenheit von Bengasi auf. Karov, die die Krankenstation mit ihm zusammen verlassen hatte, saß dagegen an ihrer Station. Es musste etwas bedeuten, er hatte jetzt aber andere Sorgen. "Der Antrieb funktioniert bis Warp 4, der Traktorstrahl auch?", wiederholte Spencer die Informationen, die er erhalten hatte. Bernhard nickte bestätigend. "Koppeln Sie die Viking an und nehmen Sie Kurs auf Sternenbasis 53. Warp 4 und beschleunigen!" Spencer hatte seine Gestik bei diesen Worten nicht ganz unter Kontrolle, besonders seine rechte Hand beschrieb einige Irrwege in der Luft. Karov und Hrovat, Austins Vertretung, bestätigten seine Anweisungen. "Fähnrich Quentin, informieren Sie die Sternenbasis über unsere... Ergebnisse. Fragen Sie an, ob sie uns ein Schiff mit dem fehlenden Medikament entgegenschicken können." Auch Quentin nickte bestätigend. Spencer wagte es nun, sich entspannt zurückzulehnen, die Anspannung, unter der er in der letzten Stunde gestanden hatte, wich schlagartig und ließ ihn mit einem stetig wachsenden, pochenden Kopfschmerz zurück. Er stellte eine Frage, die er die ganze Zeit hatte stellen wollen: "Wo ist eigentlich Commander Bengasi?"
Austin war froh, die Untersuchungen auf der Krankenstation endlich überstanden zu haben, sie hatte Wynn zufolge keine bleibenden Nachwirkungen der kurzzeitigen Strahlendosis zu befürchten. Freuen konnte sie sich aber nicht so recht über diese Tatsache angesichts des Schicksals Özhans und des Jungen, sie betrat bedrückt sie den Turbolift zur Brücke und war überrascht, Bengasi in diesem anzutreffen. "Commander?" "Ich komme gerade aus dem Maschinenraum. Lieutenant Bengtsson ganz ist meiner Meinung", antwortete Bengasi alles- und nichts sagend. "Und was ist Ihre Meinung, wenn man fragen darf?" Austin versuchte ihrerseits ein Lächeln und einen Augenaufschlag in Richtung Bengasis, beides gelang ihr nur halbherzig. Er sprach weiter und obwohl er mit ihr sprach, war es, als nähme er sie überhaupt nicht wahr. "Ich möchte Ihnen übrigens danken, Fähnrich. Dafür, dass sie die fruchtlose Diskussion zwischen Spencer und mir vorhin unterbrochen haben." Er schien erleichtert, dass sich die Lifttüren vor ihm öffneten und verließ stur geradeaus blickend den Turbolift. Austin konnte ihm nur folgen. "Probleme im Maschinenraum, Commander?", erkundigte sich Spencer. "Keine, die Mr. Bengtsson nicht im Griff hätte", antwortete Bengasi ohne jede Betonung in der Stimme. "Die Transporter allerdings sind bis zur voraussichtlichen Ankunft auf der Basis nicht reparabel." Leicht verwirrt von den seltsamen Äußerungen Bengasis im Turbolift löste Austin ihren Vertreter an der Steuerkonsole ab. Für einen kurzen Moment glaubte sie zu wissen, was Bengasi im Sinn hatte, dann aber konnte sie es gedanklich nicht mehr fassen. Einzig an die Abwegigkeit des verlorenen Gedankens konnte sie sich erinnern. "Wir sind bereits auf dem Rückflug?", fragte Bengasi. Spencer beantwortete diese Frage mit einem beiläufigen Kopfnicken. Bengasis Gesichtsausdruck verfinsterte sich. "Captain? Könnte ich Sie mal sprechen?" "Sicher", antwortete Spencer wie automatisch. "Unter vier Augen?", ergänzte Bengasi mit Nachdruck. Spencer erhob sich mit einem halbherzigen Schulterzucken. Er verschwendete nur einen kurzen Gedanken daran, wer seinen Platz übernehmen sollte, er entschied sich für Bernhard und machte sich auf den Weg in seinen Bereitschaftsraum. Bengasi folgte ihm dicht auf den Fersen. "Eine Frage vorweg, warum haben Sie Lt. Karov nicht das Kommando übergeben? Sie hat schließlich einen höheren Rang als Mr. Bernhard", fragte Bengasi, nachdem er Spencer Zeit gegeben hatte, sich zu setzen. "Das wollten Sie wissen, Commander?", wich Spencer aus. Er hatte dem Gefühl nach Karov aufgrund deren Vorgeschichte nicht das Vertrauen aussprechen können, Bernhard hatte sich dagegen während des Einsatzes auf der Viking als Vertretung bewährt. Warum er Bengasi dies nicht mitteilen wollte, konnte er im Moment nicht sagen. "Nein, das wollte ich nicht", versetzte Bengasi ärgerlich. "Ich wollte wissen, warum wir bereits auf dem Rückflug sind." "Weil ich es angeordnet habe", erwiderte Spencer, dem im selben Moment plötzlich etwas klar wurde. "Warum waren Sie eigentlich gerade nicht auf der Brücke und haben meinen Befehl zum Rückflug ausgeführt?" Bengasi tat, als hätte er Spencers verwunderte Frage überhört. "Wir haben einen Überlebenden gefunden auf der Viking. Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass es nicht noch weitere Überlebenden gibt?" "Dieses Strahlungsniveau kann doch niemand ohne weiteres überleben. Selbst das optimal geschützte Kind hat kaum noch..." "Erwachsene Personen haben für gewöhnlich eine höhere Widerstandskraft als Kinder. Und was ist mit anderen Spezies, die vielleicht eine größere Strahlenbelastung verkraften können?", gab er zu bedenken. "Die Scans zeigen nichts an", verteidigte sich Spencer geradezu kleinlaut. "Die Scans, die Scans, die Scans..." Bengasi rannte wild auf und ab, während er die Worte Spencers wiederholte. "Die Scans sind unzuverlässig. Wir müssen nochmals auf die Viking!" "Und was ist mit Doktor Özhan? Und dem Jungen? Wir müssen so schnell wie möglich auf die Basis zurückkehren, um sie medizinisch zu versorgen oder sie werden sterben!" "Was ist mit den Personen auf der Viking, die auf unsere Hilfe warten? Wollen Sie sie einfach so zurücklassen, Captain?" "Die Transporter sind ausgefallen, der Zeitverlust bei einem Übergang via Shuttle ist einfach zu groß. Und wir wissen nicht, ob es diese Personen überhaupt gibt." "Deshalb müssen wir eben an Bord, um dies zu überprüfen." "Hören Sie, Commander." Spencer fürchtete, bald die Kraft zu verlieren, diese Auseinandersetzung durchzustehen, er wollte sie nur noch beenden. "Im Moment sind zwei Menschenleben in Gefahr, diese können wir nur retten, wenn wir auf dem Weg zur Basis keine Zeit mehr verlieren!" "Und was, wenn bei der genauen Untersuchung der Viking weitere Opfer gefunden werden, die durch beherztes und rechtzeitiges Eingreifen hätten gerettet werden können? Wollen Sie die dafür die volle Verantwortung übernehmen?" Spencer überlegte einige Sekunden und nahm seine ganze Kraft zusammen, seine rechte Hand verkrampfte sich zur Faust. "Ja. Wenn ich sicher weiß, dass ich zwei Menschenleben retten kann, dann werde ich das tun. Was haben wir davon, wenn wir mit vier Toten auf der Basis ankommen?" Bengasi prallte unwillkürlich zurück, einen derartigen sprachlichen Ausfall hatte er von Spencer in seiner Verfassung offenbar nicht erwartet. "Sie könnten aber auch vier anstatt zwei Leben retten. Mit etwas Risiko zwar, aber dieses Risiko sollten Sie eingehen! Wieviel sind vier Leben mehr als zwei? Zumals es durchaus auch sechs, acht oder noch mehr werden können?" "Wenn ich zwei Leben mit hoher Wahrscheinlichkeit retten kann, dann tue ich das lieber als mehr mit nur geringerer Wahrscheinlichkeit zu retten. Zwei Leben sind... absolut mehr wert als gar keines!" Spencer atmete einige Male tief durch und öffnete die Augen wieder, die er gerade unwillkürlich geschlossen hatte. 'Wer sind wir eigentlich, dass wir uns anmaßen, Menschenleben mit Wahrscheinlichkeiten zu vergleichen?', durchfuhr es ihn. Bengasi schien sich von derartigen Überlegungen nicht beeinflussen zu lassen. "Wenn es um Menschenleben geht, gibt es keine Verantwortung mehr. Für niemanden!" "Die Verantwortung hat immer noch der Captain, falls ich Sie daran erinnern darf", entgegnete Spencer, der sich wieder größtenteils im Griff zu haben schien, ruhig. "Dann sollten Sie in Erwägung ziehen, das Kommando an jemanden abzugeben, der eine derartige Verantwortung tragen kann", schnappte Bengasi. Spencer blickte Bengasi gleichsam offen und erstarrt an. "Ich bin von höchster Stelle für diese Mission mit dem Kommando betraut worden. Danach können Sie dieses Schiff von mir aus haben, ich plane nicht, hier Dauergast zu werden." Bengasi verzog eingeschnappt die Mundwinkel, im Innersten wusste er, dass Spencer genau ins Schwarze getroffen hatte. "Darum geht es nicht!", erwiderte er. "Es geht darum, dass Sie ganz offensichtlich nicht in der Lage sind, in angemessener Weise der Verantwortung dieses Kommandos gerecht zu werden." Spencers Miene wurde zu Wechselspiel aus Verärgerung und Belustigung. "Und was gedenken Sie zu tun? Wollen Sie mich einer medizinischen Überprüfung unterziehen? Jetzt, da..." Er erkannte erschrocken, was er da beinahe gesagt hatte und befühlte aus Verlegenheit die glatte und matt glänzende Oberfläche des Schreibtisches mit den Fingerkuppen seiner rechten Hand. Bengasi räusperte sich verärgert und strafte Spencer mit einem eiskalten Blick. "Captain, sie sollten nicht vergessen, hier geht es nicht um Sie. Es geht einzig und allein um die Mission, darum dass eine möglichst große Anzahl von Menschenleben gerettet wird." Er machte eine kurze Pause. Verwundert über den vernünftigen Tonfall Bengasis beschloss Spencer, stumm zu bleiben. "Fehlen Ihnen die Worte, Captain?", hakte Bengasi nach, der mit allem gerechnet hatte, nur nicht mit einem regungslos da stehenden Spencer. "Um ehrlich zu sein, ja", antwortete Spencer, der immer noch keines klaren Gedankens fähig war. "Ich nehme ihre Kritik zur Kenntnis." Kopfschüttelnd ließ Bengasi ihn mit halboffenem Mund in seinem Bereitschaftsraum zurück, kehrte auf die Brücke zurück und löste mit dem größten Selbstverständnis Fähnrich Bernhard ab. Ein zutiefst verwirrter Spencer ließ sich schwer in seinen Stuhl fallen und redete sich ein, etwas zu sich nehmen zu wollen. Wie automatisch orderte er eine Tasse Kaffee aus dem Replikator, drehte seinen Stuhl um 180 Grad und versenkte seinen Blick in die Weiten des Alls.
"Welche Maßnahmen wurden getroffen?", erkundigte sich Bengasi, nachdem er sich in aller Ruhe im Kommandosessel niedergelassen und die Tür zum Bereitschaftsraum einige Zeit aus den Augenwinkeln beobachtet hatte. Es hatte sich nichts geregt. Quentin antwortete: "Ich habe eine Dringlichkeitsanfrage an die Sternenbasis abgeschickt und um Entsendung..." Bengasi hob die Hand. "Das weiß ich. Schon eine Antwort?" Quentin verneinte. "Seltsam", meinte Bengasi nur und fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln. "Wiederholen Sie die Anfrage und betonen Sie die Dringlichkeit", bestimmte er. "Der Maschinenraum meldet, wir können auf Warp 6 beschleunigen." Austins glockenhelle Stimme rief aus einem unerfindlichen Grund Verärgerung in Bengasi hervor, er wunderte sich selbst darüber. "Tun Sie das", beschied er Austin trocken. Den Haltebefehl zur weiteren, genaueren Untersuchung der Viking konnte er nicht geben, so sehr es ihn in seinem Inneren drängte, es zu tun. Austin war nicht vollkommen wohl dabei, als sie den Befehl ausführte, sie rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum. Bengasi verhielt sich doch sonst nicht so ablehnend, schon gar nicht ihr gegenüber... Karov hatte die seltsame Verhaltensweise Bengasis ebenfalls bemerkt und wechselte mit der neben ihr sitzenden Austin einen Blick. Sie war sich allerdings nicht sicher darüber, ob das Attribut 'verstehend' der Qualität dieses Blickes wirklich gerecht werden würde.
