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Nr. 036 - Eine Frage der Interpretation

 

 

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Author's Note:

Schon vor Voyager hatten es Liebesbeziehungen in Star Trek schwer...

Captain Picard und Beverly Crusher durften es nur zur gelegentlichen platonischen Gedankenverknüpfung bringen...
Commander Riker und Deanna Troi ließ man gar nicht erst so weit kommen...
Wesley Crushers ersten Liebesbemühungen wurden regelmäßig nur 45 Minuten gegeben...

Auf DS9, weit entfernt von der sittsamen Moralität der Sternenflotte wurde es etwas besser, doch auch hier

blieben Julian Bashirs Träume unerfüllte Sehnsüchte....
durfte Kira weder Bareil noch Shakaar noch Tom Riker auf Dauer halten...
ließ man den armen Odo fast sechs Jahre lang erbarmungslos leiden...
legte Kassidy Yates ihrer Beziehung selbst Steine in den Weg...

doch zumindest fanden Worf und Jadzia Dax nach einem langen und mit Prellungen und Rippenbrüchen übersäten Weg zueinander,
und die erste bajoranisch-ferengische Ehe wurde geschlossen.

Zur selben Zeit im Delta-Quadranten

hielt die Liebe zwischen Neelix und Kes immerhin über zwei Jahre...
darf Tom Paris seine B’Elanna inzwischen als feste Freundin betrachten...

doch eine Beziehung zwischen einem weiblichen Captain und Ihrem Ersten Offizier, das ginge selbst in einem weltoffeneren Star Trek - Universum wohl zu weit - oder doch nicht?

Was in „Resolutions“ vorsichtig vorgestellt und in späteren Episoden dann und wann in kurzen Sätzen wieder aufgegriffen wurde (zumindest darf Chakotay sie privat weiter Kathryn nennen), läßt für die Zukunft noch eine ganze Menge Spielraum.
Daher versuche ich auch nicht, den Drehbuchautoren vorzugreifen, sondern vielmehr einen leergebliebenen Zwischenraum mit meiner Phantasie zu füllen.

Bis jetzt halten Kathryn Janeway und Chakotay noch die vorgeschriebene Distanz ein,
doch wer weiß schon, was noch alles kommt?
Es ist immerhin noch ein weiterer Weg bis nach Hause...
 

Die Geschichte spielt wenige Tage nach der Episode „Resolutions“.


 



 

Kaffee, dachte B’Elanna Torres, Kaffee gehörte zu den Dingen, die den Morgen lebenswert machten. Sie nahm die Tasse aus dem Replikator, setzte sich an den nächsten freien Tisch und sog für einen Moment das kräftige Aroma ein, das im heißen Wasserdampf aus der dunklen Flüssigkeiten empor stieg. Ihre Nasenflügel bebten kaum merklich. Auf der Akademie hatte sie sich nie mit den strengen Schichten, die auch auf einem Schiff der Sternenflotte herrschten, anfreunden können, sie sah einfach nicht den Sinn darin, warum die Nachtschicht nur bis zum frühen Morgen dauerte und die erste Tagschicht bereits bei Morgengrauen in San Francisco begann. Auf diese Weise konnte einfach kein geregelter Rhythmus zustande kommen: Die Kadetten der Nachtschicht, hatten sie sich erst einmal daran gewöhnt, hätten ruhig noch drei Stunden länger arbeiten können, ohne den Schlafverlust zu spüren, es war schließlich kein großer Unterschied, ob man nun um fünf oder acht Uhr morgens zu Bett ging. Für die Tagschicht war der alte Schichtplan allerdings unbequem. Es lohnte sich nicht, abends früh ins Bett zu gehen, wer würde auch schon freiwillig das Zusammensein mit den übrigen Kadetten nach der Studierzeit gern versäumen? Dennoch hieß es dann, sich bei Morgengrauen aus dem Bett zu quälen und mit einem wachen, konzentrierten Geist, den Tag zu beginnen. B’Elanna hatte nie verstanden, weshalb man bereits auf der Akademie die Studenten während den jährlichen praktischen Wochen dem Schichtwechsel aussetzte, der dort schließlich absolut nicht erforderlich war. Dennoch, so hieß es, habe man die praktischen Wochen eingeführt, um den Studenten bereits während der Studienzeit die Gelegenheit zu geben, in den Betrieb, der auf einem Raumschiff herrschte, hineinzuschnuppern. Und dazu gehört selbstverständlich auch die Schichtarbeit.

Damals hatte B’Elanna geglaubt, diese Einführung sei nur in das Ausbildungsprogramm aufgenommen worden, um die Studenten abzuschrecken und diejenigen auszusortieren, die sich mit solchen Unannehmlichkeiten nicht abfinden wollten. Nachdem sie jedoch zum Maquis gewechselt war und unter Chakotays Kommando stand, mußte sie feststellen, daß die Lehrer an der Akademie doch über das nachdachten, was sie in den Ausbildungsplan schrieben. Das Leben auf einem Schiff des Maquis war hart und sie hatte lernen müssen, sich mit dem Wissen schlafen legen zu müssen, vielleicht zehn Minuten später wieder geweckt zu werden, um eine defekte Plasmaleitung oder auch nur einen Replikator, wenn sie denn einen hatten, zu reparieren. Sie konnte sich nicht mehr sagen, daß diese Dinge keine Schwierigkeiten darstellten und noch einige Stunden getrost auf sie warten konnten. Das erste, was Chakotay ihr beigebracht hatte, war die eindringliche Ermahnung gewesen, das Schiff müsse immer in voller Bereitschaft sein. Es war nicht voraussehbar, wann sie in eine alarmierende Situation gerieten, und eine winzige defekte Plasmaleitung konnte in einem größeren Kampf das Element sein, daß über den Zustand des Warpplasmas bestimmte. Diese Verantwortung war selbst der risikofreudigen B’Elanna Torres zu hoch.

Sie hatte sich also etwas einfallen lassen müssen, das ihr half, morgens auf die Beine zu kommen, etwas, das eine Verlockung darstellte und sie gleichzeitig wach machte. Der Konflikt mit ihrem eigenen Gesetz, niemals Verhaltensweisen "normaler" Sternenflottenoffiziere anzunehmen, umging sie, indem sie das Gesetz einfach abänderte. Das Übernehmen von Verhaltensweisen war gestattet, wenn sie dadurch morgens nicht mehr im Maschinenraum mit der Müdigkeit oder der daraus unvermeidlich resultierenden schlechten Laune zu kämpfen hatte. Die allmorgendliche Tasse Kaffee brachte nicht nur einen bemerkbaren Anstieg ihrer morgendlichen Leistungsfähigkeit, sondern auch endlich die Freundschaft zu mehreren Mitgliedern der Maquiscrew, die mit einem Mal bemerkten, daß in der launischen Chefingenieurin mehr steckte, als zuerst vermutet worden war.

Um sie herum begann sich das Kasino zu füllen. Der Geruch von neuen Experimenten aus Neelix’ exotischer Küche reizte ihre Nasenschleimhaut und brachte sie zum Niesen. Das Stimmengewirr der hinzukommenden Offiziere schwoll merklich an. B’Elanna nahm nachdenklich einen weiteren Schluck aus der Tasse und lächelte, als sich der altbekannte aromatische Geschmack in ihrem Mund einstellte. Es war tröstlich, daß sich, obwohl sie nun Tausende von Lichtjahren von ihrer Heimat entfernt waren, einige Dinge nie änderten.

Im Maschinenraum herrschte das übliche Treiben. Die Ingenieure arbeiteten verstreut an den wissenschaftlichen Konsolen, die sich an den Wänden entlang erstreckten und im Halbkreis um den Warpkern angeordnet waren. Abgesehen von dem allgegenwärtigen dumpfen Vibrieren des Antriebs drang nur leises Gemurmel an B’Elannas Ohr. Sie musterte die Displayanzeige auf dem Monitor mit zusammengezogenen Augenbrauen, während ihre schlanken Finger in einer schnellen Sequenz Befehle eingaben. Sie wartete einen Moment, bis ihr Zugang in die Datei gegeben wurde, setzte sich dann zurück und verglich die angezeigten Ergebnisse mit denen des Padds in ihrer linken Hand. Ihre Miene entspannte sich ein wenig. Die Steuer- und Antriebssysteme der Voyager hatten nur leichte Schäden davongetragen, es schien wieder alles in Ordnung zu sein. Sie konnte Janeway ihr Schiff so zurückgeben, wie der Captain es ihr überlassen hatte...

"B’Elanna!" Die Halbklingonin fuhr zusammen. Vor ihr tauchte ein junger, dunkelhaariger Mann in schwarz-gelber Uniform auf. Fähnrich Harry Kim strahlte so, daß B’Elanna beinahe den Eindruck hatte, jemand habe das Licht im Maschinenraum verstärkt. Sie seufzte, nicht ganz sicher, ob sie nun amüsiert oder neidisch sein sollte. Nach mehreren Jahren Dienst an Bord eines Raumschiffs hatte beinahe jeder Offizier gelernt, seine Gefühle zu zügeln und sie sich für seine Freizeit aufzusparen. Emotionale Ausbrüche ruinierten praktisch jede Entscheidung, die man zu treffen hatte, oder beeinflußten sie zumindest gehörig. Früher war B’Elanna der Meinung gewesen, abgesehen von Wutausbrüchen gäbe es für ungezügelte Emotionen im Dienst keine Veranlassung. Dennoch, die Ereignisse der vergangenen Wochen hatten sie diese Anschauung in einem völlig neuen Bild sehen lassen.

"Harry!" Sie legte ihr Padd aus der Hand und hob fragend eine Augenbraue. "Was gibt es?"

"Wie finden Sie es?" Sein jugendliches Gesicht zuckte vor unterdrücktem Stolz und Zufriedenheit. B’Elanna verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. Nichts geschah. Harry blickte sie ebenfalls wartend an, als wäre es an ihr, etwas zu sagen.

"Was?" fragte sie leicht ungeduldig. "Was soll ich wie finden?"

"Na das hier, die Atmosphäre." Harry beugte sich eifrig über ihre Konsole. "Haben Sie nicht bemerkt, daß sie sich verändert hat?"

"Natürlich, es ist Routine." B’Elanna begann sich zu fragen, ob sie einen wichtigen Teil der Unterhaltung verpaßt oder nicht verstanden hatte. Sie blickte unauffällig an Harry vorbei. Nein, nichts schien außergewöhnlich zu sein. Ihr Team war immer noch mit den letzten Reparaturen beschäftigt, niemand achtete auf sie und Kim. Ihr Blick heftete sich wieder auf den Asiaten. "In Ordnung, Harry, noch einmal in aller Ruhe von vorne. Sie sind der Ansicht, daß sich hier etwas verändert hat, nicht wahr? Was gibt es mehr dazu zu sagen, als daß heute ein ganz normaler, routinemäßiger Tag ist?"

"Aber genau das ist es doch", flüsterte Harry. "Es ist Routine, und zwar eine entspannte Routine. Können Sie sich an einen einzigen Tag in den letzten Wochen erinnern, an dem es hier in der Technik ruhig war? An dem die Menschen zufrieden waren und...glücklich?"

"Ich war der Meinung, für Starfleet läge die Quelle des vollkommenen Glücks 70 000 Lichtjahre von dieser Position entfernt", entgegnete B’Elanna zynisch. Sie schüttelte den Kopf. "Harry, lassen Sie es gut sein, ich weiß, was Sie meinen. Es ist nicht weiter schwierig, die Veränderungen innerhalb der Crew zu bemerken, die die Rückkehr von Captain Janeway und Commander Chakotay ausgelöst hat." Sie erwähnte nicht, daß sie selbst sich seit langem nicht mehr so leicht gefühlt hatte. In ihrer Brust hüpfte unentwegt etwas auf und ab, als sänge es in ihr. B’Elanna Torres hatte einen Großteil ihres Lebens damit verbracht, sich mir ihren klingonischen und menschlichen Emotionen auseinanderzusetzen, sie hatte geglaubt, mittlerweile jede Gefühlsregung zu kennen, die in ihrer komplizierten Psyche lebte. Dieses Gefühl von grenzenloser Erleichterung und Dankbarkeit, das sie jetzt durchströmte, hatte sie allerdings nicht einmal empfunden, als Dreadnought in den Badlands verschwunden war. Sie mußte zugeben, daß ihr diese neue Empfindung nicht unangenehm war, wenn auch ziemlich verwirrend.

Sie blinzelte und riß sich zusammen. Sie konnte es nicht leiden, wenn sich ihre Gedanken während der Arbeit auf leisen Pfoten davon stahlen. Sie betrachtete das fröhliche Gesicht des jungen Fähnrichs und streifte den Gedanken, wie er wohl mit der Situation umging. Jeder der Offiziere, ganz gleich ob nun Starfleet oder Maquis, hatte auf seine eigene Weise mit dem Gedanken zu ringen, daß er vielleicht in seiner Heimat bereits als tot, zumindest aber als verschollen galt. Jeder machte sich Sorgen um Zurückgebliebene, vermißte Familienangehörige und mußte lernen, neben der Hoffnung auf Rückkehr auch den Gedanken zuzulassen, daß sie, falls es keine Möglichkeit gab, einen schnelleren Weg in den Alpha-Quadranten zu finden, vielleicht nie mehr heimkehren würden. Auf der Akademie lernte man nicht, mit solchen Situationen umzugehen, dennoch hatte B’Elanna registriert, daß Janeway mit ihrem familiären Umgangston die Ängste der Crew wie mit einer Linse sammelte, auf sich selbst konzentrierte und sie dann zu absorbieren schien. Sie hatte ein Wunder vollbracht, die Terroristen des Maquis in die Mannschaft mit einzubinden, ihr Optimismus war zu einem Stützpfeiler der Moral auf dem Schiff geworden... Selbst die unabhängige Chefingenieurin mußte zugeben, daß Janeway Richtlinien gesetzt hatte, deren Befolgung das Leben zwar nicht immer erleichterte, aber ihm wenigstens einen Sinn gab. Und einen Sinn in ihrem Leben zu finden, danach hatte B’Elanna Torres länger gesucht als ihr lieb war.

Sie musterte Harry Kim und empfand Mitleid und Bewunderung zugleich für ihn. Er war wohl der Offizier, der am abhängigsten von Janeways Führung geworden war; sie zurückzulassen hatte ihn heftiger mitgenommen als alle übrigen. Dennoch hatte sich seine Verständnislosigkeit über Tuvoks Entschluß in einen Tatendrang umgewandelt, den ihm B’Elanna nicht zugetraut hätte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre Züge.

"Harry", sagte sie warm, "Sie haben recht, es ist wieder wie vorher. Vielleicht etwas besser sogar. Haben Sie nicht auch bemerkt, daß sich die Spannungen zwischen Sternenflottenoffizieren und Maquis gelockert haben? Sie haben alle aufgerüttelt, etwas gegen Captain Janeways und damit auch Tuvoks Entscheidung zu unternehmen, auch wenn ihr Tatendrang nur auf Emotionen basierte", fügte sie hinzu. Sie haben mir klar gemacht, daß manche Emotionen nicht verkehrt sind, wenn man lernt, sie zur richtigen Zeit einzusetzen. "Ihr Kampf hat diese Crew zusammengeschweißt, das ist nicht zu leugnen."

Harrys rundes Gesicht rötete sich. Er kannte B’Elanna Torres nun knappe zwei Jahre und hatte gelernt, daß sie nicht freigiebig mit Lob umging.

"Danke", sagte er verlegen, "aber ohne Sie hätten wir nichts zustande gebracht. Sie haben die anderen Brückenoffiziere aufgeweckt und den Plan mit entwickelt. Ohne Sie würden wir jetzt dem Alpha-Quadranten zwar einige Lichtjahre näher sein - allerdings mit Lieutenant Tuvok im Kommandosessel."

B’Elanna wurde mit einem Mal bewußt, daß es still im Maschinenraum geworden war. Beinahe alle Offiziere hatten ihre Arbeit unterbrochen und blickten nun mehr oder weniger offensichtlich zu ihr hin. Sie schluckte verwirrt. Alle Augen, ob sie nun gelernt hatten, Dinge in der Art des Maquis oder der Föderation zu betrachten, alle brachten ihr Dankbarkeit und Vertrauen entgegen. Sie senkte den Blick, für einen Moment unsicher, wie sie reagieren sollte.

"Ich sollte hier besser weiterarbeiten", sagte sie hastig. "Dieser Bericht soll in einer halben Stunde auf Captain Janeways Schreibtisch liegen. Haben Sie Ihren schon fertig, Fähnrich?"

Harry verstand, daß B’Elannas Bedarf an freundlicher Kommunikation fürs erste gedeckt war. Er nickte ihr noch einmal zu und ließ sie dann allein. B’Elanna nahm nicht einmal mehr wahr, wie das große Schott hinter ihm zu glitt.

Kathryn Janeway ließ das Handtuch griffbereit auf einem Stuhl liegen und tauchte bis zu den Schultern in das heiße Wasser ein. Sie stöhnte kurz, als die Hitze auf ihre kühle Haut traf, und unterdrückte den Drang, kaltes Wasser zufließen zu lassen. Während sich die wohltuende Wärme langsam in ihrem Körper ausbreitete, lehnte sie sich mit geschlossenen Augen zurück.

Baden bedeutete für Janeway den Inbegriff reinster Entspannung. Vor der Badewanne ließ sie alles zurück, was sie den Tag über beschäftigt hatte: Systemkartographie, Ebene-Drei-Diagnosen, die Berichte ihrer Offiziere... all das warf sie über Bord, bevor sie sich im Wasser ausstreckte. Es war nicht weiter schwer. Mitsamt der Uniform, die sie auszog, legte sie auch den Captain der Voyager und die mit diesem Rang verbundenen Pflichten ab. Selbst die immerwährende Sorge vor neuen Übergriffen der Kazon sperrte sie im Nebenzimmer ein und sagte sich, daß sie eine Stunde später immer noch genug Zeit finden würde, darüber zu grübeln. Im heißen Wasser, losgelöst von Sternenflottenprotokollen und der allgegenwärtigen Frage, wie lange es ihr noch gelingen würde, die Moral auf dem Schiff aufrecht zu erhalten, gab es nur noch Kathryn. Sie hatte es sich angewöhnt, ihre Gedanken beim Baden auf sich selbst zu konzentrieren, sie sah es fast wie einen Dialog mit sich selbst. Sie fand Zeit, über ihre eigenen Ängste nachzudenken, über Mark, darüber, wie lange es noch dauern würde, bis er aufgab, an sie zu glauben und auf sie zu warten. Die Wärme des Wassers, das sie wie ein Stasisfeld umschloß und jeden ihrer Muskeln träge werden ließ, wirkte betäubend auf ihre Gedanken und erstickte den kleinsten Anflug von Panik, bevor er ihr überhaupt zu Bewußtsein gelangt war. Wenn Kathryn badete, räumte sie das seelische Chaos auf, das sich die langen Tage hindurch in ihr ansammelte, das sie, ohne nachzudenken, in sich hinein fraß, und dessen Auswirkungen sie zu ignorieren versuchte. Baden bedeutete für Kathryn, mit sich selbst völlig ehrlich zu sein.

Obwohl es einen entspannenden Effekt auf sie hatte, konnte sie jedoch nicht behaupten, daß ihr diese Auseinandersetzung mit der Ehrlichkeit leicht fiel. Während des Tages verbannte sie Dinge in ihr Unterbewußtsein, denen sie, ginge es nach ihr, nicht noch einmal begegnen wollte. Sich mit ihren psychischen Problemen auseinander zu setzen war nicht immer Kathryns Stärke gewesen, dennoch hatte sie einen Weg finden müssen, wie sie mit ihnen fertig wurde. Da die Badewanne der einzige Ort an Bord der Voyager war, an dem sie wirklich ungestört war - und auch das nur dann, wenn sie ihren Kommunikator im Nebenzimmer ließ -, war ihr nichts anderes übrig geblieben, als das, was sich hinter der Person von Captain Janeway befand, mit ins Wasser zu nehmen. Nach all den Jahren dieser Art Badens waren diese inneren Auseinandersetzungen zu etwas Vertrautem geworden.

Sie griff nach dem weichen Badeschwamm, ließ ihn voll Wasser saugen und fuhr langsam damit über Arme und Beine. Ihre Hand arbeitete in gleichmäßigen, kreisenden Bewegungen, während sie sich der Erinnerung stellte, der sie den ganzen Tag über sorgsam ausgewichen war...

Die Abenddämmerung brachte Wind mit sich. Die warme, milde Luft kühlte spürbar ab und Kathryn tauchte tiefer in das heiße, klare Wasser, bis auch ihre kalten Schultern wieder warm wurden. Während sie, den Kopf zurückgelehnt, nachdachte, wusch sie mit ihrem Schwamm langsam kreisend über ihre Beine. Sie hatte es nicht für möglich gehalten, wieviel Schmutz auf der Haut haften blieb, wenn man den ganzen Tag durch den Wald lief. Streunen nannte es Chakotay, wenn sie wieder mit neuen Insektenfunden aus den Wäldern kam und ihr nächster Weg in die Badewanne führte. Kathryn betrachtete es schlicht als wissenschaftliche Exkursionen. Sie konnte und wollte sich noch nicht damit abfinden, daß sie nur in den Wald ging, weil es ihr Freude machte. Sie war nicht auf diesem Planeten geblieben, um Urlaub zu machen. Doch auch nicht für wissenschaftliche Forschungen, wie sie sich selbst zu überzeugen versuchte: New Earth, wie sie den Planeten in einem Anflug von Melancholie (oder Hoffnung) getauft hatten, war der einzige Ort, an dem sie und Chakotay leben konnten, und sollte sie keine Heilung für sich und ihren ehemaligen Ersten Offizier finden - wonach es, das mußte sie zugeben, momentan aussah -, würden sie die restliche Zeit ihres Lebens hier verbringen müssen. Die Aussicht war alles andere als verlockend, obwohl sie zu schätzen gelernt hatte, daß New Earth hinsichtlich Nahrungsvorkommen und Rohmaterialien wie Holz und natürlich Wasser einen idealen Start für ihre improvisierte Kolonie versprach.

Sie spürte, daß Chakotay sich Sorgen um sie machte. Er äußerte sich nicht, dennoch fühlte sie immer öfter seinen Blick auf sich ruhen, wenn sie müde und erschöpft aus dem Wald zurückkam und sich mit langsam schwindender Hoffnung über ihre Forschungsgeräte beugte. Er selbst hatte sich schneller an die neue Situation angepaßt als Kathryn es ihm zugetraut hätte. Aus dem beherrschten, direkten und manchmal auch etwas introvertierten Ersten Offizier war ein ausgeglichener, geduldiger und optimistischer Mann geworden - manchmal beinahe zu optimistisch für ihren Geschmack. Dennoch, ihr gefiel die Veränderung, die in ihm vorgegangen war. Er war zugänglicher geworden, wirkte nicht mehr steif und verkrampft wie an Bord der Voyager; ja, es schien, als sei er nun endlich dort, wo er ursprünglich hingehörte. Und Kathryn, die ihn immer als angespannten Kämpfer, der niemals seine Empfindungen offenbarte, erlebt hatte, glaubte nun manchmal, beinahe stumme Erleichterung auf seinem Gesicht schimmern sehen zu können. Am meisten berührte sie jedoch, daß Chakotay, der kontrollierte Maquis-Terrorist, gelernt hatte, in ihrer Gegenwart zu lächeln.

Sie legte den Schwamm für einen Augenblick aus der Hand und stützte sich mit den Armen auf den Wannenrand. Sie hatte vergessen, daß sie bei ihrer Ankunft ihr Bedauern über das Fehlen einer Badewanne ausgedrückt hatte, bis Chakotay sie eines Nachmittags mit einer aus Holz und Sternenflottenmaterial gezimmerten Badewanne überraschte. Sie hatte bereits geahnt, daß er etwas im Schilde führte, da er mehrere Tage lang frühmorgens im Wald verschwand und erst am späten Nachmittag zurück kehrte. "Ich bin dabei, im Wald etwas zu bauen", hatte er gesagt. Kathryn, die noch ein wenig Schwierigkeiten in dem ungewohnten langen Kleid gehabt hatte, war ihm nachgelaufen. "Etwas bauen? Was könntest du schon bauen?" Sie konnte sich noch an das Lachen auf seinem Gesicht erinnern, als er sich im Gehen zu ihr umwandte. "Du kannst es nicht ertragen, nicht wahr?" hatte er sie geneckt. Kathryn lächelte in sich hinein, als sie sich an diesen Augenblick erinnerte, in dem sie vor ihm stand und seine Ausgelassenheit beinahe auf sie überzuspringen drohte.

Und dann hatte Tuvoks Meldung, die Voyager wäre bald außerhalb der Kommunikationsreichweite, ihre freudige Ausgelassenheit unterbrochen. Kathryn griff erneut nach dem Schwamm und fuhr mechanisch damit fort, ihre Beine zu reiben. Das Wasser wurde kühler, sie würde nicht mehr lange darin sitzen bleiben können. Dennoch, es gab noch ein paar Dinge, die sie mit sich abmachen mußte, bevor sie wieder ins Haus ging. Sie hatte bereits aufgegeben, auf eine Rückkehr auf die Voyager zu hoffen. Tuvok hatte seine Befehle, und falls es tatsächlich eine Heilung außerhalb der Umwelt dieses Planeten gab, hätte sie der Doktor in den Wochen seiner Forschungsarbeit gefunden. Das war also nicht das Problem.

Kathryn hatte in ihrem Leben zu viele Abschiede erlebt, sie hatte sich auch mit diesem abgefunden und bemühte sich nun, nicht mehr weiter darüber nachzudenken. Ihre einzige Hoffnung lag in ihrem eigenen Wissen und in dem Shuttle, das die Voyager ihnen zurückgelassen hatte. Was aber, wenn sie versagte? Wenn das Wissen, das sie sich über all die Jahre harten Studierens und Trainierens hinweg angeeignet hatte, nicht ausreichte, wenn sie zugeben mußte, daß sie an die Grenzen ihrer Fähigkeiten gelangt war? Ihr eigenes Versagen würde ihre endgültige Strandung auf New Earth bedeuten, und trotz - oder gerade wegen - Chakotays Bemühen, diesem Fall schon einmal vorzugreifen, indem er ihn jetzt schon als gegeben betrachtete und nichts mehr unternahm, um von sich aus nach einer Heilmethode zu suchen, konnte sie sich nicht vorstellen, ihr ganzes Leben mit Chakotay auf diesem Planeten zu verbringen. Ohne die Gesellschaft anderer Leute, ohne ihre Arbeit, ohne ihr Schiff... ohne die Hoffnung auf Heimkehr, die sie in den vergangenen zwei Jahren so mühsam am Leben erhalten und die sie selbst immer nach vorne gedrängt hatte. Konnte sie leben ohne ihre Prinzipien, ohne alles, wofür sie in den Jahren seit ihrer Jugend gearbeitet hatte? Und fühlte sie sich in Chakotays Gegenwart deswegen so zwiegespalten, weil er einerseits Schutz und Vertrauen, andererseits auch die Anpassung verkörperte, mit der sie sich einfach nicht abfinden konnte?

Sie seufzte und legte nun endgültig den Schwamm beiseite. Baden hin oder her, an diesem Abend würde sie zu keinem Entschluß mehr kommen - wahrscheinlich schleppte sie hier ein Problem mit sich herum, das sich erst dann lösen würde, wenn sie ihre Forschung aufgab und sich dem fügte, was Chakotay, ohne es wortwörtlich auszusprechen, als Schicksal bezeichnete. Aber soweit, beendete sie ihre Selbstdiagnose ironisch, soweit war sie nun doch noch nicht.

Ihr Instinkt alarmierte sie, bevor überhaupt etwas geschah. Als es in den Baumwipfeln über ihr plötzlich raschelte, stand sie bereits außerhalb der Wanne und schlug in hastiger Eile das große Handtuch um sich.

"Chakotay! Da ist jemand im Wald!" Hinter sich hörte sie hastige Schritte. Licht flammte auf von der Taschenlampe an Chakotays Handgelenk. Sie hörte seinen raschen Atem und bemerkte erstaunt, daß auch ihr Herz plötzlich schneller schlug. Sie folgte dem Lichtstrahl hinauf in die Krone des Baumes. Ein amüsiertes Lächeln entspannte ihre Gesichtsmuskeln, als sie im hellen Schein der Lampe sah, was sie so erschreckt hatte. Ein kleiner Affe mit rundem, gemusterten Gesicht starrte sie aus aufgerissenen Augen an. Kathryn seufzte innerlich auf. Während sie mit Chakotay sprach, fragte sie sich, ob dies nun bereits der Beginn einer Anpassung war. Sie schwankte zwischen Erleichterung und Ärger. Nur wenige Tage außerhalb ihres Sessels auf der Brücke, nur wenige Tage seit Warpkernvibrationen unter ihren Füßen und gemeinsamem Mittagessen mit den Offizieren im Kasino, und schon begann sie, in das Erscheinen eines Primaten alles mögliche hinein zu phantasieren. Ein wenig Rascheln in den Bäumen und Kathryn Janeway dachte... an was? Einen Überfall von intelligenten Lebensformen, nachdem Chakotay festgestellt hatte, daß es derartige auf diesem Planeten gar nicht gab? Kathryn, ich bin enttäuscht, schalt sie sich selbst, als sie die Hand sinken ließ und plötzlich bemerkte, daß Chakotay aufgehört hatte, zu sprechen. Als sie sich zu ihm umdrehte, ertappte sie auf seinem Gesicht einen Ausdruck von... sie wußte nicht, was es war, sie merkte nur, daß er nachdenklich und mit sichtlicher Verwirrung seinen Blick auf ihrer nackten Schulter ruhen ließ. Für einen Moment stand Kathryn still und ebenfalls etwas verwirrt. Ihre Augen suchten die des Indianers, sein Gesicht lag halb im Schatten, dennoch glaubte sie, zu ahnen, was in ihm vorging. Dann wandte er sich ab und schaltete die Taschenlampe aus. Der Bann war gebrochen. Er hustete kurz.

"Na dann, entschuldige mich bitte." Er ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, ins Haus zurück. Kathryn riß sich aus ihren Gedanken, hob trotzig das Kinn und langte mit der Hand in ihr Badewasser. Vielleicht war es noch so warm, daß es sich doch noch lohnte, noch einmal hinein zu steigen.

Kathryn Janeway schrak hoch. Desorientierung überflutete sie, das Gefühl, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. Sie setzte sich mit einem Ruck auf und schnitt eine Grimasse. Sie hatte nicht bemerkt, daß das Wasser abgekühlt war, und nun, da sie sich bewegte, meldeten die Prozessoren ihrer Haut eindeutig: Kälte. Sie trocknete sich eilends ab, schlüpfte in ein bereitliegendes Kleid und ging hinüber in den Hauptraum ihres Quartiers. Sie schickte den warnenden Gedanken an schrumpfende Replikatorrationen zum Teufel, replizierte sich eine Tasse Kaffee, nahm das Gefäß zwischen ihre Finger und registrierte ganz nebensächlich, daß sie am ganzen Körper zitterte. Sie konzentrierte sich darauf, wie die heiße Flüssigkeit durch ihre Kehle rann und sich schließlich in ihrem Magen sammelte. Das herbe Aroma wirkte beruhigend. Sie atmete tief durch und fluchte leise. Daß laut fluchen weder etwas brachte noch besonders höflich war - selbst dann, wenn sie allein im Raum war -, hatte sie sich bereits vor Jahren deutlich gemacht. Ein leiser Fluch allerdings erleichterte sie so sehr, daß sie sich dieses Vorrecht trotz mehrmaligen Versuchen nicht hatte abgewöhnen können.

Die Erinnerung, die sie gerade noch einmal durchlebt hatte - sie war so real gewesen, daß sich Janeway beinahe noch den Blick in Chakotays Augen zurück ins Gedächtnis rufen konnte. Die laue Abendluft, die Badewanne, die quälenden Fragen wegen der bevorstehenden Anpassung an ihr neues Leben... es schien wie ein Traum. Natürlich, im Grund war es das auch, Erinnerung waren immer eine Art Träume, das war auch nicht das Problem. Was sie verwirrte, war die Tatsache, daß ein nicht allzu kleiner Teil ihres wachen Bewußtseins erklärte, dieser Traum sei der Realität in vielen Aspekten vorzuziehen.

Das Zittern ließ nach. Kathryn Janeway stellte die Tasse ab und fuhr sich seufzend durch die hochgesteckten Haare. Na schön, ihr Inneres hatte ihr also klar gemacht, daß sie die Ereignisse der vergangenen Wochen nicht einfach beiseite schieben konnte.

Das habe ich auch nicht vor, entgegnete sie energisch, solange es mit meiner Arbeit nicht in Konflikt gerät. Ich werde mich schon damit auseinander setzen... wenn die Zeit dafür reif ist. Den flüchtigen Gedanken, daß sie Chakotay an dieser Auseinandersetzung beteiligen sollte, ignorierte sie.

Einige Jahrhunderte zuvor hätte sie jetzt ihren Ärmel hoch rollen und die Hand zu einer Faust ballen müssen, dachte Captain Janeway und hob bei diesem Gedanken irritiert eine Augenbraue. Eine Arzthelferin hätte mit einem kleinen rechteckigen Stück Mull und einer eisklaren Lösung ihre Ellenbogenbeuge desinfiziert und dann dem Arzt eine Spritze in die Hand gedrückt. Sie warf einen Blick auf ihren Arm und rief ein Bild hervor, in dem der Arzt geschickt eine lange, dicke Nadel in ihre Vene einführte, den Stich, den sie dabei verspüren mußte, und wie dann langsam das dunkelrote Blut in die Spritze strömte. Danach erneute Desinfektion und ein buntes Pflaster. Und zur Belohnung vielleicht ein Bonbon?

Geschichten, die man Kindern abends im Bett vorliest, dachte sie, Märchen von Dingen, die sich Kinder des 24. Jahrhunderts nicht einmal mehr vorstellen können. Historische Ereignisse, die heute so altmodisch wirken wie ein Radiogerät oder Wettersatelliten. Die Spritze, die ihr etwas Blut abnehmen sollte, wurde gerade in Form eines versierten Hyposprays an ihren Arm gedrückt, sie spürte nur den leichten Druck, den es ausübte, und dann das kühlende Prickeln, als das kleine Gerät, nachdem es sich mit Blut gefüllt hatte, eine tropfenartige Flüssigkeit direkt in ihren Kreislauf injizierte, um so jeglicher Infektion vorzubeugen. Und der Arzt, der nun das Röhrchen Blut in den Analyseapparat stellte und kontrollierte, daß sich das Gerät mit leisem Summen selbst aktivierte, war kein Mensch, der mehrere Jahre in medizinischen Vorlesungen an der Universität verbracht hatte, um neue Erkenntnisse über das menschliche Leben herauszufinden und zu studieren. Dieser Mann war eine Projektion, eine Zusammensetzung aus Licht, Luft und Energie, der man das Wissen per Knopfdruck einprogrammiert hatte. Er sprach wie ein Mensch, er sah aus wie ein Mensch, er besaß Bewußtsein, Intelligenz und die Fähigkeit, sich neues Wissen anzueignen. Und, bemerkte sie mit leichter Zufriedenheit, er hatte auch gelernt, die Verhaltensweisen eines Arztes anzunehmen. Worin unterschied er sich also noch von Menschen, die aus Erbanlagen und genetischen Codes ihrer Eltern konstruiert worden waren? Dadurch, daß er nur an Orten mit eingebauten Holoemittern existieren konnte? Menschen, deren Atmung auf Sauerstoff/Kohlenstoff-Verbindungen aufbaute, konnte nicht im All leben, ebensowenig im Wasser, der Doktor hingegen schon, wenn man die nötigen Vorkehrungen traf. Wo hörte das wirkliche Leben auf und begann das, das durch die Technologie erschaffen worden war? Fragen, denen viele Wissenschaftler und Philosophen die Zeit ihres Lebens opferten, ohne schlüssig zu werden. Fragen, die eindeutig nichts im überanstrengten Gehirn eines Raumschiffcaptains zu suchen hatten. Janeway gab es auf, die Probleme, die ihre Erinnerungen in ihr entstehen ließen, durch andere noch unlösbarere Probleme ersetzen zu wollen.

Sie bewegte seufzend ihre Schultern. Wie kam es nur, daß sie solchen Muskelkater hatte? Die Arbeit an Bord der Voyager war weder körperlich anstrengend noch so ermüdend wie die auf New Earth, wo sie oft stundenlang mit Chakotay im Wald oder im Garten gearbeitet hatte, nicht zu vergessen das deprimierende Aufräumen nach dem Plasmasturm. Dennoch waren ihre Schultermuskeln steif und verkrampft. Nachwirkungen, dachte sie trocken. Meine Muskeln haben sich zu sehr an die Massage gewöhnt, die Chakotay mir jeden Abend hat zukommen lassen. Für einen Augenblick rief sie sich die breiten, sanften Hände des Indianers ins Gedächtnis, die ruhigen, kreisenden Bewegungen, in denen er mit seinen Fingern genau die Stellen fand, die ihr Schmerzen bereiteten. Dennoch war ihr gesamter Rücken- und Nackenbereich nach dieser Abendmassage locker und entkrampft gewesen. Kathryn, dich zu verstehen ist Schwerstarbeit, murmelte Janeway unhörbar, du tust gerade so, als habe man dir dein Leben zerstört, als man dich zurück an Bord der Voyager beamte. Dabei hat man es dir gerettet - oder zumindest wieder in die alten Bahnen gebracht. Die Tatsache, daß sie nicht vor Freude über die Rettung an die Decke sprang, schob sie beiseite. Sie mußte sich Gedanken darüber machen, wie sie mit der Lage umzugehen hatte, denn daß es so nicht weiter ging, das war deutlich. Was ebenso deutlich war, war die unangenehme Gewißheit, daß sie mit Chakotay sprechen mußte - mit ihrem Ersten Offizier, dem sie seit ihrer Rückkehr so unauffällig wie möglich auswich.

Sie riß sich ungestüm aus ihren Gedanken, als der Doktor zufrieden den Analyseapparat ausschaltete und einen Blick auf die Ergebnisse warf.

"Soweit ich sehen kann, hat das Medikament alle vom Virus befallenen Zellen in Ihrem Körper eliminiert", erklärte er und reichte ihr einen Datenblock. "Das medizinische Fachwissen der Vidiianer ist größer als wir bisher annahmen. Sie haben einen Antikörper entwickelt, der gegen fremde Zellen angeht ohne gleichzeitig das Immunsystem des Patienten anzugreifen. Ich sehe keine Veranlassung, Sie weiterhin von Ihrem Dienst fernzuhalten, Captain."

Janeway nickte knapp. "Ich weiß das zu schätzen, Doktor. Was ist das?" Sie überflog die Daten.

"Die chemische Zusammensetzung des Antikörpers. Ich nahm an, da Sie mehrere Wochen damit zubrachten, selbst ein Heilmittel zu finden, könnten Sie Interesse an den Forschungsergebnissen der Wissenschaftler haben, die erfolgreicher waren als Sie und ich."

Janeway blickte auf und krauste die Stirn. Das Gesicht des Arztes zeigte allerdings nur leichtes Interesse und Zufriedenheit. Er verzog seine Mundwinkel zu einem für ihn seltenen Lächeln, das ein wenig unbeholfen wirkte.

"Keine Ursache. Falls Sie mich nicht mehr brauchen, ich habe zu arbeiten." Ihr Lächeln kam nur zögernd zustande, ein wenig irritiert.

"Natürlich, Doktor. Ich...hoffe, daß ich Sie nicht aufgehalten habe." Sie schwang die Beine von der Untersuchungsliege und stand auf. Kes, die junge Ocampa und medizinische Schülerin des Doktors, berührte sie am Arm.

"Ich bin sicher, der Doktor meint es nicht so", flüsterte sie in einer Art und Weise, die Janeway immer an einen Counselor erinnerte. Die Kommandantin blickte dem Arzt nachdenklich nach.

"Natürlich meint er es nicht so. Ich neige nur immer mehr zu dem Entschluß, diesen Doktor Zimmerman einmal aufzusuchen, wenn wir wieder daheim sind. Starfleet sollte in Zukunft darauf achten, daß Zimmerman weniger von seiner eigenen Persönlichkeit in seine Hologramme einarbeitet." Sie nickte Kes noch einmal zu und schickte sich an, die Krankenstation zu verlassen, als sich das Schott vor ihr öffnete und sie beinahe mit einem Offizier in rot-schwarzer Uniform zusammenstieß, der von links aus dem Korridor in den Raum einbog. Sie prallte zurück.

"Verzeihung, Captain, ich habe Sie doch nicht erschreckt?"

Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte sie und strich sich instinktiv die Haare zurück, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatten. Ihre Haltung wurde unwillkürlich steifer.

"Nein, Commander, ich hatte Sie nur nicht hier erwartet." Ich würde mir wünschen, daß du endlich diesen sorgenvollen Blick verschwinden läßt, dachte sie grimmig, als er sie prüfend ansah. Sie schluckte und erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

Der Indianer machte eine kurze Handbewegung und deutete auf den Doktor.

"Der Doktor wollte..."

"...Ihnen auch etwas Blut abnehmen, vermute ich", unterbrach ihn Janeway. "Machen Sie weiter, ich bin auf der Brücke." Sie trat hinaus in den Korridor und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Mein Problem scheint größer zu sein als ich angenommen hatte, dachte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Und es scheint, daß ich doch schleunigst etwas dagegen unternehmen sollte. Sie blieb stehen und wandte zögernd den Kopf. Sie könnte zurückgehen und mit ihm reden. Sie zauderte, hob dann störrisch das Kinn und setzte ihren Weg fort. Später, dachte sie, wenn der Zeitpunkt günstiger ist. Und im Augenblick war das Wichtigste, sich wieder in den Arbeitsablauf einzufügen. Während ihrer Abwesenheit hatte sich viel auf dem Schiff getan, und Janeway wollte so schnell wie möglich über alles informiert sein.

Während sie auf den Turbolift wartete, piepste ihr Kommunikator. Sie berührte ihn und trat beiseite, als zwei Offiziere den Lift verließen.

"Hier Janeway."

"Torres hier, Captain. Wir haben die Diagnose des Warpantriebs abgeschlossen und sind auf einige Probleme gestoßen." Janeway war nicht allzu erstaunt. Es verging kaum eine Woche, in der es keine Schwierigkeiten mit dem Warpantrieb zu verzeichnen gab. Im Delta-Quadranten, Jahrzehnte von der nächsten Versorgungsbasis entfernt, an der man Reparaturen durchführen konnte, war es deutlich schwieriger, die wichtigste Antriebseinheit des Schiffes in Hochform zu halten. B’Elanna Torres hatte weiß Gott keinen leichten Job.

"In Ordnung, Lieutenant, ich bin unterwegs. Ich treffe Sie im Maschinenraum. Janeway Ende." Es war gut, daß es noch wichtigere Dinge gab, mit denen sie sich beschäftigen mußte.

"Was gibt es, B’Elanna?" Janeway hatte die halbklingonische Chefingenieurin an einer der seitlichen Konsolen ausgemacht und registrierte mit Verwunderung, daß sie sich bereits in Gesellschaft befand: Neelix, der aufgeweckte Talaxianer, Moraloffizier und Küchenchef in einem, wippte von einem Bein auf das andere und bemühte sich mit zusammengezogenen Augenbrauen, das Geheimnis hinter den technischen Daten zu verstehen, die vor seinen Augen über das Display liefen.

B’Elanna Torres wandte sich um, auf ihren Zügen zeigte sich offene Ungeduld. Es war kein Geheimnis, daß sich Neelix für ihm unbekannte Technik interessierte und nur zu gerne Ingenieure darüber ausfragte. Janeway nahm an, daß B’Elanna froh war, einen Grund zu haben, um das Gespräch abzubrechen.

"Es handelt sich um die Systemdiagnose, Captain. Impulsantrieb und Triebwerke sind okay, Phaserbänke und Schilde haben wieder voller Energie, es schien alles in Ordnung zu sein bis auf eine Sache."

"Und die wäre?" Janeway beugte sich interessiert vor, als Torres’ Finger über die Konsole huschten und neue Daten auf den Monitor brachten. Sie musterte die Kolonne von Zahlen und Informationen, die über das Display flackerten. Sie schüttelte schon den Kopf, sie sah keine abnormale Abweichung, bis sie plötzlich ruckartig die Hand ausstreckte und mit ihrem Zeigefinger auf eine spezielle Anzeige deutete.

"Computer, anhalten!" Sie bemerkte, daß sich Neelix neugierig über ihre Schulter beugte und richtete sich auf. "Das ist es, was Sie beunruhigt, nicht wahr? Der Zustand der Dilithiumkristalle!"

"Exakt! Ich habe es zunächst nicht bemerkt, die Veränderung ist so minimal, daß die Scanner sie nicht erfassen konnten. Aber dann erschien eine leicht abweichende Anzeige, als die Stabilität des Warpfeldes getestet wurde und ich begann, Nachforschungen anzustellen. Kein Zweifel, das hier ist dafür verantwortlich." B’Elanna hatte die Arme verschränkt und die Stirn in Falten gezogen. Neelix’ Blick wanderte von ihr zu Janeway und wieder zurück.

"Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, Captain, aber könnten Sie mir sagen, worum es sich handelt?" Es war ihm sichtlich unangenehm, diese Frage stellen zu müssen.

"Es sind die Dilithiumkristalle, Mr. Neelix", erklärte Janeway, ohne den Blick vom Monitor zu nehmen. "Sie befinden sich in einer Art Zerfalls- oder Auflösungsprozeß."

"Es ist ein Zerfallsvorgang", bestätigte Torres. "Ich weiß noch nicht, wodurch er bewirkt wird, ich habe wahrhaftig noch nie etwas von Dilithiumkristallen gehört, die sich einfach auflösten. Ich kann es nicht erklären, ich weiß nur, daß es geschieht."

"Wie lautet Ihre Prognose?" fragte Janeway. "Wie lange dauert es, bis sich Auswirkungen auf den Antrieb einstellen?"

Torres zuckte die Schultern. "Ich habe keine Ahnung. Nach dem, was ich auf der Akademie gelernt habe, dürfte das Ganze überhaupt nicht geschehen. Nach den bisherigen Untersuchungen aber glaube ich, daß der Prozeß sehr langsam vonstatten geht, etwa 1,003 mal 10 hoch -7 Quadratmillimeter pro Tag. Dennoch, in etwa 11 Monaten könnten sich bereits einige Risse in den Kristallen gebildet haben, die nicht zu unterschätzen sind. Dies hier..." sie deutete auf den Bildschirm, "hat nichts mit dem natürlichen Abnutzungsprozeß der Kristalle zu tun, der sich nach vieljähriger Benutzung einstellt. Die Kristalle sind noch nicht einmal zwei Jahre in Betrieb, es kann sich demnach gar nicht um eine Form von Abnutzungszerfall handeln. Irgend etwas stimuliert die Kristalle oder greift ihre Molekularstruktur an, um sie so allmählich zu schwächen und die Atombindungen aufzulösen."

"Habe ich das richtig verstanden, Lieutenant, die Moleküle werden also nicht verändert, sondern ihre Struktur wird aufgelöst?" Janeway schüttelte den Kopf. "Ich habe noch nie etwas derartiges gehört. Wie ist das möglich, Dilithium gehört zu den unzerstörbarsten Kristallen, die es gibt."

"Im Alpha-Quadranten vielleicht, Captain", warf Neelix vorsichtig ein, "aber es wäre doch möglich, daß es hier ein... was auch immer gibt, das die Kristalle dazu anregt, sich in Luft aufzulösen."

"Wie auch immer", fuhr Janeway fort, "wir können nicht riskieren, in einem Jahr plötzlich ohne Warpantrieb dazustehen. B’Elanna, haben Sie Vorschläge, wie dieser Zerfall zu stoppen ist?"

"Nein, dazu müßte ich erst einmal herausfinden, wodurch er aktiviert wurde", erklärte Torres mit finsterer Miene. "Und ich weiß im Moment nicht einmal, wo ich zu suchen anfangen soll. Ich dachte allerdings daran, nach einem Ersatz Ausschau zu halten."

Janeway starrte für einen Augenblick ins Leere. "Ersatz für Dilithiumkristalle", flüsterte sie. "Die Föderation bemüht sich schon seit Jahren erfolglos darum, einen ähnlichen Kristall zu finden, der dieselbe Wirkung im Warpantrieb aufweisen könnte. Die Bergbaukolonien für diesen Kristall sind sehr rar geworden im Alpha-Quadranten", fügte sie erklärend für Neelix hinzu, "und man hat es bisher nicht geschafft, ihn künstlich herzustellen. Dennoch, wir wissen, daß sich die Kazon, die Talaxianer, die Vidiianer, beinahe alle Rassen, auf die wir hier gestoßen sind, mit Überlichtgeschwindigkeit bewegen können, und ich habe bisher nie davon erfahren, daß sie Dilithiumkristalle verwenden."

"Sie verwenden also eine andere Energiequelle, eine, die es hier an allen möglichen Stellen geben muß und auch mit unterschiedlicher Technologie gekoppelt werden kann", führte Torres den Gedanken weiter. "Wir müßten nur erfahren, worin diese Energiequelle besteht und wo sie zu bekommen ist. Ich bin mit meinen Überlegungen soweit gekommen und dachte, daß uns vielleicht Neelix behilflich sein könnte, diese Informationen zu erhalten. Sein Schiff flog schließlich auch mit Warpgeschwindigkeit, er hatte also ebenfalls Zugang zu dieser Technologie."

"Das ist richtig, Lieutenant", mischte sich der Talaxianer eilig ein, "aber die Kapazität meines Antriebs war nicht sehr groß. Im Vergleich mit diesem Warpantrieb hätte er höchsten ein Fünfzehntel der Leistung erbracht, oder auch etwas mehr oder weniger oder..."

"Nun gut, Neelix, aber Ihr Schiff besaß wenigstens schon eine andere Energiequelle als Dilithiumkristalle", unterbrach ihn Torres grimmig. "Gut möglich, daß die Technologie der Kazon nur etwas ausgereifter ist, aber auf demselben Grundstoff basiert."

"Ich weiß allerdings nicht einmal genau, welcher Art mein Antrieb war", murmelte Neelix und wippte wieder hin und her, diesmal aus Unbehagen. "Ich hatte das Schiff von einem Freund bekommen, der sich ein besseres angeschafft hatte. Er hatte sich vom Schrottgeschäft losgemacht und einem Konvoi angeschlossen, der regelmäßig Waren zwischen Iridhon und Iridhon Prime hin und her..."

"Neelix." Janeways Stimme wurde eine Nuance schärfer. "Ihre Geschichte ist bestimmt hochinteressant, doch leider fehlt uns jetzt dafür die Zeit. Also bitte..."

Der Talaxianer wackelte unruhig mit dem Kopf und grinste verlegen. "Nun ja, das genau ist ja das Problem. Ich habe das Schiff übernommen und mich nicht weiter um den Antrieb gekümmert." Auf Torres entsetzten Blick hin streckte er sich und riß die Augen auf. "Das war auch gar nicht nötig, ich hatte nie Schwierigkeiten. Alles, worum ich mich kümmern mußte, waren die Territorien der Kazon, mein Kurs und meine..."

"Sammlungsgegenstücke, ich weiß." Torres bedachte ihn mit einem Blick, der nicht zum ersten Mal seinen Geisteszustand in Frage stellte. "Captain, ich habe Neelix’ Schiff im Hangar untersucht; ich werde aus dem Antrieb nicht schlau. Es sieht so aus, als habe Neelix nicht nur Schrott gesammelt, sondern auch sein gesamtes Schiff damit ausgekleidet. Der Antrieb ist dermaßen zusammengeflickt, daß kaum noch zu unterscheiden ist, was davon zur originalen Maschine gehört und was nicht. Ihr Vorgänger war ein Bastler, ja?"

Neelix schob beleidigt die Unterlippe vor und sah betont gleichgültig an Torres vorbei. Die Chefingenieurin bereitete sich innerlich schon einmal auf das Mittagessen vor, daß Neelix ihr servieren und in dem sie bestimmt einige Überraschungen finden würde. Janeway spürte die Spannung, die in der Luft lag, und legte dem Moraloffizier beruhigend die Hand auf die Schulter.

"Neelix, niemand macht Ihnen hier einen Vorwurf. Im Gegenteil, wir sind auf Ihre Hilfe angewiesen. Sie sind während Ihrer...vorherigen Arbeit so viel in diesem Sektor des Quadranten herum gekommen, Sie hatten mehr als einmal mit den Kazon zu tun - versuchen Sie, sich zu erinnern, haben Sie niemals gehört, wie die Energieanlagen dieser Schiffe sind, oder die der talaxianischen Konvois, der Schiffe der Vidiianer? Nach allem, was wir über die Fortbewegungsart dieser Schiffe wissen, dürfte es keine zu gewichtigen Unterschiede geben." Sie lächelte jetzt warm. "Sie sind der Einzige, der uns Ratschläge geben kann, der Einzige, der sich hier auskennt. Gibt es eine Möglichkeit, unseren Antrieb mit hiesigen Energiequellen zu unterstützen?"

Der Talaxianer nickte langsam, versöhnt durch ihr Lächeln. "Es gäbe tatsächlich vielleicht einen Ausweg", sagte er, während seine Augen nachdenklich hin und her huschten. "Die Talaremer, ein Volk, das sehr mit uns Talaxianern verwand ist, jedenfalls bezeugt das ihre Vergangenheit und auch im Aussehen sind sich unsere Völker recht ähnlich, also auf jeden Fall", fuhr er mit einem raschen Seitenblick auf Torres fort, "sind die Talaremer in der Lage, Schiffe zu bauen, die den Standard der talaxianischen Schiffe weit übersteigen, ja beinahe sogar dem der Kazon ebenbürtig sind. Ich weiß nicht eingehender darüber Bescheid, die Beziehungen zwischen unseren Völkern spielen sich mehr auf kulinarischer und gesellschaftlicher Ebene ab, ich empfehle Ihnen dennoch, Captain, sich mit den Talaremern in Verbindung zu setzen. Sie sind ein gastfreundliches, friedliebendes Volk, möglicherweise sind sie zu Verhandlungen über einen Austausch von Informationen oder Energie oder was auch immer wir brauchen bereit."

Janeways Lächeln vertiefte sich. "Danke, Neelix, ich werde über Ihren Vorschlag nachdenken. Ich bin aber der Ansicht, daß Lieutenant Torres und ich ihn in Erwägung ziehen werden. Wären Sie bereit, mit den Talaremern Kontakt aufzunehmen, wenn es soweit ist?"

Neelix’ Schultern strafften sich. "Sehr gerne, Captain", sagte er formell. "Äh, brauchen Sie mich jetzt noch?"

"Nein, im Augenblick nicht mehr", gestattete Janeway. Sie sah ihm nach, wie er den Maschinenraum durchquerte, den Offizieren, die an den übrigen Terminals arbeiteten, einige Scherzworte zurief und dann hinaus auf den Korridor trat. Sie seufzte unhörbar und tauschte mit Torres einen Blick.

"Ich würde sagen, wir haben Arbeit vor uns, Lieutenant."

Pilzsuppenaroma in der Nase zu haben war beinahe noch besser als der eigentliche Geschmack, der sich mit dem ersten Löffel voll auf der Zunge ausbreitete. Es roch nach würzigen Kräutern und rief schwache Erinnerungen an Wälder und Regen herauf. Chakotay drehte den Löffel unschlüssig in der Hand und malte dabei geschwungene Kreise in die Suppe, die sich auflösten und in neue Gebilde verwandelten, wenn er die Bewegungsrichtung veränderte. Er starrte hinein und bemühte sich, die Zeit neu entstehen zu lassen, in der Pilzsuppe zu den Mahlzeiten gehört hatte, die beinahe eine Belohnung dargestellt hatten. Damals war er von Missionen zurückgekommen, mit einem Schiff, das einige Beulen und Wunden mehr besaß, mit einer Crew, zerschlagen, verwundet, aber zufrieden mit dem, was sie erreicht hatten, und mit sich selbst und der Leere, die er spürte, wenn er seinen Zorn und seine Aggressionen draußen auf dem Schlachtfeld zurückgelassen hatte und nun etwas anderes verspüren sollte, nämlich Freude über den Erfolg, Zufriedenheit wenigstens. Chakotay hatte vor langer Zeit vergessen, was diese Gefühle bedeuteten. Für ihn waren es Worte, Buchstaben ohne Inhalt. Zurückkommen, das bedeutete für ihn Pilzsuppe, warmes Essen, Medikamente, die ihn für kurze Zeit betäubten. Replikatoren waren Mangelware beim Maquis, sie besaßen maximal zwei auf jedem Schiff und benutzten sie so wenig wie möglich, um Energie zu sparen. Und was die Freude anging: Er erlebte sie nur in der Erleichterung, wenn sich im Kampf sein inneres Ventil öffnete und die angestauten negativen Emotionen aus ihm heraussaugte und auf seinen Kampf und seine Kameraden übertrug. Chakotay hatte gelernt, daß ein Kampf nur dann gut ausging, wenn man die nötige Portion Wut im Magen hatte, und zum Teufel, die hatte er auch. Er war wütend, seit sein Vater gestorben war und ihn allein gelassen hatte, seit die Cardassianer über sein Volk bestimmten und es unterdrückten, seit er seinen Stamm, der versucht hatte, ihm Halt zu geben, verlassen hatte und Starfleet beigetreten war, seit er seinen Posten aufgegeben und sich dem Maquis angeschlossen hatte...es waren zu viele Gründe und zuviel Haß. Das Gefühl war ihm vertraut geworden wie sein eigener Herzschlag.

