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Nr. 052 - Der Blinde von den Sternen

 

Naomi vermißte Neelix. Diesen Abend konnte er nicht kommen, denn er war auf einer Außenmission. Doch Naomi brauchte auf ihre Geschichte nicht verzichten. Diesen Abend saß Chakotay an ihrem Bett und erzählte die Geschichte von dem blinden Mann von den Sternen, der auf zur Erde reiste, um einen jener Blindenhunde zu finden, die es dort noch gab.

Der Blinde Mann betrat neugierig das Tierheim. Er war noch müde von der langen Reise von Betazed bis zur Erde, aber er hatte keine Geduld mehr. Er wollte sofort zu dem seltsamen Tier, von dem er über viele Umwege gehört hatte. Auf seiner eigenen Heimatwelt Betazed kannte man keine Tiere, die den Blinden halfen. Dort übernahmen stets Verwandte und Bekannte die ehrenvolle Aufgabe, die Blinden zu führen, oder sie auf telepathischem Wege durch ihre Augen sehen zu lassen.

Doch manchmal war es einem Blinden unangenehm, jemanden zu bitten, ihn mit seinen Augen sehen zu lassen. Und der blinde Mann von Betazed, der nun mit neugierigen Schritten das Tierheim betrat, hatte bisher jede Unterstützung abgelehnt. Zeit seines Lebens hatte ihn seine Lebensgefährtin, seine Imzadi, in der Dunkelheit geführt und mit ihm ihre Augen geteilt. Vor etwas mehr als einem Jahr war sie gestorben, und die Trauer des blinden Betazoiden war furchtbar und tief. Niemand anders konnte ihn die Welt je wieder so sehen lassen, wie es seine Imzadi getan hatte.

In seiner Trauer hatte er es abgelehnt, sich jemals wieder von einem anderen helfen zu lassen. Als man ihm dann von dem Blindenhund erzählte, der auf der Erde lebte, ließ er sich dazu überreden, dieses hilfreiche Tier kennenzulernen.

Der Hund selbst war der letzte seiner Art. Auf der Erde benötigte man keine Blindenhunde mehr. Die Medizin hatte Fortschritte gemacht und konnte inzwischen jede Erkrankung an den Augen und fast jede Behinderung heilen. Für die Blindenhunde gab es auf der Erde immer weniger zu tun.

Der Hund, von dem der blinde Betazoide gehört hatte, war einsam wie er. Blindenhunde leben ihr Leben lang an der Seite ihres blinden Besitzers, aber manchmal stirbt der Besitzer früher als der Hund. Und so ein Schicksal hatte dieser Hund.

Hunde trauern lange. Manche von ihnen können sich nicht an einen neuen Besitzer gewöhnen.

Als der Betazoide sich der Box des Hundes näherte, vermischten sich die Erinnerungen an seine Frau mit den Vorstellungen, die er sich von dem Hund gemacht hatte. Mit jedem Schritt, den er dem Hund näher kam, wurde die Verwirrung größer, die dadurch entstand. Er hörte den Atem des Hundes, als er sich am Zaun langsam zu ihm hinunterbeugte.

Er bat den Tierpfleger, ihn mit dem Hund alleine zu lassen.

Er betrat die Box des Hundes und setzte sich zu ihm auf den Boden. Er fühlte die Wärme von frischem Heu. Geduldig wartete er ab, was der Hund nun tun würde.

Er überlegte, wie er seine telepathische Begabung ins Spiel bringen könnte. Und bald begann er, mit seinem Geist nach dem des Hundes zu tasten. Er versuchte es zunächst mit einem einfachen Ruf. Er rief so sorgsam, wie er nur konnte. Denn es könnte ja sein, daß er den Hund damit erschreckte. Aber er war zuversichtlich. Er hatte sich umfassend informiert und wußte, daß Hunde von sich aus ein gutes Gespür haben. Gerade ihre Einfühlsamkeit hatte die Hunde zu idealen Gefährten der Menschen gemacht. Und der Betazoide zweifelte nicht daran, daß auch er seine Chance bei diesem Hund bekam.

Tatsächlich kam der Hund bald näher. Er drückte seinen Koüf sanft an ihn und leckte seine Hand. Der Betazoide beantwortete dies sofort und begann, mit seiner anderen Hand im Fell des Hundes zu kraulen. Das Fell war dick, gerade und leicht gewellt. Es lag eng am Körper des Hundes an. Der Betazoide ließ seine Hand über den Hund wandern. Er fühlte das lange warme Fell an der unteren Körperseite und an den Beinen. Er erinnerte sich an die Beschreibung aus den Datenbanken. Dieser Hund war das Ergebnis einer besonderen Zucht. Vor hunderten von Erdenjahren war es einem Aristokraten gelungen, aus vier Hunderassen eine neue Hunderasse zu züchten, die viele besondere Eigenschaften auf sich versammelte. Diese neue Rasse, der Golden Retreiver, war sehr geduldig, folgsam, sehr ausdauernd und damit der ideale Hund für die Familie. Dieser Hund wurde mit der Zeit einer der beliebtesten Begleithunde und ganz besonders ein zuverlässiger Blindenhund. Zudem war er auch noch sehr schön und liebte es, seinem Besitzer zu gefallen. Sein Fell war von goldbrauner Farbe, sein Kopf war rund mit einer geraden Schnauze. Er hatte tiefe dunkelbraune Augen und kleine Ohren, die an den Wangen eng anlagen.

Der blinde Betazoide interessierte sich nicht für die Schönheit des Tieres. Er fühlte die Nähe des Hundes und seine Zutraulichkeit. Es war ihm, als spürte der Hund, daß auch er den Schmerz eines großen Verlustes erlitt. Der Hund schien zu spüren, daß es seinem Besucher naheging, daß sie diesen Schmerz teilen konnten.

Der Betazoide drückte den Hund enger an sich und liebkoste ihn. Er versuchte, dem folgsamen Tier zu zeigen, daß er froh war, ihn gefunden zu haben. In seinen Gedanken hörte er nun selber ein sanftes Rufen. Und dieses Rufen überraschte ihn mit all der inneliegenden Bedachtsamkeit und Zuneigung. Er öffnete all seine Gedanken, wie es auf seinem Planeten Sitte war, wenn man eine neue Freundschaft begann. Er schenkte dem sorgsamen Hund nun all sein Vertrauen. Und sein Herz. Er würde seine Gefühle nun niemals wieder verschließen.

Der Hund gab ein Geräusch von sich, in dem sich leises Winseln und Seufzen mischten. Auch der Hund würde nun keinen Schritt mehr zurück machen. Im Gegenteil, er stand auf und bedeutete dem Blinden damit, daß er bereit war, ihn fortan zu begleiten. Langsam drängte er den Betazoiden zur Tür seiner Box.

Der Tierpfleger war sehr froh, daß der Hund einen neuen Besitzer bekam. Er legte dem hund das weiße Geschirr des Blindenhundes an und verabschiedete ihn mit einem letzten Streicheln. Er vertraute voll und ganz darauf, daß der Hund seinen neuen Besitzer auf den fernen Planeten begleiten würde und dort sein neues Zuhause finden würde.

Als sie zusammen das Tierheim verließen, spürte der blinde Betazoide, daß seine Einsamkeit zuende war.

Chakotay schaute zur kleinen Naomi Wildman. Sie war inzwischen eingeschlafen, und ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Überrascht bemerkte er, daß er während seiner Erzählung begonnen hatte, mit ihrem Haar zu spielen. Ganz so, wie es der Blinde von Betazed wohl bei seinem neuen Gefährten getan hatte.

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