"Irgendwas stimmt mit dem nicht", murmelte Hrovat, der zusammen mit den Fähnrichen Elias und Rouanpera in der Offiziersmesse saß. Obwohl niemand anders im Raum anwesend war, sprach Hrovat sehr leise. Rouanpera starrte unentwegt in sein Glas Borgiasaft, während Elias Hrovat interessiert zuhörte. Hrovat war gerade auf der Brücke von Austin abgelöst worden, Rouanpera und Elias warteten auf den Beginn ihrer Schicht im Maschinenraum. Bengtsson hatte die Schichtlänge seiner Ingenieure angesichts der Unterbesetzung von acht auf zehn Stunden heraufgesetzt, er hoffte, auf diese Weise mit zwei Schichten für die Mission auszukommen. "Der neue Captain? Spencer?", fragte Rouanpera. "Bengtsson hat zwar die eine oder andere Andeutung fallen lassen, aber das ist doch ganz normal. Ich meine, wir kennen ihn nicht und wenn er so Knall auf Fall an Bord kommt..." "Normal?", flüsterte Hrovat. "Du hättest mal sehen sollen, wie er reagiert hat und Bengasi mit ihm vor dem Einflug in den Sturm umgesprungen ist. Ich wäre jetzt zu gerne auf der Brücke." "Wieso?", fragte Elias, dem nicht sofort klar war, was Hrovat andeuten wollte. "Du meinst...?" "Fähnrich Rouanpera, Fähnrich Elias, melden Sie sich im Maschinenraum!", unterbrach die schnarrende Intercom-Stimme Bengtssons Elias. "Was ist denn nun schon wieder?", brummte Rouanpera. "Wir haben doch noch eine halbe Stunde." "Probleme wahrscheinlich", meinte Elias gelassen. Sie tranken rasch ihre Gläser aus, erhoben sich widerstrebend und ließen Hrovat alleine in der Offiziersmesse zurück. Er wüsste jedenfalls, wie er sich an Bengasis Stelle verhalten würde...
In der Krankenstation überprüfte Chell ein letztes Mal die Anzeigen mit den medizinischen Daten Özhans und des Kindes und gesellte sich zu Wynn, der im Büro des Dienst habenden Arztes die verfügbaren Informationen über die Behandlung der Strahlenkrankheit studierte. "Nichts?", fragte er. Wynn schüttelte wortlos den Kopf. "Keine Daten über eine Alternativbehandlung? Oder auch nur über eine Stabilisierungsmöglichkeit?" "Nein. Hyronalyn ist das beste Mittel gegen diese Strahlung. Die einzigen Alternativen, die beschrieben sind, sind höchst experimentelle Behandlungsmethoden. Den Großteil davon könnten wir nicht einmal versuchen, selbst wenn wir es wollten." "Und was ist mit einem Planeten, auf dem wir Hyronalynvorkommen finden?", fragte Chell. "Nicht in dieser Nähe. Wenn es sich um Tage handeln würde, hätten wir mehr Optionen. Aber es handelt sich nunmal nur um Stunden. Ich weiß nicht mehr weiter." Wynn deaktivierte resigniert das Computerterminal. "Jim, sie werden es schaffen. Davon bin ich überzeugt", versuchte Chell ihn aufzumuntern. Wortlos erhob sich Wynn und überprüfte zum zwanzigsten Mal seit ihrer Einlieferung die Lebensdaten der beiden Patienten.
"Elias! Rouanpera!", rief Bengtsson quer durch den Maschinenraum, als die beiden Fähnriche hereingekommen waren. Sie liefen schnurstracks zum Hauptkontrollpult, an dem Bengtsson saß. "Sir?", fragte Elias. "Wir kriegen Probleme mit dem Warpantrieb. Elias, Sie nehmen sich die Plasmainjektoren vor, Rouanpera, Sie versuchen, das Ungleichgewicht im Warpfeld zu kompensieren. Wir müssen Warp 6 auf jeden Fall halten!" "Verstanden." Bengtssons wandte seine Gedanken wieder den begonnenen Analysen zu, nur ein kleiner Teil von ihnen verweilte bei der beunruhigenden Unterredung mit Bengasi vorhin. 9"Captain", meldete sich Quentin verunsichert zu Wort. "Ja?" Spencer hatte vor etwa zwei Minuten Bengasi auf der Brücke abgelöst, wirkte aber auf die Brückenbesatzung nicht unbedingt sortierter als vor der Auseinandersetzung mit Bengasi. Quentin meldete: "Ich habe gerade den Kontakt zu Navigationsfunkboje 53-Gamma verloren. Der routinemäßige Zeitabgleich nach unserem Manöver im Plasmasturm stand an." Spencer konnte Quentins Aussage nicht prompt auf seiner inneren Bedrohlichkeitsskala einordnen. Bengasi bemerkte Spencers Verwirrung und fuhr an seiner Stelle fort: "Versuchen Sie, andere Funkbojen in der Nähe zu kontaktieren." "53-Epsilon und 53-Kappa reagieren auch nicht", meldete Quentin. Spencers Zustand änderte sich von einfacher Verwunderung eine Stufe in Richtung Besorgnis. "Probleme mit der Funkanlage?", erkundigte er sich. Bengasi überprüfte dies bereits an der Maschinenkonsole. "Negativ, Captain. Diagnose der Stufe 4 zeigt keinerlei Defekte an Kurzstrecken- und Subraumfunksystemen." "Kontaktieren Sie die nächstgelegene Sternenbasis und bitten Sie um Informationen. Wir waren einige Zeit ohne Funkkontakt, vielleicht haben wir eine wichtige Nachricht verpasst." Quentin begann damit, Kontakt herzustellen. "Sagen Sie, Commander, Sie sprachen von unregelmäßig auftretenden Problemen am Funksystem. Wie...?", begann Spencer, doch Bengasi schüttelte den Kopf. "Diese Probleme beschränkten sich auf Bild- und Tonstörungen beim Kurzstreckenfunk. Das kann es nicht sein." "Captain!", rief Quentin. "Ich kann Sternenbasis 53 nicht erreichen. Subraumrelaisstation 544 reagiert ebenfalls nicht!" "Was ist denn hier los?", fragte Spencer verstört. Langsam wuchs sich dieses Ärgernis in eine sehr unangenehme Richtung aus. "Mr. Bernhard, führen Sie einen ausgiebigen Subraumscan durch." Dieser führte einige gewohnte Tastendrücke durch, doch bereits nach wenigen Sekunden änderte sich sein Gesichtsausdruck von routinemäßig-neugierig nach verwirrt-entsetzt. "So etwas habe ich noch nie gesehen." Spencer und Bengasi begaben sich zu Bernhards Konsole und warfen selbst einen Blick auf die seltsamen Scanergebnisse. "Der... der gesamte Subraum ist auf einer niedrigen Ebene völlig aus der Ordnung geraten. Es sieht aus wie... ich weiß nicht." "Können Sie nichts genaueres sagen?", fragte Bengasi. Spencer betrachtete nur stumm die Messwerte auf den Monitoren. "Es könnte eine Folge einer Interaktion zwischen einem Schwarzen Loch und einem Quasar sein", spekulierte Bernhard vorsichtig. "Für genauere Informationen bräuchte ich die Geräte einer supermodernen Subraumforschungsstation." "Sie könnten Recht haben, es gibt einen Quasar in vierundzwanzig Lichtjahren Entfernung und ein Schwarzes Loch in siebenundzwanzig. Wie kommen Sie darauf?" "Ich hatte nach dem Ende meiner Akademiezeit ein mehrmonatiges Praktikum auf der Borden-Forschungsstation absolviert. Da habe ich solche Werte schonmal gesehen, in einer Simulation", erklärte Bernhard. Die Borden-Station war eine der renommiertesten privaten Forschungseinrichtungen in der Föderation. Bernhard konnte sich glücklich schätzen, dass er dieses Praktikum hat absolvieren dürfen, es blieb für gewöhnlich Top-Absolventen der Akademie vorbehalten. Spencer prüfte einige der Daten genauer und verglich sie mit den Betriebswerten der Magellan. "Wir werden auf die Dauer Schwierigkeiten mit dem Warpantrieb kriegen. Welcher Art kann ich unmöglich sagen, aber dem Betrieb eines normalen Warpfelds sind solche Werte mit Sicherheit abträglich." Er betätigte den Intercomschalter an Bernhards Station. "Spencer an Maschinenraum!" "Bengtsson hier. Was gibt's, Captain?" "Haben wir Schwierigkeiten mit dem Warpantrieb?", erkundigte sich Spencer. "Was? Nein", antwortete Bengtsson knapp. "Der Energieaufwand für den Traktorstrahl ist in den letzten Minuten um 0.9% gestiegen, das ist alles." Nach kurzer Überlegung deaktivierte Spencer die Verbindung zum Maschinenraum und nahm nachdenklich wieder im Kommandosessel Platz. "Fähnrich Austin, setzen Sie einen Kurs, der uns um den Bereich mit den starken Subraumverzerrungen herumführt. Behalten Sie die momentane Warpgeschwindigkeit bei", ordnete Spencer im alltäglichsten Ton an. "Captain!", fuhr Bengasi auf, nachdem er den Ausweichkurs Austins gesehen hatte. "Das würde uns über neun Stunden kosten! Wenn wir hindurchfliegen, wären wir in nicht einmal vier Stunden auf der Sternenbasis." "Wir können aber nicht hindurchfliegen. Der Warpantrieb würde versagen. Folgen Sie dem Ausweichkurs, Fähnrich", sagte Spencer gelassen. "Fähnrich Austin, Sie halten den gegenwärtigen Kurs", presste Bengasi, der seinen Ärger und seine Wut nur mühsam unterdrücken konnte, zwischen seinen geschlossenen Lippen hervor. "Commander?" Mehr sagte Spencer nicht, sein verdutzter Gesichtsausdruck sprach für sich selbst. Bengasi lehnte sich mit verschränkten Armen ans Brückengeländer und zeigte ein leeres, ausdrucksloses Gesicht. Es war jedoch nicht ausdruckslos genug, um das Feuer, dass tief in seinen Augen loderte, vollständig hinter dieser Maske zu verbergen. Die vier übrigen Brückenoffiziere wechselten eigentümliche Blicke, Bengasi hatte gerade eine unwiderrufliche Entscheidung für alle getroffen. Wie sollten sie sich nun verhalten? Folgen Sie ihrem Pflichtbewusstsein oder ihrem gesunden Menschenverstand? Zählt nun Loyalität oder die Überzeugung, das Richtige zu tun? Und was ist überhaupt richtig? Spencer blickte nach einigen verschwendeten Sekunden einmal den Viertelkreis entlang, an dem Austin, Karov, Bernhard und Quentin saßen. Alle vier blickten starr geradeaus in ihre Konsolen oder täuschten durch emsige Bedienung der Kontrollelemente Arbeit vor. Niemand wollte auch nur ein überflüssiges Wort sprechen oder auf eine andere Art und Weise Aufmerksamkeit auf sich lenken. "Verstehe", brummte Spencer missmutig in die gespenstische Stille der Brücke. Er erhob sich. "Folgen Sie mir, Mr. Bengasi", sagte er laut und fügte ein leises "... wenn Ihnen Ihre Karriere noch irgendetwas bedeutet" an. Er war sich nicht sicher, ob der Schall der letzteren Worte Bengasi überhaupt erreicht hatte oder ihn überhaupt erreichen sollte. Er nahm direkten den Weg in seinen Bereitschaftsraum, Bengasi folgte ihm dicht auf den Fersen. Unbemerkt von den anderen betätigte er im Vorbeigehen einen speziellen Knopf an der Maschinenkonsole. Dass nun faktisch niemand das Kommando auf der Brücke hatte, war sowohl für Spencer als auch Bengasi nebensächlich, jedoch aus verschiedenartigen Gründen.