Natürlich hatte es Tage gegeben, an denen der Einfluß, den der Haß auf ihn ausübte, weniger wurde, Tage und Stunden, die er mit Seska verbracht hatte, bei Pilzsuppe und Gesprächen, die er nicht mehr hatte führen können, seit er sein Volk verlassen hatte. Gespräche, in denen die Bajoranerin den Indianer zwang, auf den Boden seines Ichs zu sehen und das erforschen, was sie Pagh nannte. Sie hatte versucht, ihm beizubringen, daß er zu streng mit sich umging, daß er sich keine Ruhe zugestand und keinen Seelenfrieden. Sie hatte sein Gesicht zwischen ihre schlanken Hände genommen und ihm gestanden, daß sie ihn lieben könnte, wenn er ihr zeigte, daß ähnliche Gefühle ihn ihm überhaupt noch existierten. Als er dann später herausfand, daß Seska nicht nur hübsch, sondern auch eine risikofreudige Kämpferin und gerissene Spionin war, die man ohne weiteres mit Föderationsmissionen beauftragen konnte, nicht nur mit Sabotage an cardassianischen Stützpunkten, begann sich eine Beziehung zwischen ihnen zu formen. Was zu Beginn von gegenseitigem Respekt und Achtung geprägt war, wurde mit der Zeit immer tiefer. Über Seska lernte er B’Elanna Torres kennen, eine Halbklingonin, die gerade die Akademie durch den Hinterausgang verlassen hatte und seine Gruppe nicht nur durch ihre technischen Fähigkeiten, sondern auch durch ihr Temperament und Spontaneität bereicherte. Im gleichen Maße, in dem Chakotay lernte, sich selbst und seinen Haß zu kontrollieren, baute er eine Crew auf, die durch und durch Maquis war und wie Terroristen zu handeln verstand, dennoch aber zu einer Einheit verschweißt war und einander vertrauen konnte. In einer Zeit, in der jeder ein Undercoveragent sein konnte, ein Spitzel sowohl der Föderation als auch der Cardassianer, gehörte Vertrauen einem Luxus an, den sich nicht jeder kommandierende Offizier leisten konnte.

Er konnte seine Befriedigung nur im Kampf finden. Und erst, als er sich der fremden Kriegerin angeschlossen hatte, fühlte er plötzlich die wahre Bedeutung des Friedens.

Ist das wirklich eine uralte Legende?

Nein. Aber so war es leichter, es auszusprechen.

Chakotay legte den Löffel beiseite und stützte die Arme auf den Tisch, den Kopf zwischen den Händen. Die wahre Bedeutung von Frieden. Er horchte dem Klang der Worte nach und konnte nichts mehr darin erkennen. Was war er gewesen, dieser Frieden, der in ihn geschlüpft war, kaum daß er den Planeten das erste Mal betreten hatte? Das Gefühl, das er gespürt hatte, wenn er morgens aufwachte und das Geräusch der Tiere außerhalb ihrer Behausung hören konnte anstelle des Vibrierens des Warpantriebs. Er war oft noch eine Weile auf dem Rücken liegengeblieben, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und hatte auf das gleichmäßige Atmen gelauscht, das aus dem Nachbarzimmer zu ihm hinüber drang.

Manchmal empfing ihn auch schon das leise Summen der wissenschaftlichen Geräte, und wenn er dann hinüber ging, saß Kathryn schon am Tisch über eine ihrer neuesten Proben gebeugt, hob den Kopf, als sie ihn eintreten hörte, strich sich das Haar aus dem Gesicht und erklärte, daß sie sich sicher sei, heute den entscheidenden Durchbruch zu machen und eine geeignete Insektenprobe zu finden.

Chakotays Hände ballten sich zu Fäusten, er konnte sich nur mühsam beherrschen, nicht auf den Tisch zu schlagen. Er war zurück, an Bord der Voyager, und dennoch kehrten seine Gedanken ständig zu dem Ort zurück, an dem zum ersten Mal geschehen war, wonach er sein Leben lang gesucht hatte: Er war innerlich zur Ruhe gekommen, er, der nichts anderes gekannt hatte als die Rebellion gegen die Lebensweise seines Stammes, gegen den Tod seines Vaters, nachdem er sich endlich mit ihm verstanden hatte, nach den aufreibenden Jahren beim Maquis, in denen sein Herzschlag nur den Kampf gesucht hatte. New Earth hatte ihm das sichere Gefühl gegeben, angekommen zu sein, dort, wo er hingehörte, wo er sich selbst akzeptieren konnte. Wie sollte er jetzt akzeptieren, daß er wieder nur Offizier auf einem Schiff war, mit Pflichten und Konfrontationen und Apparaturen um sich herum? Wie konnte er kämpfen, nachdem er sich gerade mühsam von seinem Haß entledigt hatte? Und wie, um alles in der Welt, sollte er mit seinen Gefühlen für Kathryn umgehen?

"Chakotay?" B’Elanna Torres ließ sich mit ihrem Tablett neben ihm nieder und entfaltete ihre Serviette. Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu und musterte dann den Teller, den er vor sich stehen hatte. "Schmeckt es dir nicht mehr?"

Der Indianer riß sich zusammen. "Doch, doch, ich war nur gerade in Gedanken." Um keinen Verdacht zu erregen, nahm er den Löffel wieder auf und kostete von der Suppe. Mittlerweile war sie kalt geworden, außerdem war der Replikator sowieso nicht in der Lage, den Geschmack herzustellen, den Seska durch Gewürze und andere Geheimnisse hervorgebracht hatte. Eine Imitation, genauso wie Seska eine gewesen war; nicht einmal die Rationen wert, die er dafür hatte opfern müssen. Er warf Torres, die ihn immer noch beobachtete, einen Blick zu und schob seinen Teller seufzend von sich. Torres kannte ihn zu lange, ihr etwas vorzumachen hatte in der Regel wenig Sinn.

Sie fixierte ihn für einen Moment, während sie sich gedankenlos einen Bissen ihres Essens in den Mund schob. "Ist es Seska?" fragte sie unerwartet. Chakotay runzelte verblüfft die Stirn.

"Seska?"

"Ich dachte, da du so abwesend über einem Teller Pilzsuppe meditierst..." Torres zog eine Grimasse und nahm das Essen auf ihrem Teller genauer in Augenschein. Ihre Vermutungen hinsichtlich Neelix’ Verärgerung und deren Folgen schienen sich zu bestätigen.

"Ist das eine neue Ausgabe von Neelix’ exotischer Kochkunst?"

"Ja, eine seiner neuesten Kreationen." B’Elanna sah immer noch mißtrauisch aus, zuckte aber die Achseln und aß weiter. "Also wenn nicht Seska, wer dann?"

Chakotay schüttelte den Kopf. "Ich würde es vorziehen, nicht darüber zu reden."

Sie wölbte überrascht eine Augenbraue. Es herrschte eine ungeschriebene Vereinbarung zwischen ihnen, daß sie beide miteinander sprachen, wenn sie etwas bedrückte, wenn sie glaubten, vom anderen Hilfe erwarten zu können. Die lange Zeit, die sie sich kannten, die Freundschaft, die ihre gemeinsame Vergangenheit geschaffen hatte - B’Elanna hatte geglaubt, er würde ihr vertrauen. Es war ihr nicht leichtgefallen, ihm, einem Indianer, der mehr vom Meditieren und Animal Guides etwas verstand als von Technik und Maschinen, Vertrauen zu schenken. Nach mehreren Jahren Dienst unter seiner Führung hatte sie jedoch ihre Meinung über ihn mehr als einmal revidieren müssen. Er war ihr Freund geworden, dem sie ihre Hilfe anbot, wenn er in Schwierigkeiten steckte.

Chakotay erriet, was in ihr vorging. "Hör zu, B’Elanna, ich weiß es zu schätzen, daß du dir Gedanken machst", lenkte er ein, "aber das ist eine Angelegenheit, die ich mit mir selbst ausmachen muß (und vielleicht mit einer Person, die mir schon den ganzen Tag ausweicht. Sie kann schließlich weder von mir noch von sich selbst erwarten, daß wir alles vergessen, nur weil wir wieder unter Menschen sind.). Es ist nichts von wirklicher Bedeutung. Ich habe nur...ein wenig Schwierigkeiten, mich wieder an all die Leute und den Alltag an Bord zu gewöhnen."

Nicht zum ersten Mal fragte sich Torres, was während der Wochen, die Chakotay und Janeway auf dem Planeten verbracht hatten, geschehen war. Sie hatte Chakotay noch nie derart nachdenklich erlebt, so abweisend und abwesend. Er und Janeway gingen sich aus dem Weg, das war nicht zu übersehen.

"Habt ihr euch gestritten, der Captain und du?" hakte sie behutsam nach. Der Indianer brachte ein Lächeln zustande, das jedoch seine Augen aussparte.

"Nein, B’Elanna, ich wünschte, es wäre so einfach. Bitte", er preßte kurz ihre Finger zwischen seine Hände und zwang sich zu einem aufmunternden Zwinkern. "Ich brauche einfach etwas Zeit."

"Es kann erleichternd sein, über Probleme zu sprechen, Chakotay."

"Vielleicht." Er stand auf und schob seinen Stuhl an den Tisch.

Torres hielt ihn am Arm fest. "Du weißt, wo du mich finden kannst", sagte sie warm, ihre dunklen Augen blickten etwas weniger angriffslustig als sonst.

Chakotay erwiderte ihren Blick mit unbewegter Miene.

"Ich weiß."

"...ich schlich mich also in die Küche, als Neelix gerade in den Maschinenraum gerufen wurde, und fing an, in den Schubladen herum zu stöbern. Ein paar Male stieß ich auf seltsam braungrün gefärbte Knollen, die stanken wie die Hölle, ich wette, das waren uralte, verfaulte Stücke Liolawurzel, von denen sich Neelix nicht trennen konnte. Während ich also noch in den Schubladen wühlte, immer darauf bedacht, alles wieder ordentlich zurückzulegen, damit Neelix keinen Verdacht schöpft, hörte ich plötzlich unterdrücktes Kichern hinter mir. Und jetzt ratet mal, wer da stand?"

"Fiona McPherson", fuhr Harry Kim lachend fort. "Sie hatte mit mindestens einem Dutzend Offiziere gewettet, daß sie es schaffen würde, Tom in die Küche zu locken und ihn, der sich doch so wahnsinnig gut mit allem technischen Zeug auskennt, nach einer multiplen, phasengesteuerten Gemüsepresse suchen zu lassen."

Lieutenant Torres hob fragend eine Augenbraue. "Nie davon gehört."

"Exakt, Tom ebenfalls nicht. Er war interessierter an Fiona als an der Gemüsepresse, aber sie bat ihn so lieb darum und klimperte mit ihren langen dunklen Wimpern..."

"Idiot", brummte Paris. Er fuhr sich mit der Hand stöhnend über das Gesicht. B’Elannas Mundwinkel zuckten verräterisch. Kim nickte nachdrücklich.

"Nachdem sie ihn bisher hatte abblitzen lassen, könnt ihr euch vorstellen, wie Tom reagierte, als sie ihn kontaktierte und bat, ihr etwas aus der Küche zu besorgen, was sie dringend brauchte. Sie könne nicht selbst gehen, da sie gerade im Begriff sei, unter die Dusche zu steigen..." Tom Paris’ Gesichtsfarbe wandelte sich in ein helles Rot, "und Tom dachte sich natürlich, er könne ihr vielleicht beim Abtrocknen helfen, wenn er ihr die Presse ins Quartier brachte."

"Harry!" wandte Paris hastig ein, seine Ohrenspitzen glühten. "Wenn Sie keine telepathischen Fähigkeiten besitzen, sollten Sie lieber nicht in meinen Gedanken herumstöbern." Sein Einwand fiel allerdings schwach aus. Der junge Fähnrich grinste.

"Dazu brauche ich keine Telepathie, man brauchte sich nur Ihr strahlendes Gesicht anzusehen, um Bescheid zu wissen. Was Tom allerdings nicht wußte", fuhr er, zu Torres gewandt, fort, "war, daß Fiona mit anderen Maquisoffizieren eben diese Wette abgeschlossen hatte, daß sie Tom dazu bringen würde, illegal in die Küche einzudringen und nach etwas zu suchen, das er nicht einmal kannte."

"Das Schönste kam natürlich am Schluß", stöhnte Paris. "Als ich also mit hochrotem Kopf hilflos von den Schubladen hochstarrte, lachten sich die Maquis samt Fiona über mich kaputt. Ich war nämlich nicht nur zu blöd, etwas zu suchen, was ich nicht kannte, sondern etwas, was es gar nicht gibt."

B’Elanna prustete los. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, ihr Lachen zu verbergen, sondern beugte sich vor und schenkte Paris ein mitleidiges Lächeln.

"Das kommt davon, wenn man immer behauptet, sich in jedem technischen Fachbereich auf diesem Schiff auszukennen. Sie haben wohl übersehen, daß auch die Küche mit solcher Technik arbeitet."

"Ich glaube, ihn trifft viel mehr, daß seine Gefühle veralbert wurden", entgegnete Kim. "Er hat doch schließlich so viel Anerkennung für Fiona gezeigt. Und daß es dann ausgerechnet sie war, die ihm so übel mitgespielt hat..."

"...das hat den armen Lieutenant dann ganz fertig gemacht", vollendete Paris sarkastisch. "Danke, Harry, ich denke, B’Elanna kann sich nun ein heiteres Bild machen." Er fuhr sich mit den Händen durch die kurzen sandfarbenen Haare und schnitt Torres eine ironische Grimasse. "Sie scheinen das Ganze ja sehr erheiternd zu finden, Lieutenant."

Die Chefingenieurin lachte. "Kommen Sie, Paris, verstehen Sie keinen Spaß? Sie sind eben als Casanova auf diesem Schiff bekannt - früher oder später mußte so etwas passieren." Sie tätschelte ihn am Arm, woraufhin sie nur einen ärgerlichen Blick erntete.

"Ich denke aber, Sie können beruhigt sein", fuhr B’Elanna fort. "Die Crew hat gemerkt, daß Sie bescheiden geworden sind. Keine einzige Beziehung in den letzten zwei Monaten...!" Sie lächelte. "Ich bin sicher, diese Aktion hat auf Ihre Vergangenheit gezielt, Tom. Sie haben sich hier auf dem Schiff mehr Anerkennung erworben, als Sie vielleicht denken."

"Vielleicht ist es genau das, was mir übel genommen wird", brummte Paris. Er starrte Harry immer noch grimmig an. Der Asiate machte kein Hehl daraus, daß er die Geschichte im höchsten Maße amüsierend fand. Dennoch, die Falten auf der Stirn des Navigators hatten sich etwas gelichtet. Es war es nicht gewöhnt, auf den Arm genommen zu werden und verabscheute es, wenn Maquis wie Sternenflottenoffiziere sich das Recht herausnahmen, über seine Vergangenheit zu urteilen und ihn damit zu reizen. Erstaunlich war jedoch, daß ihn ausgerechnet Torres aufzumuntern versuchte. Sie war ihm die meiste Zeit ihrer Reise besonders feindselig gegenüber gestanden, aus einem Grund, den er vermutlich nie von ihr erfahren würde.

Sein schweifender Blick traf Tuvok, den dunkelhäutigen vulkanischen Sicherheitsoffizier, der seit Beginn der Komödie neben Kim gesessen und vielsagend geschwiegen hatte. Ein Erwachsener, der die albernen Spiele der Kinder beaufsichtigt und sich stillschweigend seinen Teil dazu denkt, fuhr es Paris durch den Kopf, ein Gedanke, der in ihm ein wenig die alte Rebellion gegen Sicherheitsoffiziere im allgemeinen und Vulkanier im besonderen aufkommen ließ. Es fiel ihm allerdings nicht schwer, sie niederzukämpfen. Tom Paris hatte gelernt, sich zu beherrschen.

Er kam nicht dazu, etwas zu erwidern, denn das Schott hinter ihm öffnete sich und Janeway betrat den Konferenzraum, gefolgt von Chakotay. Hinter ihnen konnte Paris die blauschwarze Uniform und die hellen Locken von Fiona McPherson erkennen, die an einer der Kontrollstationen arbeitete. Er musterte kurz ihre schlanke Figur, die wohlgeformten Beine und die schmale Taille. Schnepfe, dachte er verächtlich, während ihm das zugleitende Schott die Sicht verdeckte und sich seine Aufmerksamkeit der Kommandantin zuwandte, die ihm gegenüber Platz genommen hatte.

Janeway setzte sich in ihrem Sessel zurecht und warf einen Blick in die Runde. Tom Paris wirkte ein wenig erhitzt und zupfte in einer ihr neuen, heftigen Bewegung seine Uniform zurecht. Torres und Kim sahen machten einen erheiterten Eindruck, während Tuvok wartend den Blick auf sie gerichtet hielt. Es saß da, als sei er aus Marmor gegossen. Nicht einmal seine geschwungenen Augenbrauen bewegten sich.

Chakotay hatte neben Janeway Platz genommen und die Beine übereinander geschlagen. Er lehnte sich zurück und wartete ebenfalls. Der Captain hatte nicht viel geäußert, als sie ihn in den Vorschlag, die Talaremer zu kontaktieren und um Informationen über die angeblichen Antriebskristalle zu bitten, einwies. Sie war kühl und knapp gewesen, ein Verhalten nicht unbedingt unüblich zwischen Captain und Erstem Offizier, auch wenn ein wenig die Vertrautheit fehlte. Gänzlich unüblich jedoch nach den vorangegangenen Wochen. Chakotay glaubte sicher, daß der Schlüssel zu ihrem Verhalten in diesen letzten Wochen steckte - vermutlich fühlte sie sich nicht viel anders als er. Er konnte schließlich nicht behaupten, daß er die Stunden seit seiner Rückkehr besonders genossen hatte. Die Erinnerungen, die er mit New Earth und ihrer improvisierten Kolonie verband waren zu klar in seinem Kopf vorhanden, um sich willkürlich abschalten zu lassen. Dennoch mußte er akzeptieren, daß sie die Vergangenheit für erledigt zu betrachten schien. Seit ihrer Rückkehr hatte sie ihn kein einziges Mal persönlich angesprochen und auch die Wochen, die sie gemeinsam verlebt hatten, mit keiner Silbe erwähnt. Er akzeptierte es, so schwer es ihm auch fiel. Er konnte jedoch nicht umhin, festzustellen, wie deutlich unangebracht ihm die Kommandostruktur plötzlich erschien, wie er sich innerlich dagegen auflehnte, sich wieder in seine Rolle als Erster Offizier einfügen zu müssen.

Janeway verbrachte zehn Minuten damit, die restlichen Brückenoffiziere über den Vorschlag zu unterrichten, den Neelix angebracht hatte. Während sie sprach, registrierte sie aus den Augenwinkeln die Reaktionen der einzelnen Crewmitglieder. Torres und Chakotay wirkten entspannt, sie kannten den Bericht bereits. Harry Kim saugte jedes ihrer Worte in sich ein, um auch jedes Detail mitzubekommen, ein Verhalten, das sie ein wenig an ihre eigene Dienstzeit als Fähnrich erinnerte: Immer die Ohren offenhalten, man konnte nie wissen, was man alles im Nachhinein brauchen würde. Paris’ Blick wanderte ein wenig zerstreut über den Tisch, dennoch bewies seine Haltung, daß er ihr trotzdem die nötige Aufmerksamkeit schenkte. Und Tuvok. Der taktische Offizier hielt sich kerzengerade, die Hände auf dem Tischrand verschränkt, und machte einen unbeteiligten, abwesenden Eindruck. Janeway aber wußte, daß er jedes Wort, jede Einzelheit wie ein Computer speicherte, logische Annäherungen begann und sich bereit machte, zu jedem Problem, das auftauchen konnte, eine Analyse zu erstellen, um ihr eine akzeptable Lösung anzubieten.

"Ich habe mich auf Neelix’ Vorschlag hin mit einem Repräsentanten der Talaremer in Verbindung gesetzt", fuhr sie fort. "Er schien nicht weiter überrascht zu sein über meine Bitte. Nach dem, was ich in dem Gespräch über sein Volk erfahren habe, ist es in dieser Gesellschaft nicht unüblich, mit Informationen über Antriebstechnologie zu handeln. Im Gegenteil, ein extrem bedeutender Teil ihrer Industrie würde darauf aufbauen, wurde mir mitgeteilt." Tuvoks Augenbraue hob sich um einen halben Millimeter, während Harry Kim ein wenig verdutzt wirkte. Janeway ließ sich nicht beirren. Das Gespräch mit dem talaremischen Repräsentanten hatte bei ihr ähnliche Reaktionen ausgelöst. "Ich erfuhr, daß einer der Planeten, der zum Einflußbereich der Talaremer gehört und auf dem das Zentrum der Antriebsindustrie lokalisiert ist, sich im benachbarten Sektor befindet, gut 36 Flugstunden mit Warp 7. Der Repräsentant bot an, uns dort zu empfangen und sich auf Verhandlungen über die notwendigen Informationen einzulassen."

Sie machte eine unbestimmte Handbewegung, die die übrigen Offiziere aufforderte, ihre Meinung zu äußern. Torres war die erste, die sich zu Wort meldete.

"Ich finde, wir sollten es zumindest versuchen, Captain. Der Zerfall der Dilithiumkristalle schreitet fort, während wir hier sprechen, das können wir nicht ignorieren. Selbst wenn wir jetzt noch nichts unternehmen, in spätestens einem Jahr müssen wir uns dem Problem erneut stellen, und dann ist vielleicht keine Zivilisation in der Nähe, die uns einen neuen Antrieb verschaffen kann."

"Ich bin derselben Ansicht", warf Tom Paris ein. "Wir haben Glück, daß B’Elanna den Schaden so frühzeitig bemerkt hat, daß wir noch genügend Zeit haben, uns nach einem Ersatz für die Kristalle umzusehen. Wir sollte diese Frist nutzen, da wir sie schon einmal haben."

Janeways Augen suchten fragend die ihres alten Freundes. Tuvok wölbte eine dunkle Augenbraue und wandte ihr den Kopf zu.

"Der Vorschlag scheint akzeptabel", erwiderte er gleichförmig. "Da die talaremische Gesellschaft das Handeln mit derartigen Informationen gewohnt scheint, wäre es nur logisch und plausibel, Verhandlungen zu beginnen. Es könnte sich sicherlich verhängnisvoll auswirken, wenn wir diese Gelegenheit ausließen und in einigen Monaten vielleicht auf die Hilfe eines Volkes angewiesen sind, das entweder nicht die erforderlichen technischen Kenntnisse besitzt oder sich weigert, Informationen über seine Technologie preiszugeben. Ich rate jedoch dazu, mit Vorsicht vorzugehen. Wir kennen die Talaremer nicht und können uns daher nur auf die Informationen beziehen, die Sie von Mr. Neelix erhalten. Das ist nicht gerade viel." ...für einen vulkanischen Sicherheitsoffizier, fügte Janeway in Gedanken hinzu. Dennoch hatte sie erfahren, was sie wissen wollte. Tuvok war mit der Lösung einverstanden, die sich ihnen bot, und Janeway sah auch keinen Grund, warum sie das Angebot ausschlagen sollte, abgesehen vielleicht von der Tatsache, daß sie zufällig genau zur richtigen Zeit das richtige Volk mit der vielleicht richtigen Technologie genau in ihrer Nachbarschaft fanden. Doch mit dieser Art von Zufällen konnte sie leben. Es hing zuviel für die Sicherheit ihres Schiffes und seiner Besatzung von dieser Entscheidung ab. Sie zog es vor, den sicheren Weg zu gehen, auch wenn er sie wieder einmal in die Lage bringen würde, um Hilfe handeln zu müssen. Die junge Kathryn Janeway, die Lieutenant auf einem wissenschaftlichen Schiff gewesen war, hatte es gehaßt, um Hilfe bitten zu müssen, gab es ihr doch das Gefühl, schwach und hilflos zu sein. Im Delta-Quadranten jedoch, 70 000 Lichtjahre von ihrer Heimat entfernt, hatte sie schnell gelernt, daß sie diese Art von Luxusdenken nicht mehr praktizieren durfte.

"Falls es keine Einwände gibt", begann sie und warf Chakotay einen raschen Blick zu. Er erwiderte ihn ruhig und schüttelte nur den Kopf, "dann denke ich, wir sollten keine Zeit mehr vertrödeln. Wir befinden uns in einer Lage, in der wir es uns nicht leisten können, derartige Möglichkeiten außer Acht zu lassen. Tuvok, bekommen Sie alles aus Neelix heraus, was er über dieses Volk weiß, jede noch so unbedeutende Kleinigkeit kann uns einen Anhaltspunkt geben, wie wir diesen unbekannten Verhandlungspartnern gegenüber treten müssen. B’Elanna, ich möchte, daß Sie mich und Commander Chakotay auf den Planeten begleiten und an den Verhandlungen teilnehmen. Sie sind am besten qualifiziert, zu beurteilen, ob die Talaremer uns mit ihrer Technologie wirklich helfen können. Bis wir den Planeten erreichen, versuchen Sie bitte außerdem, einen Grund für das rätselhafte Verhalten unserer Kristalle zu finden, für den Fall, daß die Verhandlungen fruchtlos bleiben. Nebenbei möchte ich nicht, daß im Fall eines Erfolges diese "Infektion" sich auch auf den neuen Antrieb ausbreitet. Tom, bereiten Sie sich darauf vor, Daten über die talaremische Technologie zu empfangen und in den Maschinenraum weiterzuleiten. Lieutenant Torres wird ein Team zusammenstellen, das sich an die Auswertung der Daten und an ihre Übertragung auf unsere Systeme machen wird. Harry, nehmen Sie währenddessen den Planeten etwas unter die Lupe, sobald wir in Scannerreichweite sind; ich möchte wissen, ob es besondere Bodenschatzvorkommen gibt, Energiefelder, alles, was uns einen Hinweis auf die talaremische Energiequelle gibt." Jeder nickte zum Zeichen seines Einverständnisses. Janeway lächelte.

"Wir haben eine Chance bekommen, die vielversprechend klingt. Hoffen wir nur, daß wir sie auch zu nutzen verstehen." Sie stand auf und stützte die Hände in die Hüften.

"Fangen wir an!"

Der Türmelder ertönte. Captain Janeway ließ sich in ihrem Gespräch nicht unterbrechen und öffnete das Schott manuell, indem sie einen Knopf unterhalb ihres Tisches betätigte. Sie hob nicht einmal den Kopf, als Chakotay eintrat, sondern hörte weiter den Ausführungen zu, in denen sich Khladin, einer der talaremischen Repräsentanten, seit fünfzehn Minuten befand.

Chakotay blieb wartend neben der Tür stehen. Janeway mochte ihre Gründe haben, weshalb sie ihm nicht zu verstehen gab, näher treten zu dürfen. Er beobachtete sie, während sie einen Versuch startete, Khladin zu unterbrechen. Es gelang ihr nicht. Ihr Gesicht zeigte deutlich die Verstimmung, die dieser Fehlschlag hervorrief, und Chakotay war wieder einmal erleichtert, nicht selbst Captain zu sein und derartige Gespräche hinter sich bringen zu müssen. Janeway mußte geduldig und diplomatisch sein, wenn sie etwas erreichen wollte, und es gab Rassen, bei denen es äußerst schwer war, den eigenen Geduldsfaden vor dem Reißen zu bewahren. Er lauschte dem gleichmäßigen Klang der Stimme, der der Universaltranslator einen dunklen Männerbaß verlieh. Er konnte nicht eindeutig ausmachen, was gesprochen wurde, glaubte aber aus Janeways Miene zu lesen, daß sie das, was Khladin ihr berichtete, nicht zum ersten Mal vernahm.

Die Tatsache, daß sie sich offenbar weigerte, ihn anzusehen, gab ihm Gelegenheit, sie zum ersten Mal in den vergangenen zwei Tagen wieder direkt für einige Minuten zu betrachten. Ihr Verhalten hatte ihm mehr als heftig gezeigt, daß er sie verwirrte und an etwas erinnerte, daß sie so schnell wie möglich vergessen wollte. Verdrängungstaktiken, die selbst bei kleinen Kindern schon nicht den gewünschten Effekt erzielten. Er konnte sich natürlich vorstellen, daß es ihr wie ihm nicht leicht fiel, die Freiheit und Idylle des grünen Planeten zu vergessen und sich wieder an das enge Leben auf einem Raumschiff zu gewöhnen. Dennoch hatte er geglaubt, daß sie es leichter nehmen würde. Sie war es schließlich gewesen, die ihm von Beginn an mit Nachdruck gezeigt hatte, daß sie sich nicht damit abfinden würde, ihr Leben lang mit ihm auf einem unbewohnten Planeten, gestrandet im Delta-Quadranten, zu verbringen. Sie hatte sich verzweifelt in ihre Forschungsarbeit gestürzt, hatte sich geweigert, ihren Aufenthaltsort ein wenig wohnlicher und persönlicher zu gestalten... Er war der Ansicht gewesen, sie würde sich niemals auf New Earth heimisch fühlen können. Und nun schien sie an der Wiedereingewöhnung schwerer zu tragen als er. Er begriff es nicht recht. Was konnte es sein, was sie so panisch werden ließ, wenn sie über ihn stolperte oder einer der übrigen Offiziere ein Wort über die Wochen fallen ließ, in denen sie nicht an Bord der Voyager gewesen waren?

Sein Blick ruhte auf ihren schmalen Schultern, die sie jetzt wir zum Schutz vorgeschoben hatte. Er erinnerte sich, wie sie jeden Abend über ihre Forschungsgeräte gebeugt am Tisch gesessen war, ab und an nach einer Tasse Kaffee griff und dabei nicht den Blick vom Monitor abwenden konnte. Er war in einer anderen Ecke des Zimmers gesessen, hatte versucht, sich an seine Streifzüge durch die Malerei zu erinnern, die er vereinzelt als junger Schüler und Student unternommen hatte, und hatte manchmal seine Augen in ihre Richtung gelenkt, einige Worte mit ihr gewechselt. Mit der Zeit war ihm aufgefallen, daß sie sich öfters mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Nacken faßte. Er hatte lange gezögert, bis er aufgestanden war und begonnen hatte, sie zu massieren.

Er hatte mit kleinen Bewegungen begonnen. Seine Fingerkuppen bewegten sich kreisend, suchten die verspannten Muskeln, seine Daumen preßten sich rhythmisch an ihren Nacken und in die Grube zwischen den Schulterblättern. Er spürte, wie sie sich entspannte, wie die gespannte Energie in ihrem Körper losließ und sie ihn einfach gewähren ließ. Seine breiten Hände arbeiteten nun etwas stärker, er fühlte den glatten Stoff ihrer Bluse zwischen seinen Fingern und ihre kühle Haut darunter. Und mit einem Mal, so schien es, war sie vor sich selbst erschrocken. Sie hatte sich umgedreht und ihn mit einem Blick angesehen, der ähnlich verwirrt war wie der, der seit ihrer Rückkehr nicht mehr von ihren Zügen gewichen war.

Janeway hatte es schließlich geschafft, das Gespräch mit Khladin zu einem Ende zu bringen. Sie betätigte mit einem leisen Seufzer die Taste an ihrem Monitor, so daß das Bild des Talaremers schwarz wurde, und blickte dann auf. Dieses Mal blieb ihre Miene unbewegt, als sie Chakotay bedeutete, ihr gegenüber an ihrem Tisch Platz zu nehmen.

"Ich sprach soeben mit Repräsentant Khladin vom talaremischen Volksausschuß", erklärte sie ihm. "Er hatte mich kontaktiert, um mir die Bestimmungen zu erläutern, denen sich außerweltliche Besucher auf ihrem Planeten fügen müssen."

"Der Länge des Gesprächs nach zu urteilen sind diese Bestimmungen wohl sehr zahlreich?" erkundigte sich Chakotay.

Janeway nickte.

"Das ist richtig, aber viele dieser Bestimmungen sind unseren Offizieren durch die Prinzipien der Sternenflotte bereits bekannt."

"Mehr als die Hälfte der ehemaligen Maquisoffiziere waren nie Absolventen der Akademie", erinnerte sie Chakotay. Janeway warf ihm einen scharfen Blick zu.

"Diese Offiziere dienen nun seit zwei Jahren an Bord dieses Schiffes. Ich darf wohl erwarten, daß sie sich mittlerweile mit den Regeln vertraut gemacht haben."

Chakotay ließ sich sein Erstaunen über ihre Schärfe nicht anmerken.

"Das haben sie auch, Captain. Ich wollte nicht andeuten, daß..."

Janeway schnitt ihm das Wort ab. "Ich werde die übrigen, noch nicht bekannten Bestimmungen schriftlich an das Außenteam weiterleiten. Khladin hat mich informiert, daß gemäß des vorliegenden Protokolls die drei höchsten Offiziere an den Verhandlungen teilzunehmen haben, nebst Ingenieuren und deren Adjutanten. Mir gefällt dieser Punkt ebensowenig wie Ihnen", sagte sie, bevor er seine Bedenken äußern konnte, "ich konnte den Repräsentanten in dieser Hinsicht allerdings zu keiner Ausnahme bewegen. Tuvok wird also das Schiff mit uns verlassen, das Kommando geht dann an Lieutenant Paris."

Chakotay biß sich auf die Zunge, um einen heftigen Kommentar herunter zu schlucken. Janeway verzog keine Miene.

"Richten Sie bitte B’Elanna aus, Sie dürfe drei Mitglieder ihres Teams auswählen, die sich dann ebenfalls dem Außenteam anzuschließen haben. Teilen Sie ihr mit, sich um 14.00 Uhr morgen früh im Transporterraum einzufinden." Sie wandte ihren Blick wieder dem Datenblock zu, den sie in der Hand hielt. Als sie bemerkte, daß Chakotay sich zwar erhoben hatte, aber vor ihr stehen geblieben war, hob sie fragend den Kopf.

"Gibt es noch etwas, Commander?"

"Ja, Captain", entgegnete er ruhig. "Ich denke, wir sollten miteinander reden. Über New Earth. Über das, was dort unten passiert ist. Ich sehe doch, daß Sie..."

"Das wäre alles, Commander", unterbrach ihn Janeway kalt. "Sie dürfen wegtreten." Ihre Stimme klang abwehrend, dennoch entdeckte Chakotay, als er ihr einen letzten Blick zuwarf, etwas Flackerndes, Unbestimmtes in ihren Augen. Er drehte sich um und verließ den Bereitschaftsraum. Hinter ihm schloß sich zischend das Schott.

Kathryn Janeway lehnte sich stöhnend im Sessel zurück und griff sich mit beiden Händen an die Schläfen. Hinter diesen schienen sich allmählich pochende Kopfschmerzen auszubreiten.

Sie materialisierten in einem kleinen, sonnigen Vorhof. Captain Janeway blinzelte, zum einen wegen der Nachwirkungen des Transporterstrahls, der sie immer ein wenig benommen machte, zum anderen wegen der Sonne, die ihr in die Augen fiel. Hier auf dem Planeten schien es bereits später Nachmittag zu sein, die Sonne, die schräg über die flachen Dächer einfiel, hatte sich bereits in ein sanftes Orange verfärbt und tauchte den Platz in ein warmes Licht, das sich in den klaren Fensterscheiben fing und auf die kleine Landegruppe reflektiert wurde.

Janeway blickte sich um. Der Platz war beinahe vollständig von flachen, ebenerdigen Häusern umschlossen, nur eine Lücke von etwa drei Metern Durchmesser war in den Kreis eingelassen worden, durch sie führte eine Straße hinaus ins offene Land. Janeway konnte in der Ferne Hügel und Täler erkennen, Städte, deren Dächer rötlich braun in der Sonne glänzten. Einige Wolken segelten über den Himmel, der im Gegensatz zu der Erdatmosphäre nicht blau, sondern eher türkis-grün getönt wirkte. Die Luft war ein wenig dünner als die, die das Umweltkontrollsystem der Voyager in die Schiffskorridore filterte, dennoch empfand sie es nicht als unangenehm.

"Captain", ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr, die sie sofort als die des Repräsentanten Khladin wiedererkannte. Sie wandte sich um und lächelte. Der Talaremer war erheblich größer, als sie erwartet hatte. Da sie sein Volk in Verwandtschaft mit den Talaxianern geglaubt hatte, hatte sie ihn auch hinsichtlich seiner Größe mit Neelix gleichgestellt. Nun aber mußte sie feststellen, daß der Mann sie um mindestens einen Kopf überragte und sogar noch etwas größer war als Chakotay. Er war schlank, mit muskulösen Armen und Beinen; sein langer Körper steckte in einer enganliegenden, sandfarbenen Hose und einem etwas dunkler gefärbten Hemd mit weiten Ärmeln, dessen Kragen weit geöffnet war. Er trug das sandfarbene Haar kurz geschnitten, so daß Janeway einen guten Einblick auf die detaillierten Hautmusterung an Hals, Nacken und Stirn bekam. Die Talaremer haben doch weniger mit den Talaxianern gemeinsam als ich angenommen hatte, stellte sie fest und betrachtete fasziniert die bläulich getönten Muster an Haaransatz, Wangen und Halsbereich. Er waren auch keine vollendeten Kreise und Flecken, wie sie bei Neelix gefunden werden konnten, sondern halbmondförmige Linien, die manchmal dünn waren wie die Striche eines Bleistifts, manchmal ausgefüllt wir Halbkreise. Die Farben wirkten schlicht und einfach, kombiniert mit der hellen Haut des Mannes. Nichts gegen Neelix, fuhr es Janeway durch den Kopf, als sie langsam auf den Mann zutrat, aber dieses Volk hier ist weitaus attraktiver als das der Talaxianer - nach meinen Maßstäben zumindest. Sie haben wirklich eine außergewöhnliche, sanfte Schönheit entwickelt. Zumindest dieser Mann hier.

"Ich bin Ungar Khladin, zweiter Repräsentant des Volksausschusses", stellte sich der Mann vor und berührte dabei seine Stirn mit seiner linken Handfläche. Janeway nickte dankend mit dem Kopf und berührte ebenfalls ihre Stirn.

"Ich bin Captain Kathryn Janeway vom Föderationsraumschiff Voyager", sagte sie. "Ich danke Ihnen, daß Sie so schnell zu Verhandlungen bereit waren, Repräsentant." Sie wunderte sich, wie ein Mann, der nicht älter aussah als Lieutenant Paris, eine solch tiefe Stimme haben konnte. Ungar Khladin lächelte ein wenig.

"Captain, ich heiße Sie und Ihre Offiziere im Namen des Volksausschusses willkommen. Wir haben schon einige Gerüchte über Sie und Ihre lange Reise gehört, es ist eine Ehre, Sie auf unserem Planeten zu empfangen."

Janeway fühlte eine Woge von Überraschung. Sie wechselte einen raschen Blick mit Chakotay, der ein Stück versetzt hinter ihr stand, und bemerkte, daß auch er erstaunt eine Augenbraue wölbte. Einen solch freundschaftlichen Empfang hatten sie seit Monaten nicht mehr erhalten - es war nicht weiter erstaunlich, die Kazon hatte noch nie den Anschein gegeben, daß in ihrer Psyche auch freundliche Empfindungen existierten. Dennoch, es wirkte seltsam und zugleich alarmierend, so gastfreundlich aufgenommen zu werden.

"Ich danke Ihnen, Repräsentant", sagte sie deshalb mit zurückhaltender Freundlichkeit. "Dies hier sind Commander Chakotay, mein Erster Offizier, Lieutenant Tuvok und Lieutenant B’Elanna Torres, meine Chefingenieurin." Khladin nickte den drei Offizieren zu, während Janeway noch die drei wissenschaftlichen Offiziere vorstellte, die das Außenteam ergänzten: Fähnrich Scanra Jilan, eine Bajoranerin mit dunklem Haar und den besonders ausgeprägten Nasenkerben, wie sie auf dem nördlichen Kontinent von Bajor zu finden waren; Lieutenant Samuel Houston, der bereits als Fähnrich mit Janeway auf dem Schiff des Admiral Paris gedient hatte und den sie Wissenschaftsoffizier für die Brücke der Voyager angefordert hatte. Starfleet hatte damals, entgegen ihres Wunsches, entschieden, die Aufgaben des Wissenschaftsoffiziers zwischen dem taktischen und dem Operationsoffizier aufzuteilen, so erhielt Houston keinen Platz unter den Brückenoffizieren. Dennoch hatte Janeway dafür gesorgt, daß er, soweit es möglich war, über alle Entscheidungen und Operationen unterrichtet wurde und seine Vorschlage ihr direkt vorlegen konnte. Sie hatte sich noch nie mit Ungerechtigkeiten abfinden können.

Lieutenant Julia Brixton, ebenfalls von der Erde stammend, ergänzte das Team um B’Elanna Torres. Janeway wußte kaum etwas über sie, sie gehörte zu den Offizieren, die sich problemlos in die Crew einfügten, ihren Job taten und zumeist im Hintergrund blieben. Ihr war nur bekannt, daß Lieutenant Brixton im Maschinenraum arbeitete und sich hauptsächlich mit den Antriebsaggregaten und der Forschung hinsichtlich der erweiterten Warptechnologie beschäftigte. Die junge Frau war schlank, mit dunkelblondem Haar, das sie hochgesteckt trug. An ihrem Gürtel hing ein Trikorder, daneben steckte ein Phaser des Typs 2. Über ihrer rechten Schulter hing eine kleine, rechteckige schwarze Tasche.

Urban Khladin empfing die wissenschaftlichen Offiziere mit dem selben Respekt, den er Janeway gezollt hatte, dann streckte er die Hand aus und wies auf eines der niedrigen Gebäude.

"Die obersten Vertreter des Volksausschusses warten schon auf Sie. Wenn Sie mir folgen würden..."

Janeway nickte zustimmend. Sie folgte Khladin, während Lieutenant Brixton ihren Trikorder in die Hand nahm und ihn prüfend in alle Richtungen bewegte. Ihre Augen weiteten sich kaum merklich, als ihr Blick die flackernden Angaben überflog.

"Wahnsinn", entfuhr es ihr leise. Chakotay, der ihren Ausruf gehört hatte, trat neben sie und warf ebenfalls einen Blick auf das leuchtende Display. Er lächelte Brixton aufmunternd zu.

"Ich würde sagen, wir haben eine gute Chance, zu bekommen, was wir wollen", sagte er.

Janeway seufzte und fuhr mit der Hand an ihren steifen Nacken, als sie hinaus auf den Hof trat. Die Sonne war mittlerweile untergegangen, es war jedoch immer noch warm. Sie sog die Luft ein und glaubte für einen Moment, etwas wie gebratenes Gemüse oder Brot zu riechen. Sie wandte den Kopf zu Khladin, der hinter ihr den Raum verlassen hatte.

"Woher kommt dieser Geruch?"

"Aus den Städten. Um diese Zeit wird in vielen Familien gegessen."

"Aus den Städten?" Janeways Stimme haftete etwas Ungläubiges an. "Aber die nächste Ortschaft ist doch mindestens fünf Kilometer entfernt."

Khladin nickte. "Der Wind trägt immer viel Feuchtigkeit mit sich", erklärte er, "und Feuchtigkeit bindet Aromastoffe an sich. Wenn es in den heißen Sommermonaten im Landesinneren brennt, riecht es in der ganzen Region nach Rauch. Und die Brandherde sind Hunderte von Kilometern entfernt."

"Erstaunlich", murmelte Janeway. Sie bewegte stöhnend ihren Nacken und unterdrückte den brennenden Wunsch nach einer ordentlichen Massage. Der Talaremer beobachtete sie.

"Sie sehen müde aus", stellte er fest. "Ich hatte mir gedacht, daß Sie vielleicht noch einen Spaziergang mit mir machen möchten, bevor der feierliche Teil des Empfangs startet, aber jetzt denke ich, Sie sollten sich eher für eine kurze Zeit ausruhen."

"Oh nein", unterbrach sie ihn schnell. Nur nicht zu viel Zeit alleine mit den aufdringlichen Erinnerungen, die immer wieder an die Oberfläche drangen und sie durcheinanderbrachten. "Wirklich nicht, ich bin nur ein wenig erschöpft. Ihre Kollegen haben, nun ja, eine gewisse Art, sich an Details zu halten."

"Sie sind Meister des Verhandelns", entgegnete Khladin, während er langsam neben ihr her über den Hof schritt. "Dennoch haben sie die etwas störende Angewohnheit, dort weiter zu verhandeln, wo eigentlich schon alles geklärt ist. Sie sind Perfektionisten - anderen Talaremern wird dieses Amt gar nicht erst erteilt." Janeway atmete die frische, warme Luft ein und genoß das Gefühl, weit ausschreiten zu können. Ihre Stimme klang wieder lebhaft, als sie erwiderte: "Ich hatte nicht den Eindruck, daß Sie ein Perfektionist sind."

Er lachte leise und tief in der Kehle. "Nein. Aber ich gehöre auch nicht zu den Personen, die die großen Entscheidungen in diesem Distrikt treffen. Ich bin mehr für die internen Angelegenheiten zuständig, für die Öffentlichkeitsarbeit und die Organisation der Bergbauanlagen. Die Perfektionisten haben mit der großen weiten Welt des Weltraums zu tun. Sie schließen die Geschäfte ab und haben die Aufsicht über die Produktion."

"Es scheint mir dennoch eine bedeutende Position zu sein", widersprach ihm Janeway. Sie hatten das kleine Runddorf, das unter anderem die Konferenzräume des Volksausschusses beherbergte, verlassen und gingen die breite Landstraße entlang. Janeway entdeckte trotz der Dunkelheit schwarze Schleifspuren auf der Fahrbahn und wunderte sich. Dennoch fand sie den Zeitpunkt ungünstig, um danach zu fragen. Es gab viel mehr, das sie wissen wollte - es hatte ihr auf der Zunge gelegen, seit die beiden Verhandlungsbeauftragten begonnen hatten, von der talaremischen Industrie zu berichten.

"Khladin", begann sie, während ihr Blick über die Landschaft strich, die sich um sie herum erstreckte, alle Eindrücke in sich aufsaugend wie der Pinsel eines Malers, der sich mit Farbe vollsaugt, um sie nachher wieder auf Papier wiederzugeben. Die Dämmerung hüllte sie ein wie ein Tuch, sie konnte nur unscharfe Konturen erkennen, dennoch bemerkte sie, daß sie sich in einer weitläufigen Hügellandschaft befanden, sie erkannte mehrere große Baumgruppen und in der Ferne dann einige Städte, in denen die Lichter angegangen waren und ihnen wie kleine Laternen entgegen leuchteten. "Ich bin überwältigt von dem, was die Verhandlungsbeauftragten über Ihren industriellen Hauptzweig berichtet haben. Ich frage mich immer noch, wie es nur möglich ist, daß ein ganzer Planet aus einem Mantel von..."

"Aragphmakristallen bestehen kann?" ergänzte er und nickte. "Ich kann mir vorstellen, wie erstaunlich das auf Sie wirken mag. Im Grunde genommen ist es nicht der eigentlich Mantel, der sich uns als Rohstoffquelle bietet. Das Aragphma des Mantels nützt uns nichts, da es bisher niemandem gelungen ist, in derartiger Tiefe und Hitze Abbau zu betreiben. Fördern können wir nur in den Gebieten der nördlichen Halbinsel, wo sich Aragphma auch in den oberen Felsschichten findet, besonders natürlich in den weitläufigen Gebirgszügen etwa zweihundert Kilometer westlich von hier. Die Schichten beginnen oft schon in einer Tiefe von dreihundert Metern, und die Kristalle sind zu beinahe 98% aus reinem Aragphma."

"Der Nachforschung von Lieutenant Torres zufolge besteht tatsächlich eine Chance, unsere Dilithiumkristallkammer mit Aragphmakristallen aufzufüllen und eine Anpassung an unsere Warptechnologie vorzunehmen", fuhr Janeway fort. "Es ist unglaublich. Seit mehr als zwei Jahrzehnten ist die Föderation auf der Suche nach einem natürlichen Kristallvorkommen, wie es Ihr Planet hier birgt. Und hier, so weit von meiner Heimat entfernt, stoßen wir auf Technologie, die unserem Warpantrieb sehr ähnelt und auch in ihrer Grundversion auf einem sehr ähnlichen Prinzip beruht, auf Kristallen."

Khladin antwortete nicht darauf. Janeway dachte an das Gespräch zurück, das sie eine Stunde zuvor noch mit den Beauftragten geführt hatte.

"Ich darf das Ganze also so verstehen", fing sie wieder an, "daß mehr als zwei Drittel der Einwohner dieses Kontinents damit beschäftigt sind, die Aragphmavorkommen ausfindig zu machen und die Kristalle zu fördern, sie zu bearbeiten und dann anderen Völkern zum Verkauf anzubieten. Aber einer meiner Wissenschaftsoffiziere berichtete mir, daß sie große Aushöhlungen unter der Erde gescannt hätten. Was genau geschieht dort unten?"

"Es sind Arbeitsstätten", erklärte der Talaremer. Er ging mit so ausladenden Schritten, daß Janeway sich bemühen mußte, mit ihm Schritt zu halten. "Wir verkaufen nicht nur die Kristalle, wenn wir mit Außenweltlern handeln. Das geschieht sogar nur selten, wie in Ihrem Fall. Es ist üblich, daß statt dessen gleich ein kompletter Antrieb verlangt wird."

Janeway blieb verblüfft stehen. Sie mußte beinahe den Kopf in den Nacken legen, um zu dem hochgewachsenen Mann emporzusehen. Sein Gesicht lag im Dunkeln, sie konnte seine Züge kaum noch wahrnehmen. Nur dieses seltsam tiefe und warme Lachen drang an ihr Ohr.

"Wollen Sie damit sagen, daß sich Ihre Industrie einzig auf das Erzeugen von Antriebsmodulen stützt?" fragte sie überrascht. "Aber wie ist das möglich? Die Beauftragten sagten doch, daß Ihre ‘Kunden’ aus allen umliegenden Sektoren stammen, wie gehen Sie da mit der individuellen Kalibrierung um? Jede Rasse baut unterschiedliche Raumschiffe, wie gelingt es Ihnen da, einen Antrieb zu entwickeln, der sich in jedes Schiff einbauen läßt und mit unterschiedlichster Technologie kompatibel ist?"

Khladin lachte wieder. Er bot ihr den Arm an und Janeway registrierte überrascht, daß sie sofort danach griff und sich bei ihm einhakte. Während sie dem Weg in der Dunkelheit folgten, immer den warmen, steten Lichtern der Städte folgend, antwortete Khladin: "Ich bin kein Techniker. Ich lernte zwar, woraus Aragphma besteht, wie es genutzt wird und welche Aufgabe es in einem Antriebsmodul erfüllt, aber ich kenne die näheren Bestandteile eines Antriebs nicht. Ich weiß nur soviel, daß die Frequenz, in der die Kristalle den Antrieb und die Aggregate des Schiffes mit Energieimpulsen versorgen, erst dann moduliert wird, wenn der Antrieb bereits in das betreffende Schiff eingebaut ist. Wir liefern den frequenzlosen Antrieb an die Außenwelter, die Kazonsekten zumeist, und damit ist unser Geschäft beendet. Die Ingenieure der Kazon sind so mit diesem Antriebssystem vertraut, daß sie die Einstellungen der Frequenzen selbst vornehmen können. Es ist selten, daß unsere eigenen Techniker einmal ran müssen."

Janeway schwieg eine Weile und dachte nach. Sie lauschte auf das gleichmäßige Klacken ihrer Stiefel auf dem Asphalt, auf die Geräusche der Nacht um sie herum und spürte, wie angenehm es war, neben Khladin zu gehen. Er hatte wohl gemerkt, wie sehr sie sich mit seinem Tempo abmühen mußte, jedenfalls hatte er seinen Schritt verlangsamt und sich ihrem Tempo angepaßt. Sie war ihm äußerst dankbar dafür, daß er sich nicht weiter dazu äußerte.

"Bedeutet das also", begann sie nach einigen Minuten stillen Gehens, daß mehrere Kazonsekten mit demselben Antriebsmodul ausgestattet sind?"

"Nicht nur die Kazon, sondern nahezu alle Außenweltler der umliegenden acht Sektoren", entgegnete Khladin. "Selbstverständlich besitzen die meisten dieser Rassen eine eigenständige Technologie und wären im Notfall nicht auf Handelsbeziehungen zu unserem Planeten angewiesen. Es hat sich jedoch herumgesprochen, daß unsere Entwicklung der höchstmöglichen Antriebseffizienz sehr nahekommt. Wir können uns seit Jahren nicht mehr über zuwenig Abnehmer und Nachfrage beklagen."

Janeway schüttelte fassungslos den Kopf. In Gedanken übertrug sie den Fall auf die Gegebenheiten im Alpha-Quadranten. Nicht auszudenken, daß Romulaner, Cardassianer, Klingonen und Ferengi ihren Antrieb bei ein und derselben Rasse erwerben würden, mit dem Wissen, daß ihre Feinde genauestens mit der eigenen Antriebstechnologie bekannt waren.

"Weshalb entstehen aus dieser Situation keine Konflikte?" forschte sie nach. "Aus welchem Grund nehmen die Kazon hin, daß beispielsweise die Talaxianer von dem gleichen Antriebssystem profitieren wie sie selbst..?"

"Ich verstehe, worauf Sie hinauswollen", unterbrach sie Khladin und zog sie ein wenig zu sich hinüber, als rechts hinter der Böschung, die die Straße seitlich begrenzte, das Feld plötzlich in einen Abhang überging. Sie kam für einige wenige Sekunden aus dem Schritt und stieß unbeabsichtigt gegen den Talaremer, der ihren Arm nur ein wenig fester packte. "Aber wir sind der einzige Absatzmarkt, sozusagen, den es hier gibt; im Grunde genommen sind sie auf uns angewiesen, und wir liefern an jeden, der sich unseren Handlungsbedingungen anpaßt. Wir liegen mit keiner anderen Kultur im Streit und sind daher neutrale Verhandlungspartner. In diesem Teil des Quadranten dürften wir die Einzigen sein, die sich diesen Ruf als eigen nennen können - nun ja, wir werden einfach in unserer Neutralität akzeptiert."

Janeway runzelte die Stirn und war, als sie sich dessen bewußt wurde, froh, daß Khladin es in der Dunkelheit nicht bemerken konnte. Sie konnte sich nicht dagegen wehren, ihr kam die Angelegenheit trotz aller Erklärung suspekt vor. Die Talaremer stellten einen außergewöhnlichen Antrieb her, verkauften ihn an jeden, der darum bat, und wurden in keinster Weise angegriffen? Die Kazon, auf die sie bisher getroffen waren - sie verdrängte den bitteren Geschmack, der sich in ihrem Mund ausbreitete, als sie an Culluh dachte - hatten nicht den Eindruck gemacht, daß sie vor der Neutralität einer Rasse zurück schreckten. Sie hätten die Talaremer überfallen und sich ihre Technologie zu eigen gemacht, zumindest jedenfalls erreicht, daß die talaremische Produktion nur noch nach Wünschen der Kazon arbeitete und ihre Verbindungen zu anderen raumfahrenden Völkern sofort abbrach.

Khladin riß sie aus ihrer Grübelei.

"Es wird Nacht und wir sollten ins Dorf zurück gehen" erklärte er. "Die Nacht bringt immer strenge Kälte mit sich, in jeder Jahreszeit. Und wenn Sie mir und meinen Kollegen eine Freude machen wollen...es wäre uns eine Ehre, wenn Sie und Ihre Offiziere nach der Feier die Nacht in unseren Häusern verbringen würden."

"Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll", erklärte B’Elanna Torres und versucht erst gar nicht, ihre Begeisterung zu unterdrücken. "Es ist einfach unglaublich. Die Kristalle fügen sich in unser Antriebssystem ein wie ein Golfball ins letzte Loch. Wir haben die Dilithiumkristalle entfernt, das Aragphma eingesetzt und eine Simulation laufen lassen. Das Ergebnis zeigte mehr, als ich mir jemals hätte träumen lassen: Die Kristalle brachten nicht nur die Leistungsfähigkeit des Warpantriebs wieder auf volle Kapazität, sondern erhöhten die Effizienz sogar um elf Prozent."