Bengtsson, der sich im Maschinenraum weiter intensiv mit den Leistungswerten des Warpantriebs beschäftigte, bemerkte das Aufleuchten einer für gewöhnlich nicht benutzten Kontrollampe auf seinem Monitor. Er starrte sie ein, zwei Sekunden an, ein hämisches Grinsen verzerrte seine Miene. Mit einem Wink wies er seinen Stellvertreter an, seine Arbeit fortzuführen und verließ eiligen Schrittes den Maschinenraum.
"Was sollte das bedeuten?", fragte Spencer mürrisch, der sich nach einer mehr oder weniger schwungvollen Halb-Drehung um die eigene Achse Bengasi gegenübersah. "Das wissen Sie genau", erwiderte Bengasi wie aus dem Phaser geschossen. Er hatte Spencer nicht einmal Zeit gelassen, sich zu setzen. "Ich habe die einzig richtige Entscheidung in dieser Situation getroffen." "Ich will das Schiff nur vor einer drohenden Gefahr bewahren", verteidigte sich Spencer. "Außerdem gibt es Ihnen nicht das Recht, einen direkten Befehl von mir vor allen in Frage zu stellen." "Recht? Mit ihrem inkompetenten Handeln haben Sie jedes Recht verwirkt, dieses Schiff zu führen! Fünf Stunden Umweg, nur weil vielleicht was passieren könnte? Fünf Stunden! Wissen Sie, wieviele Überlebenden wir in fünf Stunden auf der Viking vielleicht noch hätten finden können?" Spencer blickte ihn fragend an. "Captain, Sie wissen was ich meine", knurrte Bengasi. Spencer hatte ihn durch einen Verzicht auf eine Reaktion unbewusst ins Leere laufen lassen. Sein aufgestauter Ärger verstärkte sich dadurch weiter, er machte ihm Luft. "Außen herumzufliegen ist in jedem Fall die falsche Entscheidung! Und wenn Sie das nicht einsehen, dann kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen!" "Und was haben wir davon, stur geradeaus weiterzufliegen und dann mit defektem Warpantrieb hilflos im Raum zu hängen?", fragte Spencer. In diesem Moment hörte er, nein, er fühlte, dass sich etwas am Antriebsgeräusch verändert hatte. "Spencer an Brücke. Bericht?" Eine Stimme antwortete, mit der Spencer auf keinen Fall gerechnet hatte. "Bengtsson hier. Wir sind gerade in den Bereich der Subrauminstabilitäten eingetreten. Der Antrieb arbeitet zufrieden stellend. Bengtsson Ende." "Bengtsson?", fragte Spencer wie im Selbstgespräch. Bengasi nahm dem Faden dankbar auf. "Sehen Sie. Auch die Crew weiß, was zu tun ist." Die Tatsache, dass ihm die Kontrolle der Situation entglitten war, wühlte Spencer zu seiner Überraschung nicht so auf, wie er vermutet hätte. "Und was soll ich tun, ganz konkret?", fragte er kühl. "Wenigstens sollten Sie Ihrer Entscheidung treu bleiben, sobald Sie einmal eine getroffen haben, sei sie nun richtig oder falsch. Wenn Sie der Meinung sind, Zeitgewinn hat oberste Priorität, dann handeln Sie auch danach!" Bengasi kam sich vor wie ein Lehrer auf der Akademie, der einem uneinsichtigen Schüler sein Fehlverhalten zum wiederholten Male darlegen muss. Er wurde lauter. "Die Crew braucht Vertrauen in Sie, dann müsste sie sich nicht auf der Suche nach Sicherheit an irgendwelchen Konsolen festhalten, die dann in die Luft fliegen. Sie sollten mal darüber nachdenken, ihre zukünftigen Untergebenen werden es bestimmt zu schätzen wissen." Spencer erschrak, vor seinem inneren Auge flitzte das Bild der explodierenden Konsole vorbei, er sah Özhan, wie sie dalag und dann, ohne Vorwarnung, sah er sich auf die Brücke der Cousteau zurückversetzt und wurde nochmals Zeuge, wie ein Feuerstoß des cardassianischen Angriffskreuzers sein Schiff erschütterte und eine Brückenkonsole zum Explodieren brachte. Er stand starr, als er sich klar wurde, dass es die Explosion war, die seinem damaligen Ersten Offizier Thola das Leben gekostet hatte. Bengasi betrachtete einige Sekunden lang Spencer, der wie zur Salzsäule erstarrt da stand, dann verdrehte er wütend die Augen. "Können Sie mir sagen, wie Sie es überhaupt geschafft haben, Kommandant zu werden?", schrie er. Spencer besann sich auf die unangenehme Wahrheit. "Das kann ich genau genommen nicht, Commander." Bengasi verzichtete auf eine Erwiderung, mit einer so seltsamen Antwort Spencers hatte er nicht gerechnet, außerdem erforderte sie keine. Spencer fröstelte, als er den ausdruckslosen Blick Bengasis wahrnahm, der sich nach einer stummen Ewigkeit wortlos umwandte und den Bereitschaftsraum verlassen wollte. "Geben Sie mir etwas Zeit, Commander", bat Spencer. "Ich muss über meine Entscheidung nachdenken." Bengasi, der bereits auf dem Weg zur Türe war, drehte sich schwungvoll um. Er steuerte wieder direkt auf Spencer zu und blieb Zentimeter vor der Tischkante stehen. "Zeit, Zeit, Zeit!", brüllte er. "Zeit ist das, was wir nicht haben! Wir nicht, Özhan nicht und das Kind auch nicht!" Seine Stimme überschlug sich fast und seine Faust prallte hart auf den Tisch. Er war für einen Moment seinem Temperament vollkommen ausgeliefert. Spencer trat erschrocken einen Schritt zurück und stand dort immer noch, als Bengasi aus dem Raum gestürmt war. Das Bild der zersplitternden Schachfigur aus seinem zurückliegenden Traum überlagerte alle seine Gedanken. Eine bessere Metapher für seinen momentanen Zustand ließ sich nicht finden.
Nach einer Viertelstunde trat Spencer aus seinem Bereitschaftsraum hinaus, er fand die Brückencrew vor, die ihrer Arbeit nachging, Bengasi saß im Kommandosessel und Bengtsson, der an seiner Maschinenstation saß, grinste ihn unverhohlen an. "Ich habe über meine Entscheidung nachgedacht", begann er vernehmlich. "Der Durchflug durch den vor uns liegenden Raum ist einfach zu gefährlich. Wir müssen ausweichen, solange der Warpantrieb noch funktioniert. Fähnrich Austin, ändern Sie den Kurs." Als einzige Reaktion löste Austin ihre Haarspange und schüttelte ihr langes Haar betont lässig, sie starrte dabei weiter stur geradeaus. "Lt. Karov!", versuchte Spencer nun sein Glück. "Sie als Chefin der Sicherheit sollten wissen, was in einem solchen Moment zu tun ist!" Karov wandte sich zu Spencer um, doch bevor sie etwas sagen konnte, fuhr Bengasi sie an. "Drehen Sie sich wieder nach vorne, Lieutenant! Andernfalls wird Mr. Sey ihren Posten übernehmen!" Karov rührte sich nicht sofort. Austin legte ihr eine beruhigende und gleichzeitig auffordernde Hand auf die Schulter. Es war Spencer, als zeigte sie für einen kurzen Moment eine entschuldigende Miene, bevor sie sich schlußendlich wieder nach vorne wandte. "Fähnrich Bernhard, Fähnrich Quentin", Spencers Stimme hatte den letzten Rest seiner Autorität verloren, noch bevor Bernhard oder Quentin eine Reaktion zeigten, flüchtete Spencer in den Turbolift. Es hätte ihn nicht im mindesten gestört, wäre der Lift aus der kontrollierten Abwärtsfahrt in den freien Fall übergegangen. In seinem Quartier angekommen ließ er sich, ohne sich auch nur einmal umzusehen, direkt in sein immer noch zerwühltes Bett fallen und blieb mit dem Gesicht nach unten liegen. Langsam kehrte jedoch seine Fähigkeit, klare Gedanken zu fassen und sich seiner Vernunft zu bedienen, zurück.
"Zustand des Warpantriebs?", fragte Bengasi, nachdem Spencer die Brücke verlassen hatte. "Alles im grünen Bereich. Ich möchte wissen, was das soll mit dem angeblichen Ausfall. Der Subraum ist zwar in Unordnung, aber da ist nichts, mit dem die automatischen Korrekturroutinen überfordert wären", antwortete Bengtsson kopfschüttelnd. Auf diese Worte hin lehnte sich Bengasi entspannt zurück, er fühlte sich absolut wohl und ließ einen wohlwollend autoritären Blick über die Brücke, die Crew und das Instrumentarium schweifen. Quentin wollte Bengasi davon in Kenntnis setzen, dass er immer noch keine Verbindung zur Sternenbasis herstellen konnte, er sah aber rechtzeitig Bengasis halb-träumerischen Gesichtsausdruck und unterließ die Meldung wohlweislich.
Nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, hatte sich es Spencer mit einer heißen Tasse Kaffee am Fenster gemütlich gemacht, so gemütlich jedenfalls, wie es in der momentanen Situation möglich war. War er schon zur Untätigkeit verdammt, dann wollte er wenigstens das Beste daraus machen. Die Einsamkeit seines Quartiers wirkte nach den aufreibenden Ereignissen unverhofft belebend, er sah hinaus. Raumphänomene waren mit dem bloßen Auge nicht zu beobachten, die Störungen schienen sich einzig und allein auf den Subraum zu beschränken. Subraumstörungen... Ohne diese Subraumstörungen hätte Bengasi keinen triftigen Grund gehabt, ihn als Captain 'abzulösen', doch warum überhaupt? Die Entscheidung, den Anomalien auszuweichen war schließlich nicht aus der Luft gegriffen und wenn Bengasi nicht seiner Meinung war, hätte er sich mit ihm darüber unter vier Augen auseinandersetzen müssen. Woher diese offene Verweigerung seiner Anweisungen, diese Zurschaustellung von Feindseligkeit? Hatte Bengasi seinen Sinn für die Realität verloren? Oder war es sogar er selbst, der außerhalb der Wirklichkeit stand? Er sah auf sich herab, wie er da saß, als wäre nichts gewesen, wie er fasziniert ins All hinausstarrte. Seine Kaffeetasse gab klackende Geräusche von sich, sie stand nicht sicher auf ihrer Untertasse. Bildete er es sich nur ein oder vibrierte das Schiff? Spencer stoppte das Wackeln durch einen sicheren Griff mit seiner Hand, den er wieder löste, als die Tasse still und sicher stand. Er legte seine Hand wieder zurück an die Tasse und glaubte förmlich zu sehen, wie sie sich durch die Berührung des Gefäßes erwärmte. Es war ihm nie bewusst gewesen, dass auch repliziertes Porzellan ein guter Wärmeleiter war. Wenn er seine Hand von der Tasse entfernen würde, würde sie wieder abkühlen... Warum konnte man nicht auch die Zeit zurückdrehen, die letzten Stunden vergessen machen und einfach von vorn beginnen? Doch würde der Gang der Ereignisse wirklich ein anderer werden? Spencer nippte nachdenklich nachdenklich am Kaffee. Stunden. Warum nicht Tage? Die letzten drei Monate ungeschehen... Plötzlich sah er mit großen Augen zur Tür. Er musste es ein zweites Mal hören, damit er endlich begriff, was los war: Jemand stand vor der Tür und hatte den Summer aktiviert. "Herein", meinte Spencer zweifelnd. Zu seiner Überraschung trat Karov ein. "Captain... störe ich?", fragte sie vorsichtig. "Nein. Sie sagen noch Captain?" Er konnte es sich nicht verkneifen, auf diese, im Moment grotesk wirkende Floskel, der sich Karov rein gewohnheitsmäßig bediente, hinzuweisen. "Sie sind doch der Captain", sagte Karov mit unübertreffbarer Naivität. Durch die Wiederholung dieses Wortes hatte sie, ohne es zu ahnen oder zu wollen, Spencer an seiner verwundbarsten Stelle getroffen. "Glauben Sie das wirklich?", knurrte er. Er sah sie dabei nicht an. Karov wich aus. "Ich habe nicht viel Zeit, Captain." Sie kniff entschuldigend die Lippen zusammen, als sie Spencer unabsichtlich zum wiederholten Male Captain nannte. "Es ist folgendes: In unserem Warpreaktor sammeln sich angereicherte Tetryon-Partikel, wohl wegen der Subraumstörungen. Lieutenant Bengtsson weiß es, sagt aber nichts." "Bengasi müsste es auf seinen Anzeigen auch sehen können. Warum handelt er nicht?" Er wunderte sich selbst, dass er diese und keine andere Frage stellte. Karov hob die Schultern. "Ich weiß es nicht. Weil er dann vielleicht einräumen müsste, im Unrecht zu sein." "Dann sagen Sie es ihm doch", meinte Spencer wie automatisch. "Schließlich ist das Schiff in Gefahr." "Und warum sagen Sie es ihm nicht?", fragte Karov aufmunternd. Spencer zuckte resigniert die Schultern und vermied es immer noch, sie anzusehen. "Auf mich hört er doch nicht mehr." Karov sprach jetzt etwas energischer. "Sir, ich habe Verständnis dafür, wie Sie sich jetzt fühlen. Riskieren Sie dafür bitte nicht die Sicherheit des Schiffes, nur weil Commander Bengasi jeden... jeden Sinn für die Realität verloren hat." "Wissen Sie was? Lassen Sie sich zum Counselor umschulen, sie haben Talent dafür", brummte Spencer, der seine Gedanken von vorhin nun sogar im genauen Wortlaut aus Karovs Mund hörte. "Ich erinnere Sie nur ungern daran, aber..." Karov hielt kurz inne und sammelte den Mut, den sie brauchte, um die folgenden Worte zu äußern. "Sie sind der rechtmäßige Captain dieses Schiffes." Sie benutzte ganz bewusst dieses Wort, der gewünschte Effekt blieb dieses Mal nicht aus. Spencers zusammengesunken dasitzende Gestalt saß nun ein klein wenig aufrechter, wie ihr schien. Sie fuhr fort: "Sie sind für die Sicherheit des Schiffes verantwortlich. Und das ist Ihre Chance: Sie gehen auf die Brücke und weisen auf die drohende Gefahr hin. Commander Bengasis Selbstsicherheit wird darunter bestimmt leiden." Ihre Worte hörten sich für Spencer plausibel an, er konnte sich nur nicht erklären, warum sie diese überhaupt sagte. Sie trat ein, zwei Schritte nach hinten. "Ich muss wieder zurück auf die Brücke." "Moment: Wieso sind sie überhaupt hier?", fragte Spencer rasch. "Werden Sie dort nicht vermisst?" "Ich habe einen Sicherheitsalarm ausgelöst. Dem muss ich nachgehen, auch wenn er sich hinterher als Fehlalarm herausstellt." Sie lächelte verschmitzt und verließ dann rückwärts gehend den Raum. Spencer stürzte aus einem unerfindlichen Grund den gesamten und außerdem noch zu heißen Inhalt seiner Kaffeetasse auf einmal hinunter und bereitete sich innerlich darauf vor, auf die Brücke zurückzukehren. 10Spencer trat gelassen aus dem Turbolift auf die Brücke. Die extrem unterkühlte Atmosphäre, die dort herrschte, ließ ihn erst eine Störung in der Umweltkontrolle vermuten, doch nach einem Blick auf die steinernen Mienen der Brückenoffiziere wurde ihm der wahre Grund dafür schnell klar. Er schlug bewusst einen beiläufigen Tonfall an, als er die Bombe platzen ließ. "Commander, ich weiß, dass sich im Warpreaktor angereicherte Tetryon-Partikel anlagern. Was ich allerdings nicht weiß ist, ob Mr. Bengtsson dies nicht sehen kann oder nicht sehen will." Bengasi warf einen scharfen Blick nach links, dort wo Bengtsson saß. "Stimmt das?" Bengtsson erschrak, führte eine Abfrage an seiner Station durch und bestätigte zerknirscht den Sachverhalt. Unbemerkt von den übrigen zeigte Karov ein zufriedenes Lächeln. "Lieutenant, in Zukunft sollten Sie zu ihren Fehlern stehen und nicht die Sicherheit des Schiffes aufs Spiel setzen! Wie schlimm ist es?" Bengasi hatte sehr beherrscht reagiert, viel beherrschter als er selbst es im Moment überhaupt könnte, gestand sich Spencer ein. Bengtsson nickte gehorsam. "Direkt in Gefahr in sind wir noch nicht, wir sollten aber schnell mit Gegenmaßnahmen beginnen." "Einverstanden", stimmte Bengasi zu, der an der kleinen Konsole des Kommandosessels emsig Berechnungen ausführte. "Programmieren Sie einen 3,17sekündigen Warpsprung auf Warp 7. Der dafür notwendige Energieschub sollte die Barriere, die die Tetryon-Partikel im Reaktorgehäuse bilden, auflösen." "Sind Sie verrückt geworden, Bengasi?" Spencer hatte seine mühsam erkämpfte Ruhe schlagartig wieder verloren. "Sie würden zwar die Tetryon-Barriere zerstreuen, aber ebenso unsere Moleküle im Weltall. Das hält doch unser Antrieb nie im Leben aus!" Bengasi blickte Spencer fordernd an "Und was schlagen Sie stattdessen vor?" "Kontrolliertes Abbremsen bis zur automatischen Abschaltung des Antriebs. Durch den fehlenden Kontakt zum Subraum werden die Tetryon-Partikel instabil und verflüchtigen sich." "Und wir müssen die Eindämmungsfelder verstärken", fügte Bengtsson hinzu. "Wie lange würde die Zerstreuung dauern?", fragte Bengasi genüsslich. "Eine Stunde? Zwei Stunden?" "Dreißig Minuten, höchstens. Dreißig Minuten, die wir auf jeden Fall investieren müssen." "Und dann? Danach setzen sich doch wiederum Tetryon-Partikel im Reaktor ab. Wollen Sie nach einer Stunde Flug immer wieder eine halbe Stunde anhalten?" "Vielleicht sollten wir die Viking vom Traktorstrahl abkoppeln", wagte Karov vorzuschlagen. Spencer wanderte im hinteren Bereich der Brücke unruhig auf und ab. "Nein, das würde nichts helfen. Aber jetzt, da die genaue Art der Tetryon-Verseuchung bekannt ist, lassen sich bestimmt Gegenmaßnahmen einleiten. Fähnrich Austin, leiten sie den Abbremsvorgang ein." "Ich sage nur: Warp 7 für 3,17 Sekunden. So verlieren wir keine Zeit. Nicht wahr, Miss Austin?" Er zeigte Austin ein unnatürlich strahlendes Lächeln. Es war scheinbar zu strahlend geraten, denn Austin blickte hilflos um sich. "Captain? Commander?" "Sie sollen beschleunigen, Fähnrich!", rief Bengasi. "Worauf warten Sie noch?" "Commander, jetzt geht es nicht mehr nur hypothetisch um ein paar Menschenleben", ereiferte sich Spencer. Jetzt geht es um dreiundsechzig, nein, vierundsechzig Leben, um dieses Schiff und dessen gesamte Besatzung und zwar mit einer Wahrscheinlichkeit von 1! Wir müssen verlangsamen! Es liegt ganz in Ihrer Hand, Fähnrich." Sie blickte verstört abwechselnd zu Bengasi und zu Spencer. "Auf der Akademie sagten wir immer, wenn du zwei sich ausschließende Anweisungen erhältst, gehorche beiden. Aber hier..." "Wenn Sie zu keiner Entscheidung fähig sind, überlassen Sie mir das!" Bengasi sprang plötzlich auf und wollte Austin von der Steuerkonsole wegdrängen, doch Karov konnte ihn rechtzeitig davon abhalten. "Commander, was ist in Sie gefahren?", fragte sie entsetzt. Bengasi versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien, musste dann aber einsehen, dass er ihrem Kampftraining nicht gewachsen war. Auf einen Wink Spencers ließ sie ihn wieder los. Bengtsson, Bernhard und Quentin verfolgten entgeistert das Schauspiel, dass sich ihnen im Zentrum der Brücke darbot. Einige Sekunden lang herrschte dort atemlose, gespannte Stille. Bengasi startete einen zweiten Versuch, Eingaben an der Ruderkonsole vorzunehmen, doch wurde wiederum von Karov sanft, aber bestimmt daran gehindert. Er ließ einen ärgerlichen Laut hören. Spencer durchbrach das Schweigen. "Also gut, also gut! Hören Sie zu!" Er hob seine Hände mit beschwichtigender Absicht in die Höhe, diese Absicht wurde nicht ganz erreicht, da er seine Hände nicht stillhalten konnte. "Damit niemand in einen Entscheidungszwang kommt, lasse ich sie alle darüber abstimmen, wie wir weiter vorgehen sollen. Für unsere gegenwärtige Situation gibt es zwei Lösungsmöglichkeiten: Die eine ist schnell, aber gefährlich. Der Warpsprung. Meiner Meinung nach zu gefährlich. Die andere wird einige Zeit in Anspruch nehmen, ist aber risikoloser: Langsames Abbremsen und Säuberung des Reaktors..." "Sie vergessen, dass sich immer wieder Partikel anreichern werden", unterbrach Bengasi. Spencer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. "Dagegen lässt sich, wie ich bereits sagte, etwas unternehmen. So: Sie alle kennen jetzt die beiden Optionen, die wir haben. Ich gebe Ihnen jetzt etwas Zeit..." Wie auf ein Zeichen unterbrachen warnende Geräusche von der Maschinenkonsole Spencer. "Der Reaktorinnendruck erreicht bald kritisches Niveau", informierte Bengtsson. "Dann nicht. Dann sofort", reagierte Spencer hektisch. "Wer für Commander Bengasis Vorschlag ist, hebt die Hand." Stur geradeaus blickend hob Bengasi die Hand. Reflexartig folgten die Hände Bernhards und Quentins. Austin wechselte einen kurzen Blick mit Karov, eine andere Regung zeigten beide nicht. Bengtsson wollte seine Hand ebenfalls erheben, doch dann hielt er sie starr auf mittlerer Höhe. In seinem Inneren kämpften nach außen unsichtbar zwei Seelen miteinander. Er sah, dass Bengasi, Bernhard und Quentin ihre Arme gehoben hatten, Spencer, Karov und Austin jedoch nicht. Seine Stimme würde die entscheidende sein. Doch war Spencers Vorschlag zu vorsichtig und zu umständlich, Bengasis Vorschlag zu radikal? Als Ingenieur ahnte er, wer im Recht war, doch einem klaren Sieg der Vernunft standen seine Loyalität und sein zurückliegenden Handlungen im Weg, aber doch... "Ich bin Ingenieur und kann das beurteilen", sagte er langsam und betont. "Der Warpsprung ist einfach zu gefährlich." Mit steinerner Miene verschränkte er seine Arme vor dem Körper, schüttelte langsam wiederholt den Kopf und warf dabei Bengasi, Bernhard und Quentin eiskalte Blicke zu. Ihre drei Hände sollten die einzigen in der Runde bleiben. "Commander, wie es scheint, sind Sie in der Unterzahl", schloss Spencer süffisant. Austin sah ihn ärgerlich an, sie kannte Bengasi und dieser war schon gereizt genug. "Bengtsson, das war die falsche Entscheidung!", zischte dieser. "Das vergesse ich Ihnen nicht!" Wutentbrannt blickte er um sich, riss sich von Karov los und flüchtete in den Turbolift. "Sollen wir ihm nach?", fragte Karov. Spencer verneinte. "Es gibt Wichtigeres. Fähnrich Austin, verlangsamen Sie das Schiff. Lt. Bengtsson, geben Sie ihr den optimalen Geschwindigkeitsvektor für den Stopp." "Verstanden." Austin und Bengtsson machten sich sofort an die Arbeit, Bernhard und Quentin wandten sich mit unlesbarem Gesichtsausdruck wieder ihren Stationen zu. Spencer fiel ein Stein vom Herzen. Endlich war die Situation wieder unter Kontrolle. 'Jetzt hätte ich eine andere Antwort auf Narus Frage zur Demokratie auf Raumschiffen', dachte er bissig, nachdem er sich im Kommandosessel niedergelassen hatte. "Ich gehe in den Maschinenraum", gab Bengtsson bekannt. "Von dort aus kann ich den Zerstreuungsprozess besser steuern." "In Ordnung", stimmte Spencer zu. Bengtsson wollte zuerst gedankenlos den Turbolift betreten, doch er hielt plötzlich inne. "Wegen meines eigenmächtigen Verhaltens vorhin..." "Später, Bengtsson", wehrte Spencer ab. Bengtsson nickte stoisch und verschwand in der Liftkabine. "Geschwindigkeit?", fragte Spencer. "Warp 3.5. Jetzt Warp 3. Fällt weiter", meldete Austin. "Mr. Bernhard, ich habe nicht vor, Sie auszuschließen, trotz ihrer Entscheidung gegen meinen Vorschlag", brummte Spencer halblaut. "Sagen Sie mir Sensorendaten über den Zustand des Subraums." Bernhard gab mit tonloser Stimme seinen Bericht. "Die Stärke der Verzerrungen schwankt laufend, bleibt aber im Mittel konstant. Keine Gefahr für das Schiff, wohl aber für den Warpantrieb." "Fähnrich Quentin, für Sie gilt dasselbe. Funkverkehr?" "Kein Empfang, Captain", antwortete er in derselben Tonlage wie Bernhard. "Hm", brummte Spencer. Plötzlich ertönten warnende Geräusche. "Wir beschleunigen wieder!", rief Austin erschrocken aus. "Das Steuer reagiert nicht!" Kommentarlos sprang Spencer aus seinem Stuhl und setzte sich an die Maschinenstation. "Wenn da jemand den Warpsprung druchführen will, überleben wir das nicht", stellte er aufgeregt fest. Es gab zwei Möglichkeiten, die drohende Überlastung der Eindämmung des Antimateriereaktors zu verhindern, Spencer zögerte kurz und entschied sich dann. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr, er musste beginnen.
Im Maschinenraum hatte Bengtsson den nicht von der Brücke ausgehenden Beschleunigungsvorgang ebenfalls mitbekommen. Er versuchte, das Schiff wieder auf Warp 6 herunterzubremsen, doch auch seine Eingaben waren ebenfalls nicht von Erfolg gekrönt. "Rouanpera, übersteuern Sie", befahl er dem ihm am nächsten stehenden Ingenieur. "Wir dürfen nicht weiter beschleunigen." Es bedurfte nur eines Winks und eines Fingerschnippens von ihm, damit sich zwei weitere Ingenieure den Bemühungen Rouanperas anschlossen. Er selbst begann schnellstens damit, die energiereichen Tetryon-Partikel im Antimateriereaktor zu beruhigen.
"Wir halten Warp 7!", rief Austin, deren Korrekturversuche immer noch von ablehnenden Warntönen ihres Pultes begleitet wurden. Spencer schüttelte von Hoffnung verlassen den Kopf. Bengasis Plan beinhaltete, nach etwas mehr als drei Sekunden die Geschwindigkeit abrupt von Warp 7 auf Null zu verringern. Dafür waren die Eindämmungsfelder seinen Daten zufolge noch nicht bereit. Nicht einmal Bengtsson hatte er informieren können "Warpantrieb ist aus", rief Austin. Alle außer Spencer hielten inne in Erwartung der finalen Explosion. "Reaktorinnendruck... nur leicht erhöht", stellte Spencer verwundert nach kurzer Zeit fest und atmete tief durch. "Wir sind noch da." "Das gibt's doch nicht", fügte Austin trocken hinzu und sorgte damit für ein erleichterndes Lächeln auf den Gesichtern der übrigen. Es war auch bitter nötig nach den vorangegangenen Ereignissen. Bengtsson meldete sich. "Maschinenraum an Brücke!" "Spencer hier." "Captain, das mit dem Warpsprung, das war ich nicht", sagte er, gleich in die Verteidigung gehend. "Ich weiß", log Spencer. "Haben Sie eine Ahnung, warum wir den Warpsprung überlebt haben? Ich bin nicht fertig geworden." "Ich auch nicht", musste Bengtsson zugeben. "Die Zeit war zu knapp." "Ich vermute, das war eine Wechselwirkung unserer unterschiedlich fortgeschrittenen Gegenmaßnahmen. Reiner Zufall, dass sich die Tetryon-Partikel im richtigen Augenblick zerstreuen konnten." "Sehe ich auch so", stimmte Bengtsson zu. "Wir haben unwahrscheinliches Glück gehabt. Dafür können wir jetzt wieder auf Warp 6 gehen, alle Tetryon-Partikel sind weg und gegen eine Wiederverseuchung habe ich auch schon was im Sinn." "Ist gut." Spencer trennte die Verbindung und nahm wieder seinen Platz ein. "Miss Austin, Warp 6 wiederaufnehmen. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wer war das", brummte Spencer. "Der unautorisierte Zugriff auf die Antriebskontrolle erfolgte von Deck 9, Sektion 17. Da ist die Reserve-Hilfssteuerung", antwortete Karov prompt. "Und wer das war, das liegt ja auf der Hand..." "Das ging aber schnell", meinte Spencer. "Wie groß ist ihre Sicherheitscrew?" "Zwei Leute, außer mir", antwortete Karov. "Da müssen wir mit einer Suche gar nicht erst anfangen." "Richtig. Andere Vorschläge?" "Dazu vielleicht nicht, ich habe aber was anderes", sagte Quentin. Auf Spencers fragenden Blick fuhr er fort: "Es besteht vielleicht die Möglichkeit, dass wir eine kurze Nachricht absenden können. Nur Text, nur wenige Zeilen, aber vielleicht wird sie durchkommen." "Gut, Fähnrich. Ersuchen Sie um ein Schiff, dass uns entgegenfliegt und die... Patienten übernimmt." Quentin machte sich an die Arbeit. Plötzlich blinkte ein Anzeigemonitor auf seiner Konsole auf. "Spencer klingt überhaupt nicht gelangweilt, oder?", las er. Als Ursprungsort der Zeile war die Wissenschaftsstation angegeben. Bernhard grinste Quentin an und Quentin grinste zurück.
"Und Sie meinen, das funktioniert?", fragte Rouanpera, der zusammen mit Bengtsson und einer weiteren Ingenieurin am Hauptkontrollkonsole im Maschinenraum stand. Sie versuchten zu verhindern, dass sich die Tetryon-Partikel wieder von Neuem im Reaktor anreicherten. "Ich meine", versetzte Bengtsson hart. "Lassen Sie sicherheitshalber eine Simulation laufen." Im Hintergrund mischte sich das zischende Geräusch sich öffnender und schließender Türen in die übliche Geräuschkulisse des Maschinenraum. "Das ist bestimmt Spencer und will sich wieder in meine Arbeit einmischen", murmelte Bengtsson halb im Selbstgespräch und ohne sich umzusehen. Er gab weiter Daten ein. "Und ich hatte doch recht. Der Warpsprung hat geklappt", ließ der Neuankömmling vernehmen. Es war Bengasi. "Sehen Sie nun ein, dass es klüger wäre, mir zu folgen?" Bengtsson wirbelte herum. "Recht? Sie hatten uns beinahe umgebracht mit ihrer Aktion!", schrie er. Bengasi sah zutiefst erschrocken drein. "Wie? Ist doch alles in Ordnung?" "Von wegen! Nur weil Spencer und ich zufällig und gleichzeitig auf zwei Arten versucht hatten, etwas gegen die Explosion zu unternehmen, sind wir überhaupt noch hier. Und alles nur wegen... wegen..." Bengtssons Wut entlud sich in einem spontanen, aber heftigen Kinnhaken, mit dem der verdutzte Bengasi überhaupt nicht gerechnet hatte. Bengtsson aktivierte das Intercom ohne hinzusehen. "Maschinenraum an Brücke. Hier ist jemand, den Sie sicherlich gerne sprechen würden, Captain." Der am Boden liegende Bengasi wollte sich erheben, unterließ es aber auf eine warnende Geste Bengtssons hin.
Spencer war zusammen mit Karov in den Maschinenraum gekommen und hatte sich von Bengtsson den Gang der Ereignisse kurz berichten lassen. Karov befragte gerade die übrigen Ingenieure nach ihren Versionen. "Befehlsverweigerung, Meuterei, Schlägereien...", begann Spencer und sah Bengtsson durchdringend an. "Eigentlich sollte ich Sie auch einbuchten", brummte er. "Wieso?", fragte Bengtsson verwundert. "Das gerade war ein tätlicher Angriff auf einen vorgesetzten Offizier", informierte ihn Spencer. "Und was heißt das jetzt?", fragte er nun, eine Spur vorsichtiger. Spencer schüttelte ratlos den Kopf. Herr der Situation war er bei weitem noch nicht. "Das weiß ich noch nicht. Das weiß ich wirklich nicht. Machen Sie weiter, Lieutenant." "Ja, Sir", bestätigte Bengtsson vergnügt. Spencer winkte Karov herbei, sie begleiteten Bengasi auf seinem Weg in die Arrestzelle. "Was ist Ihnen eigentlich eingefallen, Commander, eine solche Aktion zu starten?", fragte Spencer, nachdem sie den Turbolift betreten hatten und einige Decks abwärts fuhren. Bengasi ignorierte ihn und wandte sich an Karov. "Sehen Sie nicht, was hier läuft? Weshalb folgen Sie jemandem, der nicht die richtigen Entscheidungen zu treffen weiß?" Spencer tippte Bengasi auf die Schulter. "Bengasi, ich rede mit Ihnen." "Was ist?", fuhr Bengasi, der Spencer weiterhin standhaft ignorierte, Karov an. "Beantworten Sie die Frage des Captains, Commander. Es ist besser so", empfahl sie ihm in freundlichem, aber bestimmtem Ton. "Alles Blindgänger um mich herum", ereiferte sich Bengasi mit einer großen Geste. "Sehen das Offensichtliche nicht." "Halten Sie ihre Hände ruhig und unten, Commander. Aussteigen", knurrte Spencer. Der Lift hatte angehalten, Bengasi setzte sich widerstrebend in Bewegung. Spencer und Karov wechselten einen genervten Blick. "Ich würde gerne eines wissen, Commander", versuchte Karov nun ihr Glück. "Warum haben Sie gegen alle Prinzipien der Sternenflotte verstoßen und die gesamte Brückencrew gegen ihren Willen mit da hineingezogen? Sie waren für mich immer ein Vorbild." Auf diese Worte wusste Bengasi keine Antwort, Spencer konnte sich ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Karov wusste genau, wie sie Bengasi treffen konnte. "Wir sind da", verkündete Spencer überflüssigerweise, als sie sich dem Zellentrakt näherten. Einer von Karovs Sicherheitsleuten hatte bereits Position als Wächter bezogen, Spencer nickte anerkennend, unbemerkt von Karov jedoch, die jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit Bengasi widmete, solange, bis ein schützendes Sicherheitskraftfeld sie voneinander trennte. 11Logbuch der Magellan, Sternzeit 21.475.8, Commander Spencer: [22.06.2344 03:25:38] Wir haben den Bereich mit den Subraumanomalien ohne weitere Zwischenfälle durchquert. Wir waren nicht gezwungen, unseren Warpflug ein weiteres Mal zu unterbrechen, da Lieutenant Bengtssons Maßnahmen erfolgreich waren. Fähnrich Quentins Nachricht ist auf Sternenbasis 53 empfangen worden, die U.S.S. Northern Star wird in wenigen Minuten mit uns zusammentreffen und Doktor Özhan und den Jungen mit Höchstgeschwindigkeit dorthin fliegen. Von den Ereignissen um Commander Bengasi hatte Spencer bisher nicht ein einziges Wort in offiziellen Aufzeichnungen vermerkt, auch diesen Eintrag hielt er im Bezug darauf bewusst vage. Er wollte die knapp zwei Stunden, die ihm bis zur Ankunft auf der Basis noch verblieben, dazu nutzen, einen möglichst objektiven Bericht über die Sache zu verfassen. "Die Northern Star kommt in Sichtweite!", meldete Bernhard. In seine Stimme mischten sich Spuren der Erschöpfung, da er die letzten beiden Stunden vollauf damit beschäftigt gewesen war, jede noch so kleine Unregelmäßigkeit der Subraumverzerrungen zu entdecken, um die sicherste Passage der Magellan herauszufinden. "Auf den Schirm!" Die Northern Star war ein neues, schlankes Schiff der Niagara-Klasse, die geschwungene, harmonische Linienführung ihres Rumpfes machte im Vergleich zur kantig wirkenden Magellan mit ihren vier sperrigen Warpgondeln klar, dass sie einer völlig anderen Generation von Sternenflottenschiffen angehörte, einer Generation in der sich Eleganz und Warpphysik nicht mehr konträr gegenüberstanden. "Wir werden gerufen!" Mit einem knappen Kopfnicken wies Spencer Quentin an, die Verbindung auf den Schirm zu bringen. "Hier spricht Captain Melanie J. Cohen von der U.S.S. Northern Star. Captain Spencer?" Captain Cohen war noch jung, sie hatte kurz geschnittenes, braunes Haar und braune Augen. In ihrem Erscheinungsbild passte sie ganz zu ihrem Schiff. "Ja, Captain Cohen. Sie wissen Bescheid?" Da sich Spencer nicht sicher war, wieviel von Quentins Nachricht wirklich durchgekommen war, fragte er sicherheitshalber nach. "Wir nehmen zwei Notfallpatienten zur dringenden Bekämpfung ihrer Strahlenkrankheit an Bord und fliegen zur Sternenbasis zurück", fasste Cohen kurz den Wortlaut ihres Einsatzbefehls zusammen. "Haben Sie schon einen Kurs für das Rendezvous unserer Schiffe berechnet, Captain?", fragte Spencer. "Warum nicht gleich ein Rendezvous mit dem Captain der Northern Star", murmelte Quentin beinahe unhörbar. Bernhard lachte ein stilles Lachen. Cohen warf einen Blick auf ihre Anzeigen. "Die Navigationscomputer unserer Schiffe haben sich verständigt. Rendezvousmanöver ist programmiert." Spencer wartete auf ein zustimmendes Nicken von Austin, das auch prompt erfolgte. "In Ordnung, Captain Cohen. Spencer Ende." Spontan musste er schmunzeln, als er sich vorstellte, welche Ausrede sich Bengasi hätte einfallen lassen müssen, wäre er jetzt derjenige, der auf seinem Stuhl säße. Auf der anderen Seite, hätte Bengasi seinen Willen durchgesetzt, wäre Cohen jetzt überhaupt nicht hier und hätte wahrscheinlich in einigen Stunden eine von vornherein zur Ergebnislosigkeit gestempelte Suchaktion nach der dann nicht mehr existenten Magellan starten müssen. "Wir gehen auf Impuls", gab Austin bekannt und beendete Spencers gedankliche Spekulationen über eine glücklich abgewendete Zukunft. "Sind in Transporterreichweite", fügte sie an. "Transporterraum: Erfassen Sie die beiden Patienten in der Krankenstation und beamen Sie sie direkt auf die