Sie trat näher und streckte Chakotay ein Datenpadd entgegen. Der Commander beugte sich vor und überflog die Ergebnisse. Seine Miene erhellte sich etwas.

"Gute Arbeit, B’Elanna. So wie es aussieht, brauchen wir nicht einmal mehr die Hilfe der talaremischen Techniker. Aber glauben Sie tatsächlich, daß Antriebsaggregate und Kristallkammer einwandfrei miteinander in Verbindung stehen? Und haben Sie den Grund für den Zerfall der Dilithiumkristalle festgestellt? Es wäre doch gut möglich, daß dem Aragphma dasselbe passiert wie dem Dilithium. Und dann sitzen wir fest, womöglich Lichtjahre von einer Versorgungsbasis entfernt."

"Wir haben die Simulation zweimal wiederholt", entgegnete die Ingenieurin, "es hat sich nicht der kleinste Fehler in der Kopplung feststellen lassen. Der Energiefluß ist stabiler als er zuvor jemals gewesen ist. Die Frequenz des Antriebs hat sich problemlos auf die der äußeren Aggregate eingestellt. Lieutenant Brixton kontrolliert in regelmäßigen Abständen, ob die Verbindung hält, und bisher hat sich nichts gezeigt, was auf Probleme schließen läßt."

"Was ist mit dem Zerfallsproblem, B’Elanna?" erinnerte er sie zum zweiten Mal. "Wie weit sind Sie mit Ihren Nachforschungen? Ich bin sicher, der Captain möchte eine brauchbare Erklärung hören, bevor sie den Warpantrieb in Betrieb nimmt. Und ich persönlich würde mich bedeutend wohler in meiner Haut fühlen, wenn ich wüßte, was zum Teufel unsere Kristalle derart manipuliert, daß sie etwas tun, was gegen alle Naturgesetze verstößt!"

Seine Stimme war gegen seinen Willen laut geworden. Er bereut es im gleichen Augenblick, in dem Torres Augenbrauen erstaunt in die Höhe gingen. Sie befanden sich jedoch in einem Dienstgespräch, daher schob sie nur ein wenig widerspenstig das Kinn vor und verschränkte die Arme hinter dem Rücken.

"Ja, Commander. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen. Mit Ihrer Erlaubnis beame ich jetzt zurück auf die Voyager. Ich muß die weiteren Schritte mit Lieutenant Brixton koordinieren." Sie wandte sich um und drückte die Türklinke hinunter. Ich frage mich, überlegte sie, während sie den glatten, kühlen Griff in ihrer Hand spürte, weshalb die Talaremer keine gleitenden Schotts erfunden haben. Bei dem Stand ihrer Technik ist das mehr als verwunderlich.

"B’Elanna!" Sie war schon halb auf dem Gang, als Chakotay ihren Namen rief. Sie drehte sich um und bemühte sich vergeblich, nicht unwirsch drein zu schauen.

"Gibt es noch etwas, Commander?"

Chakotay war aufgesprungen und stand nun da wie ein Kadett, der vergessen hatte, wie man eine Konsole bediente. Er reckte das Kinn etwas höher und atmete tief ein.

"Es tut mir leid, es lag mir fern, dir gegenüber laut zu werden, es war nicht meine Absicht." Er zögerte kurz und betrachtete seine breiten, braunen Handflächen. "Ich bin mir durchaus bewußt, wieviel du heute geleistet hast, und nicht nur du, sondern auch Brixton und die anderen. Ich weiß auch, daß ich meine schlechten Laune nicht an euch auslassen sollte. Es tut mir leid."

B’Elanna machte eine abwehrende Handbewegung. "Ich wünschte nur, du würdest mir vertrauen, Chakotay", sagte sie, wobei sie wie er das kameradschaftliche Du gebrauchte. "Ich sehe, daß du Probleme mit dir herum schleppst und möchte dir helfen. Dafür hat man Freunde, Maquis." Er verstand den leisen Hinweis auf ihre gemeinsame Vergangenheit, in der er ihr mehrmals aus der Klemme geholfen hatte - und sie ihm ebenso. Er nickte.

"Ich weiß, B’Elanna. Aber das hier... ist etwas so vollkommen anderes."

Sie erwiderte einige Sekunden stumm seinen Blick. Dann zuckte sie die Achseln. "In Ordnung. Ich werde nicht mehr davon anfangen. Aber denk nach, Chakotay: Vielleicht ist es gar nicht dein Problem, das dich so verwirrt und launisch werden läßt. Vielleicht bist du derjenige, der anders ist."

Chakotay starrte ihr nach, als sie die Tür hinter sich schloß.

"Sagen Sie bloß, Sie konnten sich aus dem Sessel des Captain reißen", neckte B’Elanna Torres spöttisch und lehnte sich mit der Schulter an den Fensterrahmen. Tom Paris zupfte sich das dunkelblaue Leinenhemd zurecht und zog ein unbeteiligtes Gesicht.

"Man sitzt dort auch nicht anders als an der Navigationskonsole", versuchte er, seine Verlegenheit hinunter zu spielen. "Aber stellen Sie sich nur vor, wie sich Lieutenant Gerald gerade fühlen muß - vermutlich hat er die ganzen vergangenen zwei Jahre darauf gewartet, daß alle Brückenoffiziere das Schiff verlassen, und sei es nur für zwei Stunden zu einem gesellschaftlichen Anlaß, um einmal selbst auf dem wichtigsten halben Quadratmeter des Schiffes zu sitzen."

Torres zuckte die Achseln und nahm einen Schluck aus ihrem bläulich gläsernen Kelch, den man ihr zu Beginn der Feier in die Hand gedrückt hatte. "Wie dem auch sei, es ist ganz angenehm, mal wieder in ziviler Kleidung zu stecken", erklärte sie. "Ich hatte schon beinahe vergessen, wie sich ein Kleid anfühlt." Sie verriet ihm nicht, daß es das erste Mal seit Jahren war, seit sie freiwillig in ein Kleidungsstück geschlüpft war, das ein wenig Betonung auf ihre feminine Ausstrahlung legte. Sie hatte Röcke und Kleider verachtet, solange sie denken konnte. Jetzt mußte sie sich allerdings eingestehen, daß es ein befreiendes Gefühl war, die leichte violette Robe zu tragen, die ihre Mutter ihr vor Jahren einmal geschenkt hatte. Sie konnte. Um die nackten Arme hatte sie sich ein buntes Tuch geschlungen, und auch ihr dunkles Haar schien nicht mehr steif in Form gebracht, sonder schwang leicht und dicht bei jeder Bewegung um ihr Gesicht. B’Elanna fühlte sich angenehm beschwingt, konnte jedoch nicht sagen, ob es einfach an der Atmosphäre oder an dem leicht herben Getränk in ihrem Kelch lag.

Paris betrachtete sie unauffällig. Er hatte schon bei der Begrüßung, die Khladin in wenigen schlichten Worten gehalten hatte, den Eindruck gehabt, daß B’Elanna anders wirkte, daß die übliche Schroffheit und ihr herber Humor einer ungewohnt guten Laune gewichen waren und sie plötzlich beinahe erschreckend jung und weiblich aussah. Und er, Paris, der Kerl, der jeder annähernd hübschen Frau auf dem Schiff nachgepfiffen hatte, fühlte sich mit einem Male ganz unwohl in seiner Haut und war sich nicht ganz sicher, wie er mit dieser veränderten B’Elanna Torres umgehen sollte. Er entschied sich, fürs Erste gar nicht auf ihre Erscheinung einzugehen, zumindest, bis er sie ansehen konnte, ohne daß ihm das Blut in die Wangen schoß.

"Der Commander sieht aus, als hätte er eine Zitrone gegessen", lenkte er deshalb ab und deutete mit dem Kopf auf die gegenüberliegende Seite des Raumes. Für die Feierlichkeiten war der große Konferenzraum ausgeräumt und mit niedrigen Sesseln an den Längsseiten ausgestattet worden, so daß in der Mitte ein geräumiger Platz zum Tanzen entstanden war. Fremdartige Klänge, hervorgerufen durch anmutig wirkende, gläserne Instrumente, taumelten und schwebten durch die Luft, und einige Talaremer befanden sich bereits in einer Art Tanzformation auf der Fläche. Es sah allerdings nicht sehr nach Tanz aus, entschied Tom. Es wurde nicht in Paaren, sondern in einem Dreieck getanzt, und die Schritte waren nicht besonders rhythmisch, sondern mehr meditativ und individuell. Bisher hatte keiner der Offiziere der Voyager das Verlangen gezeigt, sich der Gruppe anzuschließen.

B’Elanna wandte den Kopf und entdeckte Chakotay erst nach einigem Suchen. Er hatte sich gerade umgewandt und stand nun am geöffneten Fenster, die Hand am hölzernen Rahmen abgestützt, sein breiter Rücken in der schwarz-roten Uniform war dem bunten Treiben hinter ihm zugedreht, und er rührte sich nicht. B’Elanna fiel auf, daß er als Einziger die Uniform der Zivilkleidung vorgezogen hatte. Kein gutes Zeichen, wenn es zu Chakotay kam, der sich jahrelang nur in lässiger Maquiskleidung wohl gefühlt hatte.

"Dem werden wir gleich abhelfen", sagte sie energisch, während sie dem verdutzten Tom ihren Kelch in die Hand drückte. "Warum versuchen Sie nicht zu tanzen, Tom?"

Paris schnitt eine Grimasse. "Bei diesen Tönen würden sich meine Beine vermutlich verirren und in einem riesigen Knäuel enden. Wenn Sie dieses Risiko eingehen möchten..?"

Er seufzte. B’Elanna war schon in der Menge verschwunden und hatte seinen letzten Satz mit aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr gehört. Wenn er es sich recht überlegte, war es so vermutlich auch besser. Er hätte gar nicht gewußt, wie er sie hätte anfassen sollen, ohne das Gefühl zu bekommen, einem klingonischen Targ die Hand ins geöffnete Maul zu legen.

"Gratuliere, du hast dein Ziel erreicht. Ich denke, jeder in diesem Raum hat begriffen, daß du für Feste nichts übrig hast und bloß keiner ankommen soll, um dich irgendwie in die fröhliche Atmosphäre einzuschleusen. Was für eine grauenhafte Vorstellung, sich ungezwungen unterhalten zu müssen, dabei einen Kelch traumhaften Was-auch-immers in der Hand zu balancieren und sich in dem Gefühl zu baden, einige Stunden lang einmal komplett loszulassen und sich zu amüsieren." Die rauhe, spöttische Stimme zwang ein Lächeln auf Chakotays angespannte Miene. Er drehte sich auf dem Absatz um und starrte für einen Augenblick ungläubig. Die wütende, sture B’Elanna Torres hatte sich in eine elegante, ausgeglichene junge Frau verwandelt. Selbst während ihrer gemeinsamen Zeit im Maquis hatte er sie niemals in Frauenkleidung gesehen. Es war ihr auch noch nie gelungen, locker und entspannt dastehen zu können. Torres hatte selbst auf Siegesfeiern des Maquis den Eindruck einer bis zum Anschlag gespannten Feder gemacht. Er fragte sich, was wohl der Grund dafür sein mochte, daß sie ihre Attraktivität - und es gab zweifellos viele attraktive Seiten an B’Elanna Torres - freiwillig betonte.

"Was meinst du?" fragte er, aus seinen Gedanken gerissen. Seine Stimme klang schroff.

Torres blieb unbeeindruckt. "Ich meine, daß du als Erster Offizier gewisse Pflichten zu erfüllen hast, zu denen auch gesellschaftliche Anlässe zählen. Das bedeutet aber nicht, daß du dich einfach abschotten und alle Gäste und vor allem die Gastgeber zum Teufel wünschen kannst." Sie lachte überrascht. "Ich hätte nie gedacht, daß ich dir das einmal sagen müßte, schließlich bist du bisher nicht derjenige gewesen, der seinen Ruf als Partymuffel schon weg hatte." Ihr Gesicht wurde wieder ernster. "Im Ernst, Chakotay, du machst den Eindruck, als seiest du im Begriff, jemanden zu meucheln. Dieses Fest ist dazu gedacht, um uns eine Freude zu bereiten, und du stehst da wie das lebendige Elend. Kein gutes Beispiel für die Crew, findest du nicht auch?"

Der Indianer schnaubte. "Ich bin sicher, der Captain tut ihr Bestes, um diesen Eindruck zu revidieren." Er spürte, daß ihn sein verbitterter Tonfall verriet und versuchte, durch eine verzweifelte Grimasse davon abzulenken. "Mir ist einfach nicht nach feiern und höflicher Konversation", lenkte er ein.

"Ja, die schwarze Wolke über deinem Kopf ist kaum zu übersehen. Außerdem würde ich mich in Uniform auf einer informellen Feier auch nicht besonders am Platze fühlen." Sein Verhalten reizte sie dazu, ein wenig zu sticheln. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn sich Chakotay aufgrund eines Problems einkapselte und alle Schotten dicht machte, es bescherte ihr jedes Mal ein Gefühl von Hilflosigkeit. Sie trat ein wenig näher an ihn heran, so daß die nebenstehende talaremische Frau nicht mithören konnte. "Nun reiß dich schon zusammen, Maquis! Es ist doch gar nicht deine Art, dich so hängen zu lassen. Wenn das so weitergeht, muß ich noch den Doktor auf dich aufmerksam machen, du zeigst ziemlich unübliche Verhaltensweisen."

"Der Doktor wird sich bei dir bedanken", versetzte Chakotay.

"Mit Sicherheit, denn er hat vermutlich schon lange nicht mehr eine handfeste Depression behandelt", schoß B’Elanna zurück. Sie starrten sich für einen Augenblick aufgebracht an.

Um sie herum wurden die Gäste sichtlich unruhiger. Die Disharmonie der talaremischen Instrumente war einer weichen, in sich durch und durch harmonischen Melodie gewichen, die Torres schwach bekannte vorkam. Sie reckte den Kopf und entdeckte Harry Kim in der Schar der talaremischen Musiker. Seine kräftigen Hände umfaßten die schlanke, schwarzglänzende Klarinette so behutsam, als bestünde sie aus zerbrechlichem Kristallglas. Sanfte, vollendete Töne entwichen, als er konzentriert die Augen schloß und sein Oberkörper sich kaum merklich mit der Melodie bewegte.

Bedächtige Stille war im Raum eingetreten. Die talaremischen Tänzer hielten in ihren Bewegungen inne und lauschten, Neugier und freudige Überraschung waren ausdrucksvoll auf ihren schönen Gesichtern zu beobachten. Ähnliche Reaktionen bemerkte B’Elanna bei den anwesenden Offizieren der Voyager: Erleichterung machte sich breit und gespannte Gesichtszüge lösten sich, als sich die harmonische Melodie über die immer noch im Raum schwebenden Dissonanzen der talaremischen Musik legte und sie langsam, aber zielsicher, zum Schweigen brachte.

B’Elanna ließ den Blick schweifen und unterdrückte ein Grinsen, als sie Tom Paris entdeckte, der sich von der gegenüberliegenden Seite einen Weg durch die Menge bahnte. Er wird doch unmöglich... dachte sie, da war Paris schon vor Janeway angelangt, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und beschrieb mit dem rechten Arm eine kunstvolle Bewegung, die in eine elegante Verbeugung überging. Sie sah Janeway, die ebenfalls ihr Gespräch mit Repräsentant Khladin unterbrochen hatte, um Kims musikalischer Einlage zu lauschen, angenehm überrascht den Kopf heben, sah, wie sie Tom etwas fragte, dann lachte, ihre Hand in seine legte und sich sichtlich amüsiert auf die Tanzfläche führen ließ. B’Elanna spürte eine heiße Welle in sich aufsteigen, als Paris Janeway um ihre eigene Achse wirbeln ließ und sie dann gekonnt und spielerisch in die ersten Tanzschritte führte. Der junge Lieutenant hatte ein ausgezeichnetes Rhythmusgefühl, mußte sie feststellen, als er nach einigen sicheren Figuren begann, ausgelassen zu improvisieren. Janeway hielt sich für einen Augenblick lachend an seiner Schulter fest, als sie sich bemühte, seinen neuen Schrittfolgen nachzukommen, doch B’Elanna mußte zugeben, daß auch der Captain mehr als nur eine Ahnung vom Tanzen hatte. Unter dem Klatschen der übrigen Gäste wirbelten sie über die Tanzfläche.

Torres drehte sich zu Chakotay um und sah, daß auch sein Kopf rot geworden war. Seine Kieferknochen mahlten aufeinander, während er das tanzende Paar über ihren Kopf hinweg musterte. Er stand da wie eine zu Stein erstarrte Statue. Torres betrachtete ihn nachdenklich. Wenn seine Reaktion denselben Grund hatte wie die ihre... allmählich, so glaubte sie, konnte sie sein verstörtes Verhalten der letzten Tage in einem anderen Licht sehen. Sein finsterer Blick und die tiefe Falte zwischen seinen Augenbrauen waren jedenfalls unmißverständlich.

Er schien ihren Blick zu spüren, denn plötzlich blinzelte er und sah auf sie herunter, als habe er für eine Weile ihre Anwesenheit vollständig vergessen. Alle Feindseligkeit war verflogen, seine Augen sahen nur noch müde und erschöpft, und ein kleines bißchen trotzig aus.

"Gesellschaftliche Pflichten, hm?" wiederholte er und schob eigenwillig sein Kinn vor. "Warum eigentlich nicht? Schließlich hat sie kein Monopol darauf, als Einzige ihren Spaß zu haben. Ich bin auch ohne...auch so in der Lage, mich zu amüsieren." B’Elanna starrte ihn verwirrt an. Seine düstere Miene erhellte sich etwas, als er nach ihrer Hand griff. "Haben Sie Lust, zu tanzen, Miss Torres?"

Torres warf einen Blick auf die Tanzfläche, wo Tom gerade herzlich zu lachen begann, nachdem Janeway, inzwischen mutiger geworden, Kim über die Köpfe der Zuschauenden hinweg etwas zurief. Die Melodie ging in einige kleine Schleifen und kehrte dann in einem schnelleren, scharf akzentuierten Rhythmus zurück. Torres spürte, wie es in ihren Beinen zuckte. Es wäre durchaus nicht schlecht, Tom Paris zu beweisen, daß sie ihn noch mit viel mehr überraschen konnte, wenn sie einmal die Lust dazu bekam.

"Ich gehöre ganz Ihnen, Commander." Als sie ihre schmale Hand in seine dunkle Pranke legte und sie leicht drückte, wurden seine zusammengezogenen Augen etwas wärmer.

"Das wäre doch gelacht", flüsterte er, bevor er seine Uniform glattstrich und sie elegant auf die Tanzfläche führte. Während sie auf einen passenden Einsatz warteten, zog Chakotay Torres etwas fester an sich. Ihre Robe war seidig weich unter seinen Händen und ihre Haut roch nach duftendem Öl. Er schloß kurz die Augen und erinnerte sich an die improvisierten Feierlichkeiten beim Maquis, die volksfestartigen Feste, bei denen er und B’Elanna mit als erste die Tanzfläche betraten und nicht eher wie verließen, bis die Musiker trotz allen Protestes ihre Instrumente zusammenpackten. Sie hatten ein verdammt gutes Paar abgegeben, der dunkle, kämpferische Indianer in seiner abgewetzten Lederkleidung und die junge, temperamentvolle Ingenieurin, von der man immer munkelte, daß sie jeden, der ihr dumm kam, erst einmal in die Kehle biß, bevor sie weitere Fragen stellte. Wenn sie sich durch die alten, versteckten Höhlen oder Lagerhallen, in denen sie untertauchten, zu der mitreißenden Musik bewegten, erkannte jeder, daß dieses Paar ein so kraftvolles Gespann abgab, daß man ihm besser nicht in die Quere kam. Tanzen, das war neben dem Kampf die einzige Möglichkeit gewesen, Dampf abzulassen.

Als seine Füße den Takt gefunden und er B’Elanna in die erste Drehung geführt hatte, spürte er, wie sich ihre heiße Hand auf seiner Schulter etwas entspannte und sie sich williger seiner Führung unterordnete. Eine kurze braune Haarsträhne fiel ihr in die Stirn, als sie den Kopf hob, um ihn anzusehen.

"Fast wie in alten Zeiten, nicht wahr?" Ihre Wangen waren vor Eifer gerötet.

Er nickte. "Manchmal gäbe ich alles darum, um noch einmal in der Vergangenheit zu leben", murmelte er, doch so leise, daß seine Worte in der Musik untergingen. Er preßte die Lippen zusammen und lauschte auf die klaren Klänge der Melodie, zuerst feurig und rhythmisch, und jetzt beinahe keck und hoch wie das Zwitschern ausgelassener Vögel in den Bäumen, die den neuen Tag begrüßten...

Er schlief immer mit geöffnetem Fenster, so daß morgens bereits breite, warme Sonnenstrahlen durch die Blätter der Bäume filterten und filigrane Muster auf seine Bettdecke malten. Meistens schloß er dann wieder die Augen und spürte, wie sich die Wärme auf seinem Gesicht ausbreitete, wie sie mit der Sonne hinunter auf seine Arme wanderte. Von draußen drang die Unterhaltung der Vögel und das Rascheln der Blätter in der Morgenbrise an sein Ohr, und wenn er dann die Augen öffnete und sich ein wenig auf die Ellenbogen stützte, konnte er ein fransiges Stück blauen Himmels zwischen den Baumwipfeln erkennen. Spätestens dann hielt er es im Bett nicht mehr aus - der nahe Wald lockte ihn hinaus zu einem morgendlichen Streifzug durch sein neugewonnenes Territorium...

"Unsere Gästequartiere sind nicht geräumig, aber ich hoffe, daß sie dennoch Ihren Erwartungen entsprechen." Ungar Khladin hatte die Tür geöffnet und trat zur Seite, um Janeway vor sich eintreten zu lassen. Sie hatte schon vor der Konferenz mit Überraschung bemerkt, daß die Türvorrichtungen der talaremischen Gebäude denen der Erde des 20. Jahrhunderts glichen, und registrierte nun freudig, daß auch die Tür zu ihrer Unterbringung aus solidem, hellem Holz gearbeitet war. Auf halber Höhe war eine Klinke angebracht, die man hinunter drücken konnte. In alten Häusern auf der Erde kam es gelegentlich noch vor, daß Türen nicht verändert worden, sondern in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben waren. Sie selbst war in einem Haus groß geworden, in dem es noch "normale" Türen gab. Sie hatte allerdings die letzten Jahre ihres Lebens auf Raumschiffen mit den unvermeidlichen gleitenden Schotts zugebracht, daher erinnerte sie diese helle Holztür, die ihr der Talaremer geduldig aufhielt, mit einem Mal unwillkürlich an die Tür ihres Jugendzimmers. Nur nicht melancholisch werden, Kathryn, schalt sie sich, als in ihrem Hinterkopf der Gedanke anklopfte, auf New Earth hätten sie schließlich auch keine gleitenden Schotts gehabt. Sie straffte die Schultern und betrat das Zimmer.

Prüfend drehte sie sich um und betrachtete den Raum. Er war tatsächlich nicht sehr groß, aber derjenige, der ihn eingerichtet hatte, besaß eindeutig Geschick sowohl als auch Geschmack. Jeder noch so kleinste Raum im Zimmer war genutzt. Ein breites Bett stand unterhalb des großen, mit dünnen Holzstäben unterteilten Fensters, das den Blick hinaus auf den dunklen Innenhof ermöglichte. An den Wänden daneben waren ein Schrank und ein Tisch untergebracht, und im rückwärtigen Bereich des Zimmers fand sich eine kleine Ecke mit zwei Sesseln, einem Sofa, über das jemand ein buntgewebtes Tuch geworfen hatte, davor ein niedriger Tisch und ein weiterer Stuhl. Sie sah sich allerdings vergeblich nach einem Replikator um. Überhaupt fiel ihr auf, daß sich augenscheinlich keinerlei technische Einrichtungsgegenstände im gesamten Raum befanden.

Ungar Khladin schien ihre Gedanken zu erraten. "Wir besitzen keine Nahrungsreplikatoren, Captain, und ebensowenig werden Sie hier eine Temperaturregelungskontrolle, einen Lichtregler und eine Schalldusche finden." Aha, dachte Janeway, er hat sich schon über unsere Lebensweise kundig gemacht. "Unser Leben hier ist einfach", fuhr er fort. "Wenn es Ihnen zu kalt wird, können Sie die Heizvorrichtung andrehen." Er deutete auf einen rechteckigen Kasten neben ihrem Bett. "Hier im anliegenden Zimmer befindet sich eine Waschmöglichkeit. Falls Sie doch noch Wünsche oder Fragen haben", er lächelte zuvorkommend, "mein Raum befindet sich am Ende des Korridors, ebenso wie die Zimmer der Beauftragten. Ihren Crewmitgliedern wurden die hier anliegenden Räume zugewiesen." Er wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal zu ihr um.

"Wir nehmen morgen vormittag ein Frühstück im Zimmer neben dem Konferenzraum ein, im Haus gegenüber. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich entscheiden, daran teilzunehmen."

"Ich werde da sein", versprach sie. "Und danke."

Er lächelte wieder, dieses seltsame Lächeln, bei dem er nur die Mundwinkel bewegte.

"Es ist selten, daß wir Gäste haben, Captain. Wir alle freuen uns sehr über diese Abwechslung."

Janeway brannte eine Frage auf der Zunge, eine Frage, die sie den ganzen Spaziergang über beschäftigt hatte. Doch sie kam nicht mehr dazu, sie zu stellen. Mit einem leisen Klappen fiel die Tür hinter Ungar Khladin ins Schloß.

Das Kissen unter ihrem Kopf war kühl und glatt. Kathryn spürte den Stoff an ihrem Nacken und räkelte sich gemütlich. Es war eine Weile her, seit sie in einem "echten" Bett geschlafen hatte, einem Bett mit vier Beinen, einem Laken und einer Bettdecke aus Daunen, die sich wie ein Zelt über ihr wölbte und unter der die Wärme nicht entwischen konnte. Kathryn erinnerte sich, wie ihre Mutter, als sie klein gewesen war, abends die Bettdecke fest um sie herum gestopft hatte, nur der Kopf durfte noch herausgucken; und während Mutter das Buch vom Nachttisch nahm und es geöffnet in den Lichtkegel der Lampe hielt, als sie mit leiser Stimme zu lesen begann, spürte sie, wie sich die Wärme unter der Decke ausbreitete und sie immer müder wurde, bis sie irgendwann einschlief.

Sie rollte sich auf den Bauch, stützte das Kinn in die Hände und blickte hinauf zum Fenster. Trotz Khladins Warnung, daß die Nächte kalt seien, hatte sie das Fenster einen Spalt offen gelassen und auch keine Vorhänge vorgezogen. So konnte sie im Bett liegen und hören, wie die Nacht auf einem talaremischen Planeten im Delta-Quadranten klang. Es fiel ihr nicht schwer, sich zu erinnern, wann sie zum letzten Mal eine Nacht auf einem Planeten und nicht auf der Voyager verbracht hatte: New Earth und alles, was damit zusammenhing, lag nur einige wenige Tage entfernt, dennoch hatte Kathryn den Eindruck, die vergangenen Wochen lägen Jahre zurück. Die Tage, die sie mit ihrer Forschung verbracht hatte, die endlosen Streifzüge mit Chakotay im Wald, die stundenlangen Gespräche, die sie mit ihm geführt hatte; nach dem Plasmasturm, der ihre gesamte technische Ausrüstung zerstört hatte, hatte sie ihren Widerstand gegen ihn und all das, womit er ihr das Leben erleichtern wollte, aufgegeben. Sie hatte versucht, wie er das Leben, das sie nun führen würden, zu akzeptieren, er hatte ihr von seiner Vergangenheit erzählt, von seiner Kindheit innerhalb des Stammes, von seinen Schwierigkeiten zu akzeptieren, wer er war und welche Anforderungen seine Abstammung mit sich brachte. Sie hatte sich an ruhigen Nachmittagen an den See gesetzt, die Füße ins Wasser gehalten und sich mit ihrem tierischen Berater unterhalten, sie war fest entschlossen gewesen, zu diesem Wesen eine Verbindung aufzubauen. Es half Chakotay, soviel stand fest, warum also sollte es ihr nicht auch helfen? Nach einigen "Besuchen" hatte sie überrascht festgestellt, daß ihr diese Meditation wirklich half, und auch die Zweifel, die sie hinsichtlich der Realität dieses spirituellen Tieres stellte, lösten sich in Luft auf. Sie glaubte zu verstehen, was Chakotay meinte, als er vom "wahren Frieden" gesprochen hatte und von ihrem gemeinsamen Schicksal, das ihn zu einem Ort gebracht hatte, wo er endlich als das lebte, was er war: ein Indianer, ein Geschöpf der Erde und der Natur, ein Leben, das in allen Aspekten ausgeglichen und ausgefüllt war.

Wie denkst du nun von mir, Indianer? dachte sie stumm. Ich habe dich wieder entwurzelt, nachdem du endlich nach langer Suche einen Ort gefunden hattest, an dem du deine Wurzeln ausstrecken konntest, ohne irgendwo anzustoßen. Wie gehst du um mit dem Halt, den du verloren hast?

Sie beobachtete die Sterne, die sie im dunklen Ausschnitt des Fensters sehen konnte. Als Captain eines Raumschiffs war es eine seltene Besonderheit, die Sterne aus dem Inneren einer Atmosphäre zu sehen, als ruhige, ewig schöne, feststehende Punkte am dunklen Himmel; es war eine Besonderheit, die sie zu schätzen gelernt hatte. Wenn sie diese blinkenden Punkte ansah, dann verschwammen die Namen der entfernten Sonnen, die sie auf der Akademie gelernt hatte; sie blickte hinauf und überlegte sich, wie die Menschen zweitausend Jahre zuvor diese Sterne gesehen hatten. Sie hatten durch Teleskope geblickt, durch Ferngläser oder mit dem bloßen Auge und vielleicht erkannt, welche Geheimnisse der Raum außerhalb ihrer Atmosphäre barg. Sie hatten sich verzaubern lassen von den Lichtern dort draußen, die sie lockten und die sie doch nur aus weiter Ferne betrachten konnten. Viele alte Mythologien hatten sich auf diese ferne Bewunderung gestützt, viele Völker gründeten ihren Glauben auf die Lichter des Himmels. Kathryn fragte sich, ob durch die Erforschung des Weltraums, so wunderschön und aufregend sie war, nicht etwas von dieser alten, geheimnisvollen Schönheit der Sterne verlorengegangen war. Wo war das Mystische geblieben, das einst die Menschen so faszinierte?

Sie mußten wohl eingeschlafen sein, denn sie fuhr erschrocken hoch, als es plötzlich an ihrer Tür klopfte. Während sie in ihren Morgenmantel schlüpfte, fragte sie sich, wer um diese Zeit etwas von ihr wollen konnte. Ein dunkler Gedanke schob sich in ihr Bewußtsein und Janeway hoffte inständig, daß der Grund dieses Gedankens im Nachbarzimmer lag und tief schlief. Er hatte sie schließlich spüren lassen, daß er der Meinung war, sie müßten miteinander reden. Janeway mußte zugeben, daß er versuchte, rational zu denken. Nun, Himmel, das konnte sie nicht. Jedenfalls in dieser Nacht nicht mehr.

Um so überraschter war sie, als sie die Tür öffnete und sich Lieutenant Torres gegenüber fand. B’Elanna hatte ihre Robe abgelegt und war in eine helle Hose und ein weites blaues Hemd geschlüpft, worin sie Janeway plötzlich ungemein schlank und feminin erschien.

"B’Elanna", sagte sie überrascht. Die Ingenieurin fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. "Ich weiß, es ist spät, Captain, aber mir geht seit Tagen etwas im Kopf herum und ich dachte...nun, ich dachte, ich sollte Sie darauf aufmerksam machen."

Janeway wölbte erstaunt eine Augenbraue. Sie und Torres hatten keine leichten Start gehabt und es war ihnen beiden schwer gefallen, einander zu respektieren. Janeway hatte den ersten Schritt getan, als sie Torres als Chefingenieurin einsetzte, und B’Elanna hatte es ihr mit unermüdlicher Arbeit und Ideen gedankt. Mittlerweile waren sie auf dem Weg, zu lernen, sich gegenseitig zu vertrauen. Janeway hätte allerdings niemals erwartet, daß B’Elanna mit persönlichen Anliegen zu ihr kommen würde. Sie wußte, daß die Halbklingonin einige engen Freunde unter ihren ehemaligen Maquisgefährten besaß, dennoch stand sie nun vor ihr und erwiderte stumm ihren fragenden Blick. Janeway wußte, daß Torres niemals nachts gekommen wäre, wenn sie von der Wichtigkeit ihres Anliegens nicht überzeugt wäre.

Sie trat beiseite und ließ B’Elanna Torres eintreten.

"Ich kann Ihnen leider nichts zu trinken anbieten, B’Elanna", entschuldigte sie sich und deutete mit der Hand auf die Sitzecke. Die Ingenieurin nahm auf dem Sofa Platz und schlug die Beine im Schneidersitz untereinander.

"Ich bin nicht durstig. Captain, kommt es Ihnen nicht auch merkwürdig vor, daß die Talaremer trotz der Entwicklung dieses phantastischen Antriebs weder Replikatoren noch Shuttles besitzen?"

Janeway hob interessiert eine Augenbraue. "Ich wußte von den Replikatoren, aber Shuttles? Sie meinen, es gibt keine Verkehrsmittel?"

"Es kommt darauf an, was Sie sich unter diesem Begriff vorstellen", schwächte B’Elanna ab. "Ich habe eine Art automobiles Fahrzeug auf den Straßen gesehen, vorwiegend aus einem mit unbekannten Metall gearbeitet, mit sechs Rädern und der Möglichkeit, Menschen, Geräte und Tiere zu transportieren. Aber weder Shuttles noch Flugzeuge, nichts, was sich in der Luft bewegen kann."

"Sonderbar", murmelte Janeway nachdenklich und rief sich die schwarzen Schleifspuren, die sie auf der Fahrbahn bemerkt hatte, ins Gedächtnis. Zumindest eine ihrer Fragen war beantwortet. "Haben Sie die talaremischen Ingenieure darauf angesprochen?"

"Es war nur eine sonderbare Sache, die mir auffiel", winkte B’Elanna ab. "Außerdem bin ich kaum einem Ingenieur über den Weg gelaufen. Wir hatten uns hier auf dem Planeten über die Prozedur des Kristallaustausches informiert und konnten ihn ohne ihre Hilfe vornehmen. Das Aragphma wartet nur darauf, seinen Dienst aufnehmen zu können, Captain." Der Stolz, der in ihrer Stimme mit schwang, war nicht zu überhören. Janeway lächelte.

"Ich weiß. Commander Chakotay gab mir einen kurzen Bericht. Gute Arbeit, B’Elanna." Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. "Was führt Sie her, B’Elanna?" fragte sie dann. Torres schob sich die dunklen Haare aus dem Gesicht.

"Es handelt sich um Chakotay", sagte sie unumwunden. "Ich mache mir Sorgen."

Chakotay, seufzte Janeway innerlich. Ich hätte es mir denken können. B’Elanna ist aufmerksam geworden. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, ich hätte mich darauf einstellen sollen. Wie es schien, wollte das Schicksal nun doch, daß sie sich mit ihrem Ersten Offizier befaßte. Janeway hatte nur gehofft, daß ihr wenigstens noch die Nacht zum Nachdenken überlassen werden würde.

"Was ist mit Chakotay?" erkundigte sie sich und bemühte sich um einen nebensächlichen Tonfall.

B’Elanna zuckte die Achseln. "Ich weiß es auch nicht. Seit er wieder an Bord ist, benimmt er sich eigenartig." Sie beugte sich ein Stück vor. "Er ist gereizt", fuhr sie sicherer fort, "angespannt und neigt dazu, bei jeder Gelegenheit in die Luft zu gehen. Vorgestern wurde er ziemlich laut, als ich ihm nur anbot, mit ihm einen Ausflug aufs Holodeck zu unternehmen. Ich dachte, er könne etwas Ruhe gebrauchen. Lieutenant Brixton fuhr er an, weil sie ihm ihren Bericht mit fünfzehnminütiger Verspätung auf den Tisch legte." Sie hatte beschlossen, den Vorfall auf dem Fest nicht zu erwähnen, da er Janeway wohl nicht aufgefallen war. "Brixton arbeitet seit elf Stunden rund um die Uhr an den Feinabstimmungen, Captain, da ist es nur natürlich, wenn man unter solchem Streß etwas in Verzug kommt."

Janeway mußte sich ein Lächeln verkneifen. "Er ist der Erste Offizier, Lieutenant..."

"Und er ist Chakotay", widersprach B’Elanna. "Es ist nicht seine Art, seine Offiziere derart zu behandeln. Chakotay ist fair, er erkennt harte Arbeit an und weiß, daß man nicht immer die offiziellen Zeitpläne einhalten kann, wenn man an einem großen Projekt arbeitet. Der Antrieb ist die höchste Priorität augenblicklich, und alles im Maschinenraum ist darauf ausgerichtet, diese Priorität zu wahren. Jeder arbeitet, soviel er kann. Mehr kann ich nicht verlangen - und mit allem Respekt, Captain, Chakotay ebenfalls nicht." Sie richtete ihre Augen auf Janeway und hob in einer unbestimmten Geste die Hände.

"Ich bin nicht gekommen, um mich über ihn zu beschweren", fuhr sie ruhiger fort, "das wäre das Letzte, was ich wollte. Ich bin einfach aufmerksam geworden. Ich kenne Chakotay seit vielen Jahren und habe ich noch nie derart aus der Balance erlebt. Im Maquis war er zwar auch beileibe kein besonnener Mann, er verhielt sich oft rauh und ließ niemanden so leicht an sich heran. Er brauchte die Kampfsituationen, um seinen angestauten Aggressionen Luft zu machen."

Janeway nickte in Gedanken. "Er hat es mir erzählt."

"Aber der Punkt ist", setzte Torres hinzu, "daß er trotzdem gerecht blieb. Wieviel ihn auch belastete, er war immer darauf bedacht, die Crew nicht damit zu belasten. Für ihn war das Wichtigste, seine Leute zu einer Einheit zu verschweißen: Vertrauen, das Gefühl, daß man sich auf die anderen verlassen konnte - Teamgeist war für ihn bedeutender als alle Regeln und Gesetze der Föderation - und als sein Leben, Captain. Er hat diese Sätze seiner Crew oft ins Gedächtnis rufen müssen, ganz besonders einer jungen, widerspenstigen Ingenieurin, die gerade von der Akademie kam und von Autoritäten die Nase voll hatte. Sie hat lernen müssen, in Chakotay eine Autorität zu sehen und zu respektieren, die man nicht unterschätzen durfte. Und sie hat gelernt, sich einzufügen."

"Wir haben Chakotay wohl viel zu verdanken", sagte Janeway warm.

Torres lehnte sich wieder zurück. "Irgend etwas ist mit ihm geschehen, Captain, etwas, womit er nicht zu Rande kommt. Ich ahne, daß es mit den vergangenen Monaten und mit Ihrer Isolation zu tun hat, deswegen bin ich zu Ihnen gekommen. Wenn er so weiter macht wie bisher, kommt es vielleicht noch zu ernsthaften Auseinandersetzungen an Bord - ich möchte nicht, daß sich Chakotay etwas kaputt macht, was er mit mühsamer Arbeit aufgebaut hat."

Das ist mit großer Wahrscheinlichkeit schon passiert, dachte Janeway. Aber nicht er hat es zerstört, sondern ich, wenn auch nur indirekt. Der eigentliche Anstifter ist ja Harry Kim. Er weiß in seiner Freude wahrscheinlich gar nicht, worum er Chakotay gebracht hat. Daß er auch ihr etwas genommen hatte, wollte sie sich lieber nicht eingestehen.

Jetzt war es sie, die sich vorbeugte. "B’Elanna, ich verstehe, daß Sie sich um Chakotay sorgen, das tue ich auch." Sogar mehr, als mir lieb ist. "Aber ich fürchte, daß wir ihm beide nicht helfen können." Sie zögerte kurz, setzte neu an. "Chakotay hatte auf New Earth etwas gefunden, wonach er sein ganzes Leben lang gesucht hatte: Frieden mit sich selbst und mit seiner Vergangenheit. Nachdem er mehr als dreißig Jahre lang versucht hatte, die Zugehörigkeit zu seinem Stamm zu vergessen, fand er sich auf New Earth in einer Umgebung wieder, die seine Erinnerung wachrief und seine indianischen Instinkte wieder aktivierte. Er paßte sich vom ersten Moment der Lage an." Im Gegensatz zu mir, was ihm damals sicherlich manche schlaflosen Nächte bereitet hat. "Schneller als ich es wahrnehmen konnte, gab es Commander Chakotay nicht mehr. Er hatte diese Figur abgelegt wie seine Uniform; seine innere Unruhe, den Kampf, Frieden und Zufriedenheit zu finden, die unterschwelligen Aggressionen, das alles gab es mit einem Mal nicht mehr. Zurück blieb ein Mann, den ich", lieben gelernt hatte, dachte sie, bevor sie sich dagegen wehren konnte, "beinahe nicht wiedererkannt habe", vollendete sie den Satz. "Er war die Ausgeglichenheit selbst. Es war, als sei er dort, wo er für immer leben wolle. Damals war er schließlich der Überzeugung, daß es genauso sein würde."

Und deshalb versuchte er, mir das Eingewöhnen zu erleichtern. Er unternahm alles, damit ich die Schönheit dieses Fleckchens Erde sah und mich wie er daran freuen konnte. Und während er uns eine neue Heimat zu schaffen versuchte und sich selbst in die Natur und alles, was uns umgab, einfügte und einen völlig neuen Tagesrhythmus entstehen ließ, hockte ich wie ein widerborstiges Kind, das nicht hören und nicht fühlen will, vor meinen Geräten und jagte einer Chance hinterher, die jeden Tag ein wenig dahin schwand.

B’Elanna schwieg und schien darauf zu warten, daß sie weiter sprechen würde.

Janeway seufzte. "Man hat Chakotay aus einer Umgebung gerissen, die ihm wichtiger war als alles andere. Er hatte sein früheres Leben aufgegeben und sich vollkommen an New Earth gebunden, nachdem er endlich den Indianer in seiner komplexen Identität geortet hatte. Und nun, da er ihn endlich gefunden hat, nimmt man ihn ihm weg und verlangt, daß er den Commander wieder ausgräbt, den er eigentlich schon tief verbuddelt hatte. Ich glaube, B’Elanna, wir können uns gar nicht vorstellen, wie er sich jetzt fühlen muß."

B’Elanna reagierte nicht darauf. Sie starrte nachdenklich an Janeway vorbei ins Leere. Dann kehrte ihr Blick wieder zu der Kommandantin zurück, die nun auch ziemlich gedankenverloren das Kinn in die hohle Hand gestützt hatte.

"Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll, Captain", sagte sie ehrlich. "Und ich weiß ebensowenig, was ich tun kann. Ich kann es einfach nicht ertragen, ihn so kraftlos zu sehen. Gibt es Ihrer Meinung nach nichts, was wir tun können?"

"Er muß darüber sprechen", murmelte Janeway. "Er darf es nicht in sich vergraben."

Torres hob die Schultern. "Es ist zwecklos. Er blockt es einfach ab."

Nein! schrie es in ihr. Verdammt, er ist sogar zu mir gekommen, um zu reden. Er wollte darüber sprechen! Und ich war es, die ihn abgewiesen hat.

Ihr Gesicht mußte gezeigt haben, was sich in ihrem Inneren abspielte, denn als sie aufstand und die Ingenieurin mit einem Nicken verabschiedete und die dunkelhaarige Frau schon die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, wandte sich Torres noch einmal um und fragte: "Fühlen Sie sich auch so wie Chakotay, Captain? Haben auch Sie das Gefühl, daß man Ihnen etwas Außergewöhnliches genommen hat?"

Janeway runzelte abwesend die Stirn.

"Gute Nacht, B’Elanna."

Die Ingenieurin biß sich auf die Lippe und nickte. "Ich verstehe. Gute Nacht, Captain."

Im anliegenden Zimmer drehte sich Chakotay auf die andere Seite und hörte, wie das Gemurmel in Janeways Zimmer langsam verklang. Eine Tür klappte und leise Schritte entfernten sich. Er wußte nicht, wer sie noch zu so später Zeit aufgesucht hatte, es war ihm auch völlig gleich. Er wünschte sich nur, den Mut zu haben, jetzt aufzustehen und hinüber zu gehen. Der Maquis Chakotay hätte nicht lange gezögert.

Lieutenant Julia Brixton schloß nach einer letzten Überprüfung die Simulation ab und warf einen kurzen Blick auf die Temperatur des Warpplasmas. Fachmännisch beobachtete sie die perlmuttern schimmernden Farbtöne, die das Plasma innerhalb des Warpkerns annahm und sich, während der Antrieb nicht in Betrieb war, nur langsam bewegte, wie sich heiße Flüssigkeit in einer Tasse bewegt, wenn man umgerührt hat und die Tasse dann stehen läßt. Dann nickte sie und ließ sich aufatmend auf den nächsten Stuhl fallen.

Antriebsaggregate gehörte nicht nur zu ihrem Fachgebiet, sondern nahmen auch einen großen Teil ihrer Freizeit in Kauf. Sie konnte nichts anders, diese Geräte, die untrennbar mit dem wichtigsten Organ des Schiffes in Verbindung standen, hatten sie von jeher magisch angezogen. Die ganze Idee, die Starfleet verkörperte, das Erforschen unbekannter Sternensysteme, deren Karthographierung und Analysierung, erforderte als Grundlage einen Antrieb, der das Schiff und seine Crew dorthin brachte, wo die Abenteuer anfingen.

"Du hast immer noch die gleichen Vorstellungen wie als Kind", hatte ihr Vater, Captain Brixton, ihr vorgeworfen. "Abenteuer! Mit dieser Einstellung brauchst du dich erst gar nicht an der Akademie bewerben. Die Jahre, in denen ein Sternenflottenoffizier noch richtige Abenteuer erlebte, sind Geschichte. Christopher Pike, James Kirk, das waren Captains, die Aufregendes erlebten, die als Pioniere in den Weltraum vordrangen und die Föderation zu dem machten, was sie heute ist. Das war vor mehr als achtzig Jahren, Julia. Heutzutage besteht der Alltag eines Offiziers einzig und allein aus harter Arbeit. Du lernst, bis sie alles in dich hineingestopft haben, was sie selber wissen, dann schicken sie dich auf einem Schiff los und übertragen dir all die ihnen unangenehmen Aufgaben und Pflichten. Du lernst dein Schiff kennen, natürlich, aber Abenteuer und Erforschen? Das erleben nur die ganz Großen, Mädchen, die Captains, die die besten Schiffe abgekriegt haben und mit den interessanten Aufgaben betraut wurden. Als niederes Crewmitglied hast du keinerlei Chancen, auch nur irgend etwas mitzukriegen von dem, was außerhalb der Schiffshülle vor sich geht. Du bist ein Werkzeug für die, die oben den Chefsessel warmhalten, also hör auf, dir irgendwelche Illusionen zu machen. Starfleet ist längst nichts Besonderes mehr. Du würdest eine unter vielen sein und wahrscheinlich nie die Chance bekommen, das zu sehen, wofür du viele Jahre lang hart gearbeitet hast. Also schlag’ dir die Akademie aus dem Kopf und mach endlich die Augen auf!"

Sie hatte getan, was er von ihr gewollt hatte: Sie hatten ihre Augen und Ohren aufgesperrt und soviel in sich aufgesogen, wie sie nur konnte. Allerdings nicht auf der Musikhochschule, auf die ihr Vater sie schicken wollte, sondern im astrophysikalischen Unterricht bei Darwin Bowlen auf der Akademie in San Francisco. Sie war in die Stadt der Städte gekommen mit dem festen Vorhaben, sie wieder als Fähnrich Julia Brixton zu verlassen, und sie konnte sich nicht vorstellen, daß irgend etwas oder irgend jemand sie von dieser Zukunft abhalten könnte. Sie hatte sich in die Vorlesungen gestürzt wie ein Fisch, den man zu lange der Sonne ausgesetzt hatte, und lernte mit Feuereifer nach, was ihre viele ihrer Kommilitonen schon voraus hatten. Nicht wenige waren Sprößlinge von Offizieren, die meisten hatten schon einmal auf einem Raumschiff oder einer Station gelebt und Einblicke in deren Technik genommen. Andere hatten sich bereits eingehend auf ihr Studium vorbereitet, während sie ihre Physikbücher vor ihrem Vater in Sicherheit bringen mußte und nur sehr selten und in großer Eile zum Lesen kam. Sie war auch noch niemals auf einem Raumschiff gewesen, eine Tatsache, die sie mit größter Mühe vor den übrigen Kadetten geheim hielt. Sie empfand es nicht als Schande, aber sie wollte den Fragen aus dem Weg gehen, die ihre Offenheit mit sich gebracht hätte.

Als sie nach einigen Jahren mit durchschnittlichen Ergebnissen die Akademie verließ und als junger Fähnrich nun endlich in den Weltraum kommen sollte, kam alles ganz anders, als sie es sich erhofft hatte. Sie wurde nicht auf ein Raumschiff versetzt, auf dem man sie allmählich an den Alltag im All gewöhnen würde, sondern auf eine heruntergekommene Station am äußersten Rande des Föderationsterritoriums. Deep Space Nine war mit Abstand der entsetzlichste Ort, an den man sie ihrer Meinung nach hätte versetzen können, und zum ersten Mal seit Jahren hatte sie ernsthaft darüber nachgedacht, sich doch ihrer Musik zu widmen. Im Gegensatz zu vielen Kadetten nämlich, die erst ihre Zeit als Fähnrich dazu nutzen wollten, ihre Neigung zu einem Spezialgebiet herauszufinden, hatte sie sich bereits auf der Akademie für ein Ziel entschieden: Ihre Zukunft lag in der Technik. Sie war fest entschlossen, Ingenieurin zu werden und mit Schiffsantrieben zu arbeiten. Und nun schickte man sie auf eine Station! Es war nicht üblich, Akademieabgänger auf einer Raumstation unterzubringen, zumeist wurden sie auf Raumschiffe verteilt. Raumstationen boten wenig Möglichkeiten für "Felderfahrung", von der die jungen Offiziere möglichst viel erwerben sollten. Da aber gerade zu dieser Zeit Cardassia die alte Station dem Planeten Bajor überlassen mußte und die Föderation Ordnung in den Sektor bringen sollte, wurden Notprozeduren eingeleitet, um den Bajoranern zu helfen und die Station wieder im normalen Betrieb einsetzen zu können. Viele junge Offiziere wurden nach Bajor abkommandiert, unter ihnen Julia Brixton, die sich damit einer Horrorvorstellung gegenüber sah. Sie hatte sich über Deep Space Nine informiert und war sich bewußt, daß diese cardassianische Station keinen Antrieb besaß. Es hieß zwar, daß man sie im Notfall geringfügig bewegen konnte, in einen Orbit hinein und wieder heraus, doch mehr war die Station nicht imstande zu leisten. Brixton war entsetzt gewesen. Wie um alles in der Welt sollte sie Felderfahrung im technischen Bereich erlangen, wenn nicht einmal ein Antrieb vorhanden war, das wichtigste und interessanteste technische Organ überhaupt?

Sie war ihren Befehlen nachgekommen, wahrscheinlich nur aus dem Grund, daß sie ihrem Vater nicht den Gefallen tun wollte, aufzugeben. Also hatte sie die Zähne zusammengebissen, ihre Enttäuschung hinuntergeschluckt und ihren Dienst an Bord von Deep Space Nine begonnen. Die ersten Monate war sie kreuz und quer durch die Station gekrochen, hatte aufgerissene Plasmaleitungen repariert und sich mit störrischen Konsolen herumgeschlagen. Sie hatte es gehaßt, wie sie noch nie zuvor etwas gehaßt hatte.

"Brücke an Lieutenant Brixton, bitte antworten Sie!" Tom Paris’ klare Stimme riß sie gewaltsam aus der Vergangenheit zurück. Wie oft hatte er sie schon gerufen. Sie berührte ihren Kommunikator.

"Hier Brixton!" Sie biß sich auf die Lippe. Es war selten, daß ihre Konzentration sie während ihrer Arbeit im Stich ließ.

"Ist alles in Ordnung, Lieutenant?"

"Natürlich, Lieutenant, ich war gerade dabei, die letzte Simulation abzuschließen." Nicht einmal gelogen, dacht sie, während sie mit einigen kurzen Befehlen die Ergebnisse aller Simulationen vor sich auf dem Monitor aufrief.

"Gibt es Schwierigkeiten?"

"Keine, soweit ich das sehen kann. In allen vier Simulationen erzeugt das Aragphma ein stabiles Warpfeld, und was immer auch den Zerfall der Dilithiumkristalle bewirkt hat - auf das Aragphma nimmt es keinerlei Einfluß."

"Ich bin sicher, Captain Janeway wird erfreut sein, das zu hören", kommentierte Paris. "Lieutenant Torres wird in einer halben Stunden an Bord kommen, um Ihre Resultate noch einmal zu überprüfen, um danach an der letzten Konferenz mit den Talaremern teilzunehmen. Ich nehme an, daß auch Sie dazu gebeten werden."

"Ich bereite mich darauf vor, Lieutenant", antwortete sie. Ein amüsiertes Lachen drang durch den Comkanal.

"Nein, das werden Sie nicht, Lieutenant. Sie haben seit Stunden kaum geschlafen, also machen Sie Schluß und suchen Sie Ihr Quartier auf. Ich werden Ihnen mitteilen, wann Sie sich im Transporterraum einfinden müssen." Es war mehr als deutlich, daß er es ernst meinte. Brixton schloß den Kanal, sammelte ihre Notizen zusammen und verließ den Maschinenraum. Sie konnte nicht leugnen, daß sie sich auf eine Dusche und eine kurze Meditation freute. Nach der durchgearbeiteten Nacht waren dreißig Minuten genau das, was ihr fehlte.

"Das war alles?" Lieutenant Samuel Houston war sein Erstaunen deutlich aufs Gesicht geschrieben. Er war aus dem Haus getreten und hatte sich zu seinen beiden Kolleginnen, Fähnrich Scanra und Lieutenant Brixton gesellt. Scanra schüttelte fassungslos den Kopf.

"Ich habe noch nie etwas derartiges erlebt. Diese Leute handeln mit Aragphma, als wäre es Brot. Sie fördern reinste Kristalle und verkaufen sie an jeden, der darum bittet?"

"Das klingt faul", stimmte Brixton zu. "Ich habe ja noch keinen der Antriebe gesehen, die die Talaremer in ihren unterirdischen Kammern zusammenbauen, aber ich habe beobachtet, wie diese Kristalle in unserem Warpkern arbeiten. Ich habe noch nie etwas so Einmaliges gesehen! Wie kann ein Kristall mit den verschiedensten Arten von Antriebstechnologie kompatibel sein? Ich meine, das ist kein Problem, wenn man gleich den kompletten Antrieb erwirbt, aber in unserem Fall waren es doch einzig und allein die Kristalle. Und ich habe im ganzen Quadranten noch keine Technologie vor Augen bekommen, die der der Föderation auch nur im Geringsten ähnelt."

"Ich würde zu gerne einmal einen Blick in diese Kammern werfen", erklärte Houston. "Man stelle sich vor, mehrere tausend Talaremer, die gleichzeitig an Dutzenden von Antrieben arbeiten. Ich habe mit mal die Konstruktionspläne dieser Aggregate angesehen. Sie sind viel kompakter gebaut als unser Warpantrieb, der Kern ist nicht einmal halb so groß und die Energieübertragung verläuft um 3,7% schneller als beim Gebrauch von Dilithium."

"Wie bist du an diese Pläne gekommen?" fragte Scanra verblüfft. "Die Talaremer halten sie doch sicherlich nicht für jedermann zugänglich."

"Natürlich nicht. Repräsentant Khladin gewährte dem Captain Einblick in die Pläne und da ich gerade mit anwesend war, schien es ihm unangenehm, mich auszuschließen."

"Er hat eine Nase für den richtigen Ort und die richtige Zeit", neckte ihn Brixton. "Dennoch, das ist seltsam. Wenn ich einen derart ausgetüftelten Antrieb entwickelt hätte, würde ich seine Pläne garantiert niemandem zeigen, außer den Ingenieuren, die an seinem Bau beteiligt sind. Was erlaubt Khladin nur, so leichtfertig damit umzugehen?"

"Ich denke, der Besitz des Aragphmas ist Rechtfertigung genug", wandte Houston ein. "Die Beauftragten haben doch heute noch einmal betont, daß in keinem der umliegenden Sektoren Aragphma gefunden werden konnte. Dies scheint tatsächlich der einzige Planet in dieser Umgebung zu sein, auf dem dieser Kristall existiert. Es wäre also nicht schlimm, wenn beispielsweise die Kazon die Konstruktionspläne in die Hände bekämen. Ohne das Aragphma wäre ihnen der Antrieb nutzlos."

"Wir können von Glück sagen, daß die Entdeckung der Dilithiumvorkommen nicht nur auf Föderationsterritorium stattfand, sondern im ganzen Quadranten verstreut geschah", kommentierte Scanra. "So haben Ferengi, Cardassianer, Klingonen, Bajoraner, Menschen, alles ihre eigenen Ansprüche auf Dilithium und niemand muß mit seinem Feind oder Freund darüber verhandeln."

"Die Föderation wird eines Tages soweit kommen, fürchte ich", mutmaßte Brixton. "Die Dilithiumvorkommen sind noch ergiebig, aber in einigen Jahrzehnten muß man ernsthaft mit der Suche nach einer Ersatzlösung beginnen. Jedes Jahr werden in der Föderation Hunderte von neuen Schiffen gebaut, nicht nur für die Sternenflotte, sondern auch für die übrigen Föderationsmitglieder, Frachtschiffe, Versorgungstransporter und ähnliches. Wir haben momentan zwar ein Friedensabkommen mit den Klingonen und sind auf dem Weg, eines mit den Cardassianern anzustreben..."

"Wir waren", korrigierte ihn Scanra, die aufgrund ihrer Maquisvergangenheit lieber nicht von einer Allianz mit Cardassia hören wollte. "Wir haben einen Informationsrückstand von bald zwei Jahren, Julia, glaub mir, in dieser Zeit kann verdammt viel geschehen. Aber mit einem hast du natürlich recht: Die Dilithiumvorkommen sind nicht auf ewig nutzbar. Man müßte einen Planeten finden, der ein Vorkommen so reich wie das der Talaremer birgt. Um Rohstoffprobleme müssen die Leute hier sich sicherlich erst in einer Million Jahren Gedanken machen."

"Der Punkt ist", kam Houston noch einmal auf Scanras früheren Einwurf zurück, "daß der talaremische Planet der einzige ist, der das hat, was alle brauchen. Soweit ich Khladin verstanden habe, sind ausnahmslos alle Bewohner der umliegenden Sektoren auf die talaremische Produktion angewiesen."

"Aber was ist zum Beispiel mit den Kazon, deren Territorien sich weiter entfernt befinden?" fiel Brixton ein. "Die Ogla, zum Beispiel. Sie haben mit Sicherheit keine Möglichkeit, sich ihre Antriebskristalle von den Talaremern zu beschaffen, dennoch unterschied sich ihre Technologie kaum von der der Nistrim. Es muß also doch irgendwo in anderen Bereichen des Delta-Quadranten Energiequellen für Antriebstechnologie vorhanden sein."

Houston hob die Schultern. "Das wäre ja auch nicht verwunderlich. Der Quadrant ist riesig, es wäre schon sehr abwegig, wenn dieser Planet der einzige sein sollte, auf dem Aragphma existent ist." Damit spielte er absichtlich auf das etwas überhebliche Verhalten der Beauftragten an, die mehrmals betont hatten, wie einzigartig Aragphma sei. Die wissen genau, daß sie uns glauben machen müssen, sie seien die Einzigen, die uns helfen können, dachte er etwas grimmig. Arroganz war eine Wesensart, die Houston verabscheute.

"Trotzdem", griff Scanra das Anfangsthema noch einmal auf, "es kommt mir merkwürdig vor, daß das Ganze ohne Konflikte vonstatten geht. Die Kunden kommen, kaufen und ziehen wieder ab. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß die Kazon nicht versuchen würden, den Planet in ihre Gewalt zu bekommen und sich das Aragphma anzueignen. Sie könnten die Produktionsstätten übernehmen und dafür sorgen, daß ihre Feinde keine Kristalle mehr erhalten. Damit wäre jeder Krieg an der Wurzel ausgerottet."

"Vielleicht lieben die Kazon den Kampf so sehr, daß sie ohne ihn nicht leben können", warf Houston ein, nickte aber. Es schien nicht zusammenzupassen. "Habt ihr eigentlich irgendwelche Verteidigungsvorrichtungen entdecken können?"

"Eine seltsame Gesellschaft ist das", bracht es Scanra auf den Punkt. "Ich würde zu gerne einmal diese Städte sehen, die Bewohner und ihre Lebensart kennenlernen."

"Und mich interessieren die Bergwerke und Förderungsposten in den Bergen", ergänzte Brixton. "Es muß eine Unmenge davon geben, über den ganzen nördlichen Kontinent verstreut. Außerdem reizt es mich, das Aragphma mal in seiner Urform im Gestein zu sehen."

"Das wäre zu machen, Lieutenant", sagte die ruhige Stimme des Commanders hinter ihr. Brixton wandte sich um. Chakotay hatte sich aus der Gruppe, die nach ihnen den Konferenzraum verlassen hatte und einige Meter entfernt ebenfalls diskutierte - B’Elanna war darunter, Janeway, Tuvok, Khladin und zwei talaremische Techniker -, entfernt und war unbemerkt hinter sie getreten. Brixton kämpfte das unangenehme Gefühl nieder, das sich in ihrem Bauch regte. Sie mochte es nicht, wenn jemand ihren Gesprächen zuhörte, ohne daß sie davon wußte. Der Commander lächelte sie entschuldigend an.

"Repräsentant Khladin hat dem gesamten Außenteam einen Vorschlag unterbreitet, der sicherlich all Ihren Wünschen gerecht wird."

"Ihr Angebot ist äußerst reizvoll, Khladin", erklärte Janeway, "aber ich sehe keine Möglichkeit, daß ich es selbst wahrnehmen kann. Wir haben vier Simulationen mit Erfolg abgeschlossen, der nächste Schritt wird sein, einen realen Testflug zu unternehmen. Ich gehöre auf die Brücke meines Schiffes."

Ungar Khladin schien ihren Einwand kaum zur Kenntnis zu nehmen. "Ich bin sicher, Sie haben das Kommando über eine wundervolle Crew, Captain", begann er. "Und Ihre Ingenieure sind doch sicher kompetent genug, einen solchen Testflug alleine durchzuführen."

Janeway schüttelte den Kopf. "Darum geht es nicht. Ich bin die Kommandantin der Voyager und habe die Pflicht, alle Ereignisse, die unmittelbar die Funktionen meines Schiffes betreffen, zu überwachen. Außerdem möchte ich diesen denkwürdigen Testflug nicht versäumen."

Khladin atmete scharf ein, hielt die Luft an und schloß dann für einen Moment die Augen.

"Es tut mir leid, Captain", sagte er ruhig, "ich bin wohl über mein Ziel hinaus geschossen. Ich hatte nur den Eindruck, daß Sie gerne die Bergwerke besuchen wollten. Aber ich sehe natürlich ein, daß Ihr Schiff Vorrang hat."

Chakotay, der mit in der Gruppe stand, stieß ein leises Seufzen aus. Er wußte, daß Janeway den Probeflug mit der neuen Antriebsquelle selbst an Bord verfolgen wollte, doch er ahnte auch, wie brennend es sie zu den Förderungsstätten dieses seltenen Kristalls zog. Er hatte schon oft bemerkt, wie ihre Augen zu glänzen begannen, wenn ihr wissenschaftliches Interesse gekitzelt wurde - ihre Augen glänzten jetzt ebenfalls und ihr Gesichtsausdruck zeigte deutlich ihr Zögern. Chakotay sandte Khladin einen verärgerten Blick, den dieser zu seinem Bedauern übersah. Für seinen Geschmack zeigte der Talaremer ein zu eindeutiges Interesse an der Gesellschaft des Captain und Chakotay war mehr als besorgt, daß er Janeway mit diesen Bergwerken ködern würde.

"Captain", sagte er leise, "das übrige Team steht bereit, wieder an Bord zu beamen."

Janeway hob die Hand und stoppte ihn so mitten im Satz. Sie überlegte angestrengt.

"Ihr Angebot ist verlockend", wiederholte sie, "aber meine Crew ist auf mich angewiesen." Dennoch ist das die einzige Chance, die du hast, Kathryn, dachte sie innerlich. Du kannst hier nicht ewig Zeit vertrödeln und den Ausflug auf später verschieben. Entweder der Testflug oder die Exkursion. Und was ist wichtiger für dich? Denk an die Crew, an dein Schiff! Der Antrieb ist die höchste Priorität, wie kannst du nur zweifeln? Du bist immer noch Captain der Voyager, also verhalte dich dementsprechend!

Doch sie hatte Chakotays Gesichtsausdruck gesehen, den unverhohlene Ärger in seinen Augen - er wollte sie unbedingt an Bord des Schiffes wissen. Doch warum? Weshalb geriet er derart in Panik, wenn sie mit Khladin sprach? Sie ahnte die Antwort, und diese Antwort kratzte an den Erinnerungen, die sie seit ihrem Gespräch mit B’Elanna noch tiefer als zuvor in sich vergraben hatte. Eine kleine Stimme in ihr sagte ihr, daß sie Chakotay beruhigen sollte, daß er recht hatte mit dem, was er ihr zuvor hatte sagen wollen. Verdammt, er schien mit allem, was sie anging, recht zu haben, und diese Tatsache gefiel ihr ganz und gar nicht. Hier bot sich ihr eine Gelegenheit von höchstem wissenschaftlichen Interesse - sie tauschte noch einmal einen Blick mit Chakotay. In seine Augen lag etwas Drängendes, etwas, das sie auf eine Art berührte, die sie innerlich beben ließ. Nein!

Sie berührte ihren Kommunikator.

"Janeway an Lieutenant Paris."

"Paris hier. Wir erwarten Ihre Ankunft, Ma’am."

"Es wird eine kleine Planänderung geben, Lieutenant", erwiderte sie, ohne ihre Augen von Chakotay zu nehmen. "Ich bleibe auf dem Planeten und werde mich genauer über das Aragphma informieren. Fühlen Sie sich imstande, den Testflug alleine durchzuführen?"

"Ja, Captain, natürlich, aber...", begann Paris, ein wenig verwirrt. "Was ist mit dem Rest des Außenteams? Fähnrich Estin steht bereit, alle an Bord zu beamen."

"Ihre Offiziere sind natürlich ebenso willkommen, an der Exkursion teilzunehmen", warf Khladin rasch ein und lächelte Chakotay zu. Dieser beherrschte sich mühsam, keine Grimasse zu ziehen. Janeway hielt inne. Diesmal war es Torres, die sich einmischte. Sie hatte Chakotays Gesichtsausdruck registriert und spürte, daß sich ein Gewitter anbahnte.

"Captain, ich werde auf jeden Fall aufs Schiff zurückkehren und den Test im Maschinenraum überwachen", erklärte sie sofort. "Ich bin mit dem Aragphma erst noch wenig vertraut und denke, daß es besser ist, wenn ich anwesend bin - nur für den Fall, daß etwas schief geht."

In Khladins Blick lag Mitleid, das sie auf ihr vorsichtiges Verhalten zurückführte. Der glaubt, ich bin naiv, weil ich die Erfolge seines Produkts anzweifle, fuhr es ihr durch den Kopf. Arroganter Kerl. Janeway fokussierte ihren Blick jetzt auf sie.

"Natürlich, Lieutenant, das verstehe ich." Ich sollte genauso handeln wie sie!

Chakotay war unbemerkt an Tuvok herangetreten. Der Vulkanier verfolgte das Gespräch mit unbewegter Miene.

"Sie macht einen Fehler, Tuvok, sie läßt sich von diesem Mann einwickeln und vernachlässigt dadurch ihre Pflicht als Captain. Sie hat sich entschieden, nicht auf mich zu hören, aber sie hält große Stücke auf Sie! Reden Sie mit ihr!"

Doch als er sah, wie sich der Gesichtsausdruck des Vulkaniers veränderte, wußte er schon, daß er von ihm keine Hilfe erwarten konnte. Irrte er sich, oder lag ein wenig Trotz in seinen schwarzen Augen? Er konnte es sich kaum vorstellen.

"Captain Janeway wird ihre Gründe haben, wenn sie sich dazu entschließt, nicht auf das Schiff zurückzukehren", konstatierte der Sicherheitschef kühl. "Solange ich für das Schiff keine ernsthafte Bedrohung durch ihr Fortbleiben entdecken kann, steht es mir nicht zu, ihre Entscheidungen in Frage zu stellen."

"Sie und Ihre verdammte Loyalität", fluchte Chakotay verhalten und kehrte mit finsterer Miene auf seinen Platz neben Torres zurück. Die junge Frau legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm.

"Commander, was denken Sie darüber?" Janeway hatte sich umgedreht und sprach ihn nun direkt an. Ein Funkeln in ihren Augen forderte ihn auf, ihr zu widersprechen, ihre Autorität in Frage zu stellen. Ich lasse mich nicht mehr von ihr manipulieren, lehnte sich seine innere Stimme gegen diesen Blick auf. Er verschränkte die Arme vor der Brust.

"Wenn Sie es nicht für nötig halten, daß ich auf der Brücke anwesend bin", sagte er eine Spur zu provozierend, "dann schließe ich mich Ihnen natürlich gerne an. Und ich wette", ergänzte er mit einem Blick auf die drei Techniker, die einige Meter von ihnen entfernt, heftig diskutierten, "diese drei ebenfalls."

"Tuvok?" Janeways Stimme schwankte etwas, als sie ihren Blick auf ihren alten Freund und Berater richtete. Doch sie hatte sich umsonst Sorgen darüber gemacht, daß er sie jetzt in ihre Schranken weisen würde.

"Ich bin der Ansicht, daß meine Anwesenheit auf diesem Testflug nicht erforderlich sein wird. Ich nehme ebenfalls gerne an der vorgeschlagenen Exkursion teil."

Chakotay seufzte leise und schüttelte den Kopf. B’Elanna fühlte einen rasenden Zorn auf den Vulkanier aufsteigen. Verhaltensweisen wie diese hielten sie davon ab, Tuvok alles andere als mißtrauisch gegenüberzutreten. Die Starrheit seines Verhaltens und seine unabdingbare Loyalität trieben sie manchmal zum Wahnsinn.

"In Ordnung", beschloß Janeway und ignorierte das Gefühl, aus Trotz wegen Chakotays Verhalten einen großen Fehler gemacht zu haben. "B’Elanna, Sie führen den Testflug durch. Beschleunigen Sie bis auf Warp 9, ich möchte, daß keinerlei Zweifel an der Qualität des Aragphmas offen bleiben. Arbeiten Sie ein Testprogramm aus und koordinieren Sie die weiteren Schritte mit Paris. Wie lange, schätzen Sie, dauert der Testflug?"

"Nicht mehr als zwei Stunden nach Ausarbeiten des Programms, Captain", erwiderte die Ingenieurin ohne nachzudenken. Testflüge hatte sie gemacht, solange sie denken konnte. Der Maquis war ständig in der Situation gewesen, mit neuem Material umgehen zu müssen. Nur hatte sie dort meist nicht soviel Zeit gehabt."

"Volle Sensoranalyse während des Fluges, ich möchte jeden Fehler kennen, der möglicherweise auftraten könnte. Und versuchen Sie, mir so schnell als möglich eine Erklärung für diesen mysteriösen Zerfall der Dilithiumkristalle zu liefern, ich möchte versichert sein, daß dieses Problem nicht noch einmal auftaucht. Tom, haben Sie gehört?"

"Aye, Captain, verstanden", kam es über den Kanal. "Wir holen B’Elanna an Bord und machen uns sogleich an die Arbeit. Ich melde mich wieder, wenn wir den Flug beendet haben, in schätzungsweise vier bis fünf Stunden, ja nachdem, wie lange wir für die Ausarbeitung des Programms brauchen. Paris Ende."

Janeway schloß den Kanal und nickte Khladin zu. "Sie haben es gehört, wir haben etwa fünf Stunden Zeit." Und zu Chakotay gewandt: "Informieren Sie bitte Houston, Brixton und Scanra über die Programmänderung."

Er drehte sich um und ging zu den drei jungen Offizieren hinüber. Perfekt, dachte er, einfach phantastisch. Seine Besorgnis zeigte er jedoch nicht. Dennoch krampfte sich etwas in ihm zusammen. Die Frau, die dort eben eine Entscheidung getroffen hatte, mit der er nicht einverstanden sein konnte, hatte nichts mehr mit der Kathryn Janeway zu tun, unter der er seit zwei Jahren gedient hatte. Die frühere Janeway hätte nie einen Gedanken daran verschwendet, mit ihrer Pflicht derart lässig umzugehen. Selbstverständlich hatte sie so reagiert, um ihm eine Abfuhr zu erteilen. Er konnte nicht leugnen, daß ihn dieses irrationale Verhalten erschreckte. Einige Monate zuvor... Er brach ab. Es wurde wirklich Zeit, daß sie miteinander sprachen.

"Sie wird auf dem Planeten bleiben?" wiederholte Fähnrich Harry Kim ungläubig und beugte sich weit über seine Konsole nach vorn. Tom Paris wandte seinen Blick nicht von der Steuerkonsole.

"Sie haben gehört, was sie gesagt hat, Harry." Seine Finger berührten eilig mehrere Tasten, bevor er sich umwandte.

"Garrett, ich brauche Sie an den Sensoren. Gehen Sie hinüber zur Steuerbordkontrolle und sehen Sie zu, daß die inneren Sensoren einwandfrei arbeiten. Konzentrieren Sie die Sensoreinstellung auf den Maschinenraum. Harry, volle taktische Analyse. Ich will wissen, ob und wie die taktischen Systeme auf den neuen Antrieb reagieren. Fähnrich Estin, ist Lieutenant Torres schon an Bord?" fuhr er fort, während er einen Komkanal öffnete.

"Soeben eingetroffen, Sir."

"B’Elanna, hier ist Tom. Wo sind Sie?"

"Auf dem Weg in den Maschinenraum. Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen?"

Tom zuckte die Schultern. "Alles wartet nur auf Ihr Kommando. Die Kristallkammer wurde noch einmal überprüft, Kontakte sind geschlossen, der Energiefluß befindet sich auf Null. B’Elanna, ich möchte, daß Sie die Plasmatemperatur genau im Auge behalten, die Stabilität des Warpfeldes, die Konzentration des Trilithiums, und achten Sie darauf, daß..."

"Paris!" unterbrach ihn die Stimme der Ingenieurin ungeduldig. "Ich weiß, was ich zu tun habe. Sehen Sie lieber zu, daß Sie mir noch ein paar Leute herunter schicken, Brixton und Scanra sind mit dem Rest des Außenteams auf dem Planeten geblieben. Ich brauche noch mindestens zwei Offiziere, die wissen, wie sie mit einem Warpkontrollpult umzugehen haben. Ich sehe mir inzwischen noch einmal die Simulation an, nur um ganz sicher zu gehen. Wenn in unseren Berechnungen ein Fehler ist, dann..."

"...haben wir sicherlich kaum genug Zeit, um uns darüber den Kopf zu zerbrechen", ergänzte Paris. "Wir warten auf Ihr Kommando, B’Elanna. Paris Ende."

"Es ist einfach nicht die Art des Captains, sich so zu verhalten", fuhr Harry hinter ihm fort. "Ein Test wie dieser ist verdammt heikel, wenn man das Material nicht kennt, mit dem man arbeitet. Sie..."

"Fähnrich!" unterbrach Paris ihn scharf. Er stieß die Luft aus und schüttelte den Kopf. "Harry, es ist nicht Ihre Aufgabe, die Entscheidungen des Captain in Frage zu stellen. Abgesehen davon ist dieser Flug nichts Außergewöhnliches. Wir haben uns über das Material genauestens informiert, einer der talaremischen Techniker steht aufmerksam neben dem Warpkern und überwacht jedes noch so kleine Elektron, das sich darin bewegt...die Arbeit macht B’Elanna, der Captain säße nur hier auf der Brücke und hielte die Zügel der Verantwortung in ihren Händen. Nichts, was sie mir nicht zutrauen könnte." Er grinste. "Ich kann verdammt verstehen, daß diese Kristalle einen Wissenschaftler verrückt machen können. Captain Janeway diente einige Zeit unter meinem Vater - ich kann mich gut an die Geschichten erinnern, die er über das eifrige Wissenschaftsteam erzählte, dem der Captain angehörte. Die mußten ihre Nasen in alles Reizvolle stecken, das ihnen in die Quere kam - und haben sich dabei den Respekt der ganzen Föderation erworben." Er zog eine Grimasse. "Ich gehöre nicht zu dem Typ Offizier, der es liebt, den ganzen Tag in Höhlen und Landschaften herumzuziehen und bei jedem Ding, das nur ein bißchen fremd und vor allem interessant aussieht, seine Apparatur auszupacken. Ich kann nicht unbedingt sagen, daß Forschung mein Fall ist." Er fixierte Harry. "Aber es ist Captain Janeways Fall, und dort unten auf dem Planeten befindet sich wohl das Ende des wissenschaftlichen Regenbogens." Er hob in einer unbestimmten Geste die Hände. "Sie macht sich gewissermaßen auf die Suche nach dem Goldtopf."

Harry blickte ihn verständnislos an. "Wie bitte?"

Es fühlte sich seltsam an, die Reibung von Rädern auf der Straße unter ihm zu spüren. Chakotay hielt sich mit einer Hand am Sitz fest und entspannte seinen Körper, um den mitunter heftigen Stößen der Schlaglöcher entgegenzuwirken. Künstliche Schwerkraft hin oder her, es war ein Unterschied, ob man auf einem Raumschiff beim Aufprall eines Photonentorpedos gegen die Schilde ins Schwanken geriet oder die Räder eines Lasters durch die unzähligen Vertiefungen einer Landstraße hoppelten. Glücklicherweise war die Fahrzeugdecke hoch genug, so daß er nicht mit dem Kopf anstieß. Khladin, der vorne am Steuerpult Platz genommen hatte, schien allerdings mehr Schwierigkeiten damit zu haben. Er kümmerte sich jedoch nicht darum, war vermutlich schon daran gewöhnt, mutmaßte der Indianer.

Sie hatten Lieutenant Scanra und Tuvok in der am nächsten liegenden Stadt abgesetzt und beschlossen, sie zweieinhalb Stunden später wieder abzuholen. Dann waren sie von der breiten, asphaltierten Straße abgebogen und hatten einen Ackerweg eingeschlagen, auf dem sich neben den Schlaglöchern deutlich Abdrücke anderer Reifen zeigten. Der Größe nach zu urteilen mußten die dazugehörigen Fahrzeuge ähnlich groß und kompakt sein wie der Laster, in dem sie jetzt saßen.

Die Fahrt ging durch eine Ebene mit nur vereinzeltem Baumbestand. Kilometerweit erstreckten sich Felder bis zum Horizont, die teilweise bereits abgeerntet waren. Auf anderen wuchs Getreide in üppiger Form, lange grüntürkise Halme verwandelten sich im Wind in ein wogendes Meer; Frauen und Kinder in bunter Kleidung arbeiteten zwischen den grünen Stauden, knieten auf der Erde und gruben mit bloßen Händen darin. Einige sahen auf und winkten den Insassen zu, wenn der Laster vorbei rumpelte. Chakotay lehnte sich weiter zum Fenster und überflog die Reihen der Arbeiter. Er runzelte die Stirn und beugte sich dann vor.

"Khladin?" Er mußte seine Stimme etwas erheben, um bis zum Fahrer vorzudringen. Was immer auch diesen Wagen antrieb, es war lauter als ein Shuttle, dessen Warpantrieb in seiner Gleichmäßigkeit nach einiger Zeit dem Gehörsinn nicht mehr auffiel. Vielleicht besaßen die Talaremer einfach unempfindlichere Ohren als Indianer, die in früherer Zeit sogar die Sprache des Grases verstehen konnten, eine Fähigkeit, die Chakotay nicht geerbt hatte und die ihm auch nicht sonderlich abging.

"Was gibt es?" rief der Talaremer zurück, ohne die Augen von der Straße zu nehmen.

"Ich sehe hier nur Frauen und Kinder", bemerkte der Commander. "Arbeiten in Ihrer Gesellschaft die Männer nicht auf den Feldern?"

Janeway hatte sich zu ihm umgewandt und musterte ihn nachdenklich. Es war selten, daß Chakotay Bemerkungen zu dem machte, was er sah. Normalerweise beobachtete er schweigend und notierte sich alles Auffällige in seinem Gedächtnis, um es später einzubringen. Doch, was war in den letzten Tagen schon normal gewesen? Nichts, soweit es sie betraf. Er warf ihr nur einen flüchtigen Blick zu.

Neben ihr lachte der Talaremer auf.

"Spielen Sie darauf an, daß wir vielleicht nur unsere Frauen hart schuften lassen und uns ein schönes Leben machen? Nein, Commander, im Gegenteil. Sehen Sie, unsere Gesellschaft basiert auf Agrarwirtschaft. Jede Familie besitzt Grund und bewirtschaftet Felder, es ist die Grundlage unserer Kultur. Frauen und Kinder arbeiten auf den Feldern, während die Männer sich dem zweiten, kleineren Industriezweig widmen: Der Antriebsproduktion."

"Kleiner Industriezweig?" entfuhr es Brixton. "Nach dem, was Sie erzählten, nahm ich an, daß dieser Zweig der bedeutendste Ihrer gesamten Wirtschaft ist."

"Es tut mir leid, wenn Sie das mißverstanden haben, Lieutenant", entgegnete Khladin. "Nein, der eindeutig wichtigste Wirtschaftszweig ist die Landwirtschaft. Nur wenige Familien sind nicht auf irgendeine Art und Weise darin beschäftigt. Die geographischen Gegebenheiten hier auf der nördlichen Halbkugel sind ideal für Getreide- und Gemüseanbau, die Erde ist fruchtbar und reichhaltig an Mineralien und Nährstoffen. Von der Landwirtschaft allein können wir allerdings nicht leben, daher sind wir auf den Handel mit den Aragphmaantrieben angewiesen. Die Außenweltler erhalten die Antriebe oder nur die Kristalle, wir bekommen im Gegenzug Rohstoffe, die es auf unserem Planeten nicht gibt, wie andere Metalle oder Holz. Unser Planet hat keine großen Waldvorkommen und wir nehmen lieber Holz im Tausch mit Außenweltlern als das Wenige, das wir haben, noch zu roden. Manchmal beschränkt sich der Tausch auch auf landwirtschaftliche Informationen und Samen, wie in Ihrem Fall. Wir sind ständig damit beschäftigt, neue Pflanzenarten zu züchten oder zu erhalten."

"Weshalb?" warf Janeway ein. Würde sie nun endlich eine Antwort auf die Frage bekommen, weshalb die Talaremer nicht mehr von ihnen als Gegenleistung forderten als agrarbezogene Informationen und Proben von Pflanzen und Gemüsesorten, die Kes an Bord der Voyager gezogen hatte? "Warum tauschen Sie Ihre hochwertige Technologie gegen etwas so..." Sie suchte nach Worten, "...gegen etwas derart Einfaches?"

Khladin zog den Kopf ein, als ein weiteres Schlagloch die Insassen des Wagens an die Decke schleuderte. "Oh nein, Captain, es handelt sich ganz und gar nicht um etwas Einfaches", widersprach er. "Sehen Sie, die wirtschaftliche Lage auf dem südlichen Kontinent ist weitaus schlechter als die unsere. Die Erde dort ist trockenen und arm an Nährstoffen, es regnet nur spärlich, die Sommer sind heißer und die Winter strenger als hier. Ein zu wechselhaftes Klima für die Landwirtschaft. Dazu kommt noch, daß die Aragphmavorkommen erst in einer Tiefe beginnen, in der sich der Aufwand einer weitangelegten Förderung nicht rentiert. Im Süden ist also weder industriell noch landwirtschaftlich viel zu ernten. Die Bevölkerung dort hat sich deshalb der geistigen Kultur gewidmet; dort gibt es Universitäten, Schulen, Bibliotheken und Archive, Theater und Sportmöglichkeiten. Wir aus dem Norden sind dafür verantwortlich, daß der Süden mit Nahrungsmitteln versorgt wird - daher sind wird um jede Information dankbar, die uns helfen kann, noch mehr zu produzieren - und die südliche Regierung sorgt dafür, daß diese Situation im Gleichgewicht bleibt. Alle vier Monate wird gewechselt."

"Gewechselt?" echote Houston. Auch er hatte sich vorgebeugt. "Was meinen Sie damit?"

"Alle Mitglieder der Bevölkerung besitzen ein spezifisches Fachwissen", erläuterte Khladin. "Die Frauen in Agrarwirtschaft, die Männer in der Antriebsmechanik und Förderungstechnik. Diejenigen, die im Norden aufwuchsen, lernten es in der Praxis, die anderen auf den Universitäten im Süden. Wenn ein Jugendlicher 17 Jahre alt ist, wird er zum ersten Mal in den Austauschprozeß mit einbezogen. Er arbeitet vier Monate in dem Betrieb seiner Familie - sei es nun auf dem Feld oder in den Produktionsstätten - und verbringt die nächsten vier Monate im Süden auf der Universität, im Theater oder in einer Schule. Jede Stadt besitzt eine Partnerstadt, meist stehen sogar immer die gleichen Familien im Austausch. Auf diese Weise muß jeder Talaremer, wenn er das entsprechende Alter erreicht hat, im Norden und im Süden arbeiten." Er lächelte. "Auf diese Weise entsteht für niemanden ein Nachteil, egal, ob er im Norden oder Süden geboren ist. Der Süden verkörpert für uns die Zeit, in der wir lernen und unsere Freizeit genießen können. Im Norden wird das Wissen angewandt und praktisch gearbeitet. Das ist unser Leben."

"Ein ausgeklügeltes System", kommentierte Houston.

"Ein System, das sich seit vielen Generationen bewährt hat", bestätigte Khladin.

Janeway schien fasziniert. "Ich habe noch nie von einer derartigen Gesellschaftsform gehört, Khladin", erklärte sie. "Aber es sieht so aus, als habe Ihr Volk einen Weg gefunden, geographische Nachteile zum Wohl aller zu überwinden. Ich bin beeindruckt."

"Und ich ein wenig überrascht", ließ sich Chakotay von hinter vernehmen. "Ich habe in der Konferenz den Auslegungen der Beauftragten mit Interesse gelauscht. Sie scheinen demnach der alleinige Absatzmarkt für Antriebstechnologie in diesem Bereich des Quadranten zu sein, haben also eine gewisse Machtposition und Vorteile. Wir kommt es dann, daß man von dieser Technologie auf Ihrem Planeten nichts sehen kann, Khladin? Die Häuser sind schlicht, kaum mit Technologie versehen, Sie bevorzugen Agrarwirtschaft anstelle von Industrialisierung, Sie lehnen interstellaren Flug ab, und dann diese Laster..." seine Hand öffnete sich in einer kreisförmigen Geste. "Gibt es auf Ihrem Planeten überhaupt irgend eine Art von Flugmaschinen oder interstellar geeigneten Schiffen?"

Janeways Blick glitt abermals über ihren Ersten Offizier. Er hatte den Repräsentanten in knapper Formulierung genau das gefragt, was ihr seit ihrer Ankunft im Kopf herumgespukt hatte. Der Handel der Talaremer paßte nicht mit ihrer Lebensweise zusammen, das war klar. Doch weshalb schwang in Chakotays Stimme Aggressivität mit, Ärger beinahe? Sie betrachtete ihn versunken und merkte plötzlich, daß sie es konnte, ohne innerlich unruhig zu werden. Und als ihr Blick seine Aufmerksamkeit erregte, hielt sie ihm stand, stellte sogar fest, daß es ihr bei weitem nicht unangenehm war, wenn er sie ansah. Sie machte eine leichte Handbewegung, die ihm anzeigte, daß sein Ton zuvor etwas zu deutlich gewesen war. Er schob als Antwort sein Kinn ein wenig vor, eine Bewegung, die Janeway schon manchmal an ihm beobachtet hatte, ein Zeichen dafür, daß er ihr nicht nachgeben wollte, jedoch nicht soweit gehen wollte, daß er ihr widersprach.

Repräsentant Khladin schien von der stillen Kommunikation nichts mitbekommen zu haben. Er nickte einer Gruppe Kinder auf einem Kornfeld zu und wandte sich wieder an Chakotay.

"Nein, Commander, es gibt keinen Flugverkehr, weder innerhalb der Atmosphäre noch darüber. Das einzige Fortbewegungsmittel hier sind diese Autos und einige seetüchtige Schiffe am Meer." Er lachte. "Ich kann mir denken, wie seltsam Ihnen das vorkommen muß", fuhr er fort, als er Brixtons überraschten Gesichtsausdruck im Rückspiegel bemerkte, "aber für uns gehört das zum normalen Alltag. Ich werde es Ihnen erklären."

"Vor etwa acht Generationen unterschied sich unser Leben nicht viel von Ihrem. Unsere Vorfahren hatten gelernt, Schiffe zu bauen, die sich außerhalb unserer Welt bewegen konnten, und ihre Kinder hatten dieses Wissen von ihnen übernommen. Jedes Jahr gab es neue Entwicklungen in der Raumforschung, der technische Standard war extrem hoch. Ein gewaltiges Netz von interplanetaren Flugsystemen verband die Kontinente. Wir begannen, die benachbarten Sternensysteme zu erforschen, wir nahmen Kontakt zu anderen Völkern auf und erweiterten Tag für Tag unser Wissen. Mehrere Generation lang verlief alles problemlos. Doch dann geschah etwas, was niemand hatte voraussehen können: Da über die Hälfte der Bevölkerung nur auf die Raumforschung fixiert war, Schulen und Akademien besuchte, über mathematischen Rechnungen brütete und davon träumte, wie man das Leben noch angenehmer und interessanter gestalten könnte, fiel niemandem auf, daß sich die landwirtschaftlichen Erträge erheblich verringert hatten. Zu Beginn stellte es kein Problem dar. Viele Familien und besonders die älteren Leute standen der neuen Technologie mißtrauisch gegenüber und beharrten auf den alten Traditionen, die auf einer agrarischen Lebensweise beruhten. Der Abriß schien allerdings vorprogrammiert. Wenn die Alten sterben, die die Traditionen aufrechterhalten haben, verblassen diese nach und nach. Die Jüngeren, die noch etwas davon wissen, lehnen sie ab, da sie ihr Leben einschränken. Wer möchte schon in der Mittagshitze auf den Feldern arbeiten, wenn die neue Technik alles viel bequemer machen kann? Wenn Weltraumflüge locken und Abenteuer auf jeden warten, der danach greift?

Immer mehr Menschen entschieden sich für das neue Leben, immer mehr besuchten technische Schulen und erreichten Erfolge in der Forschung. Farmen wurden verkauft und Firmen darauf errichtet, in denen die ehemaligen Bauern angestellt wurden. Und immer weniger Nahrung wurde produziert. Denn das eine war niemand imstande gewesen zu erfinden: ein Gerät, daß Nahrung herstellt. Die Menschen waren auf die Farmer angewiesen, und da sie immer im Überschuß produziert hatten, gab es einige Jahre für alle genug zu essen. Als dann aber mit der Verbesserung der medizinischen Situation die Bevölkerung explosiv wuchs, kamen die Ausmaße der neuen Wirtschaftsproblematik schonungslos zutage. Es kam eine Hungerepidemie, wie es noch nie zuvor eine gegeben hatte."

Repräsentant Khladin schwieg für einen Moment und starrte vor sich auf den Weg. Er war breiter geworden, und mehrere Laster kamen ihnen entgegen, die meisten von ihnen waren voll besetzt. Kinder und Frauen mit roten Gesichtern schrien und lachten vergnügt. Sie alle waren glücklich.

"Es dauerte eine Weile, bis alle akzeptierten, daß das neue Leben die Quelle der Zerstörung war. Die Technologie war die Grundlage, auf der alles Neue nun basierte, sie aufzugeben war vermutlich die schwerste Entscheidung, die unsere Vorfahren je zu treffen hatten. Es war allerdings auch die einzige Möglichkeit, ein Massensterben zu beenden, daher blieb ihnen keine andere Wahl. Also wurde die Industrie nach und nach abgebaut und jeder kehrte zu dem Leben zurück, das seine Urgroßeltern einmal geführt hatten."

"Das muß doch eine unglaubliche Umstellung gewesen sein", wandte Janeway ein. "Wie war es möglich, daß alle zustimmten?" Allein der Gedanke, daß dies auf der Erde geschehen wäre, dachte sie. Die meisten Menschen hätten sich nicht dazu bereit erklärt, Starfleet und die Föderation aufzugeben und sich dem Leben im 21. Jahrhundert anzupassen. Das wäre auch gar nicht möglich gewesen. Man hatte endlich aus den alten Fehlern gelernt, es gab keine Umweltverschmutzung mehr, keine Kriege, keine Not. Allerdings besaßen sie Replikatoren und zudem passable Beziehungen zu anderen Welten. Es gab keinerlei Grund, weshalb dies auf der Erde hätte geschehen können.

"Sie unterhielten doch Beziehungen zu anderen Völkern", fuhr sie fort. "Konnten Sie von ihnen keine Unterstützung..?"

Khladin schüttelte den Kopf. "Diese Beziehungen, wie Sie sie nennen, basierten auf Konkurrenzkampf und Disputen", sagte er. "Die meisten Kontakte hatten wir mit den Kazon, und Sie werden nachempfinden können, daß diese Kreaturen nicht gerade hilfsbereit sind. Nein, wir hätten ihnen unseren Planeten in die Hände gespielt. Die einzige Hilfe hätte von den Talaxianern kommen können, sie wären auch dazu bereit gewesen - sie hatten verständlicherweise jedoch nicht die Mittel, einen ganzen Planeten zu versorgen, vor allem nicht auf längere Zeit. Nein, das Problem lag in unserer eigenen Kultur begraben und niemand konnte leugnen, daß die einzige Rettung darin bestand, es auszugraben und zu ändern. Das mußte schließlich sogar der eifrigste Wissenschaftler zugeben. Was nützte ihnen eine Flotte von Raumschiffen, wenn ihnen der Magen knurrte? Mit der Zeit ging es einfacher, als Sie denken."

"Aber wieso haben Sie alles aus diesem neuen Leben vernichtet?" fragte Houston von hinten. "Sie hätten doch nur dafür sorgen müssen, daß die Landwirtschaft gefördert wird und sich wieder mehr Leute darum kümmern. Sie sagten doch, daß der Boden nur im Norden geeignet sei; warum stellten dann die dort ansässigen Personen nicht wieder auf Agrarwirtschaft um und der Süden blieb industriell?"

"Das ist doch ganz einfach, Samuel", antwortete Brixton neben ihm. "Die Leute aus dem Norden hätten sich wahrscheinlich benachteiligt gefühlt, wenn im Süden das moderne Leben stattfand und sie auf den Feldern arbeiten mußten. Aber eines wundert mich, Khladin: Hätte diese Schwierigkeit nicht mit Ihrem derzeitigen Austauschprogramm bezwungen werden können?"

"Möglicherweise", räumte Khladin ein. "Aber wir hielten es für besser, alles Moderne zu eliminieren. Es sollte nichts zurückbleiben, das noch einmal einen solch verhängnisvollen Fehler heraufbeschwören könnte. Wir hatten einfach eingesehen, daß der Einsatz von Technik unser Leben zerstört hatte. Also brachen wir alle Weltraumuntersuchungen ab, und nach einer Weile verschwanden auch die Firmen und Fabriken."

"Was geschah mit den Schiffen und Flugzeugen, von denen Sie sprachen?" erkundigte sich Brixton. "Existieren sie noch?"

"Soweit ich weiß nicht." Der Talaremer verlangsamte einen Moment, als der Wagen durch ein weiteres Schlagloch rumpelte. "Es heißt, daß alle Flugkörper vor über sechzig Jahren zerstört oder auseinander genommen wurden. Seitdem wurden keine neuen mehr gebaut."

"Und doch haben Sie Ihr Wissen erhalten", sagte Janeway langsam. "Sie haben alle Technologie aus Ihrem Leben verbannt, sagten Sie - und doch bauen Sie Antriebe und beschäftigen einen Großteil Ihrer männlichen Bevölkerung in dieser Industrie. Wie paßt das zu Ihrer Einstellung?"

Sie ist in ihrem Element, dacht Chakotay, während er sie von hinten beobachtete. Da kommt die Starfleet-Offizierin in ihr zutage. Kann sie ohne diese Captain Janeway in ihrem Inneren überhaupt existieren? Hätte sie ohne sie auf New Earth leben können, ohne daß ihr etwas Substantielles gefehlt hätte?

"Sie sprechen, als würden Sie sich nicht zum ersten Mal mit so etwas beschäftigen", sagte Khladin und warf ihr einen amüsierten Seitenblick zu. "Sie haben natürlich recht, es paßt nicht dazu. Aber wie ich schon sagte, die Landwirtschaft alleine kann die große Bevölkerung nicht mehr in dem Maße versorgen wie sie es vor der Wissenschaftsrevolution konnte. Es leben mittlerweile einfach zu viele Menschen auf diesem Planeten. Wir benötigen die Hilfe von Außenweltlern wie Ihnen. Zum anderen hat der Handel uns die Möglichkeit gegeben, unsere Beziehungen zu anderen raumfahrenden Völkern zu verbessern. Nachdem wir wieder zum traditionellen Leben zurückgekehrt waren, gingen auch die Konkurrenzkämpfe um Territorien und Untersuchungsmissionen mit den Kazon zugrunde. Sie wußten von der Stärke unserer Antriebe und erkundigten sich, ob wir ihnen diese Technologie nicht überlassen könnten, jetzt, nachdem wir uns aus dem Wettstreit ausgeschlossen hatten. Wir dachten eine Strecke weiter und stellten die Antriebe allen zur Verfügung, die sie haben wollten. So wird das Mächtegleichgewicht in diesem Bereich des Quadranten nicht gestört und wir unterhalten dennoch gute Beziehungen zu unseren potentiellen Kunden."

Das klingt so kindlich naiv, erregte sich Brixton. Wie kann es gute Beziehungen geben, wenn die Kazon Technologie besitzen und die Talaremer nur vernachlässigbare? Warum nur greifen die Kazon nicht an? Nach Khladins Aussage zu urteilen gibt es keine Defensivsysteme auf diesem Planeten.

"Die Kazon sind also von Ihnen abhängig", führte Houston seinen Gedanken fort.

Khladin nickte. "Aber wir sind von ihnen ebenso abhängig. Alle Beteiligten wissen das, daher bleibt die Situation im Gleichgewicht."

Brixton lag die Frage nach den Defensivsystemen auf der Zunge, dennoch schluckte sie sie herunter. Khladin schien wie Janeway jetzt das Thema für beendet zu halten und sie wollte die Diskussion nicht noch unnötig verlängern. Außerdem wirkte der Commander neben ihr, als habe er genug gehört. Er starrte mit undurchdringlicher Miene aus dem Fenster und schien mit seinen Gedanken meilenweit entfernt zu sein.

Die Wiese war naß und unzählige Tautropfen funkelten in der aufgehenden Sonne. Wie ein oranger Ball war sie hinter den Baumwipfeln aufgestiegen und hatte die Lichtung in warmes Licht getaucht. Die Luft roch klar und frisch und ein wenig nach feuchtem Holz. Er war stehengeblieben und hatte das Gesicht mit geschlossenen Augen in die Sonne gereckt.

"Hör mal", sagte er und spürte, daß sie hinter ihm verharrte und ebenfalls lauschte. Zuerst hörte sie nichts anderes als ihren etwas beschleunigten Atem und das Knacken der Äste unter ihren Stiefeln. Langsam kehrte Stille ein. Und dann vernahm auch sie es. Ein leises, stetiges Tropfen, überall um sie herum. Sie öffnete die Augen einen Spalt und beobachtete fasziniert, wie winzige Wassertropfen von den Blättern der Bäume perlten und auf die Sträucher im Unterholz tropften. Plitsch - platsch - es klang wie eine der Meditationen, die sie manchmal gehört hatte, spät abends im Bett, wenn sie sich der Einsamkeit und Leere ihres Quartiers bewußt geworden war und ihre Gedanken Mark suchten.

Sie streckte ihre Arme aus und fühlte, wie ein Kribbeln durch sie rann, als ihre Haut mit dem feinen Regen in Berührung kam. Das Gefühl von Freude, das aus ihr heraus quellen würde, wenn sie sich jetzt rührte. Es sprudelte und wirbelte in ihr herum, suchte irgendeinen Ausgang, es wuchs und kitzelte sie, brachte sie zum Lachen. Ein leiser Laut entfuhr ihr, ungewollt, doch das Ventil war da. Das Lachen sprudelte aus ihr hervor, bis sie atemlos nach Luft schnappte.

Chakotay hatte sich umgedreht und verblüfft darauf gewartet, daß sie sich wieder fing. Sie hob entschuldigend die Hände. "Es tut mir leid, jetzt ist der ganze Zauber zerstört. Aber ich konnte plötzlich nicht anders." Ihre Arme waren naß, sie wischte sie achtlos an ihrem Hemd ab. Jetzt, mir der rötlichen Sonne im Gesicht, fühlte sie sich freier als jemals zuvor. Ihre Brust hob und senkte sich, ohne daß ein Gewicht auf ihr lastete. Mehrere Male sog sie tief die Luft ein, spürte, wie sich ihre Lunge ausdehnte und ihr Kopf frei wurde.

Auf dem Gesicht des Indianers wuchs ein schmales Lächeln.

"Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müßtest", sagte er ruhig. "Es ist wundervoll, nicht wahr? Ich hatte vergessen, wie schön es sein kann, wie deutlich die Natur sprechen kann, wenn man ihr nur zuhört."

Sie hob überrascht eine Augenbraue. Sie hatte niemals erwartet, dergleichen von ihrem Ersten Offizier zu hören. Aber er war all seiner Vergangenheit zum Trotz Indianer, und es war allgemein bekannt, daß für diese Menschen die Verbindung zur Natur das Wichtigste im Leben war. Chakotay hatte mehrere Jahre lang diese Instinkte unterdrückt oder verleugnet - es schien nur natürlich, daß er sie jetzt, da aus seiner Vergangenheit nichts mehr existierte, wieder akzeptieren wollte. Dennoch klang es befremdlich, wenn er so redete, es machte sie unsicher und verschaffte ihr Eindruck, daß sie den Halt zu Chakotay langsam, aber sicher verlor. All seine vertrauten Wesenszüge verschwanden, nein, veränderten sich. Er war immer noch derselbe Mann, der einmal den Rang eines Commanders getragen hatte, trotzdem hatte er sich verändert; sie konnte es nicht genau benennen... er war ihr fremd und gleichzeitig waren ihr seine Gefühle und Gedanken näher als je zuvor. Wo sie auf dem Schiff Schwierigkeiten gehabt hatte, hinter seine Mauer aus Beherrschung und Ruhe zu blicken, las sie ihn jetzt wie ein offenes Buch. Vielleicht war das die Veränderung. Er hatte sich ihr geöffnet, nachdem er mit allem abgeschlossen hatte, womit er jahrelang gekämpft hatte.

Er hatte sich angepaßt - doch was genau erwartete er von ihr?

Ihre Haut kribbelte, als der Feuchtigkeitsfilm zu verdunsten begann. Sie räusperte sich und ging mit festem Schritt an Chakotay vorbei.

"Ich denke, wir sollten unseren Weg fortsetzen, meinen Sie nicht auch?"

Am Abend wußten sie beide nicht mehr, wer den See zuerst entdeckt hatte.

"Ich war diejenige, die voranging, es gab für dich keine Möglichkeit, ihn zuerst zu sehen", erklärte Kathryn, während sie nach ihrer Bürste griff und begann, die Flechten und Blätter, die sich in ihrem Haar festgesetzt hatten, zu entfernen. Chakotay ließ ein kurzes Lachen hören und verschwand in seinem Zimmer. Kathryn hörte wie er sein Hemd auszog. Für einen Augenblick klang seine Stimme dumpf durch den Stoff hindurch.

"Ich sah ihn zwischen den Bäumen hindurch. Außerdem konnte man ihn schon einige Minute zuvor hören."

Kathryn drohte ihm mit der Bürste. "Ich neige dazu, diese indianische Mystik von dir nicht mehr ernst zu nehmen", entgegnete sie, "die Dinge verändern sich immer so zu deinen Gunsten durch sie. Außerdem ist sie nicht nachweisbar."

"Also unzumutbar für eine Wissenschaftlerin." Lachte er jetzt? Manchmal empfand sie es als sehr schwierig, zu erkennen, wann er sich über sie lustig machte und wann seine Äußerungen nur ein versteckter Hinweis darauf sein sollten, wie sehr sie immer noch an ihrem früheren Leben hing. Sie zog die erste Möglichkeit vor, sie machte ihr weniger Kopfzerbrechen.

"Dieses indianische Erbe funktioniert jedenfalls nicht so einwandfrei, wie du immer behauptest", fuhr sie unbeeindruckt fort, "sonst hättest du diesen Weiher schon vor Wochen entdeckt. Du wanderst doch seit unserer Ankunft ständig in den Wäldern herum."

"Aber nie in dieser Richtung. Ich hatte mich auf die Gebiete im Norden beschränkt, dort erschien mir das Holz besser. Außerdem scheint unser kleiner Freund den Norden zu bevorzugen."

Sie hatte ihn überreden können, daß es nur von Vorteil für sie sein konnte, den Primaten näher zu untersuchen. Er schien immun zu sein gegen die Insekten, die besonders in den frühen Abendstunden die Luft bevölkerten, es war also nicht abwegig, daß sie die Gründe für diese Immunisierung in seinem Immunsystem finden und für ein Heilmittel verwenden konnte. Nach dem Plasmasturm, der den Großteil ihrer wissenschaftlichen Ausrüstung zerstört hatte, war nur noch diese eine Chance geblieben. Und wenn sie den Trikorder bis zur Unkenntlichkeit umfunktionieren mußte, um ihre Forschung weiter betreiben zu können, es war die einzige Chance, die sie noch hatte, um ihre Uniform davor zu bewahren, für immer in einer Kiste zu verschwinden. Chakotay mußte einfach verstehen, daß sie die vergangenen zwanzig Jahre nicht einfach über Bord werfen konnte. Im Gegensatz zu ihm gab es in ihrer Vergangenheit nämlich vieles, was ihr wichtig war - Captain der Voyager zu sein stellte einen Aspekt ihrer Persönlichkeit dar, es beinhaltete die Struktur dessen, was sie über so viele Jahre hinweg in mühsamer Arbeit geformt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Kathryn ohne Captain Janeway auskommen sollte.

Lieutenant Tom Paris betrachtete die Anzeigen auf seiner Konsole und berührte dann seinen Kommunikator. "Paris an Maschinenraum, wie weit sind Sie, B’Elanna?"

"Beinahe fertig, wir justieren nur noch die inneren Sensoren."

Zehn Ebenen unterhalb der Brücke richtete sich Lieutenant Torres auf und klatschte in die Hände.

"In Ordnung, Leute, jetzt geht’s zur Sache. Das Wichtigste wird sein, die Plasmatemperatur und den Energiefluß zu überwachen. Keiton, Sie kontrollieren das Warpfeld. Achten Sie darauf, daß der Energieoutput innerhalb von 0,12% Abweichung von den Toleranzwerten bleibt. Ein höherer Wert könnte einen Kaskadeneffekt im Warpkern verursachen und dem Plasmastrom entgegen wirken. Soweit ich informiert bin ist das Aragphma stärker anfällig für diese Art von Problem als der Warpantrieb. Wenn Sie eine Erhöhung feststellen, übergehen Sie die Brückenkontrolle und schalten den Antrieb sofort ab. Fähnrich Brooks, Sie behalten den Zustand der Kristalle im Auge. Melden Sie mir auch nur das winzigste Anzeichen von Zerfall oder Destabilität. Lieutenant Carey, Sie bleiben bei mir."

Ihr Team löste sich auf. B’Elanna atmete tief ein und schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Sie nahm hinter ihrer Konsole Platz und nahm wahr, daß sich Carey neben sie setzte. Auf einem kleinen Monitor rief sie die vierte Simulation auf und verglich die Angaben mit ihren eigenen Berechnungen. Ihre Finger huschten über die Tasten.

"Okay", murmelte sie und öffnete einen Komkanal. "Brücke, hier Torres. Wir sind hier unten soweit fertig."

"Verstanden."

Paris vergewisserte sich mit einem Blick zu Kim und Garrett, daß er die Aufmerksamkeit aller hatte. Die runden Formen Fiona McPhersons übersah er geflissentlich.

"Kurs gesetzt in Richtung 331.248", sagte er laut. "Wir gehen zuerst auf Impuls."

"Verstanden, Lieutenant, wir aktivieren die Impulstriebwerke", schallte B’Elannas Stimme durch den Kommunikationskanal.

Die Voyager rotierte schwerelos um die eigene Achse und schwenkte aus der Umlaufbahn aus. Der Planet auf dem Bildschirm glitt zur Seite und machte dem tiefen Schwarz des Weltraums, durchdrungen vom Licht von Myriaden entfernter Sonnen Platz.

"In Ordnung", fuhr Paris konzentriert vor. "B’Elanna, alles klar hier. Wenn Sie bereit sind, aktivieren Sie den Warpantrieb. Garrett, checken Sie die Schiffssysteme, Harry, ich will ein einwandfreies Sensorenbild haben."

Torres tauschte im Maschinenraum einen Blick mit Carey. Er überprüfte seine Anzeigen und nickte.

"Aktiviere Warpantrieb - jetzt!" Nahezu alle Augenpaare starrten auf den Warpkern, in dem das schillernde Plasma langsam zu zirkulieren begann. Der Boden unter ihren Füßen begann fast unmerklich zu vibrieren, ein leises Dröhnen begann, das zu einem gleichmäßigen dumpfen Ton anschwoll. Den Ingenieuren war es Musik in ihren Ohren. B’Elanna horchte. Sie hatte schon so viel mit Antrieben zu tun gehabt, daß sie der Überzeugung war, hören zu können, wenn etwas nicht stimmte. Sie hörte jetzt allerdings nichts, das sie hätte beunruhigen können.

"Warpantrieb steht bereit, Lieutenant", meldete sie.

Paris zuckte die Achseln. "Warp eins, Mr. Paris", befahl er und wußte, daß er damit Harrys Anspannung lockerte. Wäre Tuvok an Bord gewesen, hätte er vermutlich eine seiner buschigen Augenbrauen gehoben und ihm einen vorwurfsvollen Blick zugeworfen. Paris’ Ansicht nach verstand der Vulkanier einfach zu wenig Spaß - im Grunde genommen verstand er überhaupt keinen Spaß. Und je länger die Reise dauerte, desto kleiner wurde seine Hoffnung, dem dunkelhäutigen Mann jemals den Hauch einer Emotion entlocken zu können. Wenn er ehrlich war, wollte er es eigentlich auch nicht. Tuvok lächeln zu sehen, das war etwas, was sich Paris nicht einmal vorstellen wollte. Es wäre vermutlich ähnlich dem Augenblick, in dem Fiona McPherson ihn ahnungslos in der Küche überrascht hatte, etwas, das er ihr niemals zugetraut hatte. Und Paris war sich sicher, daß sich dieser Augenblick nicht noch einmal wiederholen würde. Nicht, wenn er es verhindern konnte.

Durch die Sohlen seiner Stiefel spürte er ebenfalls die Vibrationen des Antriebs. Das Schiff schien einen Moment auf der Stelle zu verharren, beschleunigte dann mit einem Ruck, der allerdings auf der Brücke nur unmerklich zu spüren war. Paris wurde es wieder einmal bewußt, daß er ohne die Erfindung der Trägheitsdämpfer jetzt nicht dort sitzen würde, wo er saß - am Steuerpult nämlich - und die Daten beobachten konnte, die ihm erklärten, daß sich das Schiff in einem ruhigen Warpflug befand, er würde vermutlich nur noch ein schwarz-roter Fleck an der Wand sein. Ein Gedanke, der ihn nicht unbedingt reizte. Auf dem Bildschirm rasten die Sterne vorbei und zogen leuchtende Lichtschweife hinter sich her. Alles nur Illusionen, dachte Paris und überlegte, wieviel von dem, was er auf dem Bildschirm sah, mit der Realität übereinstimmte. Je mehr er über Technik lernte, desto mehr verloren die Bilder, die der flache Schirm zeigte, ihre Faszination. Auf einem Raumschiff lösten sich Illusionen auf wie Butter in einer heißen Pfanne. Und wer etwas dagegen unternehmen wollte, verbrannte sich die Finger. Eine Tatsache, die man akzeptieren mußte.

"Wir sind nur auf Warp eins und alles scheint stabil zu sein", unterbrach ihn B’Elannas etwas ungeduldige Stimme. "Ich schlage vor, wir gehen hinauf bis Warp sechs und sehen nach, wie die Kristalle mit dem Temperaturanstieg fertig werden." Sie klang befriedigt.

"Ihr Wunsch ist mir Befehl", antwortete Paris und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Es war kein schlechtes Gefühl, für einen Tag einmal die Person auf dem Schiff zu sein, die die Berichte in Empfang nahm und die Befehle erteilte. Wenn er ehrlich war, könnte er sich sogar daran gewöhnen...