Krankenstation der Northern Star." "Aye, Sir", antwortete eine Spencer unbekannte Stimme. "Der Transport ist erfolgreich verlaufen, Captain." "In Ordnung", bestätigte Spencer zufrieden und deaktivierte das Intercom. "Die Northern Star meldet sich wieder", gab Quentin bekannt. "Lassen Sie hören." "Wir haben die beiden, Captain", sagte Cohen. "Unser Doktor meint, dass es nicht gut um die beiden steht. Er wird aber alles in seiner Macht stehende versuchen." "Dann wünsche ich viel Glück", antwortete Spencer halblaut. "Und einen guten Flug, Captain Cohen." "Ihnen ebenfalls, Captain Spencer. Wollen wir sehen, wie lange die Magellan mit der Northern Star noch mithalten kann?", fragte Cohen mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern. Spencer war nach allem anderen als nach Spielchen zumute. "Fliegen Sie bitte ab, Captain, und zwar so schnell wie möglich", brummte er müde. "Jede Sekunde zählt, Spencer Ende." Achselzuckend und ein bisschen enttäuscht trennte Cohen die Verbindung, die Northern Star flog eine gewagte Schleife und beschleunigte auf Warp. Warp 8.2, so konnte Spencer ablesen. Einige Sekunden später folgte die Magellan der Northern Star, allerdings nur mit Warp 5. Bengtsson wollte den Antrieb nach dem materialbelastenden Durchflug durch die Subraumanomalien nicht mehr als nötig belasten und dafür bestand auch jetzt keine Notwendigkeit mehr. Im Gegenteil, so hatte Spencer mehr Zeit für das, was ihm nun bevorstand. "Ich bin in meinem Raum. Ich muss jetzt tief nachdenken was ich schreiben werde", verabschiedete sich Spencer. "Lt. Karov, Sie übernehmen die Brücke." Karov nickte verständnisvoll und nahm den leer gewordenen Platz in der Mitte ein, nachdem Fähnrich Sey als ihre Vertretung eingetroffen war. Im Bereitschaftsraum sah sich Spencer mit der sprichwörtlichen Ruhe nach dem Sturm konfrontiert. Er ließ sie fünf Sekunden auf sich einwirken, dann begann er damit, den Missionsbericht in aller ihm zur Verfügung stehenden Objektivität zu verfassen.
Er hatte etwa eine halbe Stunde gearbeitet, als sich der Türsummer bemerkbar machte. "Herein!", rief Spencer, dankbar für diese Unterbrechung, in der sich seine Objektivität etwas Erholung verschaffen konnte. "Störe ich, Captain?", fragte Karov, die in der Türe stand. "Ja, aber das macht nichts", brummte Spencer. "Nehmen Sie Platz. Wer ist jetzt auf der Brücke?" "Lieutenant Bengtsson. Er musste einige Kontrollen an der Maschinenstation durchführen und da...", begann Karov, doch Spencer unterbrach sie, indem er die Hand hob. "Was ich Sie fragen wollte..." "Ja?", fragte Karov, nachdem sie sich gesetzt hatte. "Warum waren Sie zu mir gekommen und haben mich über das Problem mit den Tetryon-Partikeln in Kenntnis gesetzt? Ich meine, nach meiner Vorstellung auf der Brücke zuvor." "Sie waren immer noch der rechtmäßige Captain und es bot sich eine taktische Gelegenheit, das Kommando auch praktisch wieder zu übernehmen", antwortete Karov als wäre es selbstverständlich. Spencer hob verwundert eine Augenbraue, sagte aber nichts. Karov stellte nun ihre Frage. "Was passiert eigentlich jetzt?" "Nun, Commander Bengasi und wahrscheinlich auch Lieutenant Bengtsson werden größere Schwierigkeiten bekommen. Beide haben aktiv an der Meuterei mitgewirkt. Und selbst wenn ich Bengtssson zugute halten muss, dass er hinterher meinem Vorschlag gefolgt ist, kann ich den überflüssigen Kinnhaken, den er Bengasi öffentlich im Maschinenraum verpasst hat, nicht einfach vergessen." Karov nickte, auch wenn sie in ihrem Inneren der festen Überzeugung war, dass Bengtsson völlig richtig gehandelt hatte. Auch wenn der Kinnhaken gegen die Vorschriften verstoßen hatte, so ging von ihm doch eine bedeutende Signalwirkung aus... Sie beschloss aber, nicht mit Spencer darüber zu diskutieren. "Was ich eigentlich wissen wollte... was wird mit uns? Der Brückencrew und den anderen?" "Gegen die übrigen als abhängiger Teil der Befehlskette werde ich von mir aus nichts unternehmen. Von einer Selbstanzeige kann ich sie natürlich nicht abhalten." "Ich verzichte, wenn Sie erlauben, Captain", lächelte Karov. "Gewährt." Spencer erlaubte sich ebenfalls ein kleines Lächeln. "Ist noch etwas?" "Ja, ich hätte noch eine zweite Frage..." Sie brach ab, sie musste nachdenken. Spencer gewährte ihr diese kurze Pause. "Sir, Sie haben doch sicher meine Dienstakte gelesen", begann sie vorsichtig. "Und?", fragte Spencer, der nicht direkt wusste, worauf sie hinauswollte. "Dann haben Sie doch sicher von dem Zwischenfall auf der Akademie gelesen, oder?" "Ja, habe ich. Bitte sagen Sie, was Sie meinen, Lieutenant. Ich werde sie bestimmt nicht auffressen." Sie hatte von sich aus ein für sie persönlich schwieriges Thema angesprochen und Spencer versuchte nun, es ihr dabei so leicht wie möglich zu machen. Sie lächelte. Spencers kleiner Scherz gab ihr die notwendige Sicherheit, um endlich das zu sagen, was sie sagen wollte. "Sie haben mich nicht darauf angesprochen und mir trotzdem einiges an Verantwortung aufgetragen. Wieso?" Spencer war überrascht, zum Teil wegen der Art und Weise wie sie das Thema ansprach, zum Teil aber auch wegen der Schlichtheit des einzelnen, aber starken Frageworts selbst. "Sie haben offensichtlich schon einige schlechte Erfahrungen in dieser Hinsicht gemacht", begann Spencer. Er fühlte sich ebensowenig wohl bei diesem Thema wie Karov. "Ich bilde mir aber immer selbst ein Urteil. Dienstakten geben immer nur das wieder, was man einmal war, nicht, was man ist." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Und ich denke, dies trifft auf Sie zu, Lieutenant." Sie blickte ihn offen an. "Danke, Sir. Ich darf dann gehen?" "Aber sicher doch." Spencer hatte den Eindruck, als sei sie nach dieser Unterredung um einige Zentimeter gewachsen. "Auch mal etwas Positives auf dieser Reise", brummte er für sich, als er ihr nach einem kurzen Moment auf die Brücke folgte. "Captain?", fragte Bengtsson aus dem Kommandosessel. "Bleiben Sie sitzen und machen Sie weiter. Ich werde noch ein Gespräch mit Commander Bengasi führen. Vielleicht hat er sich inzwischen wieder unter Kontrolle." "Und was erhoffen Sie sich davon?", fragte Bengtsson zweifelnd. "Vielleicht werde ich mich danach selber besser verstehen", erwiderte Spencer vieldeutig und betrat den Turbolift. "Alle spielen sie verrückt heute", murmelte Bengtsson kopfschüttelnd, ohne dass die übrigen eines seiner Worte verstehen konnten.
Bengasi lag bei Spencers Eintreffen in der Arrestzelle rücklings und däumchendrehend auf der Liegegelegenheit, die trotz eines relativen Komforts immer noch mit der Bezeichnung 'Pritsche' belegt war. Ein Spencer unbekanntes Gesicht eines Fähnrichs versah brav den langweiligen Dienst als Zellenwächter, er verschwand auf einen Wink Spencers aus dem Bereich der Arrestzelle. "Ah, Captain", begrüßte Bengasi Spencer, gerade so als würde er in seiner eigenen Welt stehen und nicht in der Arrestzelle. Ein selbstgefälliges Lächeln umspielte seine Lippen. "Commander", kontrastierte Spencer knurrend Bengasis Begrüßung. "Ich will von Ihnen nur eines wissen: Warum haben Sie das getan?" "Ganz einfach", antwortete Bengasi, indem er aufstand und sich auf Spencer zubewegte. "Ich wollte, dass die richtige Entscheidung getroffen wird. Und das Ergebnis spricht für sich." "So einfach ist es nicht, Commander", erwiderte Spencer. "Sie hatten kein Recht, meine Entscheidung einfach so in Frage zu stellen. Wenn Sie meinen, die richtige Entscheidung zu kennen, dann müssen Sie sie dem Captain darlegen." "Es war eine Notsituation. Es ging um Leben und Tod. Wir mussten schnell handeln. Ich musste schnell handeln." "Auch wenn diese Handlung schnurstracks ins Verderben führt, so wie Ihre? Es gibt nicht umsonst nur einen Kommandanten." "Ein Kommandant kann irren", merkte Bengasi in einem Tonfall an, der die Aussage dieser Worte weit über das Allgemeine hinaus ausdehnte. Er hob abwehrend die Hände. "Außerdem führte meine Entscheidung nicht ins Verderben. Sonst wären wir jetzt nicht hier." "Wir hatten einfach Glück. Zuviel Glück, als dass ich Ihre Entscheidung auch im Nachhinein gutheißen könnte." "Es ist mir ziemlich egal, ob Sie meine Entscheidung gutheißen oder nicht. Risiko gehört bei einer Entscheidung immer dazu, Captain, ob Sie es wahrhaben wollen oder nicht. Und außerdem, seien Sie doch zufrieden! Sie haben sich durchgesetzt, mit welchen Mitteln auch immer und jetzt stehen wir auf unterschiedlichen Seiten dieses Kraftfelds." Spencer schüttelte den Kopf. "Sie wollen doch wohl nicht ernsthaft behaupten, ein derartiger... Zirkus auf der Brücke hätte mir gefallen?" "Dieser... Zirkus, wie Sie sich ausdrücken, ist im Normalfall auch überflüssig. Es gibt so etwas wie Vertrauen, Captain", dozierte Bengasi. "Die Crew muss Vertrauen zu ihrem Kommandanten haben. Und Sie haben sich nicht gerade so verhalten, dass die Crew Vertrauen zu Ihnen aufbauen konnte. Das war ihr Fehler. Und ich werde dafür sorgen, dass Sie für diesen Fehler zur Verantwortung gezogen werden." "Ich wüsste nicht, dass es eine Vorschrift gibt, die verbietet, dass ein Kommandant einen Fehler begeht", erwiderte Spencer, auf den die leere (?) Drohung Bengasis nicht den mindesten Eindruck gemacht hatte. "Und so gering war das Vertrauen der Crew zu mir wohl auch nicht oder wie würden Sie das Verhalten zum Beispiel der Maschinencrew Ihnen gegenüber erklären?" "Sie verwechseln Vertrauen und Autorität der Position, Captain. Etwas, was unsere starre, hierarchische Kommandostruktur nun einmal mit sich bringt." "Die Demokratie hat Ihnen aber auch nicht viel geholfen", entgegnete Spencer achselzuckend. "Was aber nichts an meiner Sicht der Dinge ändert", schloss Bengasi und verschränkte die Arme vor der Brust. Spencer zog ab, er war nicht unbedingt schlauer als zuvor. Zwei Leute, zwei Meinungen. Und der Rest der Crew als Marionetten, diesem Meinungsstreit hilflos ausgeliefert... 12Logbuch der Magellan, Sternzeit 21476,0, Commander Spencer: [22.06.2344 05:11:02] Wir befinden uns im Anflug auf Sternenbasis 53, endlich, möchte ich sagen. Ich bin froh, dass die Mission wenigstens zum Teil erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Bis jetzt haben wir keine Nachricht über den Zustand Doktor Özhans oder des Jungen erhalten können. Spencer war sich klar, dass dieser, sein letzter Logbucheintrag an Bord der Magellan nicht besonders gelungen war, aber er war einfach nur froh, dass er ihn hinter sich gebracht hatte. "Captain, wir werden gerufen. Es ist Admiral Paris." Quentin hatte den Moment, in dem Spencer den Deaktivierungsknopf der Logbuchaufzeichnung drückte, exakt abgepasst. "Auf den Schirm." "Willkommen zurück, Captain", begrüßte Paris Spencer in seinem üblichen, gleichmütigen Tonfall. "Wissen Sie schon etwas über Doktor Özhan und den Jungen, Admiral?", fragte Spencer erwartungsvoll. "Noch keine Informationen", antwortete Paris. "Die Ärzte kämpfen weiter um ihre Leben. Ich übermittle Ihnen jetzt ihre genauen Dockanweisungen. Sie erwarte ich in einer halben Stunde in meinem Büro. Mit dem fertigen Missionsbericht. Paris Ende." "Fähnrich Austin, folgen Sie den Anweisungen." Spencer war mehr als froh, endlich die Sternenbasis in direkter Sichtweite zu haben. Und den Bericht hatte er auch fertig geschrieben, auch wenn es ihm alles andere als leicht gefallen war.
Der Admiral beobachtete den weiteren Anflug der Magellan auf dem großflächigen Sichtmonitor in seinem Büro, als plötzlich sein Kommunikationsgerät summte. "Paris hier." "Counselor Naru. Ich hörte gerade, die Magellan kommt wieder." "Sie haben richtig gehört, Counselor. Was wollen Sie?" "Wenn Sie mit Spencer sprechen, da wäre ich gerne dabei." "Das ist möglich, Counselor. In dreißig Minuten in meinem Büro." Paris warf einen letzten Blick auf die zu seiner Zufriedenheit äußerlich unversehrte Magellan, die gerade die nur leicht beschädigt wirkende Viking auf der für sie vorgesehenen Parkposition vom Traktorstrahl gelöst hatte und widmete sich wieder seiner Arbeit. Ein erster Bericht der Krankenstation über die Strahlenopfer traf ein.
"Der Andockvorgang ist abgeschlossen, Captain", meldete Austin. Sie hörte sich beinahe so an, als wäre sie besonders stolz darauf. "Danke, Fähnrich." Spencer erhob sich. "Das war's. Sie alle haben recht gute Arbeit geleistet... in den meisten Zeit jedenfalls. Ich wünsche Ihnen allen viel Glück für ihre jeweilige Zukunft, ich verabschiede mich", leierte er seine vorher zurecht gelegten Abschiedsworte herunter. "Auf Wiedersehen, Captain", sagte Karov gerade noch rechtzeitig, bevor Spencer im Turbolift verschwunden war. Er fuhr in sein Quartier, nahm seine bereits zusammengepackten Sachen und verließ auf dem schnellsten Wege die Magellan, noch bevor etwas wie Abschiedsstimmung aufkommen konnte. Die Mission hatte er überstanden, glücklich im wahrsten Sinne des Wortes. Er sehnte sich nach der Geborgenheit seines Quartiers auf der Sternenbasis.
Eine knappe halbe Stunde später stand er vor dem Büro des Admirals. Er kam sich vergleichsweise klein vor, wie er vor den riesigen Türen stand. Er betätigte den Türsummer. "Herein!", rief Paris. Die Türen glitten dicht vor ihm auseinander, er ging einige langsame Schritte in den Raum hinein. "Commander Spencer meldet sich wie befohlen, Admiral", brummte er. Paris sah sehr reserviert drein, die Meldung war wohl für seinen Geschmack nicht schneidig genug ausgefallen. Erst auf den zweiten Blick wurde Spencer gewahr, dass noch jemand im Büro des Admirals anwesend war. Er ließ sich die Überraschung äußerlich nicht anmerken. "Counselor"; fügte er seiner Meldung von gerade in etwas freundlicherem Ton hinzu. "Commander", grinste Naru, den Paris' unzufriedene Reaktion auf Spencers Gebrumme sichtlich amüsierte. "Nehmen Sie Platz, Spencer", befahl Paris. "Wie geht es Doktor Özhan und dem Jungen?", war Spencers erste Frage, gleich nachdem er sich gesetzt hatte. "Doktor Özhan ist auf dem Weg der Genesung, morgen wird sie wieder dienstfähig sein. Was den Jungen betrifft..." Paris legte eine kurze, bedrohlich wirkende Pause ein. "Ja, Admiral?", fragte Spencer ungeduldig nach. "... er lebt. Aber er hätte nicht nur ein paar Minuten später gefunden werden dürfen. Den Ärzten der Northern Star zufolge stand sein Leben auf Messers Schneide." Spencer atmete tief durch und war erleichtert. Doch plötzlich durchzuckte ihn die Erkenntnis, dass die zurückliegenden Ereignisse auf keinen Fall anders hätten ablaufen dürfen. Bengasis Überlegung, die Viking weiter zu untersuchen, hätte ebenso zu dem Tod des Jungen geführt, wie seine Vorhaben, den Bereich mit den Subraumanomalien zu umfliegen beziehungsweise Halt zu machen, um gegen die Tetryon-Verseuchung in aller Ruhe vorzugehen. So betrachtet, hatte das Verhalten Bengasis im Nachhinein eine späte Rechtfertigung erfahren. Hätte er die Frage nach Demokratie auf Sternenschiffen in diesem Moment zu beantworten gehabt, so hätte er nur ratlos da sitzen können. Naru beobachtete Spencers Mimik genau und machte sich seine Gedanken. "Die Mission ist beendet, damit sind Sie nicht mehr Kommandant der Magellan", stellte Paris überfallartig fest und riss Spencer damit aus seinen Überlegungen. "Ich habe Ihren Bericht über die Mission mit großem Interesse gelesen und habe da noch einige Fragen und Anmerkungen", fuhr er bedächtig, aber vielsagend, fort. Spencer verzog nicht eine Miene und harrte der Dinge, die da auf ihn zukommen mussten. "Als erstes möchte ich Ihre persönliche Meinung zu der Sache hören. Nicht das, was im Bericht steht. Der Bericht scheint recht objektiv und lesen kann ich selber." "Nun, auf der einen Seite hatte Commander Bengasi zwar seine Argumente, sie waren aber keinesfalls ausreichend, um seine Handlung zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite hat ihm die Situation im Nachhinein doch noch Recht gegeben, aber hinterher ist man immer schlauer", meinte Spencer und murmelte leise: "Nur ich nicht." Paris überhörte die leise gesprochenen Worte zum Schluss und fuhr fort. "In Ihrem Bericht haben Sie vorgeschlagen, Lieutenant Bengtsson wie die übrige Crew nur als Teil der Befehlskette zu behandeln. Warum? Schließlich war er doch derjenige, der eigenmächtig das Kommando auf der Brücke übernommen hat, während Sie sich mit Bengasi auseinandergesetzt haben. Von seinen Falschinformationen ganz zu schweigen." "Es ist richtig, dass er das 'Machtvakuum' auf der Brücke ausgefüllt hat und es ist auch richtig, dass er dies tun konnte, weil ich aus Wut und Verärgerung über die Handlungsweise Bengasis versäumt habe, meinen Vertreter zu benennen. Dagegen war er aber derjenige, der hinterher die Ergreifung Bengasis ermöglicht hat." "Mit einem Angriff auf einen vorgesetzten Offizier. Es war nicht nötig, Bengasi niederzuschlagen", unterbrach Paris. "Nötig war es nicht, aber, so seltsam es klingen mag, Admiral, es war durchaus verständlich. Außerdem hatte Bengtsson maßgeblichen Anteil daran, dass die Magellan den Warpsprung in einem Stück überstanden hatte. Mit anderen Worten: Er hat sich am Anfang von der Stimmung auf dem Schiff mitreißen lassen, aber zur richtigen Zeit die richtige Entscheidung getroffen", fuhr Spencer fort. 'Warum dreht sich heute eigentlich alles um die richtige Entscheidung?', fragte er sich im Geiste. "Nun gut", Paris machte sich einen Vermerk. "Ich werde Bengtsson seine Verfahren nicht ersparen können, aber Ihre Meinung als sein damaliger Kommandant hat natürlich auch Gewicht. Nun zu Ihnen: Würden Sie rückblickend gesehen noch einmal genauso handeln?" Spencer verzog die Mundwinkel. "Gute Frage, Admiral. Dazu kann ich im Moment nur eines sagen: Ich weiß es nicht." "Mhm. Warum haben Sie nicht früher etwas gegen Bengasi unternommen? Seine Absichten waren doch von vornherein offensichtlich." "Ich hatte keine Möglichkeit dazu. Er hat zwar jede Chance genutzt, mich in schlechtem Licht darzustellen, sich dabei aber nicht so verhalten, dass ich ihm konkret etwas hätte vorwerfen können. Und auf der Viking war nicht die Zeit, sich diesem Thema zu widmen." "Verstehe", nickte Paris. "Eines würde ich gerne noch wissen: Was fiel Ihnen ein, die Brückenbesatzung über die weitere Vorgehensweise abstimmen zu lassen?", fragte Paris weiter. "Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Methoden", antwortete Spencer ungerührt. "Meutereien gab es nicht viele in der Geschichte der Sternenflotte. Sie werden mit dem zweifelhaften Ruhm, Opfer einer solchen geworden zu sein, leben müssen." "Immerhin bin ich als Sieger aus der Situation hervorgegangen", verteidigte sich Spencer, doch so richtig überzeugt klang er dabei nicht. "In Ordnung. Reden wir nicht mehr davon", bestimmte Paris. "Wenden wir uns anderen Dingen zu. Es ist über Ihre Zukunft entschieden worden." "Und?" Mehr sagte Spencer nicht, mehr konnte er nicht sagen. Paris legte ohne Worte eine Computergrafik auf den großen Sichtmonitor an der Wand. Spencer benötigte einige Sekunden der Überraschung, bis ihm klar wurde, was diese Grafik darstellte. Er hörte Paris' Worte nur verschwommen. "Sie haben wiederholt unter Beweis gestellt, dass Sie sowohl die Befähigung zum Kommandanten als auch zum Ingenieur haben und deshalb werden Sie, wenn nichts dagegen spricht, dieses Schiff, vorerst zu Test- und Bewertungszwecken, übernehmen." Der Grund für Spencers Überraschung war die ihm aus seiner Arbeit auf den Utopia Planitia-Flottenwerften wohlbekannte Umrisszeichnung eines Schiffes der Centaur-Klasse. Er hatte damals für ein dreiviertel Jahr an neuen Warpkonfigurationen für diesen Schiffstyp gearbeitet. "Wie Sie sicher wissen, soll dieser Typ Wege für neue Technologie der Sternenflotte bereiten. Das Oberkommando hofft, dass nach den Problemen mit den ersten Schiffen der Centaur-Klasse dieses hier erfolgreicher sein wird", erklärte Paris, ohne Spencer allzuviel Neues zu erzählen. Er erinnerte sich. Die Centaur-Klasse war als erstes Schiffsklasse der Sternenflotte modular aufgebaut. Sie bestand nahezu vollständig aus Komponenten, die aus anderen Klassen entlehnt waren. Die Untertassensektion war baugleich mit der der Miranda-Klasse, die Warpgondeln stammten von der Excelsior-Klasse und der Warpkern sowie die Energieleitungen waren für die relativ neue Ambassador-Klasse entwickelt worden und sollten in beiden Schiffen Verwendung finden. Diese Zusammenführung verschiedener Technologien hatte aber mehr Schwierigkeiten als erwartet verursacht, die ersten beiden Schiffe, die Centaur und die Zuse, hatten größte Probleme, höhere Warpgeschwindigkeiten zu halten. Die Konstruktionsabteilung der Sternenflotte hatte daraufhin veranlasst, die Produktion vorerst einzufrieren und eine Generalverbesserung des gesamten Designs gefordert. Spencer war damals einer derjenigen gewesen, die versucht hatten, die Probleme des Warpantriebs in den Griff zu bekommen. Paris fuhr fort: "Dieses Schiff, die Kennedy, ist das erste Schiff, welches mit der verbesserten Technologie