Nach gut einer Stunde Fahrt hatten sie die Felder hinter sich gelassen. Das Land war hügeliger geworden, zuerst nur sanft ansteigend, dann immer bergiger. Sie fuhren nicht mehr durch flaches, ausgestrecktes Land, über das man kilometerweit hinweg sehen konnte bis zum Horizont. Der Weg, inzwischen wieder breiter und geteert, gekennzeichnet von deutlichen Reifenspuren, die - wie ihnen Khladin bereitwillig erklärte - von den Lastern stammten, die das geförderte Aragphma abtransportierten, wand sich durch eine schmale Talschneise. Zu beiden Seiten erhoben sich die Berge: schroff und felsig, nur ab und an entdeckte Janeway einige blaßgrüne Grasnarben.

"Es ist erstaunlich, wie übergangslos sich die Landschaft zu verändern scheint", sagte sie zu Khladin gewandt, der den Wagen geschickt durch die kurvenreiche Strecke lenkte. "Zuvor waren wir in der Ebene, mitten zwischen Feldern und der Weite des Landes, und jetzt wirkt es, als seien wir im Hochgebirge."

Der Talaremer lachte - er lachte übrigens oft, wie Janeway feststellte. Zu oft, nach Chakotays Geschmack.

"Sie werden es nicht glauben, Captain, aber dort, hinter dieser Bergkette, befindet sich der Ozean, der den südlichen vom nördlichen Kontinent trennte."

"Sie meinen, dort drüben?" Janeway deutete auf eine Bergkette, die nicht ganz so hoch und unbezwinglich schien wie die anderen sie umgebenden Berge. Ihr Gesichtsausdruck sprach Bände. "Wie ist es möglich, daß so unmittelbar neben dem Meer Berge dieser Größenordnung existieren können? Gibt es überhaupt einen Landstreifen zwischen Wasser und Fels?"

"Ja, aber einen äußerst schmalen. Selbstverständlich kein Strand zum Baden, die Felsen setzen sich auch unterhalb der Wasseroberfläche fort. Wenn Sie ein Bad nehmen wollen, müssen Sie sich ein ganzes Stück in Richtung Osten bewegen. Dieses Gebiet dort wird nicht mehr zum Abbau genutzt."

"Sie fördern das Aragphma in diesen Bergen?" erkundigte sich Brixton von hinten. Sie hatte sich vorgebeugt und blickte über Janeways Schulter durch die Windschutzscheibe.

"Ja. Diese spezielle Bergkette ist besonders ideal, da sich die Kristallvorkommen nur etwa hundert Meter unterhalb des Meeresbodens befinden. Die Tunneleingänge befinden sich dort, auf Höhe der langen Grasnarbe dort, sehen Sie?" Sein Arm deutete auf einen Bereich im unteren Teil der Berge, zu dem sich die Straße wie ein schillerndes silbernes Band in der Sonne hinauf schlängelte. Der Weg stieg immer steiler an und Khladin streckte die Hand aus, um die Energiezufuhr des Wagens zu erhöhen. Sie kamen den Eingängen immer näher.

Khladin hatte den Laster einige Meter unterhalb des vordersten Eingangs abgestellt.

"Hier herrscht ein ständiger Fahrverkehr", erklärte er, während der Motor langsam erstarb. "Es ist besser, wir behindern ihn nicht, indem wir uns dort hinstellen, wo wir im Weg sein könnten."

Sie verließen das Fahrzeug und stiegen die letzten Meter zu Fuß hinauf. Es war merklich kühler als in den aufgeheizten Ebenen der Städte, ein leichter Wind wehte, seine Feuchtigkeit brachte Janeway zum Niesen. Sie kontrollierte, daß Trikorder und Phaser ordnungsgemäß an ihrem Gürtel befestigt waren und schloß sich ihrer Gruppe an.

Es dauerte nur einige Minuten, bis sie die Eingänge erreichten. Schon von weitem hatte man sie ausmachen können, schwarze Höhlen, die wir falsch plazierte, mit dem Hammer herausgeschlagene Löcher in einer graugrünen Felswand wirkten. Jetzt, aus der Nähe, erkannte Janeway erst ihre ungeheure Größe. Alle vier Eingänge hatten die gleiche runde Form und schienen auch hinsichtlich ihrer Proportionen identisch. Sie waren an die zehn Meter hoch und so breit, daß gut und gern zwei Laster nebeneinander hindurch paßten. Sie berührte den Fels und öffnete ihren Trikorder. Der Stein war kühl und glatt und wirkte wie jeder normale Fels. Die sensitiven Scanner des Trikorders besagten jedoch eindeutig, daß selbst hier, and der Oberfläche, geringe Spuren von Aragphma vorhanden waren.

Am Eingang angekommen blieb Khladin stehen und wartete, bis auch Chakotay und Brixton, die den Schluß der Gruppe bildeten, heran gekommen waren. Sie standen nun direkt unterhalb des gewaltigen Tores, das sich wie ein offener Schlund vor ihnen auftat. Doch statt der erwarteten Schwärze im Inneren des Berges strahlte Janeway warmes Licht entgegen. Statt in einen Tunnel blickte sie in eine geräumige Höhle, an deren steinernen Wänden entlang sich erleuchtete Röhren zogen, durch die der gesamte Raum in Licht getaucht wurde. Mindestens sieben Laster standen aufgereiht nebeneinander, eine Gruppe Männer stand in einer Ecke über einen großen Tisch gebeugt, auf dem mehrere Geräte aufgebaut waren. Sie trugen lange, weite Hosen aus dunklem Stoff, weite, beinahe knielange Jacken und Helme auf den Köpfen. An ihren Oberarmen waren große, runde Lampen befestigt und an den breiten Gürteln hingen mehrere Gegenstände, die klackende Geräusche erzeugten, wenn die Männer aneinander stießen. Ein leises Summen erfüllte den Raum.

Khladin bedeutete ihnen, zu warten, und näherte sich den Männern. Er sprach leise einige Worte mit ihnen, nahm einige Gegenstände vom Tisch und ging zurück, wobei er einige Worte über die Schulter zurückrief, die wohl scherzhaft gemeint waren, da die Männer sich umdrehten und grölend lachten. Unheimlich wurde das Gelächter von den Felswänden zurückgeworfen.

Khladin legte die Gegenstände vor sich auf den Boden und verteilte sie.

"Was ist das?" wollte Janeway wissen und betrachtete die Ansammlung neugierig.

"Schutzgeräte für die Ohren, feste Jacken und ein Verzeichnis der Gruben. Wir können natürlich nur die Stollen besichtigen, in denen gerade nicht gearbeitet wird." Als er Janeways enttäuschten Blick sah, hob er entschuldigend die Achseln. "Vorschrift ist Vorschrift, Captain. Ich verstoße schon gegen einige, indem ich sie überhaupt hierher bringe. Jedenfalls behaupten das die Beauftragten", murmelte er zu sich selbst. "Ich hätte schon viel früher derartige Dinge geändert, wenn ich dazu in der Lage wäre."

"Schutzgeräte für die Ohren?" wiederholte Chakotay, während er in eine der Jacken schlüpfte und die langsam Schnürstreifen um sich herum band, um sie zu schließen. Er konnte von Glück sagen, daß die meisten Talaremer von großem Wuchs und in dieser Hinsicht nicht mit dem Talaxianern verwandt waren. In Neelix’ Jacken hätte er vermutlich nicht ohne weiteres gepaßt. Janeway hingegen runzelte die Stirn. In ihre Jacke hätte gut und gern jemand von doppelter Breite gepaßt, sie mußte sie beinahe zweimal um sich winden, um sie ordentlich schließen zu können. Als ihr Blick den Ersten Offizier streifte, bemerkte sie, daß er sie seltsam ansah. Seine Mundwinkel zuckten. Sie schnitt ihm eine Grimasse und bemühte sich, verärgert auszusehen.

"Du siehst aus wie ein nasser Hund", prustete sie und lief die Uferböschung hinab zum Wasserrand. Sie spürte Gras an ihren nackten Beinen und die weiche Erde unter den Füßen, auf der jeder Schritt federte. Sonne schien auf die Wasseroberfläche und blendete sie in unzähligen kleinen Lichtpunkten. Sie überschattete ihre Augen mit einer Hand und streckte ihm lachend die andere entgegen.

"Du sagtest, du wolltest einen Überträger haben und ich dachte, ich könnte einen für dich fangen." Hemd und Hose klebten ihm am Körper, das Wasser lief ihm übers Gesicht und den Hals hinab, und die sonst so sorgfältig hochgekämmten schwarzen Haare fielen ihm in die Stirn. Er stapfte durch das Wasser ins Seichte zurück und von dort aus ans Ufer. Ungerührt zog er sein Hemd über den Kopf und wrang es aus.

"Ich habe nicht gesagt, daß du dir eine Fliege fangen sollst, die mitten über dem See ihre Kreise zieht", widersprach sie. "Selbst wenn du auf einem Ast sitzt, der nur einen Meter von diesem Tierchen entfernt endet."

Chakotay zuckte die Achseln. "Ich sah die Möglichkeit und packte sie beim Kragen."

"Und dich gleich dazu", ergänzte sie. "Laß uns zum Haus zurückgehen und dich trocken kriegen. Nur weil die Atmosphäre uns vor dem Virus schützt, bedeutet das nicht, daß sie gegen Erkältungen immun macht."

"Es auszuprobieren wäre eine Gelegenheit, neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu sammeln", wandte er ein und folgte ihr. "Ich finde, wir sollten noch ein wenig hierbleiben und schwimmen. Wo ich sowieso schon naß bin."

"Sie haben richtig verstanden, Commander, diese Schutzvorrichtung ist äußerst wichtig. Die Maschinen, die wir benutzen, um das Aragphma freizuschlagen, arbeiten mit hohen Schallfrequenzen, um die Felswände zu zersprengen. Sie sind für unsere Ohren absolut schädigend."

"Wie schaffen Sie es, daß diese Schallfrequenzen genau die Stellen treffen, die gesprengt werden sollen?" erkundigte sich Houston, während er seine Jacke zuband und eine der Schutzvorrichtungen aufhob, um sie näher zu betrachten. Sie sahen für ihn nicht anders aus als dicke, gepolsterte Kopfhörer.

"Wir haben ein System entwickelt, durch das die Schallwellen exakt auf die zu sprengende Wand gerichtet werden. Ich glaube jedoch, es wäre zu kompliziert und zu langwierig, das Verfahren jetzt zu erklären."

"Arroganter Kerl", flüsterte Houston Lieutenant Brixton zu, die sich neben ihm fertig machte. "Der glaubt wohl, sein Volk hat die Prinzipien moderner Technik gepachtet."

Brixton erwiderte nichts, sie legte ihrem Freund nur beruhigend die Hand auf den Arm. Houston geriet manchmal schnell aus der Fassung, besonders dann, wenn er eine Ungerechtigkeit witterte. Sie fand jedoch, daß es weder der Ort noch die Zeit war, dem talaremischen Führer gegenüber ausfällig zu werden. Khladin mochte arrogant und ein wenig zu selbstsicher sein, doch er hatte im Grunde genommen recht: Sein Volk hatte mit Technik zu tun, von der sie selbst nur träumen konnte. Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine solch präzise Energiequelle wie das Aragphma gesehen, und die Talaremer hatten gewußt, wie sie damit umzugehen hatten und sie nutzen konnten. Sie war sich sicher, daß Houston sich dieser Tatsache bewußt war, jedoch etwas schroff auf das resultierende Verhalten des Repräsentanten reagierte.

Khladin war aufgestanden, reichte Lampen von der Art herum, wie die übrigen Bergarbeiter sie an ihren Oberarmen trugen, und nahm als letztes das elektronische Verzeichnis der Stollen in die Hand.

"Sind alle bereit? Dann schlage ich vor, verschwenden wir keine Zeit, sondern machen wir uns auf den Weg. Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Captain..."

Er ging voraus und verließ die Höhle, um einige Meter weiter vor einer Tür stehen zu bleiben.

"Wir werden jetzt in einen Aufzug steigen und etwa sechzig Meter in die Tiefe fahren. Dort werden Sie einen alten Stollen besichtigen können, der vor mehr als hundert Jahren von unseren Vorfahren als Förderungsgrube benutzt wurde. Zur damaligen Zeit befanden sich die Kristallvorkommen noch deutlich in den höheren Felsschichten - in dieser Tiefe ist allerdings so gut wie alles Aragphma abgebaut, Sie wissen ja, damals wurden viele Schiffe gebaut, also bedeutend viele Antriebe..." Er drückte einen Knopf, auf dessen Berührung hin sich die Tür des Aufzugs öffnete. Die Offiziere stiegen ein und die gewaltige Tür schloß sich wieder. Der viereckige Kasten sank schweigend in die schwarze Tiefe des Felsens ab.

Der Gang, den sie seit gut fünf Minuten entlang wanderten, war schmaler und niedriger als die vorhergehenden. Chakotay und Khladin mußten beinahe unentwegt in gebückter Haltung laufen, während es Janeway gerade angenehm fand. Sie nahm nur mit einem Ohr war, daß Khladin über den in den Ohrenschützern eingebauten Kommunikator Brixton etwas über den Stollen erzählte, den sie als nächstes besichtigen würden und der verhältnismäßig tiefer als die übrigen lag - einer der Abbauplätze, an dem bis vor einem halben Jahr noch Aragphma gefördert worden war. Ihre Gedanken beschäftigten sich immer noch mit dem, was sie Minuten zuvor betrachtet hatte.

Sie hätte sich nie träumen lassen, wie wunderbar der Aragphmakristall in seiner Urform aussah. Die Höhle, die sie besichtigt hatten, war nicht groß gewesen, etwa dem vierfachen Umfang der Brücke der Voyager entsprechend. Die Wände waren mit sichtlich angebrachten Lampen angeleuchtet worden, nur schwach, doch es genügte, die Spuren des Aragphmas sichtbar zu machen. In violett-silbrigen Farbtönen schimmerte es von allen Seiten her, aus Spalten und Ritzen, aus dem Gestein selbst, aus dem Boden und in ausgehöhlten Nischen. Winzige Kristallpunkte, die durch die Lichtquelle zum Strahlen aktiviert wurden. Es war ein phantastisches Schauspiel gewesen. Und Khladin hatte hinzugefügt, je jünger die Stollen wurden, desto intensiver das Farbspiel des Kristalls auf den Betrachter wirkte. Sie fieberte nun so sehr dem nächsten Schauplatz entgegen, daß sie kaum wahrnahm, daß der Stollen immer breiter wurde.

"Wir sind gleich da", tönte Khladins Baßstimme durch den Kommunikationskanal.

Und dann geschah plötzlich etwas. Janeway konnte sich im Nachhinein nicht mehr erinnern, was genau geschehen war, alles passierte praktisch zur gleichen Zeit. Ein grollendes Geräusch dröhnte durch ihre Ohrenschützer, der Fels unter ihren Füßen wurde lebendig, bewegte sich wie ein wogendes Meer, sie versuchte verzweifelt, die Kontrolle über ihr Gleichgewicht nicht zu verlieren, schwankte und schlug bei der nächsten Erdbewegung gegen die Felswand. Neben ihr gingen Houston und Chakotay zu Boden, die Lichter an den Wänden flackerten und erloschen. In ihrem Kopf wurde es finster.

Kathryn saß mit angezogenen Beinen auf den Stufen der Veranda und lehnte sich gegen einen der schmalen Pfeiler. Es war warm, es roch nach trockenem Gras und rissiger Erde und der Luft schien der schwache Geruch von Kaffee anzuhaften. Sie hatte den Kopf weit in den Nacken gelegt, bis sie hinauf in den Himmel sehen konnte, der an diesem warmen Frühlingstag keine Wolken aufwies. Einige Vögel, die sich hell davor abhoben, segelten durch ihr Blickfeld, tauchten auf und verschwanden wieder. Bis auf das leise knarzende Holz der Veranda und das entfernte Pfeifen und Geschirrklappern aus dem Inneren des Hauses war es still. Stille! Kathryn seufzte und senkte ihren Blick auf die mächtigen Bäume, die den Blick auf die Felder, die sich hinter dem Anwesen erstreckten, verdeckten. Mit jedem Mal, das sie nach einer Mission nach Hause zurückkehrte, zurück in die Weite Indianas, zurück in das kleine Haus inmitten von Feldern und Wiesen, wurde ihr die Stille deutlicher bewußt. Sie war das erste, was Kathryn vernahm, wenn sie morgens ihr Fenster öffnete und die kühle, noch ein wenig feuchte Luft in ihre Lungen sog, und sie war das letzte, woran Kathryn sich erinnerte, wenn sie an Bord eines Raumschiffs die Augen schloß und sich bemühte, die Anstrengungen des Tages für eine kurze Nacht aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Stille, das war einer der Aspekte, die sie mit Indiana und ihrem Zuhauser verband. Es gab unzählige andere: Das Lachen ihrer Mutter und die heftige Umarmung, wenn sie mit ihrer Tasche über der Schulter nach mehreren Monaten Abwesenheit wieder vor der Tür stand; die Lachfältchen, die Marks Augen einrahmten, und das belustigte Zwinkern, wenn er ihr erklärte, ihre Hündin habe ihn während der vergangenen Monate mindestens ein Dutzendmal an den Rand der Hoffnungslosigkeit getrieben; Zuhause, das war ihr Zimmer mit einem Fenster, das man nachts offenstehen lassen konnte, um die deutlichen Geräusche der Nacht zu hören, mit Regalen voller Bücher und einem ordentlichen Bett; Zuhause bedeutete endlose Spaziergänge mit ihrer Hündin, Zusammentreffen mit Freunden, die sie seit ihrer Jugendzeit aus den Augen verloren hatte; Zuhause war der Inbegriff von Glück und Unbeschwertheit. Und das Bedeutendste an Indiana war Mark.

Sie bemerkte nicht, daß er sich näherte, roch es erst, als ihr der wohlbekannte, angenehme Geruch von Kaffee mit neuer Intensität in die Nase stieg. Sie hob den Kopf und lächelte.

"Genau das, was ich jetzt brauchen kann. Danke." Er balancierte das Tablett vorsichtig mit einer Hand, während er sich neben sie setzte und mit geübten Händen Kaffeekanne, Tassen und allerlei Zubehör zwischen ihnen auf den Holzbohlen verteilte. Sie sah ihm zu, wie er ihre Tasse füllte, sie mit zwei Stück Zucker süßte und ihr reichte. Sie schnupperte, sog das köstliche Aroma ein, bevor sie einen probierenden Schluck nahm und ihn einen Moment im Mund behielt.

"Perfekt", erklärte sie, während Mark sie amüsiert beobachtete und dann seinen Blick wieder auf das Einschenken konzentrierte.

"Ach ja?"

"Ja", sagte sie entschieden und nahm einen zweiten Schluck. "Diesmal ist er perfekt."

"Was für ein Glück." In seiner Stimme schwang unverkennbar liebevolle Ironie mit. "Es wäre ja nicht auszudenken gewesen, was geschehen wäre, wenn Kathryn Janeway ihr Zuhause verlassen hätte, ohne auch nur eine Tasse ordentlichen Kaffee zu bekommen." Er schmunzelte und nippte selbst an seiner Tasse. Dann zuckte er die Achseln.

"Für mich schmeckt der elfte Versuch genauso wie der zehnte. Ganz schlicht und einfach Kaffee."

"Ganz schlicht und einfach Kaffee gibt es nicht", entgegnete sie, während sie sich wieder zurücklehnte und den heißen Strom von Wohlbehagen genoß, der durch ihren Körper rann. "Jede Tasse Kaffee schmeckt anders, und der, den normalerweise meine Mutter zubereitet, ist eben nicht so schlicht und einfach, daß ihn jeder auf Anhieb nachmachen kann."

Während der zwei Wochen, die Kathryns Mutter mit ihrer jüngsten Tochter Phoebe verbrachte, hatte Kathryn Mark kurzerhand im Gästezimmer des Familienhauses untergebracht. Die Vorstellung, vierzehn Tage allein mit Mark zu verbringen, morgens mit ihm aufzuwachen und abends neben ihm einzuschlafen, ganz zu schweigen von all den Plänen, die sie für die Zeit dazwischen hatte, war verlockend gewesen. Wer wußte schließlich schon, für wie lange sie sich diesmal trennen mußten. Drei Wochen, so hieß es in ihrem Auftrag, und drei Wochen würden mit Sicherheit ausreichen, um ein vermißtes Maquisschiff aufzuspüren - oder als verschollen zu melden. Dennoch, mit der Hilfe des jungen Sohn des Admiral Paris sah sie keine Schwierigkeiten. Schön, die Badlands waren ein instabiles Gebiet, das jeder verantwortungsvolle Captain mied, dennoch schienen die Terroristen keinerlei Probleme zu haben, sich darin zurecht zu finden. Und Kathryn Janeway war mit der Erfahrung aufgewachsen, daß sich niemand auf ewig verstecken konnte. Vielleicht war diese - ihre - Mission der Anstoß dafür, daß das Maquis-Problem unter eine größere Lupe geriet und in seiner Dringlichkeit auch dem Sternenflottenkommando auffallen würde. Die Terroristenvereinigung war ein dunkler Fleck, der nur zu sehr die Beziehungen zwischen Bajor, Cardassia und der Föderation gefährdete. Niemand konnte absehen, wann und wie die Cardassianer auf die andauernden Provokationen und Verletzungen des Friedensabkommens reagieren würden. Wenn sie ehrlich war, hoffte sie, es niemals erleben zu müssen.

Sie ertappte sich dabei, daß Marks Blick auf ihr ruhte. Er hatte seine Tasse abgestellt und die Arme über der Brust verschränkt. Seine vertrauten Gesichtszüge waren nur einige Zentimeter entfernt. Kathryn spürte tiefe, warme Zuneigung in sich aufsteigen.

"Was ist?" fragte sie leise, ein wenig verwirrt durch die Nachdenklichkeit in seinen Augen. Er zuckte wieder die Achseln, diesmal gelang es ihm allerdings nicht, ihr Gelassenheit vorzutäuschen.

"Ich frage mich nur, ob es immer so sein wird, Kath", sagte er. "Du kommst, du gehst... und wenn du wieder kommst, habe ich das Gefühl: Das war jetzt das letzte Mal. Ich bin ganz sicher, dieses Mal wird sie bleiben." Er schüttelte den Kopf und lächelte. "Vielleicht ist es nur dieser Ort hier", fuhr er fort, "das Haus deiner Kindheit, Frühling in Indiana, die blühenden Felder mit dem Geruch unserer Jugenderinnerungen. Vielleicht wird man hier nur zu melancholisch. Aber manchmal ist es einfach schwer zu ertragen, zu wissen, daß das alles nur einige Wochen anhält und dann vorbei ist, nur um einige Monate später wieder von neuem aufgenommen zu werden. Ich fühle mich, als würde ich zwischen Alltag und Ferien hin und her wechseln. Und mit jedem Mal werde ich abhängiger von den Ferien und es fällt mir schwerer, den Alltag zu akzeptieren."

Sie schwieg. "Ich weiß nicht, Mark", sagte sie unbestimmt. "Mir ist bewußt, daß es nicht für immer so weitergehen kann. Ich weiß nur im Moment nicht, was ich ändern kann. Es ist nicht so einfach."

"Nein, das ist es nicht", stimmte er ihr zu. "Ich denke nur, daß es an der Zeit ist, daß wir wenigstens anfangen, darüber zu sprechen." Er lächelte wieder, als er sah, daß sich ihre Stirn in Falten gezogen hatte, und öffnete die Arme. Kathryn flüchtete sich hinein, lehnte sich mit dem Rücken an seinen Oberkörper und entspannte sich, als sich seine Arme heftig um sie schlossen.

"Mir fällt einfach keine Möglichkeit ein, die in einem gemeinsamen Leben dich, mich und Starfleet auf befriedigende Weise mit einschließt", murmelte sie träge, während sie ihre nackten Beine ausstreckte und ihre Zehen spielerisch an Marks Füßen entlangstreiften. "Noch nicht. Vielleicht, daß ich später Aufträge annehmen kann, die mich nur in die benachbarten Sektoren führen, oder Kurzzeitverfügungen. So könnten wir uns zumindest öfter sehen, als es die momentane Situation erlaubt."

"Ich kenne dich, Kathryn." Marks Stimme klang rauh und dunkel. "Du bist Wissenschaftlerin, in dir steckt der Drang, zu forschen und zu entdecken. Du würdest niemals auf derartigem Missionen Zufriedenheit und Bestätigung finden. Und deiner Karriere helfen sie natürlich auch nicht gerade."

Sie wußte, daß er recht hatte., Sie mußte hinaus, weit hinaus, bis an die Grenzen dessen, was erforscht war, und wenn möglich noch weiter. Ihr Herzschlag pochte in der Frequenz des Universums. Die Sterne und die Brücke eines Raumschiffs waren ihr zweites Zuhause geworden. Es schien ihr unmöglich, dieser neuen Heimat den Rücken zu kehren. Aber würde sie mit dem Wissen leben können, die alte, diejenige, die ihren Lebensgefährten einschloß, zugunsten der neuen Heimat so zu vernachlässigen? Mark war zu ihrem Stützpfeiler geworden, sie fand uneingeschränkten Halt bei ihm und fühlte sich nirgendwo derart angenommen und verstanden. Und sie würde lügen müssen, würde sie verleugnen, daß sie sich selbst während den kurzen Weltraummissionen, die die Ausbildung auf der Ebene der Kommandostruktur verlangt hatte, nicht vollständig zufrieden und ausgefüllt gefühlt hatte. Sie war nicht vollständig ohne Mark, und er war es nicht ohne sie. Dennoch fuhren sie fort, sich weiterhin in schöner Regelmäßigkeit zu trennen. Und sie war dabei diejenige, die die Trennung aktiv durchzog. Sie war es, die fortging. Und jetzt war sie Captain des neuentwickelten Föderationsraumschiffes Voyager. Mit der Übernahme des Schiffes hatte sie sich bereits für Starfleet entschieden. Sie wußte es, und Mark wußte es. Und trotzdem durfte das nicht das Ende ihrer so lange dauernden Beziehung sein.

"Könntest du nicht einen Posten auf einem Schiff bekommen?" fragte sie ihn zum hundertsten Mal. Und zum hundertsten Mal erwiderte er: "Was um alles in der Welt sollte ein Philosophiestudent auf einem Raumschiff? Über die Tiefe des Weltraums und seine Wunder philosophieren? Nein, Kathryn, wir Denker haben den Kopf sowieso schon in den Wolken, da sollten wir wenigstens mit den Füßen auf der Erde bleiben."

Sie richtete sich auf und wandte sich zu ihm um. "In drei Wochen", sagte sie fest, "wenn ich zurück bin, dann setzen wir uns zusammen und sprechen das Ganze von vorn bis hinten durch. Ich verspreche es. Aber bitte nicht mehr heute. Ich habe nur noch ein paar Stunden, und die will ich noch genießen. Nur wir beide. Bitte, Mark."

Seine grauen Augen waren warm und tröstlich, als er mit einem Lächeln alle Anspannung von ihr nahm. Er drückte sie fest an sich.

"In Ordnung", sagte er und zwinkerte wieder, ein Zeichen, daß wirklich alles in Ordnung war. "Heute erleben wir den Tag noch so intensiv, wie wir können. Diesmal ist es ja auch viel weniger schlimm. Ich sehe dich schließlich schon in drei Wochen wieder. Dann ist immer noch genug Zeit für alles."

Kathryn legte ihre bloßen Arme über seine und lehnte sich wieder zurück. Helles Sonnenlicht schien auf ihre Beine und wärmte sie. Ein Käfer krabbelte über ihren Knöchel und von dort auf Marks Kaffeetasse. In der Ferne hörte sie das verhaltene, ratternde Geräusch einer Feldmaschine und verständliche Stimmen, die im eintönigen Zirpen der Zikaden untergingen.

Noch einige Stunden, bevor sie sich im Hauptquartier der Sternenflotte melden mußte, um die letzten Anweisungen zu erhalten. Noch wenige Stunden mit dem Mann, den sie liebte.

"Ja", sagte sie zuversichtlich. "Wir sehen uns schließlich schon in drei Wochen wieder."

In ihrem Kopf existierte nichts außer glühendem Schmerz. Er fraß sich durch ihre Nervenbahnen, stieß rücksichtslos gegen Hautgewebe und feingliedrige Gehirnzellen und hinterließ eine Bahn gleißender Schmerzwellen, wie ein Schiff, das über einen Fluß gleitet und dessen Motoren das Wasser aufwühlen, bis sich die Wellen am Ufer auslaufen. Der Vergleich humpelte, denn dieses "Auslaufen" erweckte in ihr den höllischen Eindruck einer Brandung, die jeden Versuch, einen klaren Gedanken zu fassen, zerschmetterte. Zurück blieb der Schmerz, allgegenwärtig, alles umfassend und zerstörend. Sie wußte nicht mehr, wann sie aus dem angenehmen, tiefen Dunkel erwacht war und der Kopfschmerz eingesetzt hatte, sie hatte im Kampf gegen diesen Eindringling in ihrem Gehirn jegliches Zeitgefühl verloren. Mit dem letzten bißchen Rest an Kraft, das sie noch besaß, konzentrierte sich sich darauf, dem Schmerz ihre langsam erlischende Energie entgegen zu schleudern. Doch er fuhr fort, sich seinen Weg zu bahnen, kam ihrem Bewußtsein immer näher, sie konnte spüren, wie das Blut in jeder Nervenfaser pochte, sie spürte das Brennen und Stechen nun überall, im Nacken, an der Stirn, seitlich über den Schläfen, am Hinterkopf. Nur noch einige Augenblicke und sie würde aufgeben müssen. Ihr Widerstand schrumpfte im gleichen Maße wie der Schmerz anstieg. Sie war müde, unendlich müde, und sie war es leid, zu kämpfen. Sie hatte nie darum gebeten, in diese Sache verwickelt zu werden. Alles, was sie wollte, war ein Zuhause, eine Familie, in der sie sich geborgen fühlen konnte. Sie wollte nach Hause, flüchten vor den Ängsten und Sorgen und der Kälte des Unbekannten. Sie war erschöpft, und der Schmerz drang immer tiefer in ihr Bewußtsein ein. Es gab nichts mehr, was sie tun konnte. Sie würde gleichgültig bleiben, nichts machte mehr einen Unterschied. Da war nur das Wissen, daß irgendwo hinter diesem entsetzlichen Schmerz die Stille lag, die sie seit Jahren vermißt hatte. Sie würde Mark wiedersehen und ihm sagen können, daß sie ihn niemals verlassen würde. Seine Augen zwinkerten...

Eine kühle Hand legte sich ihr in den Nacken und Kathryn bemerkte mit Verwunderung, daß sie imstande war, die Augen zu öffnen. Sie lag auf der Seite, Beine angewinkelt, mit dem Gesicht auf dem kalten Stein. Eine eigenartige Wahrnehmung fand ihren Weg durch den Schmerz bis in ihr Gehirn und sie brauchte eine Weile, bis sie überrascht erkannte, daß sie fror. Ihre Hände, ihr ganzer Körper zitterte, sogar ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander. In ihrem Kopf dominierte der dumpfe Schmerz. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wo sie war, weshalb sie auf dem Boden lag, doch die Gedankenfetzen waren zerrissen und ohne Bedeutung. Sie stöhnte und drehte langsam den Kopf. Glühendes Feuer schoß durch ihren Nacken und kollidierte mit der Kälte des Fels, doch es gelang ihr, sich halb aufzusetzen.

"Sie dürfen sich nichts bewegen, Captain." Eine helle Stimme, kaum hörbar durch den Nebel, der ihr Bewußtsein umschloß. Eine zweite Hand kam hinzu, griff nach ihrem Arm und stützte sie.

"Ich muß...mich hinsetzen", brachte Janeway heraus. Sie wartete, bis der schlimmste Schmerz verebbte, dann zwang sie sich erneut, ihren Körper unter Kontrolle zu bekommen. Einmal begonnen, ging es leichter, als sie befürchtet hatte. Die fremden Hände an ihrem Arm und im Nacken halfen mit, bis sie sich in eine sitzende Position gedreht hatte und mit dem Rücken schweratmend an einer Felswand lehnte. Zu ihrer Überraschung stellte sie fest, daß die Wand nicht kalt war wie der Boden. Sie gab eine angenehme Wärme ab, die Janeways frierender Körper mit Begeisterung aufnahm.

Mittlerweile hatte sich in dem Dunkel um sie herum etwas getan. Sie sah mehrere schwache Lichtquellen aufflackern, verschwommene Punkte, die sich festigten und wieder aus der Form glitten. Sie zwinkerte, bemühte sich, ein klares Bild zu bekommen. Ein verzerrtes Gesicht schob sich in ihr Blickfeld.

"Captain? Sind Sie okay?" Eine Frau mit ovalem Gesicht und mandelförmigen Augen, die sie besorgt anstarrten. Janeway atmete scharf ein und schluckte gegen den Würgereiz an, der sie mit einem Mal heftig überkam.

"Was ist passiert?" preßte sie heraus. Sie hörte das Geräusch von reißendem Stoff, dann wurde etwas geöffnet und wenige Sekunden später drückte ihr die Frau einen nassen Stofflappen gegen den Nacken.

"Sie haben während der Beben das Gleichgewicht verloren und sind gestürzt. Bis auf eine Kopfwunde scheinen Sie nicht weiter verletzt zu sein." Sie beugte sich prüfend über sie. "Haben Sie sonst irgendwo Schmerzen?"

Janeway fuhr sich mit der Zungenspitze über die rauhen Lippen. Sie atmete schwer.

"Nein, ich denke nicht. Wo sind wir?" Sie tastete mit der Hand nach ihrer Stirn und berührte eine feuchte Stelle. In ihrem Kopf drehte sich alles. Und dann, mit einem Mal, wurde alles klar. Die fehlende Verbindung war zugeschnappt. Sie erinnerte sich dunkel an glitzernde Sonnenpunkte auf einer bewegten Wasseroberfläche, trockenes, kurzes Gras unter ihren nackten Sohlen und das beruhigende Gemurmel einer vertrauten Stimme in der Ferne. Sie keuchte entsetzt und beugte sich vor, den Schmerz in ihrem Nacken ignorierend.

"Chakotay! Wo ist Chakotay?" Sie bemühte sich erfolglos, die schemenhaften Gestalten, die sie in dem Dämmerlicht erkennen konnte, schärfer zu sehen. Alles verschwamm zu einem grotesken Bild. Sie stöhnte auf und sank zurück gegen die Felswand.

Die Frau, die sie nun als Lieutenant Julia Brixton erkannte, drückte beruhigend ihren Arm.

"Bleiben Sie sitzen, Captain. Ich möchte mir nur rasch ihre Verletzung ansehen."

Janeway riß sich ungeduldig los. "Was ist mit Chakotay und den anderen?" Sie blinzelte heftig gegen die bunte Flecken an, die vor ihren Augen tanzten, und zog sich dann langsam, Zentimeter um Zentimeter, an der Felswand hoch. Übelkeit überflutete sie völlig unerwartet, ihr Magen krampfte sich zusammen und entkrampfte sich wieder. Sie hielt die Luft an und kämpfte gegen den Brechreiz an, sie konnte es sich nicht leisten, ihrer eigenen Schwäche nachzugeben, nicht solange sie sich nicht sicher sein konnte, daß der Rest ihres Außenteams unverletzt und außer Gefahr war. Für einige Sekunden spürte sie den sauren, ekelhaften Geschmack des Magensaftes auf der Zunge, dann schluckte sie ihn mit Abscheu wieder hinunter und wartete auf die nächste Welle der Übelkeit. Sie blieb aus, und Janeway faßte neuen Mut. Sie lehnte ihren pochenden Nacken gegen den warmen Feld und sah sich um. Das erste, was sie erleichtert feststellte, war die Tatsache, daß sie wieder deutlich sehen konnte. Die flackernden Lichtpunkte hatten sich in Taschenlampen verdichtet, die nun am Boden lagen und so einen nur geringen Teil des Ganges erleuchteten. Janeway konnte zwei Männer ausmachen, die neben einem dritten knieten, der ausgestreckt auf dem Boden lag. Wieder blinzelte sie, versuchte genauer zu erkennen, wer es war.

"Chakotay?" flüsterte sie heiser.

Einer der Männer drehte sich um und sah zu ihr auf, raunte dann dem anderen Mann etwas zu, stand auf und kam zu ihr hinüber. Es war Lieutenant Houston. Es sah bleich aus und seine Haare hingen ihm unordentlich in die Stirn.

"Er hat sich den Oberschenkel gebrochen, Captain, es sieht nicht weiter schlimm aus. Ich habe ihm ein Schmerzmittel aus dem Behelfsmedkit gegeben - kein besonders starkes, ich konnte auf die Schnelle kein anderes finden." Und, als würde er ihre weitere Frage bereits erraten, fügte er hinzu: "Khladin und ich sind in Ordnung, mir sitzt nur noch das Beben etwas in den Knochen. Habe wohl doch nichts von den Seismologen geerbt, die es mal in meiner Familie gegeben haben soll."

Janeway musterte flüchtig sein Gesicht und antwortete mit einem schiefen Lächeln auf seine Bemerkung. Wichtig war der Satz, der bis zu ihrem Gehirn vorgedrungen war: Chakotay war nicht ernsthaft verletzt, sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Sie bemerkte plötzlich, daß sie immer noch die Luft anhielt, und ließ sie langsam durch den Mund wieder ausgleiten.

"Wir müssen...hm..." es fiel ihr immer noch deutlich schwer, einen klaren, zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Sie bewegte mühsam den Kopf, um das betäubende Gefühl abzuschütteln. "Mr. Houston, haben Sie herausgefunden, welche Ursachen dieses Beben hatte? Sind Nachbeben zu erwarten?"

Der junge Mann warf einen Blick auf das leuchtende Display seines Trikorders.

"Die Daten sind ein wenig verwirrend, Captain, ich bin nicht ganz sicher. Eines ist jedoch klar - die Beben sind nicht seismologischen Ursprungs."

"Sie sind nicht natürlich?" forschte sie verblüfft nach. Der Schmerz in ihrem Nacken ließ allmählich nach und sie stellte fest, daß sie ohne den stützenden Halt an der Wand stehen konnte. Sie machte einen Schritt auf Houston zu und warf selbst einen Blick auf das Display.

"Tatsächlich", entfuhr es ihr überrascht. "Die Beben sind nicht auf natürliche Weise..."

Entstanden, wollte sie hinzufügen, als ein langgezogenes Donnern durch den dunklen Korridor brauste und den Fels erschütterte. Der Boden hob und senkte sich, und Janeway konnte sich diesmal nur in einer stehenden Position halten, da sie immer noch eine Hand an der Felswand aufgestützt hatte. Die übrigen Offiziere und Khladin warf es bereits zum zweiten Mal zu Boden. Es wurde mit einem Schlag dunkler.

"Was ist passiert?" hörte sie Lieutenant Brixton aufgeregt flüstern. Khladin, der sich bisher um Chakotay gekümmert hatte, rollte sich mühsam in eine sitzende Lage und hob die erloschene Taschenlampe auf. Er schüttelte sie resigniert.

"Nichts zu machen", stellte er fest. "Zersplittert. Das bedeutet, wir haben nur noch vier Stück. Wir sollten vorsichtig sein, damit bei einem weiteren Beben nicht noch mehr zerstört wird."

"Sie glauben also, daß diese Beben, welchen Ursprung sie auch immer haben mögen, anhalten werden", unterbrach ihn Janeway. "Haben Sie eine Erklärung dafür?"

Repräsentant Khladins Augen waren dunkel. Er nickte zögernd.

"Ich habe eine Ahnung, wenn Sie so wollen. Doch zuerst müssen wir schleunigst das Bergwerk verlassen. Wenn die Beben stärker werden, können die Ausgänge einstürzen und uns hier unten lebendig begraben." Er war ihr einen prüfenden Blick zu. "Können Sie laufen?"

Wir haben nicht die Zeit, darüber zu diskutieren, wollte Janeway entgegnen, doch ein weiterer Anflug von Schwindel und entfernt pochender Schmerz hinter ihren Schläfen hinderte sie daran. Sie seufzte und gab ihrem Körper nach.

"Ich weiß es nicht. Außerdem, was ist mit Chakotay? Wir können ihn doch nicht den ganzen Weg zurück tragen?" Eine Frage, die aus ihrem Mund eher einer grübelnden Feststellung glich. Khladin wandte sich zögernd um. "Ja dann..."

Lieutenant Brixton scannte gelassen den Felsengang. "Ich ersehe hieraus, daß der Tunnel einige hundert Meter in der Richtung, aus der wir gekommen sind, verschüttet ist. Selbst unter Einsatz der Phaser werden wir wohl kaum auf diesem Wege hinaus kommen. Gibt es noch weitere Ausgänge?" Ihre Frage war an Khladin gerichtet. Der Talaremer zog die Karte hervor.

"Höchstwahrscheinlich, schon allein um der Sicherheit willen. Warten Sie, hier habe ich es schon." Er hielt die Karte so, daß auch Janeway, die immer noch an der Wand lehnte, einen Blick darauf werfen konnte. Sein Zeigefinger deutete auf einen Punkt innerhalb eines geradlinig abwärts führenden Ganges. "Nur einige Meter den Gang abwärts befindet sich ein alter Mienenschacht, in dem Sprossen nach oben führen. Er wurde früher als Notausstieg verwendet und verbindet mehrere Tunnel, bis er in einer der großen Eingangshöhlen endet. Es ist allerdings ein ziemlich weiter Weg hinauf..." Sein Blick glitt über Janeway zu Chakotay, der immer noch am Boden lag. Brixton schüttelte den Kopf.

"Keine anderen Möglichkeiten?"

"Doch. Alle Mienen besitzen einen Ausgang zum Meer. Sie stammen noch aus der Zeit, in der das Aragphma für mehr...eigenpolitische Zwecke verwendet wurde", fügte er auf Janeways überraschten Blick hinzu. "Es gab einige provisorische Häfen und sogar eine Landebahn für Flugzeuge, die das Material abtransportierten. Diese Anlagen wurden seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt, da wir den Transport ganz und gar auf die Räder verlegt haben. Es wird wohl kaum noch etwas davon vorhanden sein. Die Ausgänge existieren jedoch noch."

"Sind sie leichter zu erreichen?" erkundigte sich Janeway hoffnungsvoll. Der Gedanke, mehrere hundert Meter Sprossen zu erklimmen, war keine angenehme Aussicht. Der große Mann zuckte die Achseln.

"Ja, dieser Gang - falls Sie ihm bis zu seinem Ende folgen - führt Sie direkt dorthin. Allerdings gibt es vom Strand aus keinerlei Möglichkeit, ins Landesinnere zu kommen. Der Berg ist viel zu steil, um ihn zu überwinden, und es führen keine Straßen dorthin."

"Dann müssen wir eben der Voyager signalisieren, uns ein Shuttle hinunter zu schicken." Janeway tat seinen Einwand mit einer Hand ab. "Bis wir das Meer erreicht haben, wird das Schiff möglicherweise von seinem Testflug schon zurück sein." Das Wichtige war, es gab eine Möglichkeit, das Klettern zu umgehen.

"Repräsentant, wenn ich einen Vorschlag machen dürfte: Weder Chakotay noch ich sind in der Lage, Ihre Kletterpartie mitzumachen. Hierbleiben können wir nicht, das Einzige, was uns also bleibt, ist der Weg zum Strand."

"Wie wollen Sie das bewerkstelligen?" unterbrach sie der Talaremer. "Sie sind beide verletzt."

"Ich schließe mich Ihnen an, Captain", erbot sich Brixton. "Zu zweit gelingt es uns sicherlich, den Commander ins Freie zu bringen. Khladin und Houston können meinetwegen den Weg über die Leiter nehmen - ich erachte es als wichtig, daß sich niemand alleine auf den Weg macht."

"Ich stimme dem zu, Captain", erklärte Khladin überraschend schnell. "Wer weiß, wie lange Sie brauchen, um das Tunnelende zu erreichen. Der Weg durch den Schacht ist mehrere Kilometer lang, da er nicht völlig senkrecht verläuft, doch Ihr Lieutenant und ich könnten ihn schnell hinter uns bringen. Von der Oberfläche aus ist es möglich, Hilfe zu holen. Wer weiß, wie es im Rest des Bergwerks aussieht", fügte er hinzu. "Und wenn diese Beben aufgrund dessen geschehen, was ich annehme, wird Ihr Schiff wohl kaum Gelegenheit haben, Ihnen ein Shuttle zu schicken. Wir müssen uns etwas anderes überlegen."

"Sie sind also der Ansicht, daß jemand aus dem All auf die Oberfläche feuert?" fragte Janeway fassungslos. "Aber weshalb? Ich dachte, Ihr Planet sei neutral?"

"Das dachte ich bisher auch, Captain." Auf Khladins Stirn hatte sich eine grimmige Falte gebildet. "Ich bin mir sicher, es wird nicht lange dauern, bis wir erfahren, was hier vor sich geht."

Kathryn Janeway atmete tief ein und sah in Gedanken das nächste Stück Arbeit vor sich. Es war etwas, das greifbar war und einer brauchbaren Lösung gleich schien. Was konnte sie sich als Captain noch weiter wünschen?

Fähnrich Scanra Jilan bewunderte gerade das künstlerische Werk eines talaremischen Bildhauers, eine Plastik in der Form von Landarbeitern, die im Zentrum des Hauptmarktes aufgestellt worden war, als der Boden zum ersten Mal bebte. Sie nahm es wahr wie eine Welle, die sich von einer Häuserreihe zur nächsten bewegte und die Erde doch hoch wölbte, wo sie gerade vorbei zog. Scanra war kein Freund von Wellen, sie fühlte sich unwohl in der Nähe von Wasser und allem, was sich auf und ab bewegen konnte und dabei in ihrem Magen die Gesetze der Physik umzudrehen schien. Sie kämpfte gegen das plötzliche Gefühl von Seekrankheit an und suchte, ihr Gleichgewicht zu halten, bis die Welle die andere Seite des Platzes erreicht hatte.

"Du lieber Himmel, was war das?" Ihre Frage ging in dem verwirrten Stimmengewirr der Menschenmenge, die sich auf dem Platz befand, unter. Hinda, die junge Frau, die sich erboten hatte, sie und Tuvok in der Stadt herumzuführen, hatte sich geistesgegenwärtig an dem Standbild festgehalten. Ihr Blick tanzte suchend über den wolkenlosen Himmel.

"Es klang wie eine entfernte Explosion", murmelte sie, während immer mehr Talaremer auf den Platz strömten. Die Unruhe, die alle ergriffen hatte, war beinahe körperlich spürbar.

"Eine Explosion?" Tuvoks ungerührte, emotionslose Stimme wiederholte es neben hier. Sie drehte sich um. Sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. "Ich würde dies bereits in die Kategorie eines leichten Erdbebens einstufen."

"Es gibt keine seismische Aktivität auf unserem Planeten, jedenfalls keine, die durch Verschiebungen der Kontinentalplatten entsteht. Die oberen Erdschichten sind allerdings anfällig für schwere Erschütterungen, die durch ausgedehnte Explosionen entstehen. Die Schallsprengungen in den Bergwerken sind die einzigen, die ohne jede Nachwirkung ausgeführt werden können. Diese Art von Erdbeben sind nicht unbedingt neu für uns, Lieutenant... Allerdings sind sie seit Generationen nicht mehr vorgekommen, und das hat auch seinen Grund." Hinda richtete ihren Blick auf Scanra, in ihren Augen glomm Hoffnungslosigkeit. "Es sind auch schon ein paar Generation vergangen, seit jemand auf unseren Planeten gefeuert hat."

Scanras Augen weiteten sich kaum merklich.

Neben ihr schlug Tuvoks flache Hand gegen seinen Kommunikator.

"Tuvok an Janeway, bitte antworten Sie." Nur das leise Hintergrundrauschen des geöffneten Komkanals drang an sein Ohr. Wieder preßten die langen, dunklen Finger auf das feintechnische Gerät. "Tuvok an Voyager, Mr. Paris, empfangen Sie mich?" Erst dann kam ihm die Erkenntnis, daß sich Voyager zur selben Zeit vermutlich einige Lichtjahre entfernt auf einem Testflug befand und Janeway unter mehreren hundert Metern Aragphma von seinem Kommunikationssignal sicherlich nicht erreicht werden konnte.

B’Elanna Torres war sich des triumphierenden Lächelns, das ihr Gesicht überflog, durchaus bewußt, als sie forschen Schrittes den Turbolift verließ und auf die Brücke strebte. Sie hielt einige Schritte hinter Paris inne und wartete, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, bis er ihrer gewahr wurde und sich umwandte.

Was ein Lächeln in einem grimmigen Gesicht doch bewirken kann, dachte er und unterdrückte ein Grinsen. Jemand sollte ihr einmal sagen, wie attraktiv sie aussieht, wenn sie ihre klingonische Unnahbarkeit ablegt. Er wußte allerdings, daß er nicht derjenige sein würde, der sie darauf hinwies. Vermutlich würde ohnehin niemand wagen, eine solche Bemerkung in Gegenwart der Chefingenieurin auszusprechen. Zu schade, dachte Tom, wirklich zu schade.

"Lieutenant", forderte er sie deshalb mit betont kühler Stimme auf. Es war alles, was B’Elanna brauchte.

"Wir haben den Warpantrieb jetzt über eine Stunde lang den unterschiedlichsten Tests und Manövern unterzogen", begann sie enthusiastisch. "Es haben sich keine Schwierigkeiten ergeben, das Plasma und die Kristalle integrieren exakt wie vorausgesagt, keinerlei Unregelmäßigkeiten sind festzustellen. Die Talaremer wissen wirklich, wovon sie sprechen. Diese Kristalle sind mehr in der Lage zu leisten als der am besten entwickelte Warpkern in der Föderation." Und das will etwas heißen, fügte sie in Gedanken hinzu. "Auch ich war einmal verdammt stolz darauf, was die Technik der Föderation leisten kann - auch wenn das eine ziemlich lange Weile her ist.

"Und ich weiß, daß Sie wirklich enorm gute Arbeit geleistet haben", erklärte Paris. B’Elanna blickte ihn überrascht an. Es kam nicht häufig vor, daß Tom Paris für jemanden auf diesem Schiff ein Kompliment übrig hatte - geschweige denn für Mitglieder der ehemaligen Maquiscrew. Diese Tatsache beruhte übrigens auf Gegenseitigkeit.

"Nun ja, danke", antwortete sie daher knapp und ein wenig aus der Bahn geworfen. Sie bemerkte das Grinsen auf Paris’ Gesicht und zog die Brauen zusammen.

"Was ist?"

Und sofort wieder in die Defensive, kommentierte Paris unhörbar. Ganz herzlichen Dank, Lieutenant, für das Interview. Manchmal wünschte ich wirklich, Sie wären etwas weniger reizbar und sensibel, wenn es ernstgemeinte Komplimente betrifft. Er hob die Achseln.

"Nichts. Sie sind also der Meinung, wir können die Testserie beenden und zurückfliegen, um den Captain und den Rest des Außenteams an Bord zu holen." Sein Tonfall war sachlich, jede Nuance Freundlichkeit mit einem Schlag eliminiert.

"Ich sehe keinen Grund, warum wir noch längere Zeit in diesem Sektor verbringen sollten", bekräftigte Torres. "Alle Daten hinsichtlich des Antriebs wurden in unseren Hauptcomputer überspielt, und ehrlich gesagt, das Aragphma ist viel leichter zu handhaben als die Dilithiumkristalle."

"Dann haben Sie ja reichlich Zeit, herauszufinden, weshalb unsere frühere Energiequelle in Staub zerfällt." Paris konnte es sich nicht verkneifen, einen verdeckten Hinweis darauf zu geben, daß es der Halbklingonin immer noch nicht gelungen war, die Ursache für den Zerfall zu bestimmen.

Sie grollte leise und schoß ihm einen wütenden Blick zu.

"Jawohl, Sir." Sie marschierte steif auf den Turbolift zu und ignorierte Kims mitfühlenden Blick.

"Maschinenraum", befahl sie kalt. Paris lachte leise in sich hinein, als die Turbolifttüren mit einem leisen Zischen zuglitten. Wie gut, daß es Dinge gab, die sich nie änderten. Sie gaben ihm das beständige Gefühl, daß trotz des Chaos, das im Delta-Quadranten herrschte, das Leben an Bord eines Raumschiffs nicht viel anders verlaufen mußte als gewohnt.

Samuel Houston klammerte sich mit beiden Händen an die Leiter, bis die Knöchel an seinen Händen weiß hervortraten. In beinahe regelmäßigen Abständen erschütterten neue Einschläge das Bergwerk, rollten Beben durch die Gänge und den schmalen Schacht, durch den er und Khladin seit einer halben Ewigkeit zu kriechen schienen. Er hatte sich nicht ausgemalt, wie eng es sein würde. Der Schacht führte bald senkrecht, bald waagrecht durch den Fels, kaum mehr als einen Meter im Durchmesser und finster wie ein kaltes Loch. Die helle Lampe, die sich Khladin um den Arm gebunden hatte, warf bei jeder seiner Bewegungen einen kleinen Lichtkegel auf die Wände, der gespenstisch flackerte und die Situation eher unangenehmer gestaltete als verbesserte. Es gab Augenblicke, in denen die Felswand so nahe zu kommen schien, daß sich Samuel keuchend wünschte, die Lampe möge sich lockern und die vielen Meter, die sie schon hinaufgestiegen waren, wieder hinab stürzen. Es genügte ihm, zu wissen, daß sein Körper beinahe vollständig vom Fels umschlossen war, er mußte ihn nicht auch noch die ganze Zeit über um sich herum wahrnehmen. Ab und an glitzerte eine Ader von Aragphma, die beim Abbau übersehen worden war, doch abgesehen war der Fels schwarz wie das Vakuum des Weltalls.

"Alles in Ordnung?" Khladins Stimme hallte zu ihm hinunter. Samuel stieß zischend die Luft aus und lockerte seine verkrampften Finger.

"Was für ein phantastisch angelegter Luftschacht", spottete er, während er von neuem zu klettern begann. "Wirklich ausgezeichnete Arbeit. Ihre Ingenieure waren wohl ziemlich dünne Leute, was?"

"Diese Gänge waren auch nie dazu bestimmt, hindurch zu klettern", kam Khladins Stimme zurück. "Diese Leiter wurde nur für den dringensten Notfall angebracht. Und für den Notfall ist sie ausreichend."

Samuel befahl sich, daß pochende Klopfen, das er bereits in den Unterschenkeln spürte, zu ignorieren und bemühte sich um ein gleichmäßiges Tempo. Rechter Fuß, linker Fuß, mit der linken Hand weiter greifen, dann die rechte nachziehen, rechter Fuß, linker Fuß... Er zwang sich, nur nach vorne oder nach oben zu sehen, bloß nicht zur Seite und erst recht nicht nach unten. Nie mehr, schwor er sich, nie mehr werde ich mich beschweren, wenn ich wieder einmal in einer Jeffriesröhre herumklettern muß. Dieser Gedanke brachte ihn dazu, anzuhalten und mit der freien Hand seinen Insignienkommunikator zu berühren.

"Lieutenant Houston an Voyager, bitte melden." Er zuckte die Achseln, als ihm nur verhaltenes Rauschen antwortete, und nahm die Kletterei wieder auf. Noch bevor sie sich getrennt hatten, hatte Janeway mehrere Minuten lang versucht, das Schiff zu erreichen, ebenso Tuvok und Scanra, doch ohne Erfolg. Vermutlich machten Paris und Torres ihren Job gründlich und unterzogen den neuen Antrieb so vielen Tests, daß die Voyager nicht vor einer halben Stunde in den Orbit zurückkehren würde. Dennoch, dachte Samuel trotzig, es konnte nicht schaden, ab und zu das Schiff zu rufen, nur für den Fall, daß der Testflug doch nicht so viel Zeit in Anspruch nahm - sie näherten sich allmählich den höheren Gesteinsschichten, was bedeutete, daß ihr Signal schon bis in die Atmosphäre dringen sollte.

Je früher sie an Bord zurück beamten, desto besser für alle. Außerdem würden sie dann endlich erfahren, was überhaupt vor sich ging. Als er bei diesem Gedanken angekommen war, legte er den Kopf in den Nacken und rief hinauf: "Ich würde nur zu gerne wissen, wer auf Ihre Bergwerke feuert und weshalb? Was ist denn nun mit Ihrer Erklärung? Ich dachte, Ihr Planet sei neutral in diesem Sektor?" Einige schweigende Sekunden verstrichen. Hab ich dich! dachte Houston triumphierend.

Repräsentant Khladin hatte auf einer Sprosse, einige Meter über ihm, angehalten.

"Ich kann nur Vermutungen anstellen", antwortete er zögernd.