ausgerüstet ist. Es wird Ihre vorrangige Aufgabe sein, diese Technologien umfassend zu erproben und im normalen Einsatz zu testen." "Das hört sich gut an, Sir", stimmte Spencer zu, auch wenn sein Tonfall nicht gerade auf überschwengliche Freude hindeutete. "Nicht unbedingt, Commander", schränkte Paris ein. "Ich habe dieses Kommando für Sie unter größten Schwierigkeiten und auf die Schnelle besorgt. Die Kennedy wird voraussichtlich in den nächsten Wochen für tiefenraumtauglich erklärt, vorerst nur unter Vorbehalt. Es wurde weder umfassend getestet, noch gibt es Erfahrungswerte, nach denen die Systeme voreingestellt werden könnten. Dieses Schiff hat mit der Spezifikation der Original-Centaur-Klasse nicht mehr allzuviel gemeinsam." Spencer erinnerte sich kurz an die überarbeiteten Spezifikationen, die von der Sternenflotte nach den Mißerfolgen der ersten beiden Schiffe erstellt wurden und mit denen er lange genug gearbeitet hatte. "Dann wird es also eine Herausforderung", schloss er. "Und ich kann da anknüpfen, wo ich damals aufhören musste." "Es freut mich, daß Sie es so sehen. Jetzt zur Crew. Das Schiff wird mit zwanzig Offizieren und fünfundachtzig Mannschaftsmitgliedern besetzt. Einen Teil der Mannschaft wird von der alten Cousteau-Crew gebildet, wenn Sie nichts dagegen haben. Sie werden aber auch einige Neuzugänge erhalten." Spencer nickte. "Als Ersten Offizier bekommen Sie Lieutenant Commander Veronique Lemois zugeteilt. Hier ihre Personalakte." Er legte sie Spencer auf den Monitor, die Schrift war groß genug, dass er sie von einer Position aus lesen konnte. Er überflog die Akte und stellte fest, daß sie bisher weder überragend positiv noch negativ aufgefallen war. Das einzig Auffällige war ihre recht frühe Beförderung zum Lieutenant Commander im Alter von neunundzwanzig, die auf Ehrgeiz und konstant gute Leistungen hindeutete. "Gut. Weiter bitte." Spencer war zufrieden. "Lieutenant Hwang wird Zweiter Offizier und weiterhin die Flugsteuerung leiten. Einsatzleiter wird Lieutenant Terk, ein Bolianer." "Einsatzleiter?" Spencer war für einen kurzen Moment verwirrt, dann erinnerte er sich an einen Artikel, den er vor einigen Wochen gelesen hatte. Zusammen mit der Technologie wurden auch die Schiffsabteilungen reorganisiert, die alten Konsolen für Wissenschaft und Kommunikation auf der Brücke fielen weg und wurden durch eine "Einsatzleitung" ersetzt. Die Spezialisten der einzelnen Abteilungen blieben erhalten und sollten dieser Einsatzleitung zuarbeiten. Die Kennedy war also eines der ersten Schiffe, auf der diese neue Kommandostruktur erprobt werden sollte. Spencer las die Akte von Terk und schüttelte entsetzt den Kopf. Terk war im Alter von 53 (menschlichen) Jahren noch Lieutenant, hinzu kam noch, dass er diesen Rang vor drei Wochen nach einer Verhandlung vor dem Militärgericht erhalten hatte, in dem der Beschluss gefasst worden war, Terk aufgrund von mangelnden Leistungen und wiederholter Nachlässigkeit im Dienst vom Lieutenant Commander zum Lieutenant zu degradieren. "Sir, das ist doch nicht ihr Ernst", protestierte Spencer. Paris lehnte sich zurück. "Commander, das höre ich jetzt zum dritten Mal vom dritten Kommandanten. Sie werden mit Terk auskommen müssen. Ich diskutiere nicht darüber. Verstanden?" Paris klang ruhig, aber bestimmt und unwiderruflich. "Aye, Sir." Spencer kannte Paris. Dieser Tonfall in seiner Stimme stand für eine unabänderliche Entscheidung. Er nahm sich vor, die Akte Terks später noch einmal in Ruhe durchzulesen und ihm trotz allem vorurteilslos zu begegnen. Paris sprach weiter: "Dr. M'Boya erhält wieder die medizinische Abteilung, wenn Sie nichts dagegen haben." Spencer stimmte zu, er war mit ihr vollauf zufrieden gewesen. Paris räusperte sich kurz. "Dann wären nur noch die Neubesetzung von Maschinenraum und Sicherheitsabteilung zu diskutieren. Zuerst zum Maschinenraum. Ich schlage Lt. David Tennenbaum als neuen Chefingenieur vor, einen der Entwickler des umgebauten Warpantriebs der Kennedy. Und Lt. jg. Lori MacDonnell als zweiten Ingenieur. Sie wissen ja, der Ingenieursabteilung kommt in ihrem Fall eine besondere Bedeutung zu." Spencer hatte auch schon von MacDonnell gehört, einer jungen Ingenieurin, die auf der Orion mit beeindruckenden Leistungen kurz nach einem ebenso beeindruckenden Abschluß der Akademie aufgewartet hatte. Auch Tennenbaum kannte er recht gut, er hatte einige Zeit mit ihm auf Utopia Planitia zusammengearbeitet. Spencer überlegte: "MacDonnell? Sicher. Ich brauche gute Leute. Aber anstatt Tennenbaum würde ich eine Beförderung Gerald DeFalcos zum Lieutenant und Chefingenieur vorschlagen." Spencer hatte nichts gegen Tennenbaum, er wollte aber weiterhin mit DeFalco zusammenarbeiten. Paris runzelte die Stirn. "Commander? Sie wollen DeFalco als Chefingenieur?" "Wenn ich jemanden wie Terk, also nicht gerade einen Wunschkandidaten bekomme, möchte ich dafür meinen Wunschkandidaten, DeFalco, als Chefingenieur. Wie Sie bereits sagten, kommt der Ingenieursabteilung eine besondere Bedeutung zu. Ich persönlich betrachte mich als recht konservativen Ingenieur, MacDonnell wohl ebenfalls, weil sie noch recht unerfahren ist. Lt. DeFalco wäre da ein guter Ausgleich als ein recht unkonventioneller Vertreter unseres Standes", erläuterte Spencer seine Motive. Paris überlegte längere Zeit, dann stimmte er zu. "Einverstanden, Commander. Haben Sie auch einen Vorschlag für Ihren neuen Sicherheitschef? Sowohl Lt. Coreman als auch Lt. Xuma sind dauerhaft versetzt worden. Ich würde Lt. jg. Ramon Rodriguez vorschlagen, im Moment Mitglied des Sicherheitsdienstes hier auf der Sternenbasis. Ein wenig unerfahren, aber kein schlechter Offizier." Paris legte ihm die Personalakte auf den Sichtschirm. Spencer las sie, dachte kurz nach und bereitete Paris eine zweite Überraschung. "Wie wäre es mit Lieutenant jg. Nataljia Karov? Von der Magellan." "Von der Magellan?", wiederholte Paris verblüfft. Auch Naru blickte Spencer mit großen Augen an. Er hatte erwartet, dass Spencer die Nennung dieses Namens wesentlich schwerer fallen würde. Waren seine Befürchtungen um Spencers Geisteszustand wirklich überzogen gewesen? "Ja, Sir", bestätigte Spencer ungerührt. Er dachte an seine kurze Unterhaltung mit Karov auf dem Rückflug. Sie verdiente eine faire Chance und er wollte sie ihr geben. "Wie Sie wollen, Commander." Paris nahm es überraschend kommentarlos. "Danke, Sir", stimmte Spencer zu. "Das wäre es fürs erste. Ich stelle Ihnen alle Unterlagen zur Durchsicht zur Verfügung. Sie haben natürlich Bedenkzeit. In den nächsten Tagen wird ein Insubordinationsverfahren gegen Commander Bengasi und Lieutenant Bengtsson stattfinden. Sie kennen die üblichen Prozeduren, halten Sie sich zur Verfügung." "Ja, Sir." "Sehr gut, Commander. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, dürfen Sie dann gehen." "Danke, Admiral." Er erhob sich und verließ den Raum, Naru nahm Spencers Platz ein. "Ihre Meinung, Counselor?", fragte Paris, nachdem sich die Türen geräuschvoll hinter Spencer geschlossen hatten. "Wenn Sie mich fragen, war Spencer zur falschen Zeit auf der falschen Mission. Eigentlich ist er jetzt fast noch schlimmer dran als vor zwei Monaten, er weiß es bloß nicht. Nach den für ihn furchtbaren Ereignissen an Bord der Magellan und der Viking hat er sich völlig in den Panzer der Gleichgültigkeit zurückgezogen. Er lässt alle äußeren Einflüsse daran abprallen und ist es sich nicht einmal bewusst. Diese Art des Schutzmechanismus soll verhindern, dass er sich ein zweites Mal von den Ereignissen so mitreissen lässt, wie es auf der Magellan passiert ist. Haben Sie gesehen wie er reagiert hat, als Sie von der Entscheidung über seine Zukunft gesprochen haben, Admiral?" "Nein", sagte Paris. "Er hat gar nicht reagiert." "Eben", pflichtete Naru bei. "Hatten Sie das erwartet? An seiner Stelle würde meine erste Sorge doch wohl meiner nächsten Zukunft gelten oder würde Ihnen das anders gehen, Admiral?" "Bei Spencer ist nichts ungewöhnlich", erwiderte Paris. "Auch das Fehlen einer Reaktion. Counselor, Sie haben mir bereits einmal erklärt, dass mit Spencer etwas angeblich nicht stimmt. Dagegen steht, dass er die Mission erfolgreich abgeschlossen." "Erfolgreich? Was ist mit der Meuterei? Glauben Sie, Spencer hatte nichts damit zu tun?" "Sie haben seinen Bericht gelesen. Auf die Aussagen von Commander Bengasi und Lieutenant Bengtsson bin ich gespannt. Wir werden dann sehen." Paris verschränkte die Arme und gab Naru durch seine Miene zu verstehen, dass die Unterredung beendet sei. Naru drehte sich auf seinem Weg hinaus noch einmal zu Paris um. "Admiral, Spencer wird die nächsten Wochen wieder auf der Basis verbringen. Wie soll ich Behandlungstermine für ihn vereinbaren?" "Sie sollten sie auf jeden Fal flexibel arrangieren können, Counselor. Er wird mit Sicherheit einige Aussagen in dem Untersuchungsverfahren wegen der Meuterei auf der Magellan machen müssen", antwortete Paris ungerührt. Missmutig stiefelte Naru aus Paris' Büro. Sein neu ausgearbeiteter Behandlungsplan für Spencer würde wohl doch zur Anwendung kommen müssen, zudem noch verschärft durch Zeitdruck. Spencer bedurfte jetzt mehr denn je seiner Hilfe in seinem Prozess der neuerlichen Selbstfindung, obwohl, oder vielleicht gerade weil er ein neues Kommando in Aussicht hatte. Doch auch er konnte nur ahnen, welches die Wirkung der beängstigenden Folgerungen daraus, dass nur diese eine Verkettung von Ereignissen das glückliche Überleben des Jungen ermöglicht hatte, auf Spencer in Wirklichkeit war. |
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