"Vermutungen sind besser als nichts", entgegnete Samuel. "Wenn ich angegriffen werde, möchte ich mir zumindest vorstellen können, wer etwas gegen mich hat und warum er mir diese Abneigung ausgerechnet in diesem Augenblick deutlich machen möchte." Damit ich mir ausrechnen kann, ob ich überhaupt die Chance habe, mich dagegen zu wehren, fügte er still hinzu.

"Die Angreifer haben bestimmt nichts gegen Sie, vermutlich nicht einmal gegen die Voyager, sonst hätten sie Ihr Schiff angegriffen und nicht den Planeten", sagte Khladin bitter. "Nein, diese Attacke gilt uns, und wer eins und eins zusammen zählen kann, kann sich ausrechnen, daß sich im Orbit einer unserer Stammkunden befindet, der sich nicht damit abfinden will, daß das Föderationsschiff auch von unserem Antriebsmaterial profitiert."

"Also Kazon", stellte Houston fest. In seinem Kopf materialisierte das Bild eines gewissen Maje, dessen letzter Besuch an Bord der Voyager noch frisch in seiner Erinnerung war. Er konnte sich immer noch nicht daran gewöhnen, daß ein Mitglied der Voyager sich freiwillig auf ein Schiff dieser Rasse hatte begeben können. Andererseits, ihm war Seska immer ein wenig seltsam, ein wenig zu Maquis-besessen vorgekommen. Die übrige Crew Chakotays hatte sich mehr oder weniger positiv in den Ablauf des Schiffes eingefunden, doch Seska hatte sich ausgegrenzt. Hatte sich Unverschämtheiten und eigenwillige Unternehmungen herausgenommen und dann auf ihre allzu gute Bekanntschaft mit dem Ersten Offizier hingewiesen. Houston konnte nicht behaupten, daß ihm ihr Abschied leid getan hätte. Dennoch, er hatte das Gefühl, daß sie im Delta-Quadranten, Tausende von Lichtjahren von der Erde entfernt, alle zusammenhalten mußten, damit sie vorwärts kamen. Und Seska hatte sie verraten. Dieses Mal allerdings, das mußte er fairerweise zugeben, würde sie wohl nicht dahinter stecken. Die Kazon-Nistrim hatten keinen Einfluß in diesem Sektor, darüber hatte sich Janeway informiert. Dennoch, allein der Name Kazon erzeugte ein unruhiges Gefühl in seiner Magengegend.

"Ich befürchte es", bestätigte Khladin und begann aufs neue den Aufstieg. Seine Stiefel klackten auf den eisernen Sprossen. "Sie müssen erfahren haben, daß wir uns in Verhandlungen mit Ihrem Captain befunden haben und reagieren nun entsprechend darauf."

"Aber Sie sagten doch, daß alles Ihrer Abnehmer darüber aufgeklärt sind, daß sie nicht die Einzigen sind, die sich bei Ihnen neue Antriebe verschaffen", wandte Houston ein. "Und Sie sagten, es hätte nie Schwierigkeiten gegeben, weder zwischen den Käufern noch zwischen einem Kunden und Ihnen. Woher nehmen Sie die Selbstsicherheit und behaupten, die Kazon würden niemals Ihre Welt angreifen, wenn dies jetzt angeblich gerade geschieht? Ich weiß nicht, ob Sie ihnen jemals unter feindlichem Gesichtspunkt begegnet sind, Repräsentant, aber die Kazon, die ich kennengelernt habe, würden sich auf einen Fang wie Ihren Planeten ohne Aufforderung stürzen. Sie würden Sie im Handumdrehen überwältigen, Ihre Leute versklaven und dann die Oberaufsicht über die Minen und die Verarbeitungsindustrie übernehmen. Weshalb lassen die Kazon zu, daß außer ihnen noch andere von Ihrer sagenhaften Technologie profitieren und warum ändern sie ihre Strategie ausgerechnet in diesem Moment? Haben Sie eine Erklärung dafür?"

Seine Stimme war lauter geworden, als er es beabsichtigt hatte, und er dämpfte sie sofort. Der Widerhall seiner Stimme prallte zwischen den engen Wänden hin und her wie ein Tischtennisball. Khladin kletterte weiter, ohne inne zu halten.

"Ich kann verstehen, wie seltsam Ihnen das erscheinen mag, Lieutenant", begann er langsam, "aber Sie können nicht über unsere Kultur urteilen, ohne die Hintergründe zu verstehen."

"Dann erklären Sie sie mir doch", entfuhr es Houston. Zorn stieg in ihm auf. Er haßte diesen Schacht, er wurde beinahe verrückt inmitten dieser engen Wände und seinen Hände und Knie schmerzten immer deutlicher. Alles, was er wollte, war endlich ins Freie zu kommen und die überanstrengten Gelenke zu entlasten.

"Ich denke, Zeit haben wir ja genug." Ich hoffe bloß, daß dieser Schacht nicht bei der nächsten Erschütterung einstürzt und diese Zeit zu einer Ewigkeit anwachsen läßt.

Chakotay war dem Ende nahe. Er spürte es, kämpfte bei jedem Schritt gegen die Bewußtlosigkeit an, die ihn zu übermannen drohte, und zwang sich mit immenser Kraft dazu, dem Schmerz entgegen zu wirken, den sein Bein ausstrahlte und der spottend sein Bewußtsein herausforderte, aufzugeben und sich in das Unvermeidliche zu fügen. Er empfing ihn beinahe wie einen alten Bekannten. Schmerz war etwas, mit dem Chakotay aufgewachsen war, ein Gefühl, das er besser kannte als sich selbst. Wer ihn und seine Qualen fürchtete, hatte im Terroristenverband des Maquis nichts verloren, das war ihm mehr als einmal eingeprägt worden und er hatte es an seine Crew weitergegeben.

Er hatte systematisch gelernt, mit Schmerzen umzugehen, mit den psychischen, wenn er Freunde im Kampf verlor und sich selbst nicht einmal vorwerfen konnte, sie hätte retten zu können, wenn ihm die geeignete Technologie zur Verfügung gestanden wäre, und auch mit den physischen, die ihn nach Attacken oft tagelang im Bett hielten und auf medizinische Hilfe warten ließen, die oft versprochen wurde und meistens nie kam. Er hatte sich erholt, jedes Mal war er wieder auf die Beine gekommen, und nach jedem Mal hatte er gelernt, aus dem Schmerz Kraft zu schöpfen. Er hatte ihn als Quelle benutzt, um Zorn aufzubauen, ohnmächtige Wut auf die Cardassianer, und er speicherte diese Wut, bis er sie im nächsten Kampf dem Gegner entgegenschleudern konnte. Schmerzen hatten ihn immer davon abgehalten, aufzugeben und einfach liegen zu bleiben, und Chakotay war stolz darauf gewesen. Und jetzt, Tausende von Lichtjahren von einer Maquisbasis entfernt, entfernt von provisorischen Lagern und eingeschworenem Zorn, wurde aus dem Freund ein Feind. Er konnte sich nicht erinnern, jemals Schmerzen gehabt zu haben, die er nicht unterdrücken oder zumindest aus seinem Bewußtsein verbannen konnte, um einen klaren Kopf zu behalten. Es bedeutete Schwäche, sich den Schmerzen zu fügen, dennoch schien ihm nun keine andere Wahl zu bleiben. Er wußte, würde es noch einige Minuten so weiter gehen, würde er verrückt werden. Solange er nicht zuvor bewußtlos wurde.

"Wir sollten eine Pause einlegen", schlug Lieutenant Julia Brixton vorsichtig vor und blinzelte sich den Schweiß aus den Augen. Chakotays linker Arm, der über ihren Schultern lag, schien mit den Minuten, die qualvoll langsam verstrichen, immer schwerer zu werden und sie zu Boden zu drücken. Sie wußte nicht mehr, wie lange sie schon den breiten Tunnel aufwärts gegangen waren, sie hatte vergessen, darauf zu achten - und was, wenn sie es wüßte? Ihr war klar, daß sie mit jedem Meter langsamer wurden.

Janeway biß krampfhaft die Zähne zusammen und unterdrückte ein Stöhnen. Sie war verhältnismäßig kleiner als Brixton und empfand das Gewicht, das auf ihren Schultern lastete, als noch schwerer. Bei jedem Schritt glaubte sie, ihre Knie würden versagen. Dennoch schüttelte sie abwehrend den Kopf und verstärkte ihren Griff um Chakotays Handgelenk.

"Wir müssen den Ausgang des Bergwerkes erreichen, bevor hier alles herunter kommt." Sie lauschte auf das verhaltene Grollen in der Ferne. Der Boden zitterte nur noch in unregelmäßigen Abständen von mehreren Minuten. Die störenden Ohrenschützer hatten sie beide schon lange abgelegt und im Gang zurückgelassen.

Lieutenant Brixton horchte ebenfalls. "Wir scheinen aus dem Gefahrenbereich heraus zu sein, Captain. Ich denke, wir können ohne Risiko eine Rast machen. Vor allem wegen..." Sie hielt im Schritt nicht inne, warf aber einen besorgten Blick auf Chakotay.

Sie hatten ihn in die Mitte genommen, seine Arme über ihre Schultern geschlungen und sich bemüht, ihn soweit wie möglich zu stützen. Mit kleinen, gleichmäßigen Schritten hatten sie ihre Reise durch den dunklen Tunnel begonnen, das Licht von Brixtons Armtaschenlampe flackerte wie eine ausgehende Lampe vor ihnen her. Es war ein stummer Gang. Janeway schien mit ihren eigenen Schmerzen beschäftigt zu sein, ihr Gesicht starr in der matten Dunkelheit. Chakotays Kiefer zuckte vor zusammengepreßter Kraft, nur ab und an entfuhr ihm ein Laut des Schmerzes. Doch er wurde schwächer, Brixton machte sich nichts vor. Wo der Indianer zu Beginn noch selbständig stehen konnte, hing er nun mehr oder weniger bewußtlos zwischen ihnen. Brixton mußte öfters mit der rechten Hand nachgreifen, wenn ihre schweißnasse Hand den Halt an seiner Uniformhose verlor und er ihr in der Hüfte wegsackte. Jedesmal, wenn das geschah, tauschten sie und Janeway einen schweigenden Blick und sie wischte sich ihre Handfläche an ihrer Hose ab, bevor sie Chakotay wieder fester packte und weiterzog.

Als sie jetzt den Blick hob, trafen sich ihre dunklen Augen mit den hellen des Captain. Janeways Augen flackerten und glitten langsam über den großen Mann in ihrer Mitte. Chakotay stöhnte nur leise und hielt den Kopf gesenkt, als wäre er nicht mehr in der Lage, ihn aus eigener Kraft zu heben. In den Augen des Captain stand etwas, das Brixton nicht beschreiben konnte. Ihr Blick, zum ersten Mal seit ihrer Bewußtlosigkeit ungetrübt, heftete sich auf den jungen Lieutenant.

"Wenn wir jetzt stoppen, bekommen wir ihn nie wieder auf die Beine." Sie sog scharf die Luft ein und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. "Es kann nicht mehr weit sein. Wir müssen einfach gleichmäßig im Tempo bleiben. Schaffen Sie es?"

Brixton lachte leise, wie aus Trotz gegen den Schmerz in ihrem Rücken. "Ich bin schließlich Antriebsspezialistin, Captain. Ich werde schon dafür sorgen, daß mit die Energie nicht ausgeht, bis wir den Strand erreichen."

Janeway nickte grimmig und verscheuche das schmerzende Gefühl in ihrem Bauch, das sich einstellte, wenn ihr Blick den dunkler Haarschopf streifte, der regungslos auf ihrer Schulter ruhte.

Chefingenieurin B’Elanna Torres rieb sich müde die gefurchte Stirn und stützte das Kinn in die linke Hand. Sie haßte es, einem Problem gegenüber zu stehen, das sich trotz aller Anstrengungen nicht lösen ließ. Die junge Halbklingonin war gewohnt, daß sich alles auf irgendeine Art und Weise erklären ließ, das war überhaupt das Schöne an der Technik. Das Zusammenspiel von physikalischen Gesetzen und Mikroelektronik verschaffte das Gefühl einer beruhigenden Statik, das Wissen, daß Fehler einzig und allein auf das Versagen der Technik oder des Ingenieurs zurückzuführen waren und man sie finden und eliminieren konnte, indem man den Grundsatz aller technischen Abläufe anwandte: Logik. Maschinen verhielten sich im allgemeinen niemals unlogisch, dazu fehlte ihnen die Veranlagung. Systemkreisläufe und Speicherprozessoren, alles mußte auf logische Art und Weise miteinander verbunden sein, damit es funktionieren konnte. Zumindest dachte ich bisher so, dachte B’Elanna Torres resigniert.

Technik mochte logisch sein, doch dieser Umstand verlangte nicht, daß auch die Ingenieure logisch veranlagt waren. Die Geschichte der Sternenflotte zeigte, daß Chefingenieure zumeist einen stark ausgeprägten Charakter besaßen, der sie von dem Rest der Crew unterschied. Sturheit, ein starker Wille und Durchsetzungsvermögen gehörten dazu, ebenso wie die nötige Portion Unverschämtheit im Umgang mit Maschinen. Torres hatte bisher angenommen, diese Attribute zu besitzen.

Und nun saß sie da und suchte nach etwas, von dem sie nicht einmal wußte, wie es überhaupt aussah. Die logischen Gesetze in ihrem Kopf sagten ihr, daß Dilithiumkristalle nicht zerfielen, es sei denn, sie nutzten sich mit den Jahren ab. Diese Möglichkeit war ausgeschlossen. Voyager war kaum ein Jahr lang im All gewesen, und sie hatte noch nie davon gehört, daß sich Kristalle derart schnell abnutzten. Stimulation, hatte Janeway angedeutet, was bedeuten würde, daß die Kristalle von einer äußeren Quelle angegriffen wurden. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nicht gehört, daß so etwas vorgekommen war. Kristalle waren nicht umsonst als nahezu unzerstörbare Mineralien katalogisiert, was konnte es demnach geben, das den Antrieb ihres Schiffes dazu brachte, seine Energiequelle selbst zu zerstören?

Den früheren Antrieb des Schiffes, korrigierte sie sich und seufzte. Sie war eine der Ersten gewesen, die sich begeistert über die Auswirkungen des Aragphmas auf den Warpantrieb geäußert hatte, dennoch spürte sie eine unsagbare Wut auf sich selbst, da sie nicht herausgefunden hatte, was die Ursache für den Kristallzerfall war. Sie war es einfach nicht gewohnt, die Schultern zu zucken und dem Captain zu erklären, daß sie nicht in der Lage war, den Fehler zu erkennen. Und noch viel weniger wollte sie diesen Fehler in Gegenwart von Tom Paris zugeben... Sie seufzte noch einmal und griff nach dem Datenpadd, das sie in einem raschen Anfall von Frustration quer über den Tisch geschleudert hatte. Aggression würde ihr in diesem Fall nicht helfen. Vielleicht war es an der Zeit, zuzugeben, daß sie zum ersten Mal, seit sie denken konnte, an ihre eigenen Grenzen gestoßen war.

Das unmißverständliche Heulen des schiffsweiten Alarms schrillte durch den Raum. Kurz darauf ertönte Tom Paris’ Stimme durch den Kommunikationskanal: "Roter Alarm! Alle Brückenoffiziere bitte sofort auf die Brücke kommen."

Torres stieß ihren Stuhl nach hinten und sprang auf. Sie verließ eilig ihr Quartier und ließ alle ungelösten Fragen auf ihrem Tisch zurück. Sie würde später noch Zeit finden, um sich zu überlegen, wie sie mit einer möglichst einfachen Erklärung vor Lieutenant Thomas Eugene Paris ihr Gesicht wahren konnte.

"Sie wollen also sagen", wiederholte Lieutenant Samuel Houston und schüttelte fassungslos den Kopf, "daß Sie sich Ihre Neutralität erworben haben, indem Sie Ihren Planeten versehen haben mit...was?" Er hob seine Augen nach oben, wo einige Meter über ihm Repräsentant Khladin monoton aufwärts kletterte. Der hochgewachsene Mann drehte sich nicht um.

"Mit atmosphärisch gelagerten Schleuderkörpern." Seine Stimme hallte an den Felswänden wider.

"Und was genau ist das?" Schleuderkörper, dachte Houston, klingt beinahe wie diese bajoranischen Drehdinger, die einen mit der eigenen Seele bekanntmachen. Er war nicht einmal einen Tag auf Deep Space Nine gewesen, als er von diesen Artefakte der als heilig geachteten Propheten gehört hatte. Er hatte es sich verkniffen, seine Meinung zu einer solchen Art der Verehrung zu äußern. Nicht nur, weil er als Starfleetoffizier mit dem Begriff "Toleranz gegenüber fremden Kulturen und Glaubensrichtungen" vertraut war, sondern auch, weil die junge Bajoranerin, die ihn in ihr Wissen eingeweiht hatte, so außergewöhnlich attraktiv gewesen war, daß sie sogar in dem mit außerirdischen und exotischen Frauen überfüllten Quark’s auffiel.

"Es sind Defensivsysteme", lautete Khladins schlichte Antwort. "Energetische Waffen, die darauf programmiert sind, alle Schiffe anzugreifen, die innerhalb unseres Orbits ihre Waffensysteme aktivieren."

Houstons Augen weiteten sich. "Automatische Waffensysteme? Sie wollen damit sagen, niemand kontrolliert diese Dinger?"

"Es war niemals nötig. Wir informieren alle Schiffe, die in unseren Sektor eintreten, von dieser Vorkehrung, damit keine Mißverständnisse entstehen. Die Kazon wissen, daß, sobald sie auch nur den Versuch unternehmen, uns anzugreifen, ihre Schiffe zerstört werden, bevor sie auch nur einen einzigen Schuß abfeuern konnten."

"Großartige Politik", murmelte Houston wie zu sich selbst. "Die anderen mit Waffendrohungen in Schach zu halten." Und dennoch wird sie ständig praktiziert. Im Alpha-Quadranten gibt es sicher Dutzende von Völkern, die sich so ihre Feinde vom Leib halten. Zugegeben, eine Methode, die funktioniert. Nun ja, funktionieren sollte.

"Es sind keine Drohungen. Und wenn es Sie beruhigt, seitdem die Waffen installiert worden, haben wir sie noch niemals benutzen müssen. Allein das Wissen um ihre Anwesenheit ist Schutz genug."

"Heute ist dann wohl Ihr Unglückstag, was?" Er konnte nicht verhindern, daß ungeduldige Ironie in seiner Stimme mit schwang. "Wie erklären Sie sich denn die Schüsse, die vermutlich auf Ihre Bergwerke abgegeben wurden, wenn diese Schleuderkörper es doch gerade verhindern sollten?"

"Das kann ich nicht. Es ist unmöglich, die Schleuderkörper zu zerstören. Bevor die Angreifer ihre Waffen überhaupt darauf richten können, haben die Systeme bereits reagiert."

"Und dennoch feuert in diesem Moment jemand auf die Oberfläche", unterbrach ihn Houston wütend. "Macht es Ihnen keine Sorgen, daß Ihre wertvollen Defensivsysteme eindeutig nicht funktionieren?"

Khladin schwieg und kletterte weiter. Houston seufzte, als ihm plötzlich noch etwas einfiel. "Moment! Sie sagten doch, daß alle Schiffe darüber informiert werden, was sie da in Ihrer Atmosphäre befindet. Wußte Captain Janeway auch darüber Bescheid?"

"Ich teilte ihr mit, daß es gefährlich sei, innerhalb des Orbits Waffensysteme zu benutzen", kam die unbefriedigende Antwort.

"Aber Sie erwähnten die Schleuderkörper nicht", kombinierte Houston. "Naja, das spielt ja jetzt wohl auch keine Rolle mehr. Irgendwie hat einer Ihrer Freunde es vermutlich geschafft, Ihre Verteidigungsanlagen zu umgehen." Er erklomm einige Sprossen und stieß dann plötzlich einen unterdrückten Ruf aus. "Der Orbit! Sie sagten, die Schleuderkörper würden den plötzlichen Energieanstieg in den Waffensystemen fremder Schiffe erkennen, falls sich diese im Orbit befänden. Was aber ist mit den Schiffen, die von einer Position außerhalb des Orbits auf die Oberfläche feuern - oder auf die Schleuderkörper selbst, damit sie danach ungehindert in einen sicheren Orbit einschwenken können mit dem sicheren Gefühl, die drohende Gefahr ausgeschaltet zu haben?"

Über ihm stoppte urplötzlich das klackende Geräusch, das Khladins Stiefel auf den Sprossen verursachten. Das Licht machte eine Wendung um 180 Grad, als Khladin sich langsam umdrehte und nach unten leuchtete. Houston schloß für einen Augenblick geblendet die Augen. Er hielt sich mit einer Hand an der Leiter fest, während er die andere abschirmend vor sein Gesicht streckte. Sobald die leuchtenden, tanzenden Punkte vor seinen Augen verschwunden waren, blickte er den Talaremer an. Er war überrascht, in den hellen Augen resignierte Erkenntnis auszumachen.

Das Wasser war kühl und schmiegte sich wie eisblaue Seide an Kathryns Körper. Sie drehte sich genüßlich auf den Rücken und ließ sich treiben, das Gesicht der Sonne zugewandt. Sie war zu faul gewesen, sich einen Badeanzug zu replizieren, sondern war Chakotays Beispiel gefolgt und hatte ihre Kleidung einfach anbehalten. Nicht unbedingt einer ihrer besten Einfälle, das mußte sie zugeben, denn der helle Kleiderstoff begann, unter dem Einfluß der wenigen Algen, die Kathryn auf dem Grund des Sees entdecken konnte, einen leicht grünlichen Schimmer anzunehmen. Es war ihr gleichgültig. Sie war glücklich, und sie war verblüfft, dieses Gefühl erleben zu können, ohne an Mark denken zu müssen. Seit über einem Jahr bedeutet Glück, wieder nach Hause zu kommen, die wogenden Felder Indianas wieder zu sehen und morgens neben Mark aufzuwachen und zu wissen, daß die Zeit der ungewissen Hoffnung endlich vorbei war.

Und nun schwamm sie in einem See auf einem Planeten im Delta-Quadranten und fühlte sich glücklich. Sie drehte sich wieder auf den Bauch und tat einige befreiende Schwimmstöße. Sie wollte jetzt nicht an Mark denken, keine Schuldgefühle zulassen, die ihr vielleicht verbieten würden, haltlos glücklich zu sein, während ihr Partner womöglich immer noch auf sie wartete und, im Gegensatz zu ihr, die Hoffnung nicht aufgab. Doch was war falsch daran, glücklich zu sein? Für sie war Indiana nun endgültig unerreichbar geworden, und damit auch Mark und alles, was mit ihm zusammenhing. War es da nicht besser, sie schaffte sich auf New Earth ein neues Zuhause? Einen Ort, an dem sie sich ebenso frei fühlen konnte wie daheim? Und war es Chakotay gegenüber nicht fairer, wenn sie endlich selbst dazu beitrug, dieses Zuhause zu schaffen? Wie einfach könnte alles sein, wenn sie endlich aufhörte, sie gegen alles, was er mit seiner Improvisation erreichte, aufzulehnen!

Später lag sie neben Chakotay im Gras und ließ sich von der Sonne trocknen. Ihre Hände, die neben ihrem Körper lagen, strichen langsam über die Grashalme. Kathryn versuchte, sich zu erinnern, wann sie das letzte Mal auf einer sonnengewärmten Wiese gelegen hatte. Es war zu lange her, stellte sie fest und genoß das Kitzeln der Halme an ihrer Handfläche.

Sie öffnete die Augen und richtete sich, auf ihren Ellenbogen gestützt, halb auf.

"Ich hätte es niemals für möglich gehalten, daß..."

"Ja?" Chakotay blinzelte unter halbgeschlossenen Lidern zu ihr auf. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt, so daß die Muskeln an seinem Oberarm deutlich hervortraten.

"Daß mich etwas im Delta-Quadranten derart intensiv an Zuhause erinnern kann", sagte sie. "Es ist einfach bemerkenswert. Zum ersten Mal seit dem Caretaker habe ich das Gefühl, das meine Welt wieder in Ordnung ist." Sie sah das Lächeln, das um seine Mundwinkel spielte, und lachte. "Nun sag es schon!"

Er wölbte fragend eine Augenbraue, so daß sich das Tattoo über seiner linken Schläfe leicht verzog. Ihr wurde erst jetzt bewußt, daß sie sich ihn nicht ohne dieses einfache, schwarze Muster denken konnte. Und doch hatte es eine Zeit gegeben, in der er dieses Zeichen bewußt abgelehnt hatte. Sie war immer noch gerührt, daß er sich ihr soweit hatte öffnen können, daß er ihr diese Geschichte erzählt hatte.

"Was soll ich sagen?"

"Daß du es nicht für möglich gehalten hättest, diese Worte einmal aus meinem Mund zu hören. Daß du seit Wochen versuchst, mir klarzumachen, was ich mir eben selbst eingestanden habe." Sie zögerte. "Daß dies ein herrliches Fleckchen Erde ist und wir das Beste aus dem Rest unseres Lebens machen sollten. Daß dies jetzt unser Zuhause ist, egal wie sehr ich mich dagegen sträube."

Jetzt lächelte er wirklich. "Ich habe nie daran gezweifelt, daß du es eines Tages so sehen würdest", erklärte er ihr. "Aber du hättest es uns beiden einfacher gemacht, wenn du..." Er streckte die Hand aus und berührte ihr Handgelenk, als sie protestierend den Mund öffnete.

"Laß mich doch erst einmal ausreden. Ich beklage mich ja gar nicht. Immerhin hast du mir durch deine Forschungsarbeit ermöglicht, das Haus ganz nach meinem Geschmack einzurichten."

"Das bedeutet aber nicht, daß ich nicht noch einiges ändern werde", entgegnete sie.

Sie spürte den sanften Druck seiner Hand auf ihrem Arm. Sie sah ihn an und legte für einen raschen Augenblick ihren Handrücken an seine Wange.

"Ich bin froh, daß du hier bist", sagte sie.

Chakotay lächelte. Alles war in Ordnung. Wie hatte er sich nur von der Illusion, er und Kathryn seien zurück an Bord der Voyager, überzeugen lassen können? Er war immer noch auf New Earth, lag am Ufer des Sees und spürte das warme Sonnenlicht auf seinen geschlossenen Lidern. Es war ruhig. Kathryn war neben ihm eingeschlafen und atmete leise und gleichmäßig. Die Luft flirrte über dem Wasser, einige Insekten surrten über die Wiese und das Gras bildete eine weiche, wärmende Unterlage. Er gähnte verhalten und streckte seine müde gewordenen Glieder.

Gleißender Schmerz schoß durch seinen Unterschenkel und Unterleib und nahm ihm für einen Augenblick die Luft. Einen Moment lang blieb er wie betäubt liegen und wartete darauf, daß der Schmerz verebbte. Nach einigen qualvollen Sekunden ließ der Schmerz tatsächlich nach und er wagte es, wieder zu atmen. Mühsam richtete er sich auf, ignorierte das scharfe Ziehen in seinem Bauch und nahm einen tiefen, befreienden Atemzug.

Zwei schlanke Hände bewegten sich unter seinen Nacken und stützten seinen Oberkörper vorsichtig. Er öffnete die Augen und wandte den Kopf zur Seite.

Kathryn mußte wieder im Wald gewesen sein, stellte er fest. Aus ihrem geflochtenen Zopf hingen unzählige Strähnen und fielen ihr unordentlich ins Gesicht. Ihr Gesicht war bleich und sie sah müde aus. Diese Forschungsanalysen mußten aufhören, nahm er sich vor. Es war an der Zeit, daß sie aufhörte zu kämpfen. Ich hätte niemals gedacht, daß ich die Auffassung vertreten würde, es gäbe eine Zeit, in der der Kampf sinnlos wird. Sie beugte sich über ihn und hielt ihn fest.

"Nicht bewegen, Commander. Bleiben Sie liegen, es ist alles in Ordnung?"

Commander? Seit wann bestand sie wieder auf die Kommandostruktur? Er bewegte unruhig seinen Kopf hin und her, versuchte, an ihr vorbei zu sehen. Es war dunkel. Er kniff die Augen zusammen und bemühte sich, schärfer zu sehen, doch die Konturen verschwammen vor seinen Augen und glitten in das verzerrte Grau des Hintergrundes zurück. Irgend etwas stimmte ganz und gar nicht.

"Wo sind wir? Wo ist...der See?" Kathryns Augen verengten sich und ein ungutes Gefühl durchströmte ihn. Sie hielt ihn weiterhin an der Schulter gepackt und hielt ihn am Boden, während sie sich zu einer schemenhaften Person umdrehte, die hinter ihr stand.

"Er phantasiert. Wir müssen ihn dringend hier herausholen, damit er behandelt werden kann. Wo ist das Medkit?"

"Hier. Aber ich habe keinerlei Ahnung von Medizin. Ich kann gerade einmal mit dem Trikorder umgehen." Die junge, helle Stimme klang vage vertraut. Chakotay schloß die Augen und bemühte sich angestrengt, ein wenig Licht in das Dunkel zu bringen, das sein Bewußtsein wie Nebel umwirbelte.

"Mir geht es nicht anders, aber wir müssen ihm etwas geben, um seinen Kreislauf zu stabilisieren. Sie können währenddessen Ihre Fähigkeiten mit dem Trikorder auffrischen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er von einem Beinbruch so mitgenommen wird; vielleicht hat er zusätzlich noch innere Verletzungen."

Janeway öffnete die kleine Tasche, die Brixton über der Schulter getragen hatte, und untersuchte unschlüssig die verschiedenen Vakuolen, die sich darin befanden, versuchte, die Etiketten zu entziffern. Sie sah auf, als sich eine kräftige Hand auf ihre Schulter legte.

Chakotay hob langsam den Kopf und klammerte sich dabei an Kathryns Schulter. Hinter seiner Stirn tanzten schwarze Flecken und ballten sich zu Gewitterwolken zusammen. Er keuchte.

"Was ist passiert, Kathryn? Wo sind wir?" Seine Stimme klang rauh und heiser und schien von weit her zu kommen. Sie ließ die Tasche liegen und zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln.

"Wir sind immer noch im Bergwerk auf dem talaremischen Heimatplaneten. Erinnern Sie sich? Wir haben die Minen besichtigt und wurden von mehreren Erdbeben überrascht. Sie stürzten und haben sich am Oberschenkel verletzt." Sie fuhr ihm sanft über die Stirn. "Sie brauchen Ruhe, Chakotay. Bitte, legen Sie sich wieder hin." Widerstandslos ließ er sich zurück drücken.

Er versuchte, über das nachzudenken, was sie gesagt hatte, doch es schien keinen Sinn zu ergeben. Seine Gedanken purzelten durcheinander und machten es unmöglich, klar zu denken.

"Kathryn", brachte er schließlich heraus. "Ich..."

In ihren Augen schimmerte Verständnis. "Sagen Sie jetzt gar nichts. Ich sehe mir nur noch einmal Ihr Bein an und dann versuchen wir, Sie von hier wegzubringen." Sie beugte sich wieder über den Notfallkasten, während sich ein zweites Gesicht in sein Blickfeld schob.

"Sie haben es hinter sich, Commander. Wir haben den Strand erreicht. Dies hier ist die letzte Höhle." Erinnerung regte sich in seinem Bewußtsein. Die Erinnerung an Taschenlampen, hastiges Reden und vibrierende Wellen, die durch den Fels verliefen und ihm den Boden unter den Füßen wegzogen. Er konzentrierte sich auf die junge Frau, die sich neben ihn gekniet hatte, und war erleichtert, Lieutenant Julia Brixton zu erkennen. Sie lächelte ihm beruhigend zu, und mit einem Mal war alles wieder da. Die letzten Tage auf New Earth, Tuvoks Kommuniqué, das alles zerstörte, die folgenden Tage an Bord der Voyager, Janeways abweisendes Verhalten, die Verhandlungen mit den Talaremern...all das zog an Chakotay vorbei wie ein schlechter Alptraum.

"Voyager?" fragte er, seine Stimme plötzlich wieder klar. "Haben wir Kontakt zum Schiff?"

"Sie sind vermutlich noch außer Reichweite", versicherte ihm Janeways klare Stimme. "Keine Sorge. Es kann nicht lange dauern, bis sie zurück kommen."

"Es gibt hier vom Strand aus keine Möglichkeit, in die Städte zu gelangen", fuhr Brixton ruhig fort. "Aber Khladin und Sam sind auf dem Weg zur Eingangshöhle. Von dort aus können sie Hilfe holen." Sie wußte selbst nicht, was das für Hilfe sein sollte. Ein Boot, das sie über den Seeweg zurück brachte? Khladin hatte nur erwähnt, daß die Flugapparate demontiert worden waren, von den Schiffen, die es wohl geben mußte, da dieser Strand und die eindeutigen Reste eines Hafens vorhanden waren, hatte er jedoch nicht gesprochen. Dennoch glaubte Brixton an ihre Existenz - viel mehr gab es ja nicht, an das sie hier noch glauben konnte.

Sie bewegte den Trikorder langsam über Chakotays Körper hin und her, warf dann einen Blick auf das Display, seufzte leise und wandte den Kopf. Janeway beugte sich über noch über die medizinische Ausrüstung.

"Sie hatten recht, fürchte ich", flüsterte sie. "Er blutet aus einem Riß in der Milz. Können wir etwas dagegen tun?"

Janeways Augen starrten sie aus dunklen Höhlen heraus erschöpft an. Sie biß die Zähne zusammen, bis ihr Kiefer schmerzte, machte eine unbestimmte Handbewegung und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder der Tasche zu. "Ich wünschte mir, ich hätte meinen Erste-Hilfe-Kurs an der Akademie ernster genommen und ein wenig besser aufgepaßt", murmelte sie bitter. "Ich glaube, mich zu erinnern, daß diese Injektion Blutungen stoppt. Ebensogut aber kann ich mich auch irren."

Brixton erwiderte ihren Blick stumm und hob die Schultern. "Wir wissen es nicht, bevor wir es nicht ausprobiert haben. In einem Erste-Hilfe-Kasten befinden sich doch wahrscheinlich keine Medikamente, die bei falscher Anwendung negative Auswirkungen haben, oder?"

Janeway spürte, wie sie langsam der Mut verließ. "Haben wir eine Wahl?"

Ohne eine Antwort zu erwarten, nahm sie ein kleines Röhrchen aus der Tasche und richtete sie stöhnend auf. In ihrem Kopf stach und brannte es.

Chakotay spürte das kühle Metall des Injektors an seinem Arm. Janeway hatte mit Brixton Platz getauscht.

"Das bringt hoffentlich Ihren Kreislauf wieder etwas in Schwung", sagte sie und fuhr ihm beruhigend mit der Hand über den Arm. "Entspannen Sie sich. Es kann nicht mehr allzu lange dauern."

Na großartig, dachte Tom Paris und stützte sich mit beiden Handflächen an seiner Konsole ab, als die Voyager ruckartig nach vorne beschleunigte und kurz darauf in ein gelungenes Ausweichmanöver glitt. Phaserstrahlen durchschnitten den Bildschirm und streifen nur wenige Meter an Voyagers äußerer Hülle vorbei.

"Schilde hoch", befahl er, während seine Finger über die Tasten tanzten. "Harry, erwidern Sie das Feuer."

Er ignorierte Tuvoks starren Blick in seinem Kopf, der ihm vermutlich nur weismachen wollte, daß Janeways Taktik zuerst einmal einen Warnschuß beinhaltet hätte. Paris hatte allerdings nie lange gefackelt, wenn er in Schwierigkeiten gesteckt hatte - eine Tatsache, der er wahrscheinlich verdankte, daß er nach den unruhigen Jahren seiner Vergangenheit immer noch am Leben war.

Hinter ihm stürmte Torres auf die Brücke.

"Was ist passiert?"

Paris deutete mit dem Kopf in Richtung des Bildschirms.

"Kazon", sagte er knapp. "Drei Schiffe befinden sich außerhalb des Orbits und scheinen auf den Planeten zu feuern. Weiß der Himmel, warum sie dazu nicht in den Orbit einschwenken. Ihre Feuerkraft ist doch aus dieser Entfernung viel minimaler." Immerhin eine halbwegs gute Nachricht, was das Außenteam angeht. "Sie haben uns beinahe mit ihrer ersten Salve erwischt."

"Schilde hochgefahren", ertönte Harry Kims Stimme hinter ihnen. "Nein, einen Augenblick." Torres wandte sich alarmiert um, während Tom kein Auge von seinen Kontrollen nahm. "Schilde versagen!"

"Wie bitte?" Torres erkannte, daß ihre Stimme eine Spur zu schrill klang, und dämpfte sie sofort. "Das kann doch unmöglich..."

Sie war in wenigen Sätzen vor dem technischen Terminal und gab eilig eine Reihe Befehle ein. Ihr Blick blieb erstarrt am Monitor haften.

"Positiv, Paris", schrie sie hinüber. "Keiner der Schildgeneratoren ist fähig, Schutzschilde aufzubauen. Wenn ich nur wüßte..."

Das Ende ihres Satzes ging in Paris’ ruhiger Anordnung unter. "Ohne Schilde wäre ein Kampf gegen die Kazon ein Selbstmordversuch. Ich bringe uns an eine Position außerhalb ihrer Reichweite. B’Elanna, ich brauche die Schilde! Führen Sie eine Ebene 1 - Diagnose der Generatoren durch und denken Sie sich etwas aus, falls Sie nichts finden."

"Wir können doch nicht..." fiel Harry Kim ihm ins Wort. "Ich meine, der Captain und die anderen sind immer noch auf dem Planeten, und die Kazon feuern direkt auf die Bergwerksgebiete."

Tom blickte starr geradeaus auf den Bildschirm, auf dem immer noch rötliche Energiestrahlen von den Kazonschiffen aus auf die Oberfläche des Planeten trafen. Es tut mir leid, Captain, dachte er. Es sieht aus, als würden wir noch ein wenig aufgehalten werden. Sein Brustkorb hob sich, als er tief einatmete.

"Ich fürchte, das Außenteam muß noch ein wenig länger ohne uns auskommen."

Samuel Houston kniff die Augen geblendet zusammen, als er hinter Khladin aus dem schmalen Tunnel kletterte. Wundersamerweise waren die Lichter in der großen Eingangshalle nicht zerstört worden, sonder verbreiteten immer noch einen warmen, gelben Schimmer. Er lehnte sich gegen den Felsen und schnappte nach Luft. Sein Herz pochte so heftig gegen seinen Brustkorb, daß er glaubte, es würde jede Sekunde zerspringen.

Ungar Khladin nahm den großen Raum mit einem einzigen Blick ein.

"Die Arbeiter scheinen vernünftig genug gewesen zu sein, den Berg zu verlassen", rief er Houston zu. "Die Laster sind allesamt verschwunden." Er warf seine Ohrenschützer auf den Boden und hastete dem Tageslicht entgegen, das durch die große Öffnung in der Wand in die Höhle strömte. "Worauf warten Sie noch?"

Houston keuchte. "Darauf, daß Sie mir endlich sagen, was Sie vorhaben."

"Das kann ich ebenso gut im Freien tun. Kommen Sie endlich, oder diese Höhle stürzt ein, bevor ich den Mund aufgemacht habe." Die dunkle Stimme grollte wie das Knurren eines wildgewordenen Hundes. Houston stieß sich schwer atmend von der Felswand ab und taumelte hinter Khladin hinaus ins Freie. Halb rannte, halb stolperte er die Straße hinunter, sah weder nach rechts noch nach links, achtete nur auf den abschüssigen Weg unter seinen Füßen. Als wäre er blind geworden, ließ er sich von Khladin in das Fahrerhaus des Lasters schieben, blieb mit seinem rechten Fuß an der Verankerungen einer Sitzreihe auf dem Boden hängen und landete krachend auf dem Boden, wo er erst einmal erschöpft liegen blieb.

Aufatmend schlug Khladin die breite Tür hinter ihm zu. Auch er rang keuchend nach Luft, als er sich in den erstbesten Sitz fallen ließ und sich mit der Hand über das feuchte Gesicht fuhr. Seine Augen blieben an Houston hängen, der sich mühsam aufrichtete und langsam an einer Rückenlehne hochzog. Der junge Lieutenant starrte entgeistert aus dem Seitenfenster.

"Ich gratulieren Ihnen." Seine Stimme triefte von purem Sarkasmus. "Sie hatten recht. Sie haben nicht auch zufällig eine Lösung des Problems im Ärmel?"

Rötliche Energiestrahlen zuckten aus der Atmosphäre wie gerade Blitze auf die Bergkette herunter. Selbst hier an der Oberfläche konnte Houston noch die Ausläufer der Wellen spüren, die das Terrain erbeben ließen. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wo sich Janeway, Brixton und Chakotay gerade aufhielten. Beim Gedanken an die dunklen, engen Gänge der Mine, an das Gefühl, jede Minute lebendig begraben werden zu können, wurde ihm schwindlig.

Khladin antwortete nicht, sondern zwängte sich durch den schmalen Mittelgang vor bis zum Steuerpult.

"Halten Sie den Mund und setzen Sie sich hin", fuhr er Houston ungewohnt scharf an. "Wir müssen so schnell wie möglich zurück ins Hauptquartier. Mit der großen Kommunikationsanlage dort wird es möglich sein, die Voyager zu erreichen. Ihre Offiziere müssen so schnell wie möglich über die Vorgänge informiert werden und den Captain, die junge Frau und Ihren Ersten Offizier dort unten herausholen. Bei dieser Beschußstärke kann ich nicht garantieren, wie lange die Gänge und Schächte den Beben noch standhalten können."

"Was ist mit den Leuten da oben, die Ihre Schleuderkörper gezielt schachmatt gesetzt haben?" hakte Houston nach. "Ist es nicht wahrscheinlich, daß sie die Voyager erst einmal beschäftigen werden, sobald das Schiff seinen Testflug beendet hat? Wenn die Schilde hochgefahren sind, ist es unmöglich, jemanden hinauf oder hinunter zu beamen."

"Sie gehen mir mit Ihrem pedantischen Wesen gehörig auf die Nerven", schoß Khladin erregt zurück. "In diesem Augenblick ist es das Wichtigste, Kontakt mit Ihrem Schiff aufzunehmen, und da dies über Ihren tragbaren Kommunikator nicht möglich ist, müssen wir auf schnellstem Wege die Basis erreichen." Seine Hand zerrte ungeduldig am Steuerknüppel und das große Fahrzeug erwachte rumpelnd zum Leben. "Nach allem, was ich über Sie Starfleetoffiziere gehört habe, hatte ich angenommen, daß Sie gelernt hätten, daß man in manchen Situationen Prioritäten setzen muß."

"Ich will nicht pessimistisch wirken, Lieutenant", sagte Captain Kathryn Janeway und streckte ihre verspannten Glieder, "aber ich habe das sichere Gefühl, daß wir von Minute zu Minute schlechter dastehen."

Julia Brixton nickte und betrachtete zum wiederholten Male die Anzeigen ihres Trikorders. "Es scheinen wirklich keinerlei Wege vom Strand wegzuführen, Captain. Da ist der Hafen, oder was auch immer davon übrig ist, aber das ist auch schon alles."

Sie war über eine halbe Stunde lang den Strand auf und ab gelaufen, war auf die Überreste der halbeingestürzten Kais geklettert und hatte sich bemüht, einen Weg zu finden, der die Küste entlang zu offenem Land führte. Sie haßte es, es sich eingestehen zu müssen, doch es war zwecklos gewesen. Ein schmaler Strandstreifen war vorhanden, der sich bis zu den Ausläufern der Höhle hinzog, doch dahinter begann sofort steiler Fels. Niemand brauchte Brixton zu erklären, wie wertvoll dieses Aragphma war, doch in diesem Falle wäre sie über eine grüne Ebene weitaus erfreuter gewesen.

Die Landschaft war in einem solchen Maße schön, daß es ihr nicht schwergefallen war, auf ihrem Erkundungsgang für einen Moment zu vergessen, daß sie in der Höhle festsaßen, ohne Verbindung zum Schiff, ohne Kontakt zum Rest des Außenteams und immer mit der Sorge um den Ersten Offizier im Hinterkopf. Janeways intuitiv gewähltes Hypospray schien ein wenig geholfen zu haben, Chakotay war bei Bewußtsein geblieben, doch ihr machte anderes Gedanken. Der Wind, der vom Meer her in die Höhle wehte, war kalt, und diese Kälte schien sich in den Winkeln und Nischen der Höhle zu speichern. Brixton war froh gewesen, ins Freie zu kommen, wo sie sich in der Kälte zumindest bewegen konnte. Sie war hinaus auf den Strand getreten, wobei sie bis zum Knöchel im körnigen Sand einsank. Der Blick war atemberaubend gewesen.

Das Meer dehnte sich aus bis zum Horizont, so weit sie sehen konnte nur Wasser und Wellen. Blaugrau spiegelte es die Wolken wieder, die vom Wind getrieben über den Himmel jagten, und kleine graue Schaumkronen bildeten sich, sobald die Wellen an die Anlegestege schlugen. Obenauf schaukelten ab und an einige seltsam wirkende, winzige Vögel mit runden, gebogenen Schnäbeln und einem Kreischen, das mehr wir das heisere Zirpen eines Instruments klang. Das Wasser schien ständig seine Bewegungsrichtung zu ändern, sie entdeckte mit dem bloßen Auge Dutzende von Wirbeln, die die Wassermassen in die Tiefe rissen und gewaltige Schaumflächen produzierten. Keine vorgelagerten Inseln, Riffe oder Felsen, soweit sie erkennen konnte. Dennoch, diese Wirbel hatten es den Seefahrern damals, als Aragphma noch über das Meer abtransportiert wurde, sicher nicht leicht gemacht, an diesem Strand zu laden.

Die Sonne stand schon tief am Himmel, doch sie vermißte den glühenden Sonnenuntergang, den sie schon an den heimatlichen Küsten Englands betrachten konnte. Hier tauchte die Sonne einfach als helloranger Ball vor dem Horizont ins Meer ein, selbst die Wolken hatte nur einen Schimmer gelblicher Tönung angenommen. Sie hatte die Nase in den Wind gehalten und Salz geschnuppert. Wie inbrünstig wünschte sie sich in diesem Moment, die Augen schließen zu können und tatsächlich an den Gestaden der Nordsee auf einem Kliff in Kent zu stehen und sich vom Wind durchblasen zu lassen.

Unverrichteter Dinge war sie nach über einer halben Stunde wieder in die Höhle zurückgekehrt und unwillkürlich erschauert. Es war wirklich sehr kalt geworden. Beim Laufen hatten sich ihre Muskeln so erwärmt, daß sie nicht bemerkt hatte, wie sehr die Luft abgekühlt war.

Sie berührte frustriert ihren Insignienkommunikator. "Brixton an Voyager, bitte kommen, Voyager."

Janeway schüttelte den Kopf. "Es hat keinen Sinn, Lieutenant. Kein Testflug dauert derart lange. Es müssen Probleme aufgetaucht sein, die eine Rückkehr verzögern."

Oder Voyager ist von diesen mysteriösen Angreifern überrascht worden und befindet sich jetzt mitten in dem Konflikt, fuhr sie in Gedanken fort. Als sie Brixton ansah, erkannte sie, daß die junge Frau dasselbe denken mußte.

"Wie geht es dem Commander?" Die junge Frau deutete mit dem Kopf auf Chakotay. Der Indianer hatte die Augen geschlossen, seine Brust hob sich bei jedem Atemzug schwer und sein Atem rasselte. "Er wird sich noch eine Lungenentzündung holen, wenn er weiterhin dieser Kälte ausgesetzt ist."

Janeways Augen flackerten wieder. Ihr Mund war zu einem dünnen Strich geworden.

"Er ist seit mehreren Minuten nicht mehr ansprechbar. Ich weiß auch nicht mehr, wie wir ihm noch helfen können."

"Und was ist der nächste Schritt, Captain?" fragte Brixton, während sie ihre klammen Finger aneinander rieb. "Sie haben doch einen Plan?"

Janeway preßte die Lippen zusammen und nickte entschlossen, beinahe halsstarrig.

"Wir müssen uns selbst hier herausholen", verkündete sie und hoffte, daß eine Spur von Optimismus in ihrer heiseren Stimme mitklang. "Sie sagten doch, es gäbe hier einige verzweigte Nachbarhöhlen. Ich schlage vor, wir erkunden sie. Möglicherweise gibt es doch noch weitere Ausgänge. Und wenn alle Stricke reißen, bleibt uns immer noch der Weg, den Khladin und Houston eingeschlagen haben." Auch wenn ich verdammt noch mal hoffe, daß uns diese Möglichkeit erspart bleibt, dachte sie grimmig.

"In Ordnung." Brixton nickte. "Aber sollte ich nicht erst einmal alleine losgehen? Der Commander braucht Sie, denke ich. Sie könnten ja die naheliegensten Höhlen von hier aus mit dem Trikorder scannen, während ich die weiter abgelegenen untersuche."

Sie bemerkte zu spät, daß es eine entsetzliche Vernachlässigung des Protokolls war, dem Captain Anweisungen zu geben. Hitze stieg ihr ins Gesicht und sie biß sich auf die Lippen.

"Captain, es tut mir leid, ich..."

Über Janeways Gesicht glitt ein müdes Lächeln.

"Ich bin einverstanden, Lieutenant. Aber halten Sie den Kommunikationskanal die ganze Zeit über geöffnet."

Brixton stand auf und berührte ihren Kommunikator.

"Jawohl, Captain. Und danke."

Torres wischte sich achtlos mit einem Ärmel ihrer Uniform den Schweiß von der Stirn, der ihr in die Augen zu fließen drohte. Verdammt, wie hatte ihr dieser Fehler unterlaufen können? War sie so stolz darauf gewesen, wie herrlich das Aragphma den Warpantrieb verbessert hatte, daß sie übersehen hatte, sich um die naheliegenste Integrationsschwierigkeit zu kümmern?

Zornig über sich selbst trat sie von einem Bein aufs andere und warf Lieutenant Carey dann einen herausfordernden Blick zu.

"Das ist es, nicht wahr? Das Problem lag die ganze Zeit über vor unserer Nase und wir haben es nicht bemerkt!"

Carey fragte sich zum wiederholten Male, warum um alles in der Welt Chefingenieure es immer als einen persönlichen Affront betrachteten, wenn ihnen ein Fehler unterlief. Es selbst konnte die Angelegenheit selbst dann objektiv untersuchen, wenn er persönlich unaufmerksam gewesen war. Vermutlich war dieser Charakterzug die Tatsache, daß Torres ihm als Chefingenieur vorgezogen worden war, dachte er zuweilen sarkastisch.

"So einfach ist es, denke ich, nicht", wandte er deshalb besonnen ein. "Es war einfach aus der Simulation nicht erkennbar, welchen Einfluß die internen Schiffssysteme auf das Aragphma haben würden."

"Oder das Aragphma auf die Schiffssysteme", entfuhr es Torres wütend. Sie hieb mit ihrer linken Hand gegen die Wand des Hauptterminals im Maschinenraum. Einige Meter von ihr entfernt ließen sich die Techniker nicht in ihrer Arbeit stören. Mittlerweile war man Torres’ Wutausbrüche gewohnt.

"Paris an Torres", drang die Stimme des jungen Lieutenant an ihr Ohr. "B’Elanna, ich brauche eine Antwort."

"Hier haben Sie ihre Antwort", entgegnete sie unwirsch. "Die Simulation war fehlerhaft."

Der Kanal rauschte, als Paris überrascht schwieg. "Wie bitte?"

Torres schob eigensinnig ihr Kinn vor. "Aus der Simulation ging nicht heraus, daß das Aragphma nicht ausreichend in unsere Schiffssysteme integrierbar ist", wiederholte sie, schwankend zwischen Hilflosigkeit und ohnmächtigem Zorn. "Oh ja, der Antrieb arbeitet prächtig, doch das Aragphma stört einige Kontakte zwischen den Gelpacks. Vermutlich hatten die Talaremer noch nie mit bioneuralen Schaltkreisen zu tun, daher schöpfte niemand Verdacht. Und ausgehend von den Simulationen sah es wirklich so aus, als sei alles in Ordnung."

"Und diese...Unterbecher zwischen den Kontakten verhindern, daß die Generatoren die Schilde aufbauen können?" fragte Paris ungläubig. Unten im Maschinenraum zuckte B’Elanna die Achseln.

"Den Beweis haben Sie vor sich. Einige technische Bereiche werden von einem Moment auf den anderen lahmgelegt, weil die elektronischen Befehle nicht mehr bis zu ihrem Ziel durchdringen. Solange wir das Aragphma an Bord haben, können Sie Ihre Schilde getrost vergessen, Lieutenant."

"Womit wir ein Problem hätten", murmelte Paris und überlegte. "Genügt es nicht, den Warpantrieb abzuschalten?"

"Möglicherweise, das würde jedoch bedeuten, daß wir in einer Konfrontation mit den Kazon zumindest den Impulsantrieb zur Verfügung hätten." Wer braucht im Nahkampf denn auch schon Warpantrieb? dachte sie verbittert. "Aber das löst nur unser augenblickliches Problem, Paris! Wir schaffen es niemals ohne Warpantrieb bis in den Alpha-Quadranten, das bedeutet, wir müßten uns zwischen den Prioritäten der Schilde und des Antriebs entscheiden."

"Ich werde mich hüten, eine derartige Entscheidung zu treffen", murmelte Paris verhalten. "Verstanden, Maschinenraum. Ich schlage vor, wir beschäftigen uns zuerst einmal mit der momentanen Situation und verschaffen den Kazon ein wenig Ablenkung. B’Elanna, schalten Sie den Warpantrieb ab, wir gehen auf Impuls. Und während wir uns ein wenig mit unseren alten Freunden unterhalten, sollten Sie sich daran machen, herauszufinden, weshalb um alles in der Welt unsere Dilithiumkristalle ihre Existenz aufgeben wollen. Ich fürchte, wir stehen sonst tatsächlich ohne jeden Antrieb da."

Der Lichtkegel der Taschenlampe huschte über die felsigen Wände. Leere gähnte Lieutenant Brixton entgegen, kalte leere Höhlen, in denen das Tageslicht, das aus der großen, benachbarten Höhle einfiel, beinahe völlig verschluckt wurde. Es fiel ihr nicht leicht, ihre Phantasie im Zaum zu halten, die alle nur denkbar möglichen Untiere und Gefahren in diese nachtschwarzen Nischen hinein malte, die außerhalb des Lichtscheins lagen. Sie hatte schon immer das gehaßt und gefürchtet, das sie nicht sehen konnte, und in dieser finsteren Höhle konnte praktisch jede von diesen Ängsten auf sie lauern - wenn sie nicht endlich damit begann, sich klarzumachen, wie albern diese Gedanken waren, fuhr sie sich selbst an. Ein Bergwerk war ein Bergwerk, dort gab es weder versteckte Cardassianer noch wartende Klapperschlangen.

Der offene Kommunikationskanal rauschte stetig vor sich hin. Alles, was außerdem zu hören war, war ihr ruhiger Atem und das leise Quietschen ihrer Stiefel auf dem glatten Fels. Als sie einmal den Lichtstrahl zu Boden richtete, stellte sie überrascht fest, daß der Stein mit einem dünnen Wasserfilm überzogen war. Vermutlich kommt das vom Meer, überlegte sie, während sie weiter ging. Der Wind trägt feuchte Luft hier herein, wo sie dann wieder kondensiert. Deshalb ist es hier drin wahrscheinlich auch wärmer als in der Nachbarhöhle, in die der Wind so hineinbläßt und die Luft unablässig zirkuliert, ohne zu kondensieren.

Die ersten beiden Höhlen, die sie untersuchte hatte, hatten sich als eine Enttäuschung erwiesen. Sie fand nichts in ihnen, das ihnen in irgendeiner Weise hätte helfen können. Zwar waren sie nicht vollständig leer - sie entdeckte einige konsolenähnliche Geräte an den Wänden, die jedoch ohne Energie waren und aus denen sie nicht ersehen konnte, welchem Zweck sie überhaupt einmal gedient hatten -, doch es gab nichts, das das seltsame Gefühl in ihrem Inneren befriedigte - das Gefühl, daß sie etwas Bedeutendes übersehen würde, wenn sie diese Höhlen nicht näher in Augenschein nahm.

Sie spürte sofort die Veränderung, als sie mit sinkender Hoffnung die dritte Höhle betrat. Die Luft roch anders und ihre Nasenflügel begannen instinktiv zu beben. Es roch nach Metall. Zwar war es nur ein schwacher Geruch, kaum erkennbar für Menschen, deren Sinne sich doch mehr auf das Sehen und Hören beschränkten, doch Brixton, die jahrelang mit Maschinen zu tun gehabt hatte, wußte sofort: In diesem Raum gab es Gegenstände aus Metall, die durch langanhaltende Feuchtigkeit zum Rosten gebracht worden waren.

Sie beschleunigte ihren Schritt und ließ den Schein ihrer Lampe kreisen. Auf ihrem Gesicht breitete sich ein triumphierendes Lächeln aus...

Janeways Suche war kurz und erfolglos gewesen. Sie hatte bemerken müssen, daß der Höhlenzweig, den sie untersuchen wollte, bereits nach zwei kleinen Höhlen sein Ende gefunden hatte. Sie hatte die Felswände abgetastet in der Hoffnung, eine versteckte Öffnung zu finden, die sie weiterbrachte. Vergeblich. Wie es schien, waren diese Höhlen einzig und allein als Vorratsräume gedacht gewesen, nicht als Wegverbindungen. So war sie unverrichteter Dinge wieder in die Haupthöhle zurückgekehrt.

Chakotay wandte den Kopf, als sie sich neben ihm niederließ. Sie schauderte, als die Kälte des Felsbodens ihre Uniform durchdrang.

"Nichts", sagte sie, bevor er überhaupt fragen konnte. "Vorratshöhlen, nehme ich an. Keine Wege, die nach draußen führen, keine, die in den Berg zurück leiten. Ich befürchte, wir müssen darauf hoffen, daß Lieutenant Brixton mehr Glück hat."

"Bis jetzt hat sie das leider noch nicht", ertönte Brixtons Stimme aus ihrem Kommunikator. Janeway zuckte zusammen. Sie hatte vergessen, daß sie den Kanal offen gelassen hatte. "Aber diese Verzweigungen scheinen weitreichender zu sein als Ihre, Captain. Ich gehe weiter."

"Verstanden, Lieutenant. Janeway Ende."

Sie streckte ihren Arm aus und berührte mit ihrer Handfläche Chakotays Stirn. Seine bronzefarbene Haut glänzte von kaltem Schweiß und seine Zähne klapperten.

"Sie frieren", stellte sie fest und schlüpfte aus der riesigen Jacke, die immer noch um sie herum schlotterte. "Der Fels speichert die Kälte im Boden schneller als an den Wänden." Sie breitete die Jacke auf dem Boden neben ihm aus und umfaßte seinen Oberkörper. "Können Sie versuchen, sich aufzusetzen? Dann schiebe ich die Jacke unter Ihren Rücken und Sie sind wenigstens teilweise vor der Kälte geschützt."

"Das kommt überhaupt nicht in Frage", protestierte er. "Mir ist nicht weniger kalt als Ihnen."

"Ich bin nicht diejenige, deren Zähne klappern", entgegnete sie unnachgiebig. "Also los."

Er biß die Zähne zusammen, als sie ihm half, sich halb aufzurichten. Sie sorgte dafür, daß die Jacke keine Falten schlug, und drückte ihn wieder langsam zu Boden.

"Na sehen Sie? Viel besser, nicht wahr?"

"Ich kann mich an Angenehmeres erinnern", preßte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Janeway zitterte plötzlich ebenfalls, jedoch nicht aufgrund der Kälte.

"Ja", sagte sie leise und strich sich eine lose Strähne aus dem Gesicht. "Ja, ich auch."

"Ich mag den Sommer hier", sagte Kathryn und schlang sich das nasse Handtuch über die Schultern. "Die trockene Wärme und die Gerüche überall. Es ist nicht viel anders als in Indiana, an dem Tag, als Mark und ich..." Sie stockte und blieb stehen. Der Indianer hatte sich umgedreht, seine Augen waren ernst geworden. Sie sah zu ihm hoch und lächelte hilflos.

"Tut mir leid", flüsterte sie. "Aber manchmal ist es verdammt schwer, positiv zu denken." Sie fingerte unschlüssig an ihrer Bluse herum, die an den Schultern durch das Handtuch feucht geworden war.

Chakotay kämpfte gegen den Drang, seine Hand auszustrecken und sie zu berühren, doch er wußte, daß er ihr auf diese Weise keinen Trost geben konnte. Obwohl Kathryn äußerlich ihren Widerstand gegen ihr neues Leben aufgegeben hatte, obwohl sie sich bemühte, es ihm gleichzutun und sich der neuen Umgebung anzupassen, verging kein Tag, an dem sich ihr Gesicht nicht mit einem Mal überschattete und er wußte, daß ihre Gedanken in weiter Ferne weilten. Und obwohl sie nicht darüber sprach, war ihm klar, daß Voyager und das ferne Ziel des Alpha-Quadranten immer noch den größten Teil ihrer Gedanken beanspruchten. Er konnte nicht behaupten, daß es ihm anders erging. Auch er wachte nachts aus dem Schlaf auf und glaubte, zurück auf der Erde zu sein und die trockene Erde Arizonas unter den bloßen Füßen zu spüren, oder er war wieder an Bord der Voyager, in seinem Sessel auf der Brücke, und hörte das vertraute Bliepen und Summen der technischen Geräte um sich herum. Dennoch, er besaß die tiefverwurzelte Eigenschaft seines Volkes, das Leben so hinzunehmen, wie es kam. Er konnte schließlich nichts daran ändern, daß sein Leben eine Wendung nahm, die er nicht vorausgesehen hatte. Er hatte das alte Wissen seiner Vorfahren geerbt, das es ihm ermöglichte, das Unausweichliche zu akzeptieren und sich nicht dagegen aufzulehnen. Wie anders hätte er es sonst ertragen können, aus der Gemeinschaft, ja aus dem Lebensinhalt des Maquis herausgerissen und gezwungen zu werden, sich in ein System einzufügen, gegen das er sich Jahre zuvor mit aller Entschlossenheit entschieden hatte? Nichts war schwerer gewesen, als den Maquiskämpfer abzulegen - ganz gelungen war es ihm bis zum heutigen Tag noch nicht. Der instinktive Drang seinen Gefühlen im Kampf freien Lauf zu lassen, wurzelte noch immer tief in ihm.

Gegen etwas anzukämpfen, das sich nicht ändern ließ, bedeutet allerdings nur Zeitverschwendung.

Er verstand jedoch, daß Janeway, die Wissenschaftlerin und Kämpfernatur, sich nicht mit ihrem derzeitigen Schicksal abfinden konnte und wollte. Er ließ sie daher in Ruhe und hoffte nur darauf, daß sie mit der Zeit ihre Anspannung besiegen würde - denn, ob er es wollte oder nicht, es schmerzte ihn, daß sie sich quälte und er keine Möglichkeit sah, ihr diese Qual zu erleichtern.

Kathryn atmete tief ein und ging weiter.

"Ich kann mich nicht dagegen wehren, Chakotay", sagte sie, die Augen geradeaus den Weg entlang gerichtet. "Dieser Ort ist beinahe ein Paradies. Ich spüre, wie ich das Leben dieses Planeten in mich ziehe und es sich mit meinem verbindet und etwas neues daraus entsteht - wahrscheinlich ist dieses Leben sogar mehr auf meine Bedürfnisse ausgerichtet als es jemals zuvor gewesen ist. Es ist eine Art zu leben, wie sie vielleicht einmal ursprünglich für den Menschen gedacht war. Und trotzdem fehlt mir etwas, Chakotay. Und manchmal weiß ich nicht, ob dieser fehlende Teil nicht einfach zu groß ist, um beiseite geschoben und vergessen zu werden."

Aber wie bedeutend ist der andere Teil geworden? fragte sie sich stumm, während sie schweigend voranging und Chakotays nachdenklichen Blick in ihrem Rücken spürte. Welchen Raum nahm der hochgewachsene Mann mit den ausgeglichenen Bewegungen ein, der einmal ihr Erster Offizier gewesen war? Nur noch vage konnte sie sich das seltsame Gefühl in Erinnerung rufen, das sie durchströmt hatte, als sie erfuhr, daß sie beide infiziert worden waren - sie konnte es nicht Angst nennen, eher ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend, als sie sich mit dem Gedanken konfrontierte, allein mit dem ehemaligen Maquis zu leben. Sie wußte, daß er sie respektierte und sie ihm blind vertrauen konnte - und dennoch fühlte sie sich beklommen in seiner Nähe. Mit einem Mal war ihr bewußt geworden, wie wenig sie eigentlich von ihm wußte, wie selten sie einen Blick auf den Maquis hatte werfen können, den er so sorgfältig hinter der aufmerksamen und ruhigen Figur des Sternenflottenoffiziers verbarg.

Und nun herrschte zwischen ihnen eine solche Vertrautheit, daß sie ihr beinahe Angst machte. Sie verstanden einander wortlos - sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals mit Mark in einer solchen Weise verbunden gefühlt zu haben. Und obwohl dieses gegenseitige Verständnis auf geistiger Ebene entstanden war, mußte Kathryn zugeben, daß sie sich nicht nur in platonischer Hinsicht von ihm angezogen fühlte.

Ihr war allerdings nicht entgangen, daß Chakotay in ähnlicher Weise empfand. Vermutlich war es genau das, was ihr Angst machte. Irgendwo in ihrem Bewußtsein existierte noch der Funke Hoffnung, Voyager werde ein Heilmittel finden und sie wieder an Bord nehmen - und was geschah dann mit ihr und dem Indianer? Es gelang ihr einfach nicht, die Vertrautheit, die auf New Earth entstanden war, in die von Rängen dominierte Atmosphäre eines Raumschiffs zu übertragen. Doch war das nur mangelnde Phantasie oder berechtigte Vorsicht?

Sie warf einen Blick über die Schulter und musterte Chakotay. Seine Muskeln bewegten sich kraftvoll unter dem durchnäßten Hemd und sie stellte überrascht fest, daß ihr nie aufgefallen war, wie geschmeidig und sicher er sich bewegte. Eine Woge warmer Emotionen stieg in ihr auf, und mit einem Mal war sie bereit, es sich einzugestehen: Sie empfand für diesen Mann etwas, was über Liebe hinausging. Es war das sichere Gefühl, daß er die zweite Hälfte von dem darstellte, was sie als ihr Ich kannte. Er begann dort, wo sie an ihre Grenzen stieß, wo sie selbst hilflos und verletzlich wurde. Noch nie hatte sie sich in der Gegenwart eines anderen Menschen so sicher gefühlt. In diesem Augenblick konnte sie sich nicht vorstellen, wie sie jemals ohne seine Nähe hatte leben können.

Chakotay, mit einem Mal ihres nachdenklichen Blickes gewahr, richtete seine dunklen Augen auf sie. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Es war auch nicht nötig, daß sie etwas sagte. Sie sah in seinen Augen, daß er längst ahnte, was sie so lange gefürchtet hatte, wahrkommen zu lassen.

Seine schlanken Finger klopften einen wilden Rhythmus auf die glänzende Tischplatte. Das fahle, ewig stetige Licht weit entfernter Sonnen fiel durch die geschwungenen Fenster in den Raum, sonst verschluckt von der grellen Helligkeit der Raumbeleuchtung, im dämMr.igen Halbdunkel nun aber die einzige Lichtquelle. Ihr Jahrhunderte altes Licht übte eine beruhigende und zugleich ängstigende Wirkung auf ihn aus. Soweit er es wußte, konnten diese Sterne schon seit Jahrzehnten erloschen sein, ein letztes Mal aufgeglüht in einer gigantischen Supernova, deren strahlende Lichtquelle sein Auge erst in einigen Jahren würde sehen können. Was er jetzt sah, war somit ein Blick in die Vergangenheit des Universums, ebenso real oder irreal wie die Erinnerungen, die sich hin und wieder in seine Gedanken schlichen, und vermutlich genauso fragwürdig wie gewisse Gefühle, die seit einiger Zeit unbemerkt in ihm keimten und erst am Abend des talaremischen Empfangs an die Oberfläche getreten waren.

Tom Paris seufzte und zauste sich müde das sandfarbene Haar. Zuviel Verantwortung lag nun auf seiner Schulter, als daß er sich mit trivialen Gedanken wie Sternenlicht oder der unmöglich existierenden Zuneigung zu einer unmöglich irrationalen, temperamentvollen Chefingenieurin beschäftigen durfte. Und doch war es diese Chefingenieurin allein, die sie aus dem Schlamassel heraus holen konnte, in den sie ohne jede Vorwarnung geraten waren. Die Ausgangslage, sich zwischen dem Warpantrieb und den energetischen Schilden entscheiden zu müssen, war definitiv inakzeptabel. Torres hatte sich jedoch erfolglos darum bemüht, die bioneuralen Schaltkreise so zu modifizieren, daß sie durch das Aragphma nicht weiter gestört wurden. Kaum hatte sie eine Verbindung wieder hergestellt, brach eine weitere zusammen. Die Nachricht, die ihm von jedem Monitor auf der Brücke entgegen geleuchtet hatte, war unmißverständlich: Der Kristall Aragphma und die bioneuralen Gelpacks der Voyager waren nicht zufriedenstellend kompatibel. An dieser niederschmetternden Feststellung war nicht zu rütteln - B’Elanna hatte sich in dieser Beziehung mehr als deutlich ausgedrückt. Nun hieß es, nach Alternativen zu suchen. Und wenn Tom Paris ehrlich mit sich war, mußte er zugeben, daß ihre Lage im Moment mehr als düster aussah.

Wie das Außenteam mit dem Beschuß der Kazon unten auf der Oberfläche zurecht kam, dieser Gedanke konnte und durfte seine Aufmerksamkeit im Augenblick nicht in Anspruch nehmen, so sehr er sich ihm auch aufdrängte. Die Priorität lag augenblicklich bei Torres’ Analysen der Dilithiumkristalle und bei seiner Ausarbeitung eines geeigneten taktischen Planes, mit dem er die Kazon ablenken konnte, ohne das Defizit des Warpantriebs im Kampf bereuen zu müssen. Seufzend griff er nach dem Datenblock, den er in einem Anflug von hilfloser Wut von sich gestoßen hatte, und reflektierte den Grobbau des Plans, den er versuchsweise in Betracht gezogen hatte.

Der Plan war nicht einmal den Spielereien eines Zwölfjährigen würdig, stellte er niedergeschlagen fest, als sich der Türmelder bemerkbar machte. Auf seinen Ruf öffnete sich das Schott und Lieutenant Fiona McPherson betrat den Bereitschaftsraum des Captains. Paris blickte auf. Sein ernstes Gesicht wurde noch eine Nuance finsterer.

"Uh, welch eine romantische Dunkelheit", kommentierte die junge Frau spöttisch und sah sich in dem abgedunkelten Raum um. "Keine Kerzen oder Aromastoffe, Paris? Ich bin enttäuscht von ihnen."

Er biß die Zähne zusammen und schleuderte ihr mental eine Flut von intergalaktischen Schimpfwörtern entgegen. Seine Haltung verriet ihn jedoch nicht. Er lehnte sich im Sessel zurück und verschränkte herablassend die Arme.

"Kann ich etwas für Sie tun, Lieutenant?"

Ihre langen Wimpern klapperten, dennoch konnte er sich in diesem Moment nicht vorstellen, daß er diese...Schnepfe jemals im Entferntesten attraktiv gefunden hatte. Wenn er sich hingegen die hohe, leicht gefurchte braune Stirn B’Elanna Torres’ vor Augen rief... Entgeistert wies er diesen Gedanken weit von sich. So weit bist du in deiner Verzweiflung also schon gekommen, Paris, spottete er stumm. Die Ziele, die du dir steckst, werden immer unerreichbarer. Es ist wohl Zeit für einen Imagewechsel.

Der blonde Lieutenant zog eine elegante Schnute und überreichte ihm achselzuckend einen weiteren Datenblock.

"Lieutenant Torres bat mich, Ihnen das hier zu geben." Sie beobachtete ihn, als er einen ungeduldigen, wenn auch hoffnungsvollen Blick auf das kleine Display warf. Seine blauen Augen weiteten sich:

Ich hasse es, dies sagen zu müssen, aber ich stehe vor einer geschlossenen Tür.

Trotz meiner ausgesprochen positiven Beziehung zu Dilithiumkristallen sind diese hier nicht bereit, ihr kleines Geheimnis mit mir zu teilen. Jetzt hören Sie gut zu, Paris! Warten Sie nicht auf ein Wunder, sondern holen Sie Janeway und den Rest der Crew von dem Planeten, bevor die Kazon die Oberfläche in Lava verwandeln! Das ist ein Befehl!

(Paris schnaubte. Wem hatte Janeway das Kommando des Schiffes überlassen?)

Ich bin noch nicht bereit, klein beizugeben, aber dieser Weg führt in eine Sackgasse.

Geben Sie mir trotzdem noch etwas Zeit - ich weiß, ich weiß, das ist das Letzte, was wir haben -, die unwahrscheinlichen Möglichkeiten sind noch nicht erschöpft.

Falls Sie mich brauchen - ich versuche mein Glück dort, wo ich es am allerwenigsten finden werde. Andere Optionen sehe ich nicht. Tun Sie etwas! Torres.

Paris schüttelte abwesend den Kopf. Was wollte sie mit dieser kryptischen Botschaft ausdrücken? Ich versuche mein Glück dort, wo ich es am allerwenigsten finden werde. Begann sie womöglich, Streßsymptome zu zeigen? Tun Sie etwas! Nun, das zumindest war deutlich. Sie wußte immer noch, wie sie Leute herum kommandieren konnte. Verdammt noch mal, dachte er aufgebracht. Ich würde ja etwas tun, wenn ich wüßte, was in dieser Situation keiner Selbstmordaktion gleich kommt. Sein Blick wanderte hinüber zum erleuchten Computermonitor auf dem Schreibtisch, auf dem sich das Signal eines zweiten Kazonschiffes zu dem ersten gesellt hatte. Auch von diesem Schiff trafen Energiestrahlen auf die Region der Minen auf. Paris fragte sich ernsthaft, ob er sein Schicksal auf irgendeine ihm unbekannte Weise beleidigt hatte.

"Hören Sie, Paris", unterbrach McPhersons seidige Stimme seine Gedanken. "Ich bin bereit, mit diesem dämlichen Spiel aufzuhören. Ich weiß, daß ich nicht in der Position bin, Ihnen etwas vorzuschreiben, aber ich denke, Sie haben sich selbst lange genug an der Nase herumgeführt. Wir haben keine Zeit zum Warten mehr, und Sie schon gar nicht! Hören Sie endlich mit dem Grübeln und Überlegen auf und tun Sie etwas! Eine zweite Chance wird sich Ihnen bestimmt nicht mehr bieten. Sie sind doch sonst solch ein Draufgänger! Bitte, dann nutzen Sie doch ihre Chance, wenn sie Ihnen so offensichtlich angeboten wird!"

Ich scheine von einer Horde orakelnder Sybillas umgeben zu sein, stöhnte Paris innerlich, als ihm McPherson den Rücken zuwandte und brüsk den Raum verließ. Anscheinend weiß wirklich jeder besser als ich, was ich nun zu tun habe. Diese Tatsache behagte ihm ganz und gar nicht. Der unverbesserliche Tom Paris - auf die geheimnisvollen Ratschläge junger Frauen angewiesen? Pah, dachte er abwertend, alles nur Taktik, um mich zu verwirren. Ich soll etwas tun? Bei Jupiter, ihr Orakel, ich werde etwas tun. Beklagt euch jedoch nicht, wenn Delphi nachher in Ruinen daliegt...

Das Schiff hob sich im Lichtkegel ihrer Taschenlampe dunkel vor der mattschwarzen Finsternis der Höhle ab. Lieutenant Julia Brixton streckte ehrfürchtig ihre Hand aus und strich mit den Fingerspitzen über das glanzlose Metall des Rumpfes, während ihr Blick über die kleine Kajüte, das breite, eckige Heck und den spitz zulaufenden Bug glitt. Zweifelsohne ein Schiff, vermutlich aus der industriellen Blütezeit der talaremischen Wirtschaft stammend, gebaut, um das Aragphma über das Meer zu anderen Häfen zu bringen. Dieses Exemplar war jedoch sehr klein, kaum vier Meter lang, und wies keine erkennbaren Laderäume auf. Ein Versorgungsschiff möglicherweise? Brixton gönnte sich nicht die Zeit, weiter darüber zu spekulieren. Ihre Stimme verriet ihre Aufregung, als sie Captain Janeway über ihren Fund unterrichtete. Wie lange war es her, daß sie auf einem seetüchtigen Schiff gefahren war? Sie konnte sich kaum noch daran erinnern, wie sich aufbäumende Wellen unter schwankenden Bohlen anfühlten...

Samuel Houston knirschte mit den Zähnen, um einen Fluch zu unterdrücken, als Khladin unvermutet auf die Bremse stieg und sich der junge Lieutenant erneut auf dem Boden wiederfand. Während er sich wieder aufrichtete, breitete sich der bekannte metallische Geschmack von Blut auf seiner Zunge aus, und als er sich mit der Hand über die Lippen fuhr, blieb am Handrücken eine rötliche feuchte Spur zurück.

Die Straßen, die sie auf ihrer Fahrt passiert hatten, hatten sich in ein Verkehrschaos verwandelt. Endlose Kolonnen von behäbigen Lastern quälten sich in langen Schlangen durch die Landschaft, Kinder kreischten aus geöffneten Fenstern, Tücher flatterten im Wind, die Motoren der Fahrzeuge dröhnten. Bei jeder neuen Erschütterung brachen Fahrzeuge aus den Reihen aus, schlitterten auf dem heißen Asphalt, bis der Fahrer wieder Kontrolle über den Laster erlangt hatte. Nicht zum ersten Mal hatte Khladin mit einer Vollbremsung einen Unfall verhindern müssen.

"Wo um alles in der Welt zieht es all diese Menschen hin?" schrie Houston, um den allgemeinen Höllenlärm zu übertönen. "Denken Sie nicht, daß sie auf den Feldern, wo um sie herum nichts einstürzen kann, sicherer wären?"

Der Repräsentant schüttelte nur heftig den Kopf. "Sie fliehen zurück in die Städte. Die Kazon haben sicherlich eine gehörige Portion Wut im Bauch, aber sie werden ihr Feuer nicht auf die Ballungsräume und die Bevölkerung richten. Ihnen geht es nur darum, den Minen erheblichen Schaden zuzufügen." Seine rechte Hand umklammerte den Steuerknüppel so fest, daß sich Houston fragte, wann das Gerät unter dem enormen Druck zerbrechen würde. Er stützte sich mit beiden Händen an der Fahrzeugwand ab und verdrängte die Übelkeit, die bei jeder neuen Erschütterung stärker in ihm aufstieg.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Laster letztendlich in den runden Hof der Verwaltungsgebäude rumpelte. Mit einem letzten Aufstöhnen starb der Motor ab. Houston schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß sein Magen noch eine Weile aushalten möge, und kletterte hinter Khladin hinaus ins Freie. Wieder erschütterte ein Erdstoß das Terrain, jedoch schwächer als die vorherigen. Khladin blinzelte hinauf in den Himmel.

"Vielleicht ist Ihr Schiff endlich eingetroffen, um sie zur Räson zu bringen", murmelte er. "Kommen Sie! Wir müssen versuchen, Kontakt mit der Voyager herzustellen."

Selbst aus dieser Entfernung konnte Houston noch die schwach leuchtenden Energiestrahlen erkennen, die die Atmosphäre durchschnitten und in der Bergregion niedergingen.

"Lassen Sie uns bloß hoffen, daß Torres und Paris einige Tricks im Ärmel haben", versetzte er. Die Zunahme des energetischen Feuers konnte nur bedeuten, daß die Kazon Verstärkung bekommen hatten. "Selbst wenn das Schiff in Höchstform ist, sind zwei feindliche, aufgebrachte Kazonschiffe mehr als eine übliche Gefechtsübung."

"Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ist die Voyager einmal wieder weit von ihrer Höchstform entfernt", kommentierte der Doktor, als Torres mit zerzaustem Haar und blitzenden Augen in die Krankenstation stürmte. Er bedachte den kleinen, zylinderförmigen Behälter in ihren Händen mit einem mißtrauischen Blick. "Lassen Sie mich raten! Käse aus Neelix’ Giftküche? Kränkelnde Gelpacks? Vielleicht beides zusammen?"

"Sie glauben, Sie scherzen, aber Sie sind näher an der Wahrheit, als Sie vermuten", erwiderte Torres trocken und plazierte den Zylinder mit Druck auf den Schreibtisch des holographischen Arztes. "Wie weit sind Sie über den Austausch der Dilithiumkristalle gegen das talaremische Aragphma informiert?"

Der Doktor zuckte die Achseln. "Ich habe Zugriff auf alles, was in der Datenbank des Schiffes darüber verfügbar ist."

"Und?" fragte Torres sichtlich ungeduldig. "Haben Sie Zugriff genommen?"

Über das desinteressierte Gesicht des Hologramms glitt deutliche Verärgerung, und Torres glaubte sogar, in seiner gelehrten Stimme eine Spur Beleidigung auszumachen.

"Selbstverständlich. Es ist mir zwar aus bekannten Gründen nicht möglich, den Maschinenraum aufzusuchen, aber in der Theorie fühle ich mich sehr wohl imstande, den Prozeß der Kalibrierung der manuellen Kontrollsysteme der Plasmainjektoren..."

"Ich bin mit der Materie selbst sehr gut vertraut, Doktor", unterbrach ihn Torres gereizt. Sie stützte sich mit beiden Armen auf der Tischplatte auf, um nicht auch noch den Rest ihrer spärlichen emotionalen Kontrolle zu verlieren. "Der Aragphmakristall ist mit unseren Schiffsystemen nicht ausreichend kompatibel, daher müssen wir wieder von Anfang an beginnen." Sie öffnete den Deckel des Zylinders. "Hier sind einige Dilithiumkristalle, bei denen der Zerfallsprozeß bereits eingesetzt hat. Ich habe sie allen Tests und Untersuchungen unterzogen, die mir eingefallen sind, und das einzige deutliche Ergebnis waren Kopfschmerzen auf meiner Seite."

"Und Übellaunigkeit, Streß, kaum kontrollierbare Wutausbrüche", bemerkte der Doktor sachlich, während Torres das leise Hissen des Injektors an ihrem Hals vernahm und das Pochen hinter ihrer Stirn sofort spürbar nachließ. Sie rieb sich die Schläfen und zwang sich zu einem schiefen Lächeln.

"Danke. Ich wünschte nur, Sie könnten mein größeres Problem ebenso schnell bewältigen."

Der Doktor kniff unnötigerweise die Augen zusammen und beugte sich über den Tisch.

"Ein Zerfallsprozeß, der nicht auf natürliche Weise vonstatten geht?" murmelte er zu sich selbst. "Faszinierend. Darf ich fragen, welche Tests Sie auf Ihre kleinen Steinchen angewandt haben?"

Torres rollte die Augen gen Decke und unterdrückte mühsam einen klingonischen Fluch. Sie knallte ihm einen Datenblock in die ausgestreckte Handfläche und bemühte sich, ihren rasenden Puls wieder auf Normalgeschwindigkeit zu drosseln.

"Ich habe diese ‘Steinchen’ jeglichen Untersuchungsmethoden unterzogen, die für anorganisches Material klassifiziert sind", erläuterte sie unwirsch. "Nichts ist imstande, den Zerfall zu erklären, geschweige denn ihn aufzuhalten."

"Also gehen Sie davon aus, daß etwas Organisches Ihre Auswertungsergebnisse durcheinander bringt?" hakte der Doktor sofort nach. Torres öffnete den Mund, blinzelte verblüfft, hechtete mental einem Gedanken nach, der für den Bruchteil einer Sekunde aufgeblitzt war, und knabberte dann an ihrer Unterlippe. Auf ihrer Stirn grub sich eine tiefe Falte ein, als ihre Augen am Körper des Hologramms vorbei einen unsichtbaren Punkt in der gegenüberliegenden Wand des Büros anvisierten. Der Doktor bemerkte interessiert, daß sich ihr Pulsschlag verlangsamte und ihre Atmung merklich ruhiger wurde. Dieser äußerst zufriedenstellende Zustand hielt jedoch nur einige Sekunden an. Torres Augen wurden zu schmalen Schlitzen, als der Doktor bekümmert registrierte, daß ihre Herz wieder schneller zu schlagen begann und ihre Adrenalinausschüttung deutlich anstieg. Sie schüttelte irritiert den Kopf und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf den Arzt.

"Eine nicht sehr logische Schlußfolgerung, Doktor. Da Dilithium ein anorganisches Material ist, können selbst bakterielle Organismen nichts gegen die Kristalle ausrichten. Und dennoch - wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sofort auf einen, na, sagen wir zum Beispiel, Virenbefall tippen. Die Kristalle lösen sich systematisch auf oder werden aufgelöst, wie auch immer. Wenn die Kristalle organischer Natur wären..."

"Wer sagt, daß sie es nicht sind?" unterbrach sie der Doktor. Torres riß die Augen weit auf und betrachtete ihn kopfschüttelnd.

"Wer das sagt? Die Chemie, um nur einen Fachbereich zu nennen. Schon vor einigen Jahrhunderten wurde festgestellt, daß beispielsweise der Diamant in die anorganische Chemie zu zählen ist..."

"...aber trotzdem rein aus Kohlenstoff besteht, der ja bekanntlich das Ausgangsatom für alle organischen Verbindungen ist", fiel ihr der holographische Arzt ins Wort. "Und liegt nicht auch Dilithium einer Molekülverbindung zugrunde, die einige C-Atome enthält?" Er verharrte in einer bedeutungsschwere Pause, um seine Worte deutlicher einsinken zu lassen. Torres überlegte fieberhaft, zweifelnd. Ihr Blick wanderte zum Doktor, zu den Kristallen in dem kleinen Behälter, und wieder zurück. Mit einem Mal wirkte sie unsicher.

"Ich würde lügen, würde ich behaupten, daß organische Chemie und ihre Übergangsformen meine Stärke sind", gab sie schließlich zu. "Wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, wollen Sie mir deutlich machen, daß Dilithium, ein erwiesen anorganisches Material, sehr wohl von organischen Vorgängen beeinflußt werden könnte, da es in seiner Grundstruktur organische Moleküle beinhaltet?"

"Moleküle, die die Grundlage der organischen Chemie ausmachen", korrigierte der Doktor. "Betrachten Sie es als eine in den Raum gestellte Überlegung. Ich bin mir auch noch nicht im Klaren, wie diese Hypothese nachzuweisen ist und ob sie überhaupt ihre Richtigkeit hat." Er wanderte in dem kleinen abgetrennten Büro auf und ab. "Sie erwähnten zuvor den Diamanten und da kam mir plötzlich diese Möglichkeit in den Sinn." Wohl eher in das Programm, dachte Torres zynisch. Der Doktor nahm den Behälter mit den Kristallen in die Hand und äugte nachdenklich hinein. "Man müßte zuerst einmal eine Methode entwickeln, in der Tiefenstruktur des Kristalls nach organischen Formen zu scannen", setzte er an. "Ich nehme doch an, daß Sie während Ihrer Untersuchungen keine Spuren organischer Verbindungen entdeckt haben?"

"In diesem Fall hätten wir uns diese Unterhaltung sparen können, Doktor", erwiderte Torres hitzig. Sie spürte, wie es in ihrem Körper zu kribbeln begann, als ganz langsam, ganz tief in ihrem Inneren, Hoffnung in ihr aufstieg. Einige Minuten zuvor hatte es noch so ausgesehen, als sei sie am Ende einer eingemauerten Sackgasse angelangt. Doch jetzt hatte sie einen schmalen Riß in der feindlichen Steinwand entdeckt, ein feiner Haarriß bloß, der zu einer engen Spalte gehören konnte. Sie war noch weit davon entfernt, zu wissen, ob sie die Kraft und die nötige Voraussetzung besaß, diese winzige Spalte zu vergrößern, so daß sie sich hindurch zwängen konnte, doch wenn sie sich bückte und einem Auge hindurch spähte, glaubte sie, einen dünnen Strahl hellen Sonnenlichts von der anderen Seite der Mauer her sehen zu können. Eine unwahrscheinliche Option ist besser als keine, dachte sie mit erzwungenem Optimismus.

Der holographische Doktor krauste überlegend die Nase. Torres fragte sich stumm, von wem in aller Welt er diese Eigenart kopiert hatte. Wenn sie sich recht entsann, hatte sie diese Bewegung schon öfters an Tom Paris beobachtet. Paris...er war ihr in letzter Zeit reichlich zurückgezogen vorgekommen. Es machte nicht einmal mehr halb so viel Spaß, ihn zu necken und aufzuziehen. Ob er immer noch auf der Sache mit der jungen McPherson heruMr.itt? Sie schnaubte in Gedanken. Was Paris nur immer an diesen gackernden blonden Gänsen so aufregend fand. Dabei hatte sie auf dem Empfang der Talaremer wirklich den Eindruck gehabt, daß er... Sie brach den Gedanken ab, bevor sie ihn überhaupt fertig denken konnte. Du bist verrückt geworden, B’Elanna Torres, schimpfte sie sich ärgerlich. Hier stellt sich dir vermutlich das verstrickteste Problem seit Beginn deiner Ausbildung und du hast nichts Besseres zu tun, als derart irrwitzigen Anspielungen nachzuhängen?

"Ich nehme an, das Ergebnis soll wenn möglich gestern auf dem Tisch liegen?" erkundigte sich der Doktor, offensichtlich zu einer Entscheidung gelangt.

Torres nickte knapp. "Ich werde Ihnen selbstverständlich zur Hand gehen", kündigte sie entschlossen an. "Ich schätze, Lieutenant Paris möchte eine Erklärung parat haben, wenn Captain Janeway wieder an Bord zurück gekehrt ist."

Der Doktor machte eine übertriebene Handbewegung in Richtung des kleinen Labors.

"Nach Ihnen, Lieutenant."

Kaltes, graues Wasser gischte an ihren Beinen hoch und schwappte gluckernd in die Stiefel hinein. Janeway schauderte, warf einen hastigen Blick zu Boden, wo ihre Füße im wirbelnden Wasser kaum mehr zu sehen waren, und klapperte fröstelnd mit den Zähnen. Ihre Uniform war bis über die Knie durchweicht und ohne den Schutz der schwarzen Bergarbeiterjacke fühlte sie sich dem unaufhörlich blasenden Wind noch stärker ausgesetzt.

Seit einigen Minuten hatte sie kein Gefühl mehr in ihren Händen, da half weder warmer Atem noch rhythmisches Auf- und Zukrampfen. Sie drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken gegen das Heck des Bootes und schob weiter. Um sie herum wogte das Meer. Der Himmel hatte sich etwas verdüstert, graue Wolkenfetzen jagten einander, ihre Spiegelung gab dem Wasser einen noch unruhigeren Anschein.

Eine Viertelstunde später hatten sie es endlich geschafft. Das kleine Schiff dümpelte auf dem Wasser, tanzte zwischen den Wellen auf und nieder, aber es schwamm, ohne zu lecken, und das war die Hauptsache. Julia Brixton vertäute es sicher am halbverfallenen Steg, setzte sich dann daneben zu Boden und ließ das angesammelte Wasser aus ihren Stiefeln laufen. Auch sie war bis über die Oberschenkel durchnäßt und rubbelte fröstelnd ihre Handflächen gegeneinander.

Janeway ließ sich schwer atmend neben ihr nieder. "Gut gemacht", brachte sie zwischen klappernden Zähnen heraus. "Welch ein Glück, daß die Rollvorrichtung unter dem Boot noch vorhanden war. Andernfalls wären wir wohl keinen Meter weit gekommen. Das Ding muß ja Tonnen wiegen."

"Da sehnt man sich gleich nach den guten alten Antigrav-Trägern, nicht wahr?" klapperte Brixton zurück. Ihre Lippen wurden langsam blau. Janeway ließ den Blick über das Meer bis zum Horizont streifen. Die Sonne stand nun schon so tief, daß es sich nur noch um Minuten handeln konnte, bis sie ins bewegte Meer eintauchen würde. Hinter ihnen wurde der Himmel schon langsam dunkel.

Janeway strich sich das feuchte Haar aus dem Gesicht in einem erfolglosen Versuch, ihrer Frisur wieder etwas von ihrer früheren Würde zurückzugeben, und blickte hinüber zu dem schwarzen Eingang der Höhle. Der schmale Strandstreifen lag bereits im dunklen Schatten des Berges, der sich wie ein drohendes Ungetüm hinter ihnen in den Himmel aufbäumte. Die dunkler werdende Atmosphäre wurde immer noch von unregelmäßigen Energiestrahlen durchschnitten, doch die Erschütterungen wurden merklich weniger, stellte sie erleichtert fest. Wenn sie nur die Gewißheit hätte, daß sich die Voyager endlich zurück im Orbit befand! Sie hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie schon versucht hatte, ihr Schiff zu kontaktieren; sie wußte auch nicht, wie lange sie sich noch der Illusion hingeben konnte, daß die energiegeschwängerte Luft jegliche Kommunikation unmöglich machte. Sie seufzte, riß sich dann gewaltsam zusammen und schlang die Arme um ihre steifgefrorenen Beine.

"Wir bringen jetzt Chakotay an Bord", ordnete sie heiser an und hustete. "Die Höhle wird von Stunde zu Stunde kälter. Ich schlage allerdings vor, vorerst an diesem Küstenstreifen zu bleiben, bis wir herausgefunden haben, wozu dieses kleine Schiff fähig ist."

"Die Motorik scheint nicht besonders anspruchsvoll zu sein", wandte Brixton ein, "aber sobald ich herausgefunden habe, ob es Scheinwerfer gibt und wie sie funktionieren, können wir uns gefahrlos auf den Weg zum nächsten Hafen machen." Sie stand auf, ihre Glieder fühlten sich an wie Eiszapfen. "Wir müssen etwas finden, um den Commander warm zu halten. Ich glaube allerdings nicht, daß wir in der Kabine noch genießbare Nahrung finden werden." Sie verzog das Gesicht.

"Darum kümmern wir uns, wenn es soweit ist", antwortete ihr Captain. "Im Augenblick wäre ich schon glücklich, wenn Chakotay sicher aus diesem Eiskeller heraus wäre und der medizinische Trikorder ausnahmsweise einmal eine aufbauende Information für mich bereit halten würde." Ihre Gedanken wanderten hinüber in die Höhle, wo Chakotay bestimmt noch entsetzlicher fror als sie. Sie zitterte. Wenn die Voyager nicht auf die Vidiianer getroffen wäre, läge ich jetzt vermutlich in meinem Gemüsegarten und würde Tomaten zählen. Chakotays Hämmern würde aus dem Wald dringen, und ich würde mir ausmahlen, wie wir mit den Fluß erkunden würden, wenn er den Kahn fertig gezimmert hat. Wir wären Lichtjahre entfernt von diesem Ort, die untergehende Sonne würde durch die Blätter filtern und die Lichtung in einen orangefarbenen Ton tauchen. Ich würde die Strahlen warm auf meiner Haut spüren... Eine frostige Windböe ergriff sie und ließ sie schaudern. Brixton sah auf und merkte, daß Janeway die Hände zu Fäusten geballt hatte. Ihre Augen waren kalt.

"Fangen wir an", sagte sie hart. "Ich will nicht länger hier verweilen als unbedingt nötig."

Ein halbes Dutzend fragender Augenpaare richteten sich auf ihn, als das Schott zum Bereitschaftsraums des Captains zischend hinter ihm zu glitt. Lieutenant Tom Paris blieb einen Augenblick ergriffen stehen, als er das Vertrauen und die Sicherheit spürte, die seine Kollegen ihm stumm entgegen brachten. Er straffte die Schultern, lächelte grimmig und durchmaß die Brücke mit wenigen Schritten.

"Wir haben hier lange genug gesessen und den Kazon unsere Referenz erwiesen", kündigte er an, während er hinter die Steuerkonsole direkt vor dem großen Wandschirm glitt. Seine schlanken Finger huschten über die Kontrolltastatur, während er mit einem Blick den Zustand der Antriebsaggregate prüfte. "Garrett, Bericht!"

Der rothaarige junge Mann, der Tuvoks Platz übernommen hatte, hob den Kopf. "Phasersysteme voll einsatzbereit. Photonentorpedos sind geladen und können automatisch gestartet werden. Nach Abschalten des Warpantriebs sind auch die Schutzschilde wieder zu 100% aufgebaut worden."

"Wir werden den Warpantrieb für eine kleine Weile entbehren können", entgegnete Paris. "Lieutenant Torres arbeitet daran, den Schaden an den Dilithiumkristallen zu beheben, dieses Problem können wir also erst einmal hinten anstellen." Gebe Gott, daß Sie mich nicht Lügen strafen, B’Elanna! "Wir gehen jetzt auf Impuls und werden uns bemühen, die Kazon ein wenig von ihrem Feuerwerk abzulenken."

Leises Gelächter hinter ihm, als seine Ironie die Anspannung der Crew ein wenig löste. Mit einer raschen Sequenz aktivierten Paris’ Finger den Impulsantrieb, und das Schiff glitt kaum merklich in die neue Geschwindigkeit hinein. Als Harry Kim an der Operationskonsole die Langreichweitensensoren aktivierte und das Sensorenbild auf den Hauptschirm legte, konnten sie bereits den grünlichen Planeten der Talaremer inmitten des binären Sonnensystems ausmachen. Zwei unförmige Schiffe, eindeutig der Bauart der Kazon zuzuordnen, hingen still im Orbit.

"Das Phaserfeuer der Kazon ist nur noch unregelmäßig", berichtete Garrett hinter ihm. "Auch die Intensität des Feuers hat abgenommen. Wie es scheint, haben die Kazon vor, den Rückzug anzutreten." Er konnte nicht verhindern, daß Erleichterung in seiner Stimme mit schwang.

Paris krauste die Nase und warf Kim einen Blick über die linke Schulter zu. "So leicht werden wir es ihnen aber nicht machen. Harry, ich werde versuchen, die Voyager zwischen die beiden Schiffe zu bewegen und dabei das Phaserfeuer auf uns zu lenken. Wenn wir Glück haben, sind die Kazon nach einigen Stunden ununterbrochenem Feuers ein wenig müde und zielen nicht mehr so gut wie am Anfang." Er grinste martialisch. "Ihre Aufgabe ist es jetzt, nach den Lebenszeichen des Captains und des restlichen Außenteams zu scannen und ihre Koordinaten dem Transporterraum Eins weiterzuvermitteln. Ich möchte in der Lage sein, bei der ersten Möglichkeit, die Schilde zu senken, alle gleichzeitig herauf zu beamen. Versuchen Sie außerdem, Kontakt zu den einzelnen Gruppen aufzunehmen. Es wäre angenehm, zu wissen, was dort unten vor sich geht und weshalb zum Teufel die Kazon einen derartigen Aufstand machen."

Kim nickte eifrig und beugte sich über seine Konsole. Paris gab noch einige weitere knappe Anordnungen und konzentrierte sich dann auf die Flugroute, die in leuchtenden Zahlen und Graphiken vor ihm auf dem Monitor auftauchte. Der Abstand zu den beiden wartenden Kazonschiffen verringerte sich immer mehr. Paris biß sich vor lauter Anspannung auf die Unterlippe.

"Aufwachen da drüben", murmelte er kaum hörbar. "Hüte festhalten! Wir kommen!"

B’Elanna Torres registrierte verblüfft, daß es ihr nicht mehr gelang, still zu stehen. Wie ein unruhiges Kind wippte sie auf den Zehenspitzen, um über die Schulter des holographischen Arztes einen Blick auf den kleinen Monitor in dessen Labor zu erhaschen. In ihren Händen kribbelte und juckte es, während sie darauf wartete, ob das kleine Gerät, das sie gemeinsam mit dem Hologramm in der vergangenen Stunde entwickelt hatte, in der Lage sein würde, organische Vorgänge in der anorganischen Natur des Dilithiumkristalls aufzuspüren und zu identifizieren. Leicht gesagt, wo sie doch beide nicht einmal genau wußten, wonach sie im Grunde eigentlich suchten. Wie erklärt man einem Spürhund, etwas zu finden, von dem man selbst nicht genau weiß, was es ist?

"Ich bin zwar nur ein holographisches Programm und nicht in der Lage, Überreiztheit zu zeigen", unterbrach die arrogant angehauchte Stimme des Doktors ihre Gedanken, "aber wenn Sie freundlicherweise ein bißchen weniger herumzappeln könnten, würde Ihnen das Ihr Adrenalinspiegel vermutlich auch danken."

B’Elanna schnitt ihm eine Grimasse und zwang sich dazu, still zu stehen.

"Wenn Sie wüßten, wie immens wichtig der Ausgang dieses Experiments ist, Doktor", begann sie enthusiastisch. "Ohne Warpantrieb sind wir über kurz oder lang in diesem Quadranten gestrandet, und obwohl ich nicht behaupten kann, daß mich im Alpha-Quadranten mehr hält als hier, möchte ich doch zumindest aus den Territorien der Kazon heraus sein, bevor sich die Sekten versöhnen und womöglich noch entscheiden, Voyager in einer gemeinsamen Aktion anzugreifen."

"Abgesehen davon, daß dies mit hoher Wahrscheinlichkeit niemals eintreten wird", bemerkte der Doktor, während seine Augen weiterhin am Bildschirm klebten, "kann ich mir nur zu lebhaft vorstellen, was es für Sie bedeuten muß, wieder in den Alpha-Quadranten zurückzukehren."

B’Elanna schenkte ihm einen spöttischen Blick. "Können Sie?"

"Natürlich. Wenn wir erst wieder im Alpha-Quadranten sind, wird neues medizinisches Personal auf die Voyager transferiert und man wird aufhören, mich als Arzt für jede Kleinigkeit zu aktivieren." Seine Augen schweiften in die Ferne ab. "Eine himmlische Vorstellung, kann ich Ihnen sagen. Man wird mich wieder für das schätzen, was ich bin: ein nicht zu übertreffender Chirurg, dessen Hände nicht fähig sind, zu zittern, ein ausgezeichneter Diagnostiker mit dem Wissen von Tausenden von Ärzten aller Rassen..."

"Ich kann Ihnen folgen", unterbrach ihn B’Elanna hastig. "Na ja, ich denke, wir haben alle gewisse Wunschvorstellungen drüben im anderen Quadranten liegen."

Der Doktor warf ihr einen mißtrauischen Blick zu, rümpfte die Nase und hob dann triumphierend die Augenbrauen.

"Ah, hier haben wir es!" Er beugte sich noch tiefer über das kleine Gerät auf dem Diagnosetisch. "Und da mag einer behaupten, es gäbe keine erstaunlichen, wundersamen Entdeckungen im 24.Jahrhundert mehr zu machen." Torres spähte ungeduldig über seine Schulter, bis er sich endlich bequemte, zur Seite zu treten. Wie ein Habicht starrte sie auf das kleine leuchtende Anzeigenfeld hinunter.

"Bei Kahless!" flüsterte sie und blinkerte mit den Wimpern, traute für einen kurzen Moment weder ihren Augen noch der Unfehlbarkeit des neuentwickelten Gerätes. "Sie hatten recht."

"Selbstverständlich hatte ich recht." Der Doktor zuckte die Achseln, erstaunt, daß sie den Ausgang seiner Hypothese überhaupt in Frage gestellt hatte. "Wie ich es geahnt habe: Irgendwie hat es dieser organische Virus geschafft, Verbindung zu den Kristallen aufzunehmen und eine enzymatische Wechselwirkung auszulösen, die die Kristalle veranlaßt, ihren natürlichen, alternden Zerfallsprozeß früher und schneller als erwartet zu beginnen."

"Enzymatisch", murmelte B’Elanna, ohne die Augen vom Display nehmen zu können. "Wie um alles in der Welt können Kristalle auf Enzyme ansprechen? Wie können sie auf diese Art stimuliert werden? Sie enthalten keinerlei Eiweißstrukturen, keine DNA, keine Substrate... Wo, bitte, soll ein derartiges Enzym denn ansetzen?"

"Sie stellen mir Fragen, die ich auch nicht beantworten kann, Lieutenant", entgegnete der Doktor gelassen. "Alles, was ich Ihnen sagte, können Sie hier selbst bestätigt sehen. Aber mir ist etwas anderes aufgefallen." Er schob sie unsanft beiseite, wobei er ihr leises, protestierendes Fluchen ignorierte, erweckte einen weiteren kleinen Monitor zum Leben und betätigte einige Tasten. Seine Mundwinkel kräuselten sich, als er nicht zu finden schien, was er suchte, er probierte eine andere Tastenfolge, wartete einen Augenblick und nickte dann ausdrücklich.

"Sehen Sie sich die Aminosäurensequenz unseres unbekannten Enzyms an", wies er Torres an, "und vergleichen Sie sie einmal mit derjenigen dieser älteren Probe. Fällt Ihnen nichts auf?"

Die Chefingenieurin ließ ihre Augen zwischen beiden erleuchteten Displays hin und her wandern, murmelte einige Buchstaben vor sich hin, wiederholte sie, starrte. Ihr Blick wurde immer ungläubiger.

"Ähnlichkeiten in der Sequenz", flüsterte sie verwirrt. "Die Abfolge der dazugehörigen Gene unterscheidet sich nur im Bereich weniger Basen. Glauben Sie, daß diese Enzyme vom selben Organismus produziert worden sind?"

"Eine naheliegende Möglichkeit", gab der Doktor zu.

"Aber wie kommt die Aminosäurensequenz eines Enzyms, das diesem unbekannten hier so ähnlich ist, in die Datenbank der Voyager?" forschte Torres nach. Der Doktor hob rasch die Hand, um sie zu unterbrechen, und rief einige weitere Daten auf. Buchstabenkolonnen rollten über den kleinen Monitor, der immer noch die zweite Enzymanalyse anzeigte. B’Elannas Augen weiteten sich entsetzt.

"Die Phagozytenseuche der Vidiianer", sagte sie tonlos.

Der Doktor nickte. "Ich fürchte ja."

Lieutenant Paris klammerte sich mit der einen Hand an der Steuerkonsole fest, während die andere wie ein blindes Irrlicht über die Tastatur wirbelte. Bei jedem Treffer, den die Phaser der Kazon auf den Schilden der Voyager landeten, bebte die Brücke ein wenig stärker. Paris stieß einen leisen, farbenfrohen Fluch aus und kämpfte darum, in seinem Sessel zu bleiben. Hinter ihm stöhnte Fiona McPherson auf, als sie für einen Augenblick den Halt verlor und zu Boden geschleudert wurde. Selber schuld, dachte er mitleidlos. Sie waren es, die mich überhaupt auf diesen Gedanken gebracht haben. Er gab die Sequenzen für ein weiteres Ausweichmanöver ein und blinzelte, als sich die Lage auf dem großen Hauptsichtschirm rapide veränderte. Nach einer großen, unförmigen Schleife glitt das große Föderationsschiff nun direkt zwischen die beiden angreifenden Raumschiffe der Kazon.

Hinter ihm zog Fähnrich Harry Kim scharf die Luft ein. "Wir sind jetzt genau in ihrer Schußlinie, Sir", bestätigte er unsicher. "Die Kazon richten ihre Phaser auf unsere neue Position." Er schluckte zweimal. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie sie uns auf diese Entfernung verfehlen können."

Paris lächelte instinktiv. Wie ernst es auch wurde, der junge Fähnrich war immer bemüht, sich seine Angst oder Unsicherheit unter keinem Umständen anmerken zu lassen. Insgeheim bewunderte er Kim für diese Begabung. Wenn es wirklich hart auf hart ging, hatte sogar Tom Paris schon des öfteren Nerven gezeigt.

"Keine Sorge, Harry, genau damit rechne ich." Er wandte für eine Sekunde den Kopf nach hinten. "Garrett, erinnern Sie sich noch an das Manöver, mit dem Mr. Tuvok die Vidiianer bei unserem letzten Treffen auf der Strecke ließ?"

Der junge Mann erwiderte sein Grinsen nervös und eifrig zugleich.

"Jawohl, Sir."

"Hervorragend. Bereiten Sie einen Container Antimaterie vor und warten Sie auf mein Kommando, ihn direkt hinter uns abzuwerfen. Machen Sie zwei Photonentorpedos klar, die den Container drei Sekunden nach Abwurf zum Detonieren bringen."

"Aber Sir", wandte Garrett ein, "die Impulskraft des Antriebs wird alleine nicht ausreichen, um uns ausreichend schnell aus dem Gefahrenbereich der Detonation herauszubringen. Bei einer Zeitspanne von nur drei Sekunden müßten wir mindestens auf..."

"...Warp 1 gehen, um das Schiff und die Crew nicht in Gefahr zu bringen, zerfetzt zu werden?" vollendete Paris den Satz, als ein erneuter, heftigerer Schlag die Voyager erschütterte. "Ich stimme Ihnen zu, Mr. Garrett. Paris an Krankenstation!"

"Was gibt es, Mr. Paris?" Irrte er sich oder klang die Stimme des Doktors euphorisch? Paris runzelte die Stirn.

"Ist Miss Torres vielleicht bei Ihnen?"

"Woher wissen Sie, daß ich hier bin?" schaltete sich B’Elanna prompt ein.

Paris zuckte die Achseln. "Ich bin einfach gut im Raten. B’Elanna..."

"Der Doktor und ich haben eine Möglichkeit gefunden, den ursprünglichen Zustand der Dilithiumkristalle wiederherzustellen", unterbrach ihn die ehemalige Maquis enthusiastisch.

Paris fackelte nicht lange. Für Überraschung war später noch Zeit.

"Wie lange?"

"Eine Möglichkeit, Paris! Wir haben noch nicht einmal mit dem Experiment begon..."

"Dann lassen Sie jetzt alles stehen und liegen und machen sich auf den Weg zum Maschinenraum! Aktivieren Sie den Warpantrieb wieder und machen Sie alles bereit für einen kontrollierten Sprung auf Warp 1. Melden Sie sich bei mir, wenn Sie soweit sind."

"Aber", setzte B’Elanna konsterniert an, "ich dachte, die Präsentation war deutlich genug. Sobald der Warpantrieb eingeschaltet wird, werden mit hundertprozentiger Sicherheit die Schilde auf Null sinken."

"Wir haben keine Zeit für Diskussionen", schnitt er ihr das Wort ab. "Paris Ende."

Zwei gleißende Energiestrahlen durchschnitten das schwarze All, kreuzten sich auf dem Bildschirm und donnerten stumm gegen die Schilde, die für einen Augenblick funkelnd knisterten und flackerten.

"Schilde sind runter auf 67 Prozent", meldete Garrett an der taktischen Konsole.

"Sie werden weiter fallen", kommentierte Paris seelenruhig und hielt sich demonstrativ mit beiden Händen an der Konsole fest. Er konnte es sich auf keinen Fall leisten, bei diesem Angriff verletzt zu werden. "Wir bleiben auf dieser Position."

"Wir bieten ihnen die schönste Zielscheibe, die sie sich nur wünschen können", murmelte Kim hinter ihm. "Ich nehme an, der Maje dort drüben lacht sich über uns kaputt."

Paris grinste schief. "Lassen Sie ihn lachen, Harry. Er wird nicht mehr viel Zeit dafür haben." Wieder bebte das Deck, wieder kam die Nachricht von kleineren Verletzungen überall auf dem ganzen Schiff. Paris zuckte mit keiner Wimper. Er konnte sich nicht mit derartigen Dingen belasten, wenn das Schicksal des ganzen Schiffes plus dem des Außenteams auf dem Spiel stand. Er schwitzte und fuhr sich nachlässig mit der Hand über die Stirn. Erst jetzt glaubte er, zu verstehen, unter welchem Druck Captain Janeway die vergangenen zwei Jahre über hatte stehen müssen.

"Torres an Brücke", meldete sich sein Kommunikator. "Ich stehe jetzt bereit, auf Ihr Kommando hin den Warpantrieb zu aktivieren. Würden Sie mir endlich verraten, Paris, was da in Ihrem Kopf vor sich geht?"

"Wir werden Tuvoks taktisches Manöver der letzten Woche wiederholen, es hat mir einfach zu gut gefallen", witzelte der junge Lieutenant ernsthaft. "Auf meinen Befehl hin wird Lieutenant Garrett einen Container Antimaterie abwerfen, der drei Sekunden später mit zwei Photonentorpedos detoniert wird. Sobald die Torpedos Schiff verlassen haben, werden wir mit einem Kaltstart auf Warp 1 gehen und abhauen, um uns das Feuerwerk aus der Entfernung zu betrachten."

"Sie sind sich darüber im Klaren, daß wir das Feuerwerk von der ersten Reihe aus erleben können, wenn das Schiff nicht schnell genug auf Warp 1 beschleunigt? Ohne die Schutzschilde würde nach der Explosion von der Voyager nicht einmal genug übrigbleiben, um eine winzige Urne damit zu füllen." Torres Stimme hatte einen kämpferischen Unterton angenommen. Sie hatten zwei Möglichkeiten, ihre und Paris’, und ihre dauerte einfach entschieden zu lange. Wenn sie nicht bald handelten und die Schiffe der Kazon kampfunfähig machten, würden Janeway und das Außenteam noch länger in der Bergwerksregion abwarten müssen, die für den Augenblick jedoch nicht mehr unter Beschuß lag. Die Kazon fanden die Voyager wohl interessanter. Dennoch mochte sich Torres nicht vorstellen, wie es dort unten auf der Oberfläche aussah. Wenn jemand verletzt worden war...

"Reizend von Ihnen, mich daran zu erinnern", antwortete Paris betont heiter. "Wenn Sie nachher so akkurat mit Ihren Berechnungen sind wie mit Ihrer düsteren Prophezeiung, kann ja alles nur noch klappen." Er ließ den Komkanal geöffnet und verschaffte sich einen raschen Überblick über die Lage. Die Kazonschiffe hatten ihr Feuer vom Planeten abgezogen und auf die Voyager gelenkt, für den Augenblick war dem Außenteam demnach eine Atempause vergönnt. Dennoch, es beunruhigte ihn, daß die Mitglieder des Teams über das Kommunikationssystem nicht erreicht werden konnten. Und er hatte schlicht und einfach nicht die Zeit, sich im Hauptquartier der Talaremer nach ihnen zu erkundigen.

Das Energiefeuer der Kazon wurde stärker, vermutlich verloren die Krieger dort drüben die Geduld mit dem Föderationsschiff, das sich einfach zwischen sie geschoben hatte, ihr Feuer nicht erwiderte und seine Position nur so weit veränderte, daß es sich ihren Manövern anpaßte und immer noch zwischen ihnen im Raum hing.

"Feuern Sie einen Phaserschuß über ihren Bug", ordnete Paris ärgerlich an. "Die Herrschaften fangen an, mir auf die Nerven zu gehen. Harry, schon irgendwelche Lebenszeichen des Außenteams?"

Der Asiate arbeitete fieberhaft. "Ich kann bisher nur die Signale der Kommunikatoren von Lieutenant Tuvok, Houston und Scanra orten", gab er zurück. "Sie befinden sich anscheinend alle im Hauptquartier der Talaremer."

"Der Captain?" fragte Paris hoffnungsvoll. "Chakotay? Brixton?"

Kim schüttelte mißmutig den Kopf.

"Bisher noch nichts, Sir. Der Beschuß der Bergwerke scheint allerdings in hohem Maße Energie in die Umgebung abgegeben zu haben. Daher sind Interferenzen denkbar möglich."

"Klopfen Sie auf Holz, Harry." Paris wandte sich wieder nach vorne und konzentrierte sich darauf, einen geeigneten Kurs von der Stelle der Detonation weg zu programmieren. "Garrett, alles klar? Paris an Torres, koordinieren Sie den Warpantrieb mit dem Abschuß der Torpedos. Okay, dann auf mein Kommando..."

"Wir bekommen eine Nachricht herein, Sir", unterbrach ihn Harry Kim eilig. Es sind Repräsentant Khladin und Lieutenant Tuvok."

"Prächtiges Zeitgefühl, Vulkanier", murmelte Paris sarkastisch. "Öffnen Sie einen Kanal, Harry. Auf den Bildschirm."

Das Bild der beiden Kazonschiffe wackelte und verschwand, wurde ersetzt durch das helle, aufgeregte Gesicht Khladins und das dunkle, stoisch ruhige des Vulkaniers. Im selben Augenblick wurde das Schiff von einer weiteren Salve getroffen. Paris hielt sich diesmal nur mühsam in seinem Sessel.

"Wie ich sehe, müssen wir Sie nicht mehr vor einem wahrscheinlichen Zusammenstoß mit den Kazon warnen", stellte Khladin überraschend logisch fest. "Es gibt allerdings noch ein weiteres Problem."

"Eines? Mir kommen gleich mehrere in den Kopf. Ich nehme an, Ihnen sind der Captain, Chakotay und Brixton abhanden gekommen, da wir sie als einzige nicht aufspüren können. Mich würde aber auch interessieren, weshalb überhaupt diese kleinen roten Krieger auf Ihren Planeten feuern und weshalb um alles in der Welt Sie nicht das Geringste dagegen unternehmen."

Khladin reagierte auf die Provokation nicht, nur Tuvok wölbte mißbilligend eine schwarze, dichte Augenbraue.

"Der Captain und der Rest des Außenteams befinden sich in der Region der Minen, mit aller Wahrscheinlichkeit an der westlichen Küste, wohin sie nach Beginn des Beschusses geflüchtet sind. Captain Janeway und Chakotay sind beide verletzt und bedürfen medizinischer Betreuung."

"Die sie erhalten werden, sobald wir diese beiden Schiffe losgeworden sind und der Transporterraum Koordinaten erhalten hat", unterbrach ihn Paris eilig. "Sie haben es geschafft, unseren Countdown zu unterbrechen, Tuvok, ich schlage also vor, Sie unterbrechen jetzt zur Abwechslung diese Verbindung und lassen mich meinen Job tun."

Das wird vermutlich ein Nachspiel haben, dachte er, während der Bildschirm wieder schwarz wurde und dann erneut die Kampfsituation oberhalb des Planeten zeigte. Insubordination gegenüber einem Vulkanier - oh, das wird angenehm. Dennoch, Captain Janeway gab mir das Kommando und hat es mir bis jetzt noch nicht entzogen. Das dürfte eine interessante Konfrontation werden. Er konnte sich nicht helfen, das Gefühl, Tuvok einmal über den Mund gefahren zu sein, hob seine Laune gleich spürbar. Er lächelte sogar. Das Lächeln verblaßte, als ihn eine weitere Erschütterung tatsächlich aus dem Sessel beförderte. Er spürte das bekannte dumpfe Stechen einer beginnenden Prellung und zog sich mühsam wieder hoch.

"Paris an Torres", bellte er. "Wir sind alle bereit hier oben. Mr. Garrett, werfen Sie die Antimaterie ab - jetzt!!"

Für den Bruchteil einer Sekunde schloß er die Augen und klammerte sich mit den Händen an seinem Sessel fest. Herzlichen Dank, Captain, daß ich diese Erfahrung auch einmal machen durfte! Wenn Sie mir jetzt nur noch sagen könnten, wo Sie stecken - und ob dieser Plan hier nicht eine gehörige Dummheit war?

Aber er erhielt keine Anwort. Drei Sekunden später zerriß eine gleißende, tonlose Explosion die nachtschwarze Dunkelheit des Alls.

Der Boden unter ihren Füßen schaukelte auf und nieder. Kathryn Janeway hielt sich mit einer Hand an der Kajütenwand fest, während sie sich langsam neben Chakotay niederließ. Die Kajüte war klein, kaum sechs Quadratmeter groß, und vollständig leer. Keine Stühle, keine Betten, keine Schränke, nichts. Weiß der Himmel, wozu man dieses Schiff einmal benutzt hat, dachte sie. Wobei es meiner Meinung nach die Bezeichnung Schiff nur in der Hinsicht verdient, daß wir bis jetzt noch nicht untergegangen sind. Innerlich lachte sie höhnisch. Das war auch das Einzige, was in den vergangenen Stunden gut gegangen war.

War es Vorsehung gewesen, daß es ausgerechnet Brixton gewesen war, die sich bereit erklärt hatte, die ungewisse Wanderung zum Strand auf sich zu nehmen? In ihrer Erschöpfung erschien es Janeway beinahe so. Die junge Frau war es gewesen, die das Schiff entdeckt hatte, die herausfand, wie es am leichtesten ins Wasser zu schieben war, die sich eine Viertelstunde mit dem Motor bekannt machte und verkündete, sie könne ihn sowohl in Gang bringen als auch am Laufen halten. Die Scheinwerfer wurden entdeckt und angeknipst, der Motor gestartet, und Brixton war nun gerade dabei, an Deck das System der Ortungsgeräte zu verstehen. Mittlerweile hatte sich eine dunkle, kalte Nacht über das Meer gesenkt, und so tuckerten sie in völliger Dunkelheit die schwarze Küste entlang, hielten sich dabei immer so nah wie möglich an den Bergen, um nicht die Orientierung zu verlieren. Außerdem dem leisen Rattern des Motors und dem Gluckern der Wellen am Rumpf des Schiffes herrschte Stille.

"Sie sehen müde aus, Captain." Sie zuckte zusammen und legte den Kopf in den Nacken, drehte sich halb um. Chakotay, zugedeckt mit ihrer Schutzjacke und auch ihrer Uniformjacke, hatte sich ein Stück auf den Ellenbogen hochgezogen, ein gezwungenes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Sie erkannte erschreckend, wie bleich seine bronzefarbene Haut geworden war. Captain. Es gab ihr einen Stich, daß er sie so nannte.

"Ich habe keine Zeit, müde zu sein." Unwillkürlich zitterte sie, schlang ihre nackten Arme um ihren Oberkörper und umarmte sich selbst. "Ich werde kein Auge zutun, bis ich Sie wohlbehalten auf der Krankenstation weiß."

"Natürlich nicht. Sonst wärest du nicht Kathryn Janeway." Er betrachtete die Jacken, die sie über ihm aufgetürmt hatte. "Du weißt, daß ich nie von dir verlangt habe, dich für mich auszuziehen."

Statt einer Antwort schwieg sie, sah hinaus durch das ovale kleine Fenster in die schwarze Finsternis. Nicht einmal die Berge waren zu sehen, dennoch wußte sie, daß sie dort draußen waren und sie von dem rettenden Landesinneren abschnitten. Jetzt, wo sie nichts mehr tun konnte, wo die Zeit vorbei war, in der sie bis zum Umfallen kämpfen und schuften konnte, wo sie dazu verdammt war, tatenlos in der Ecke zu sitzen und zuzusehen, wie ihr Schicksal alles weitere in die Hand nahm, spürte sie, wie alle Energie aus ihrem angespannten Körper wich. Zurück blieb graue, bleierne Müdigkeit.

"Hey!" Seine Stimme schnurrte wie die eines zufriedenen Kätzchens. "Es tut mir leid, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Sieh mich an!"

Widerwillig verließen ihre Augen das Fenster, das ihr nichts anderes als Hoffnungslosigkeit zeigte, und wandten sich ihm zu. Seine ruhige Stimme stand in starkem Kontrast zu den Schmerzen, die seit Gesicht in immer kürzeren Abständen verzerrten. Seine Augenlidern flatterten und seine kräftigen, breiten Hände krallten sich in ihrer Jacke fest.

"Streng dich nicht an." Sie rutschte auf den Knien noch näher an ihn heran und legte beruhigend eine schmale Hand auf seine Brust. "Du darfst deine Kraft nicht so vergeuden. Niemand kann wissen, wie lange es noch dauert, bis sie uns finden. Ich weiß nicht, wie lange du noch durchhalten mußt."

"Aber darum geht es doch gar nicht." Er rang mühsam nach Luft, als die Schmerzen für einen Augenblick verklangen. In seinen dunklen Augen lag etwas Drängendes. Ihre Blicke kreuzten sich und er hielt ihren fest, zwang sie, ihm gegenüberzutreten, schnitt ihr jeden Fluchtweg ab. Sie starrte ihn an, spürte verzweifelt, wie jeder Widerstand in ihr in sich zusammenfiel. Sie streckte ihr Kinn in einer letzten, hilflosen, trotzigen Bewegung.

"Ich weiß es doch", flüsterte sie.

Durch das halbgeöffnete Fenster drangen die Geräusche der Nacht zu ihr herein. Sie rollte sich auf den Rücken und verschränkte die Arme unter dem Kissen im Nacken. Trotz der leichten Decke schwitzte sie plötzlich und schob sie impulsiv mit beiden Beinen am Bettende zu einem dicken Ballen zusammen. Dennoch verschwand die Unruhe, die sie ergriffen hatte, nicht. Rastlos warf sie sich von einer Seite auf die andere, doch es half nichts, sie wurde nicht ruhiger und an Schlaf war in diesem Zustand mit Sicherheit nicht zu denken.

Nach einer Weile gab sie auf, setzte sich hoch und schwang die Beine über die Bettkante. Während sie das Kinn in die Hände stützte und durch die vom Wind bewegte Gardine hinaus auf die dunkle Lichtung blickte, kehrten ihre Gedanken unweigerlich zu den Ereignissen des vergangenen Abends zurück. Noch immer vermeinte sie, Chakotays kräftige Hände an ihren Schultern und im Nacken zu spüren, die ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen, die sie innerlich entspannten und gleichzeitig aufwühlten. Noch nie zuvor hatte sie sich ihm so nahe gefühlt...

Und genau das war es, was sie so beschäftigte, was ihr Bewußtsein einfach nicht loslassen und einschlafen lassen konnte. Seit ihrer Ankunft hatte sie versucht, dieses Problem zu ignorieren, doch sie hatte von Beginn an gewußt, daß es sich ihr irgendwann aufdrängen würde. Sie hatte geahnt, daß sie aufgrund ihrer Situation nicht ewig auf Abstand würden bleiben können. Und doch hatte sie es verdrängt, hatte sich bemüht, die Kommandostruktur ab- und ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Hatte sich eingeredet, daß doch alles so bleiben konnte wie es war, hatte jegliche anderen Gedanken bereits im Keim erstickt. Chakotay allerdings schien sich offensichtlich nicht damit zufrieden zu geben.

Wage nicht zu denken, daß du das etwa vorhast, muckte eine kleine, feine Stimme herausfordernd auf. Hör doch endlich auf, dir etwas vorzuspielen. Ist dieses verzweifelte Bemühen, ihn auf Armeslänge von dir fernzuhalten, nicht einfach nur Angst vor dem Unvermeidlichen? Nichts ist unvermeidlich, entgegnete sie stur. Ich lasse mein Leben nun mal nicht gerne von Schicksal oder was auch immer bestimmen. Du bist halsstarrig. Kannst du dir nicht einfach zugeben, daß dir seine Berührungen gefallen haben? Doch, das kann ich. Aber weshalb muß diese Massage der Beginn einer viel größeren Sache sein? Wäre dir ein anderer Beginn lieber? Nein! Ja... du bringst mich vollkommen durcheinander. Kann man sich nicht einfach gut verstehen, ohne daß das Ganze auf einer sexuellen Ebene enden muß? Er hat nichts von einer sexuellen Ebene gesagt. Er hat gar nichts gesagt. Trotzdem weiß ich, was er denkt. Weil du genau das Gleiche denkst. Das ist eine Unterstellung. Beweis mir das Gegenteil!

"Das ist doch lächerlich", sagte sie laut und schwieg dann erschrocken vom Klang ihrer Stimme, bewußt, daß Chakotay im Nebenzimmer saß. Allein der Gedanke an ihn brachte sie schon durcheinander. Na schön, sie konnte nicht abstreiten, daß es da Gefühle in ihr gab, Gefühle, die sich seit Wochen in ihr regten und von Tag zu Tag stärker wurden. Sie hatte jedoch gelernt, sie zu kontrollieren, und wenn sie ehrlich war, hatte sie nicht ernsthaft damit gerechnet, daß sie so schnell vor eine Entscheidung gestellt werden könnte. Niemand hat von dir eine Entscheidung verlangt, flüsterte die Stimme. Ich kann die Angelegenheit aber nicht ewig vor mit herschieben, widersprach sie. Wer hat mir gerade eingeredet, daß ich mich meinen Gefühlen nicht stelle? Schön, wenn es darauf hinausläuft, bleibt mir wohl keine andere Wahl.

Entschlossen stand sie auf, verharrte einen Augenblick an der Tür und betrat dann zielbewußt das anliegende Zimmer.

Chakotay legte den Kopf schief und betrachtete sein Bild unter halbgeschlossenen Lidern hervor sorgfältig. Er hatte so lange nicht mehr mit Farben und Formen gearbeitet, daß er befürchtet hatte, die Magie des Malens könnte über die vielen Jahre, in denen er sich nur physisch ausgetobt hatte, verloren gegangen sein. Ganz behutsam hatte er sich der neuen Aufgabe gestellt, hatte sich viel Zeit damit gelassen, die Sprache der Farben neu zu lernen, die beruhigenden, fließenden Formen der Muster ganz zwanglos auf sich wirken zu lassen, bis es ihm wieder gelang, aus den Bildern die wohlbekannte Kraft zu schöpfen. Dann erst hatte er begonnen, ein wenig Konzentration einzusetzen, um das Zusammenspiel von Mustern und Farben seinen Gefühlen und seiner Stimmung anzupassen.

An diesem Abend jedoch fiel es ihm schwer, sich zu konzentrieren, sich in dem Meer von Farben zu verlieren und ganz allmählich, nach langem Nachdenken hier und da Akzente zu setzen. Sein Herz trommelte in seinem Brustkorb, dröhnte fast in seinen Ohren und er verspürte ein unangenehmes Kribbeln in den Händen. Noch immer glaubte er, ihre schmalen Schultern unter seinen Fingern zu spüren, der weiche Stoff, der sich an seine Handflächen schmiegte, die beruhigende Gewißheit zu spüren, endlich, nach all den Wochen, Kontakt geknüpft zu haben.

Er hielt im Malen inne und kratzte sich nachdenklich das Kinn. Es hatte so einfach geschienen, einfach aufzustehen, hinüber zu gehen und sie zu berühren - noch dazu auf die wohl konventionellste Art der Welt. Dennoch, der Blick, den sie im später zugeworfen hatte, hatte unmißverständlich ausgedrückt, daß sie sehr wohl wußte, daß in ihrer Situation nichts konventionell war, sondern alles neu und unbekannt und vor allem unerwartet. Er fühlte sich wie ein junges Tier, das man in fremdes Terrain gesetzt hatte und das sich nun mit allen Sinnen mit dieser neuen Welt bekannt machen mußte. In einer Captain-Erster Offizier-Beziehung war jedoch diese Art von Bekanntmachung nicht vorgesehen, und es fiel ihm schwer, aufgrund ihrer gemeinsamen Vergangenheit seine Emotionen zu akzeptieren und sich selbst davon zu überzeugen, daß sie es gewesen war, die am ersten Tag ihres Kolonialdaseins darauf bestanden hatte, die Kommandostruktur zwischen ihnen zu begraben.

"Chakotay, ich finde, Sie sollten mich Kathryn nennen."

"Geben Sie mir ein paar Tage Zeit dafür, okay?"

Ein Geräusch an der Tür ließ ihn aufblicken. Sie musterte ihn einen Augenblick und setzte sich dann ihm gegenüber.

"Ich denke, wir sollten einige Parameter aufstellen - uns betreffend."

"Ich weiß nicht, ob ich Parameter aufstellen kann. Aber ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen. Eine alte Legende meines Stammes..."

Während er sprach und ihre Augen nicht von seinem Gesicht wichen, wurde es mit einem Mal so leicht, all das zu sagen, was er ihr schon so lange, seit ihren ersten gemeinsamen Monaten an Bord der Voyager, sagen wollte - daß sie Ordnung und Frieden und Zufriedenheit in sein Leben gebracht hatte, wo er es selbst nie soweit gebracht hatte. Daß er sich ohne sie unvollständig fühlte. Daß er sich noch niemals zuvor so frei und ungebunden empfunden hatte wie hier in ihrer kleinen, paradiesischen Isolation.

Daß sie ihm mehr bedeutete, als er ihr jemals würde zugestehen können.

"Ist das wirklich eine uralte Legende?"

"Nein. Aber so war es leichter, es auszusprechen."

Sie hatte Tränen in den Augen, eine davon floß ihre Wange hinunter. Sie streckte die Hand aus, und er legte seine Utensilien beiseite und griff danach. Ganz bewußt umschlangen sich ihre Finger, und obwohl sie schwieg, wußte sie beide, daß von nun an mehr nichts mehr so sein würde, wie es zuvor gewesen war.

Mehrere Tage später, als sie glücklich inmitten ihrer Pflänzchen lag und er mit einem Gefühl von Abenteuerlust seinen ersten Konstruktionsplan für einen Kahn erstellt hatte, als die kühle, gefühllose Stimme des Vulkaniers die entspannte Nachmittagsstimmung störte, als er ihnen mit wenig Worten mitteilte, daß bald alles wieder so sein würde, wie es zuvor gewesen war, war in Kathryn und Chakotay stumm etwas zerbrochen.

"Ich habe es einfach nicht wahrhaben wollen. Alles ging so schnell, es blieb überhaupt keine Gelegenheit mehr, einen rationalen Gedanken zu fassen, Gefühle in Worte zu kleiden. Ich konnte immer nur denken: Es ist vorbei. Es ist vorbei, bevor es überhaupt richtig angefangen hat. Am Ende jedes Gedanken stand die Realität des Alltags, in dem für eine Beziehung kein Platz war...oder sein durfte...Als wir nebeneinander vor unserem Haus standen, in den ungewohnten Uniformen nach all der Zeit, warst du mit einem Mal so unerreichbar geworden." Kathryn Janeway schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an.

Während sie sich gemeinsam an ihre Zeit in der Abgeschiedenheit der Kolonie erinnerten, hatten Chakotays klamme Finger ihre zitternden Hände gefunden, und wie damals verhakten sich ihre Finger, trotzten dem Schicksal, das unvermutet eine so andere Wendung genommen hatte. Sie war noch näher an ihn heran gerutscht, bis sein Kopf schließlich auf ihren feuchten, kalten Knien lag. Hin und wieder, wenn ihn der Schmerz überkam, hob er den Kopf und preßte das Kinn gegen die Brust, während sich der Griff um ihr Handgelenk verstärkte. Sie wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, seit sie das Schiff betreten hatten, sie machte sich jedoch nichts vor. Trotz all der Energie, die er aufwandte, um den Schmerz in seinem Körper zu bekämpfen, um bei Bewußtsein zu bleiben, um mit ihr sprechen zu können, wurde er schwächer. Natürlich war er weit davon entfernt, es auch nur zuzugeben.

"Als wir das erste Mal wieder auf der Brücke saßen und du deine Befehle gabst, während wir beide vermieden haben, uns auch nur anzusehen, gab es nichts, was mich auf dem Schiff gehalten hätte, hätte man mir die Wahl gelassen, wieder nach New Earth zurückzukehren", bekannte Chakotay. "Ich fühlte mich so leer in der grauen, sterilen Umgebung, ich konnte mir nicht einmal mehr vorstellen, wie ich fast zwei Jahre auf diesem Schiff hatte leben können." Er versuchte ein gezwungenes Lächeln. "Nach der ersten schlaflosen Nacht wußte ich jedoch, daß wir darüber sprechen mußten, um damit fertig zu werden. Um diesen plötzlichen Orts- und Lebenswechsel mit Anstand zu verkraften."

Kathryns schlanke Finger krallten sich in seinem dunklen Haarschopf fest.

"Ich weiß, und ich konnte der Situation noch überhaupt nicht ins Gesicht sehen. Deswegen bin ich dir tagelang ausgewichen, wo ich nur konnte. Ich bin der Captain, die Crew hat von mir erwartet, daß ich wieder meine angestammte Führungsposition übernehme, und es hat mich solche Mühe gekostet, wieder in den gewohnten Trott zu verfallen, mich mit Dingen zu beschäftigen, die mir angesichts unseres Koloniallebens so unwichtig erschienen, da erschien es am einfachsten, alles andere zu verdrängen, was mich noch mehr Kraft kosten würde."

Einige Minuten lang senkte sich Schweigen über die Kajüte. Immer noch schlugen Wellen gegen den Rumpf, immer noch hob sich der Boden unter ihren Füßen, doch mit einem Mal schien alles nebensächlich. Zum ersten Mal seit Tagen waren sich beide wieder ganz der Nähe des anderen bewußt, und weder Kathryn noch Chakotay waren bereit, diese Nähe jetzt aufzugeben. Endlich war sie es, die das Schweigen brach.

"Was soll jetzt werden, Chakotay?"

Er lauschte dem Klang ihre Stimme nach, der sich im Dunkel über ihnen an der Decke verlor. Mit einem Mal war die innere Ruhe der Monate zuvor wieder greifbar nahe, und er wurde gewahr, daß er sich selbst die ganze Zeit über getäuscht hatte, daß dieser Frieden immer nur indirekt mit New Earth und ganz besonders mit Kathryn zusammengehangen hatte. Ihm war, als würde er aus einem dunklen Loch hinauf in den taghellen Sommerhimmel blicken. Er wußte jetzt, daß er sich ein Leben ohne die erholsame, friedliche Umgebung der Kolonie auf dem grünen Planeten vorstellen konnte, solange es in diesem Leben einen Platz für jemand andern gab...

"Ich möchte das Besondere, das zwischen uns existiert, nicht verlieren", sagte er langsam. "Es ist zu kostbar, um es einfach der Vergangenheit zuzuschreiben."

"Ich mußte in den vergangenen Monaten ständig an Mark denken", sagte sie übergangslos. "Es gibt so vieles, was sich nicht abschalten läßt, Chakotay."

Er mußte nur an Seska denken, um zu begreifen, was sie meinte.

"Es wird nicht mehr so sein wie auf New Earth", gab er ihr zu bedenken. "Dieser Zauber haftet nur an diesem Ort. Aber wenn wir ein wenig warten, kann aus unseren Gefühlen vielleicht etwas Neues entstehen, etwas anderes, das aber nicht unbedingt schlechter sein muß."

Zum ersten Mal seit Tagen konnte sich ihr Brustkorb wieder dehnen, ohne daß sie glaubte, beklemmende Gewichte auf der Brust zu spüren. Sie holte tief Luft.

"Du bist ein Teil von mir, Chakotay", gab sie unumwunden zu. "Das wird sich nie ändern. Es wäre nur falsch, denke ich, wenn wir jetzt etwas überstürzen würden."

"Der Plasmasturm, weißt du noch?" fragte er. "Als wir unter dem Tisch kauerten und rings um uns herum deine Arbeitsgeräte vom Tisch gefegt wurden? Das war auch eine Art Wasserscheide damals, ein Wendepunkt der Zeiten. Du hattest damals zwei Möglichkeiten: Aufgeben oder das Geschehene akzeptieren. Wir stehen jetzt beide wieder an einer Wasserscheide, an einer viel größeren, und auch hier haben wir zwei Möglichkeiten. Es bleibt uns überlassen, für welche wir uns entscheiden."

Ihre Finger fuhren nachdenklich die dünnen, schwarzen Konturen der Zeichnung über seiner linken Schläfe nach. Mit einem Mal war sie innerlich ganz ruhig und gelassen.

"Ich entscheide mich für die Zeit", sagte Kathryn. "Für Zeit, in der wir unsere Gefühle neu entdecken können, in der wir entscheiden können, wie wir die neuen Facetten, die wir auf New Earth gewonnen haben, in unser Leben an Bord integrieren können." Sie hob langsam den Kopf. "Unser Leben auf New Earth war wie ein lebendiger Traum", murmelte sie leise. "Wir müssen sehen, was davon noch übrig bleibt, jetzt, wo wir gezwungen wurden, wieder aufzuwachen."

Chakotay wandte den Kopf, so daß er sie ansehen konnte. Ihre hellen Augen glänzten verdächtig, doch sie lächelte. "Denkst du, das ist fürs erste annehmbar?"

"Nimm so viele Stunden, Monate und Sekunden, wie du brauchst", preßte er heraus. "Und solltest du einmal einen Gefährten auf deiner Reise in die Welt der Facetten suchen - ich habe meine zivile Kleidung noch nicht fortgeräumt." Seine dunklen Augen waren ganz nah an ihrem Gesicht. "Es war der schönste und lebendigste Traum, den ich je erlebt habe", murmelte er. "Aber ich bin so müde, daß ich vielleicht doch noch nicht richtig wach geworden bin."

Sein Kopf sank auf ihre Knie zurück und seine Augenlider flatterten, bevor sie sich schlossen. "Nur ein wenig Zeit", flüsterte er. Ein kaum sichtbares Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er einschlief.

Der Druck um ihr Handgelenk lockerte sich jedoch nicht. Kathryn beugte sich vor und preßte ihre Wange an sein verschwitztes Gesicht. "Ich war noch nie gut darin, meine Empfindungen in Worten auszudrücken", murmelte sie ihm ins Ohr. "Vielleicht gelingt es mir irgend wann einmal, dir zu sagen, wieviel du mir bedeutest, Maquis."

"Captain?" Brixtons Stimme rauschte aus ihrem Kommunikator heraus. "Es ist mir gelungen, eine positive Ortung vorzunehmen. Der nächste Hafen befindet sich eine halbe Stunde die Küste entlang Richtung Osten. Bis dahin dürften wir die Minen hinter uns gelassen haben. Wenn wir recht hatten und die Störung der Kommunikation mit der freigewordenen Energieemissionen zusammenhing, müßten wir dann wieder Kontakt mit dem Schiff bekommen. Wie geht es dem Commander?"

Janeway setzte sich wieder auf und betrachtete den schlafenden Indianer liebevoll.

"Er schläft jetzt", antwortete sie und hoffte inständig, daß ihre Stimme nicht wackelte. "Vielleicht gelingt es ihm so, die nächste halbe Stunde über Kraft zu sparen."

"Ich sage Bescheid, sobald ich Kontakt zu Lieutenant Paris habe", versprach Brixton. "Hoffentlich halten sie dort oben nach uns Ausschau."

"Die wären wir los", bemerkte Tom Paris, als die Beleuchtung auf der Brücke wieder flackernd zum Leben erwachte. Er stieß pfeifend die Luft aus und überflog die Sensordaten, die Harry Kim auf die Steuerkonsole transferiert hatte. Die beiden Schiffe der Kazon trieben steuerlos außerhalb des Orbits. Paris hob erstaunt eine Augenbraue, er war davon ausgegangen, daß es die Schiffe auseinander reißen würde. Es hatte wohl den Anschein, daß Kazon-Kampfgleiter aus beständigeren Legierungen als so manche andere Schiffe gebaut waren. Um so besser, dachte er zufrieden, einmal Blutvergießen weniger. So habe ich wenigstens noch die Chance, den Herrschaften mitzuteilen, was ich von ihrer Art der Kommunikation halte.

Auf Harry Kims Gesicht verschwand die Anspannung nur ganz allmählich. Er strich sich eine lose schwarze Strähne aus der Stirn und wandte sich dann um, um die Terminals in seinem Rücken einer genauen Prüfung zu unterziehen.

"Schilde haben wieder versagt", berichtete Garrett von der taktischen Station aus. "Der Warpantrieb wird gerade desaktiviert, das bedeutet...ja, die Schilde haben wieder volle Energie."

"Schäden?"

"Aufgrund der schnellen Induktion wurde das Warpplasma in den Gondeln leicht überhitzt, aber Lieutenant Torres versichert, daß alles unter Kontrolle sei. Kleinere Schäden an den Trägheitsdämpfern, auch sie wurden bei dem plötzlichen Sprung auf Warp 1 überlastet. Abgesehen davon keine weiteren Meldungen."

"Ausgezeichnet. Paris an Torres, das hat ja fabelhaft geklappt. Was war das vorhin mit Ihrer Bemerkung über eine Lösung unseres Problems?"

"Ich denke, Sie sollten besser runter in den Maschinenraum kommen, Sir", erwiderte die Stimme der Chefingenieurin barsch. "Und falls Sie auf dem Weg dorthin zufällig an der Krankenstation vorbeikommen - der Doktor hat eine geeignete Medikation vorbereitet und ist außerdem gerne bereit, ein Lob aus ihrem Munde entgegen zu nehmen."

Paris wölbte fragend eine Augenbraue. "Habe ich Sie richtig verstanden, unser beliebtes Hologramm hat es übernommen, die kranken Dilithiumkristalle zu kurieren?"

"Es ist so unwahrscheinlich wie es sich anhört", entgegnete B’Elanna Torres trocken. "Ich weiß selbst noch nicht so recht, was ich davon halten soll. Er selbst platzt natürlich beinahe vor Stolz. Wenn Sie sich ein wenig Zeit nehmen, ist er sicher bereit, Ihnen alles bis ins Detail zu schildern."

"Herzlichen Dank. Erwarten Sie mich in fünf Minuten im Maschinenraum. Paris Ende."

Er erhob sich. "Miss McPherson, Sie übernehmen die Steuerung, während ich im Maschinenraum bin. Harry, scannen Sie weiter nach dem Rest des Außenteams und bringen Sie Tuvok, Scanra und Houston zurück an Bord. Abgesehen davon könnte ich mir vorstellen, daß Khladin gern ein Wort mit den Kazon-Kriegern sprechen möchte."

Auf dem Weg zum Turbolift trat ihm Fiona McPherson entgegen. Er hielt sie im Vorbeigehen am Ärmel ihrer Uniformjacke fest.

"Nun?"

Sie schnitt eine Grimasse. "Okay, Sie haben bewiesen, daß mehr in Ihnen steckt, als Ihr chauvinistisches Auftreten vermuten läßt. Machen Sie jetzt bloß nicht den Fehler und verfallen Sie in ihre alte Fehler. Ich bin mir sicher, daß Lieutenant Torres dem Werben eines Helden nicht mehr die kalte Schulter zeigen kann."

Er blickte sie scharf an und war froh, daß sie beide sehr verhalten gesprochen hatten.

"Ich frage Sie nicht, woher Sie das wissen, McPherson, aber wenn Sie auch nur ein Wort davon weitergeben..."

Sie legte ihm die Hand auf den Arm und grinste verschwörerisch. "Meine Lippen sind versiegelt, solange niemand etwas davon erfährt, weshalb Sie glaubten, ich würde Sie so einfach unter mein Duschwasser lassen."

Eine allzu klare Erinnerung von heißem Dampf, unterdrücktem Gelächter und der Wärme ihres runden Körpers an seinem Rücken trat ihm vor Augen. Er zwinkerte und ließ sie dann los. "Ein guter Kuhhandel. Ich werde Sie daran erinnern, wenn es mir nötig erscheint." Mit diesen Worten wandte er sich ab und wartete vor dem Lift, bis sich das graue Schott leise zischend vor ihm öffnete. Mit einem frechen Lächeln auf den Lippen entführte ihn der Lift ins Innere des Schiffes.

"Und Sie sagen mir, daß B’Elanna damit einverstanden ist?" Tom Paris glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Der holographische Doktor warf ihm einen verständnislosen Blick zu.

"Gibt es einen Grund, warum sie es nicht sein sollte? Nach ihrer offensichtlichen Liebe zu allem, was mechanisch ist und diesem Schiff angehört, müßte sie doch enthusiastisch sein angesichts der Tatsache, daß ihre eigene DNA das wichtigste Organ des Schiffes retten wird." Seine Augen wurden nachdenklich. "Ob der Warpkern mit B’Elannas DNA-Komponente wohl genauso starrsinnig arbeiten wird wie Ihre junge Freundin?"

"Meine..." Paris beschloß, diese Bemerkung kommentarlos passieren zu lassen. "Sie reden vom Warpkern wie von einer angerissenen Milz, die geflickt werden muß. Wie um alles in der Welt soll B’Elannas DNA etwas gegen den Zerfall von Kristallen ausrichten."

Der Doktor seufzte und rollte die Augen gen Decke. "Daß es mir auch nicht erspart bleibt, alles dreimal zu erklären. Können Sie nicht einfach akzeptieren, daß meine Lösung die beste - und abgesehen davon auch die einzige - ist? Nein, natürlich können Sie das nicht." Er reckte sich ein wenig, sein Gesicht nahm den dozierenden Ausdruck eines Universitätsprofessors an. "Lieutenant Torres und ich haben herausgefunden, daß die Kristalle an einer verwandten Form der Phagozytenseuche der Vidiianer leiden."

"Bitte?" Paris riß die Augen auf. "Das kann doch unmöglich..."

"Ich würde nicht davon sprechen, wenn es unmöglich wäre", schnitt ihm der Doktor entrüstet das Wort ab. "Die Kristalle tragen einige organische Komponenten in sich, die von einem Virus befallen wurden, der demjenigen sehr ähnelt, der für das Leiden der Vidiianer verantwortlich ist. Wo er bei den Vidiianern Organe, Muskeln und Zellmembranen zersetzt, sorgt dieser hier dafür, daß unsere Kristalle frühzeitig ‘altern’."

Er gab Paris einige Sekunden Zeit, bis die Nachricht komplett eingesunken war. Paris sah allerdings immer noch sehr zweifelnd aus. "Und wie gelang dieser Virus in unseren Warpkern?"

"Das ist nun wirklich nicht mein Problem", versetzte der Doktor ärgerlich. "Meine Aufgabe war es, ein Heilmittel zu finden, und das ist mir gelungen. Ich stellte eine Hypothese aufbauend auf das bewährte mögliche Heilmittel der Phagozytenseuche auf: B’Elannas DNA. Nach ihrer Entführung schienen die Vidiianer überzeugt davon, daß in ihrem Erbmaterial das Heilmittel codiert ist. Daher experimentierte ich mich mit einer Probe ihrer DNA an einem der kleinen Kristalle, die sie mir zur Verfügung gestellt hat. Das Ergebnis, so unvorstellbar es auch ist, zeigte sich äußerst positiv. Die Kristalle wuchsen zwar nicht mehr zu ihrer ursprünglichen Größe zurück, aber der Zerfall stoppte. Fragen Sie mich nicht, weshalb", sagte er hastig, als er sah, daß Paris den Mund öffnete. "Ich kann es selbst nicht erklären. Fakt ist, es hat funktioniert, und wird höchstwahrscheinlich mit all ihren Kristallen funktionieren."

"Unbegreiflich", murmelte Paris. "Es wäre äußerst interessant, herauszubekommen, wie dieser Virus oder was auch immer es bis in unseren Warpkern geschafft hat. Ob es etwas damit zu tun hat, daß wir erst vor einiger Zeit einen Zusammenstoß mit den Vidiianern hatten?"

"Es steht Ihnen selbstverständlich frei, darüber Spekulationen anzufangen, dennoch würde ich es vorziehen, wenn Sie diesen Minicontainer mit vorbehandelter, klingonisch differenzierter DNA zu Miss Torres in den Maschinenraum bringen würden, damit sie so schnell wie möglich mit der Behandlung der Kristalle beginnen kann", drängte der Doktor, sichtlich begierig, Paris aus seiner Krankenstation zu entfernen. Die Zeit, in der der junge Lieutenant als Aushilfsschwester fungiert hatte, war ihm noch unangenehm im holographischen Gedächtnis.

Paris ließ sich die kleine Box in die Hand drücken und vom Doktor aus der Krankenstation dirigieren. Draußen im Korridor betrachtete er den Container mit fassungslosem Kopfschütteln. "Phagozytenseuche bei Dilithiumkristallen", murmelte er entgeistert. "Im Alpha-Quadranten könnten Sie in der medizinischen Fachzeitung der Sternenflotte mit einem Artikel über dieses Phänomen großes Aufsehen erregen." Der Gedanke, daß er in diesem Augenblick die genetische Grundlage von B’Elanna Torres in der Hand hielt, war seiner Verwirrung nicht unbedingt abträglich.

Das Piepsen seines Kommunikators brachte ihn schlagartig in die Realität zurück.

"Torres an Paris, ich weiß nicht, ob sie fünf vulkanische oder bajoranische Minuten meinten, aber mein astronomischer Chronometer hat in der Zwischenzeit zwölf Minuten verschlungen. Ob Sie wohl so freundlich sein könnten, den nächsten Turbolift zu nehmen, damit ich endlich mit meiner Arbeit fortfahren kann?"

Kein guter Einstieg, dachte er. Laut sagte er nur: "Ich bin schon auf dem Weg."

Der Konferenzraum der Voyager war so voll wie schon lange nicht mehr. Trotz der Abwesenheit sowohl des Captains als auch des Ersten Offiziers war kein Stuhl mehr frei. Paris, der sich auf dem angestammten Platz des Captains unterm Fenster ein wenig fehl am Platze vorkam, warf einen Blick in die Runde. B’Elanna Torres’ Blick kreuzte sich mit seinem und für den Augenblick eines Wimpernschlags deuteten ihre Lippen ein Lächeln an. Tuvoks Miene starrte ihn undurchdringlich an, während sich der talaremische Repräsentant Khladin sichtlich unwohl fühlte und unruhig auf seinem Stuhl herum rutschte. Neelix und Kes, die junge Ocampa, waren so nah wie möglich zusammengerückt und tauschten leise flüsternd einige Worte aus. Harry Kim fehlte, ihn konnte und wollte Paris in diesem Augenblick der letzten Krise auf der Brücke bei den Sensoren wissen. Lieutenant Houston saß schräg hinter Torres, er allerdings schien sich auf seinem ersten Treffen der Senioroffiziere nicht unwohl zu fühlen. Zuletzt war da noch der Doktor, der von einem großen Wandschirm aus die Konferenz verfolgen sollte. Er schien angespannt darauf zu warten, daß man ihm das Wort erteilte, damit er erneut über seine hervorragende Entdeckung referieren konnte.

Paris räusperte sich geräuschvoll. Es wurde still im Raum, ein halbes Dutzend Augenpaare wandte sich im interessiert zu. Er kämpfte darum, nicht rot zu werden.

"Die Sache präsentiert sich wie folgt", begann er schließlich. "Repräsentant Khladin und Lieutenant Houston haben ja soeben schon berichtet, wie es trotz des talaremischen Sicherheitssystems zu dem Angriff der Kazon-Sekte kommen konnte. Auf Bitten des talaremischen Volksausschusses haben wir die überlebenden Kazon auf den Planeten gebeamt und die beiden Schiffe - oder das, was von ihnen noch übrig war - zerstört. Die Kazon werden nun der Jurisdiktion der Talaremer vorgeführt werden. Es bleibt jetzt den Talaremern zu überlassen, Konsequenzen aus diesem Vorfall zu ziehen." Er machte eine kleine, bedeutende Pause. "Hingegen bin ich sehr froh und stolz, Ihnen mitteilen zu können, daß es B’Elanna Torres und dem Doktor gelungen ist, den Zerfall unserer Dilithiumkristalle einzudämmen - aus diesem Grund sind wir auf das Aragphma, das sich als unzureichend kompatibel mit unseren Systemen erwiesen hat, glücklicherweise nicht mehr angewiesen. Soweit wir es bisher wissen, war ein vidiianischer Virus für den Zerfall verantwortlich. Nähere Einzelheiten sind bisher noch unbekannt, im Augenblick jedoch auch von geringerer Bedeutung."

"Unsere Priorität ist es nun, den Captain und das restliche Außenteam ausfindig zu machen. Sie wurden zuletzt innerhalb des Bergwerks gesehen und wollten sich auf den Weg zum Strand machen. Aufgrund der hohen energetischen Emissionen, die der Beschuß des Aragphma-Gesteins ausgelöst hat, ist es unmöglich, die Bergkette in einem Radius von vierzig Kilometern zu scannen. Ebensowenig können wir eine Suchmannschaft hinunter beamen, da die Energiefluktuationen auch das Muster des Transporterstrahls verzerren. Demnach bleibt nur noch die Option, ein Shuttle hinunter zu senden, das auf den schmalen Strandstreifen landen und von dort aus eine Suche starten kann."

"Die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen", murmelte B’Elanna leise. Er warf ihr einen ironischen Blick zu. Danke für die aufmunternden Worte.

"Repräsentant, wir ersuchen um Ihre Teilnahme an der Suchaktion, da Sie am besten mit den geographischen Gegebenheiten der Küste vertraut sind", wandte sich Paris an den Talaremer. Der gutaussehende Mann nickte, um seinen Mund hatten sich tiefe, unattraktive Falten gegraben. Auch an ihm waren die letzten Stunden nicht spurlos vorüber gegangen.

"Doktor, nachdem, was der Repräsentant und Lieutenant Houston berichten, wurden Captain Janeway und Commander Chakotay bei den Beben verletzt. Ich möchte, daß Sie auf der Krankenstation alles bereit haben, wenn sie eingeliefert werden."

"Verstanden, Lieutenant." Der Doktor sah aus, als wolle er noch mehr sagen, besann sich dann aber eines Besseren und schloß den Mund wieder. Paris stieß ein stummes Dankgebet aus.

"Ich möchte, daß auch Mr. Houston und Sie, Mr. Tuvok, an der Suchaktion teilnehmen..."

Tuvok reagierte mit dem Hochziehen einer vulkanischen Augenbraue. Er hatte stillschweigend zugestimmt, daß Paris die Sitzung leiten konnte, auch wenn Tuvok rangmäßig über ihm stand. Paris beharrte immer noch darauf, daß Janeway ihm das Kommando über das Schiff noch nicht wieder entzogen hatte. Befehle von einem untergeordneten, noch dazu so unerfahrenen Lieutenant anzunehmen, mißfiel ihm hingegen schon - oder störte zumindest sein logisches Gleichgewicht.

"Damit würde ich sagen, daß..."

"Kim an Paris!" Harry Kims Stimme schallte aufgeregt und so laut über den Komkanal, daß Paris sich wunderte, ob er ihn nicht sogar durch die dicken Wände des Konferenzraumes hindurch auf der anliegenden Brücke hören konnte. "Soeben empfange ich drei ganz deutliche Signale ein Kilometer außerhalb des Emissionenradius. Es sind Brixton, Chakotay und der Captain."

"Außerhalb des Radius?" erhob Khladin zweifelhaft die Stimme. "Wie ist das möglich?"

"Die Sensorergebnisse sind unmißverständlich, Lieutenant. Sie tauchten wie aus dem Nichts auf und sie so stark und deutlich wie man es sich nur wünschen kann." Kims Stimme verriet seine jubelnde Erleichterung deutlich. Paris fühlte sich überrumpelt - noch eine Minute zuvor hatten sie im Dunkeln getappt, und plötzlich sollten sich alle Probleme in Luft aufgelöst haben? Seinem Geschmack nach ging das alles ein bißchen zu schnell.

"Können Sie ihre Koordinaten erfassen?" erkundigte er sich, immer noch darauf gefaßt, eine negative Bestätigung zu erhalten.

"Der Transporterraum hat alle drei Personen bereits erfaßt. Auf Ihr Kommando hin können sie sofort auf die Krankenstation gebeamt werden."

"Wenn Sie mich damit entschuldigen würden", meldete sich der Doktor hinter ihm, dann verschwand sein Kopf und hinterließ nur noch die Schwärze des desaktivierten Monitors.

Paris sah sich in der Runde um und begegnete nur strahlenden, wenn auch etwas überraschten Gesichtern. Er zuckte die Achseln, bereit, einmal die magischen Worte sprechen zu dürfen. "Machen Sie es so!"

Die warmen Strahlen der Nachmittagssonne fielen durch das dunkelgrüne Blätterwerk und malten Abertausende von goldenen, tanzenden Lichtflecken auf das ruhige, dunkle Wasser. Ein frischer Wind trieb Blätter über die Wasseroberfläche hinweg, im niederen Gesträuch am Ufer verriet ein leises Rascheln geschäftige Kleintiere, und über ihnen zog ein kleiner, weißer Vogel friedlich seine Kreise.

Kathryn ließ die nackten Beine über den Bootsrand ins kühle Wasser baumeln und lehnte sich genießerisch zurück.

"Du hast geschummelt", sagte sie und schloß die Augen, hielt ihr Gesicht der warmen Sonne entgegen. "So wunderschön ist der Fluß nie gewesen."

"Vielleicht. In meiner Erinnerung kam er mir jedenfalls so vor." Chakotay legte für einen Augenblick die schweren, hölzernen Ruder zur Seite und ließ den Kahn mit der seichten Strömung treiben. "Nun kommen wir zumindest doch noch zu der Bootsfahrt, die ich dir versprochen hatte. Das Boot ist zwar nicht selbstgebaut..."

"Was spielt das schon für eine Rolle", unterbrach sie ihn. "Natürlich ist all das hier nur eine Replikation, aber ich bin gerne bereit, das zu vergessen, wenn ich nicht ständig daran erinnert werde." Sie öffnete die Augen wieder, genoß es, das alte, gewohnte Kleid, das sie so oft auf New Earth getragen hatte, wieder an ihrem Körper zu spüren. Und wenn sie Chakotay ansah, mußte sie zugeben, daß er ihr in seiner weiten Hose und dem dunkelgrünen Hemd sehr viel vertrauter erschien als in seiner schwarz-roten Uniform.

"Zu einer ersten, gemeinsamen Reise in die Vergangenheit der Facetten" hatte er sie eingeladen, als er am Tage seiner Entlassung aus der Krankenstation das erste Mal wieder zum Dienst auf der Brücke erschien. Sie hatte das Holodeck betreten, ohne auf die authentische und so wirklichkeitsnahe Erscheinung der Kolonie gefaßt zu sein.

"Wann hast du das alles nur gemacht?" fragte sie andächtig, während sich ihre Augen an der gewohnten Umgebung nicht satt sehen konnten.

"Während ich auf der Krankenstation lag und nichts Besseres zu tun hatte, als den ganzen Tag die Selbstmonologe des Doktors zu verfolgen." Seine Augen lachten. "Ich hatte schnell heraus, wo ich das PADD verstecken konnte, wenn er in die Nähe meines Biobettes kam. Du findest es also überzeugend?"

"Überwältigend", sagte sie glücklich. "Schöner habe ich mir den Beginn unseres neuen Lebens auch nicht ausmalen können." Sie lehnte sich noch weiter zurück und ließ es zu, daß er seine Arme über ihre Schultern legte und sie näher an sich zog. "Ich hoffe nur, diese traumhaft romantische Landschaft macht uns nicht übermütig."

Der Indianer setzte sich auf, packte sie an den Schultern und drehte sie zu sich um.

"Ich habe dieses Programm nicht mit dem Hintergedanken erstellt, dich verführen zu wollen", sagte er geradeheraus. "Betrachte es eher als eine Art Selbsttherapie. Ein Refugium, in das wir uns zurückziehen können, wenn der Alltag außerhalb dieser Türen mal wieder unerträglich wird und wenn wieder diese Gefühle auftauchen, die uns zurück nach New Earth ziehen. Zumindest können wir so unsere Erinnerungen an einem sehr ähnlichen Ort ausleben."

"Ich wollte auch nichts dergleichen andeuten", beruhigte sie ihn und lehnte sich wieder gegen seinen Oberkörper. "Ich dachte nur, sollten wir jemals soweit kommen, daß...ich meine, daß aus unseren Erinnerungen irgend etwas Größeres entstehen kann - wenn ich soweit bin, daß ich mit meinen Gedanken nicht immer auf der Erde bin, sondern mir vorstellen kann, hier an Bord der Voyager eine..."

"...Liebesaffäre mit deinem Ersten Offizier anzufangen..."

Sie schnitt ihm eine Grimasse. "Jedenfalls dann könnte ich mir gut vorstellen, daß eine solche neue Nähe hier auf diesem herrlichen Fleckchen Erde anfangen könnte."

Er sah sie einen Augenblick schweigend an und drückte ihr dann überraschend einen hastigen Kuß auf die Wange. "Du bist unbeschreiblich, Kathryn Janeway."

Sie seufzte. "Vermutlich haben meine Vorgesetzten früher deswegen immer so lange gebraucht, bis sie einen Einschätzungsbericht über mich fertig geschrieben hatten."

B’Elanna Torres streckte ihrem Spiegelbild gerade die Zunge heraus, als ihr Türmelder schrillte. Sie war gerade von ihrer Nachtschicht zurückgekommen und fand, daß ihr neben Müdigkeit und Erschöpfung auch noch Unzufriedenheit ins Gesicht geschrieben war. Seit einigen Tage hatte sie das Gefühl, nur noch gegen unterschwellige Aggressionen zu kämpfen - woher sie kamen und weshalb sie so gereizt war, war ihr ein Rätsel.

"Was ist denn jetzt?" rief sie deshalb ein wenig grob und ärgerte sich sofort über sich selbst, als sie sah, daß es Tom Paris war, der vorsichtig um die Ecke in den Raum schielte.

"Sind Sie in der Laune, in der Sie kleine Lieutenants zum Frühstück verspeisen?" erkundigte er sich argwöhnisch. "Wenn ja, dann komme ich gar nicht erst rein."

Sie legte ihre Bürste aus der Hand und zwang sich zu einem Lächeln. In ihrem Magen begannen gläserne Schmetterlinge zu tanzen.

"Das war nicht gegen Sie gerichtet, Tom, ich hatte einfach nur eine lange Nacht."

"Ich habe auch nicht vor, lange zu stören, ich wollte Ihnen nur etwas geben." Erst jetzt fiel ihr auf, daß er eine Hand hinter dem Rücken versteckt hielt. "Ich habe Ihnen das Leben nicht gerade leicht gemacht letzte Woche, als Sie genug damit zutun hatten, das Aragphma einzuschätzen und ich Ihnen dann noch die Dilithiumkristalle aufhalste."

Sie schüttelte den Kopf. "Das mußten Sie schließlich tun."

Er zuckte die Achseln. "Mag sein, aber ich bin noch nicht gewohnt, Befehle auszuteilen, die einem schwerschuftenden Crewmitglied noch mehr Arbeit aufbürden."

"Oh, das lernen Sie noch, je häufiger Sie ein Kommando übernehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich Captain Janeway derartige Skrupel leisten kann, wenn sie dafür verantwortlich ist, daß alle Systeme auf diesem Schiff reibungslos funktionieren."

"Mag sein", wiederholte er und trat unbehaglich von einem Bein auf das andere. "Jedenfalls bin ich nicht gekommen, um mich über meinen Job zu beklagen, sondern um Ihnen das hier zu geben."

B’Elanna starrte ungläubig und auch ein wenig verunsichert auf die große, metallische Presse in seiner Hand. Sie lachte verwirrt.

"Was ist das?"

Paris zog eine todernste Miene. "Das ist eine Gemüsepresse. Weder multipel noch phasengesteuert, muß ich leider dazu sagen, aber man hat mir versichert, daß sie ansonsten fabelhaft funktioniert." Er trat einen Schritt näher. "Die Wahrheit ist, ich möchte nicht, daß Sie von mir das Bild behalten, daß Ihnen Harry Kim letztens in so wunderbar bloßstellenden Farben gemalt hat. Sie fanden die Episode vielleicht spaßig, aber ich kann Ihnen versichern, daß mir ganz und gar nicht zum Lachen zumute war." Er holte tief Luft. "Ich habe mich ernsthaft dazu entschlossen, daß mein Ruf auf diesem Schiff mehr als aufpoliert werden muß, und ich dachte, ich fange bei der Person an, deren Meinung über mich wohl am wich...ich meine, von der ich ungern möchte, daß sie schlecht über mich denkt. Man weiß ja, wie das klingonische Temperament so spielen kann", setzte er verlegen hinzu.

B’Elanna spürte, wie ihre Mundwinkel zu zittern begannen. Sie versteckte das Lächeln hinter ihrer Hand und biß sich auf die Lippen, um ein Lachen zu unterdrücken.

"Und daher schenken Sie mir jetzt eine Gemüsepresse?" Ihre Aggressionen hatten sich in Luft aufgelöst, hatten unbändiger Freude Platz gemacht. Hatte sie nicht doch die ganze Zeit über gewußt, wer dafür verantwortlich war? Jetzt zumindest wußte sie es.

"Na ja, sie war ja immerhin der Stein des Anstoßes", verteidigte sich Paris.

B’Elanna betrachtete die Gemüsepresse mit gespielt nachdenklichem Blick.

"Darf ich dieses Geschenk dann als vorsichtige Andeutung verstehen, daß Sie mich einmal zu einem selbstgemachten Gemüseauflauf einladen wollen, Mr. Paris?"

Tom hob den Kopf, seine Ohren röteten sich spürbar. Hatte er sich verhört und hatte sie seine "Frage durch die Blume" tatsächlich verstanden?

"Das bleibt eine Frage Ihrer Interpretation", brachte er noch hervor, bevor sich ein strahlendes Lächeln auf seinem jungenhaften Gesicht ausbreitete.

"Auch der Whirlpool auf Sitara?" fragte Julia Brixton und verschränkte die Arme vor der Brust. Samuel Houston nickte.

"Diese elende Kletterei durch Kilometer von Felsgestein hat mir einen zünftigen Muskelkater beschert", gestand er. "Der Doktor schlug mir den Whirlpool als das mit Abstand wirksamste Heilmittel an."

"Seltsam, mir ebenfalls. Obwohl ich mir bei unserer nächtlichen Bootsfahrt letzte Woche statt dessen eine ordentliche Erkältung zugezogen habe. Er hätte mir auch einfach nur eine Injektion geben können."

"Ich habe den Eindruck, daß ihm sein kürzliches Erfolgserlebnis zu Kopf gestiegen ist", mutmaßte Houston. "Ich habe schon von mehreren Crewmitgliedern gehört, die er zur alternativen Behandlung aufs Holodeck geschickt hat."

"Mir jedenfalls macht es nichts aus, den Pool mit Ihnen zu teilen", erklärte Brixton. "Allerdings ist das Holodeck im Augenblick noch in Betrieb."

Im gleichen Augenblick öffnete sich das schwere Schott und der Captain und Chakotay, beide in legerer Zivilbekleidung, verließen das Holodeck. Sie bemerkten Houston und Brixton nicht, sondern verschwanden leise redend den Korridor entlang. Chakotays Arm lag immer noch um Janeways Schulter.

"Ich wußte nicht, daß es dem Commander immer noch so schlecht geht, daß er gestützt werden muß", ließ Houston neben ihr verlauten. Brixton wechselte einen heiteren Blick mit ihm und sah den beiden kommandierenden Offizieren schmunzelnd nach.

"Diese Frage bleibt ganz allein Ihrer Interpretation überlassen, Samuel", sagte sie.
 
 

ENDE


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